Diskurs

Die demokratische Schule digital und spielerisch gestalten

Leerer Klassenraum
Leerer Klassenraum - Bild: Image by Wokandapix from Pixabay

Bei der bundesweiten Expertentagung Lehrkräftebildung am 27. und 28.2.20 zeige ich Beispiele, wie man mit Hilfe digitaler und spielerischer Tools Schule demokratischer und schülergerechter gestalten kann.

Dabei gehe ich von drei Thesen aus:

  1. Menschen lernen vor allem dann gut, wenn der Lernprozess mit – im besten Fall positiven – Emotionen verbunden wird.
  2. Gerade weil digitale Medien im Unterricht bisher oft nicht vorkommen, kann man damit Schülerinnen und Schüler mit (mehr) Spaß einbeziehen.
  3. Demokratie beschränkt sich nicht auf formale Beteiligungsstrukturen, sondern muss als Lebensform in allen Bereichen oft und regelmäßig erlebt werden.

Was sind spielerische, digitale Tools?

Da digitale Medien bisher im Unterricht (oft zu) wenig genutzt werden, lernen Kinder und Jugendliche schon allein durch deren Anwendung mit mehr Spaß und Emotionen und damit auch intensiver. So kann man z.B. mit Actionbound eine Mischung aus Schnitzeljagd und Handy-Quiz erstellen, mit der Schülerinnen und Schüler interaktiv lernen. Vielleicht ist es aber auch noch interessanter, wenn Kinder und Jugendliche Lerntouren für andere erstellen. Außerdem gibt es jede Menge Quiz-Apps, z.B. Kahoot! oder Feedback-Apps wie Mentimeter. Durch den Einsatz dieser Tools erhalten Lehrende einen zweiten Kanal, mit dem sich auch ander Schülerinnen und Schüler beteiligen können.

Viel Spaß macht es auch mit 360° zu arbeiten. Da gibt es inzwischen sehr günstige Kameras und VR-Brillen fürs Handy oder die Occulus Go als Standalone-Variante. Immer noch kann man sich auch eine Cardboard aus einem Pizza-Karton basteln. Im Projekt „Du und Dein Halle“ haben Jugendliche ihre Ort in 360* gefilmt und erzählen dazu, warum diese für sie wichtig sind.

Es kommt auf die Narrative an. In der Aufmerksamkeitsökonomie geht es heute darum, wer die besseren Geschichten erzählt. Dafür bietet sich ein Blog an, den die Schülerinnen und Schüler gemeinsam schreiben. Wenn man dafür Accounts mit E-Mail-Adressen einer Einrichtung oder zumindest nicht der Kinder und Jugendlichen anlegt, dann kann man datenschutzkonform die freie, werbefinanzierte Seite wordpress.com verwenden. U.a. folgende Seiten sind in außerschulischen Projekten ganz oder überwiegend von Kindern und Jugendlichen gestaltet worden: Making Heimat – Geschichten Geflüchteter, Digital Superpower – Digitale Tools für die Jugendbildung, Bericht über die 18. Deutsch-Belarussiche Partnerschaftskonferenz 2018.

Noch spielerischer wird es, wenn man Videospiele einbezieht. An der Jungen Akademie der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e.V. zeigen wir seit Jahren, wie man mit Minecraft bzw. dessen kostenlosen Klon Minetest (fast) alle Themen bearbeiten kann. Explizit für die Schule sei auf vier Artikel verwiesen: Minetest in der Schule und Minehandy, u.a. mit einem Konzept für einen Projekttag zur Auseinandersetzung mit Bedingungen des Handykonsum sowie HistoryCraft – ein virtueller Rundgang durch die KZ Gedenkstätte Lichtenburg Prettin und die Visionen Jugendlicher beim Zukunftstag.

Am Ende sind aber die Kinder und Jugendlichen, die Kreativen, die Ideen haben, wie sie ihre Videospiele und Medienkonsumgewohnheiten am besten für Unterrichtsinhalte verwenden können. Mein Votum wäre deshalb, den Mut zu haben, die Schülerinnen und Schüler entscheiden lassen, welche Methoden sie nutzen wollen. Damit eine solche Entscheidung möglich wird, heißt es aber erstmal ihnen zuzuhören, mit ihnen im Gespräch auf Augenhöhe zu sein.

Mentimeter-Abfrage mit Antworten: Warum sind Sie hier? Was wollen Sie lernen?
Mentimeter-Abfrage mit Antworten: Warum sind Sie hier? Was wollen Sie lernen? – Screenshot: Ev. Akademie Sachsen-Anhalt

Gestaltungsebenen in der Schule – Theorie und Praxis

Äußerer Rahmen

Vergleichsweise kompliziert und von vielen anderen Faktoren (Fördermittel, Schulträger, Planungsprozesse) ist es, Schülerinnen und Schüler an der Gestaltung von Fassaden, Klassen- und Aufenthaltsräumen, Schulhöfen, Turnhallen und ähnlichen Dinge zu beteiligen, die hier als äußerer Rahmen definiert werden sollen. Tatsächlich scheinen aber die meisten Beteiligungsprojekte auf dieser Ebene stattzufinden. Und ich würde wetten, dass auch die meisten Lehrenden und Verantwortungsträger in Schule sagen würden, dass sich in diesem Bereich am einfachsten Projekte finden lassen. Im Projekt MineSchool Schülerinnen und Schüler ihren Pausenhof in Minecraft gestaltet. Umgesetzt wurde wie in vielen solcher Projekte am Ende nur ein sehr kleiner Teil, weil die Finanzierung nicht wie geplant zustande kam.

Innere Verfasstheit

Obwohl in der Regel weniger von externen Faktoren abhängig, erscheint es Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer meist schon etwas schwieriger, die Kinder und Jugendlichen an Rahmenbedingungen, wie Unterrichts- und Pausenzeiten, Unterrichtslängen, Ansprechbarkeit und Erreichbarkeit von Lehrenden etc. zu sein. Viele dieser Dinge könnte aber eine Schulkonferenz auf Vorschlag der dort vertretenen Schülerinnen und Schüler entscheiden. Immer noch wären Aushandlungsprozesse mit z.B. Busunternehmen für die erste und letzte Stunde nötig, aber die innere Verfasstheit obliegt formal in den meisten Schulgesetzen überwiegend der Schule. Damit Schülerinnen und Schüler solche Prozesse aktiv initiieren, verfolgen, begleiten und gestalten können, braucht es allerdings ein gutes Konzept der Unterstützung für formelle Schülervertretungsgremien und für Jugendliche, die Ideen und Gestaltungspotenzial haben, aber nicht aktiv in den Gremien mitarbeiten. Im Rahmen des Wettbewerbs „Die faire Stadt der Zukunft“ haben Jugendliche sich überlegt, wie sie sich Schule vorstellen: Mit Lehrerinnen und Lehrern als Lernpartner und Älteren die Jüngere unterrichten und großen Räumen mit vielen Ecken statt Klassenräumen.

Unterrichtsinhalte

Wenn ich über Beteiligung an der Unterrichtsgestaltung spreche, sehe ich förmlich schon vor mir, wie Lehrende auf den Lehrplan, auf Rahmencurricula und Abiturprüfungen verweisen. Tatsächlich scheint das aufgrund der hohen Dichte an gesetzlichen Regelungen, Verordnungen und Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz auf den ersten Blick eher schwierig. In der tatsächlichen Praxis ist das aber der hoheitliche Bereich der Lehrerinnen und Lehrer. Erst recht mit Bezug auf Kompetenzorientierung (sollte inzwischen Standard sein) und Demokratiebildungsauftrag (steht mindestens in der Präambel jedes Schulgesetzes) sollten sich hier einfache Beispiele finden lassen, Demokratie und Partizipation im Alltag zu leben.

Eine Lehrkraft kann den Schülerinnen und Schülern z.B. freistellen, mit welcher Methode sie zu einem Thema arbeiten. Warum soll es zum Thema mittelalterliche Burg nicht auch Führungen durch Gebäude geben, die in Minecraft oder Die SIMS erstellt wurden? Warum sollte nicht ein Jugendlicher ein Handy-Video einer Burg erstellen? Könnte nicht ein von Schülerinnen und Schülern entwickeltes Brettspiel viel mehr Inhalte nachhaltig vermitteln?

Referendare und Referendarinnen haben in einer Fortbildung z.B. konkret überlegt, wie sie in ihren Fächern mit Minetest arbeiten können und das prototypische angefangen umzusetzen. Die Vielfalt beeindruckt.

Genauso ist es denkbar, dass Schülerinnen und Schüler über Inhalte entscheiden. Oft fordert der Lehrplan die Auseinandersetzung mit Oberthemen, lässt aber viele Freiheiten an welchen konkreten Beispielen gearbeitet wird. In einer Lehrerfortbildung für die Grundschule habe ich einmal erlebt, wie in einer Lehrkraft diese Erkenntnis wuchs. Behandelt werden mussten einheimische Säugetiere. Vorher hatte sie – der Einfachheit halber – die Tiere vorgegeben, nun durften die Schülerinnen und Schüler entscheiden, welche Tiere sie behandeln wollten. Statt des Lehrervortrags oder Films vermittelt die Lehrerin nun die Systematik von Säugetieren und die Kinder übernahmen die Präsentation ihrer Lieblingstiere. Das klingt erstmal sehr trivial, zeigt aber auch, dass Weg vielleicht manchmal viel einfacher ist, als man meinen mag. 

Und wenn man Glück und ein bisschen Erfolg hat, winken als ein Gewinn vielleicht auch, dass mehr Schülerinnen und Schüler ganz anders motiviert in IHRE Schule gehen und Lust aufs Lernen haben. In diesem Sinne wünsche ich viel Kraft, Spaß, Erfolg und genügend Zeit für gemeinsame Lernprozesse.

Und noch eine Ergänzung: Digitale Tools sind nicht per se gut oder schlecht. Es kommt immer darauf an, was man damit tut. Sie sollten heute zum Handwerkzeugs eines jeden Pädagogen, einer jeden Pädagogin gehören, ersetzen aber nicht andere Methoden, sondern ergänzen sie.

CC BY 4.0
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Tobias Thiel

Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung
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