Diskurs

Bewegtes Gedenken zum 09. November I

Sekundarschule Kemberg/ Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage

Schüler*innen der 9. Klasse der Sekundarschule Kemberg beschäftigten sich im Blick auf die November-Pogrome mit dem Schicksal der Familie Hirschfeldt. Zum Gedenken am 09. November 2022 machten sie uns am Stolperstein, der an Familie Hirschfeld erinnert, mit den Geschehnissen bekannt.

Einleitung und Vorstellung – Amelie und Maria (Kl. 9):

  • hier lebte die Familie Hirschfeldt, die noch um die Jahrhundertwende als eine angesehene Wittenberger Familie galt
  • der 1876 geborene Vater, Richard Hirschfeldt, ist das erste Mal 1904 im Adressbuch von Wittenberg nachweisbar und betrieb hier ein Textilgeschäft für Herren- und Knabenbekleidung
  • die Wohnung der Familie befand sich direkt darüber
  • mit seiner Frau Lina hat Richard zwei Kinder: 1907 wird Tochter Eva geboren und 1908 ihr Sohn Günther
  • Lina stirbt 1909 und Richard heiratet ein zweites Mal: seine Frau Hedwig, die ihm 1912 die Zwillingsmädchen Milly und Lilly schenkt
  • die Kinder genießen eine gutbürgerliche Kindheit und Erziehung
  • die große Tochter Eva heiratet den Urberliner Kurt Rosenberg und zieht mit ihm nach Charlottenburg
  • im Zuge des aufkommenden Nationalsozialismus war das Geschäft immer wieder Boykott-Aktionen ausgesetzt und wurde im Oktober 1938 schließlich „arisiert“ und vom „Arier“ Arthur Höller übernommen
  • am 9./10.November 1938 kam es in Wittenberg zu heftigen Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger, von denen auch die Hirschfeldt´ s betroffen waren:

Bericht – Patrick (Kl. 9):

Der damals 15jährige Günther Reich, dessen Familie im Haus von Familie Hirschfeldt wohnt, berichtet über die Vorkommnisse:
Als ich nach Hause kam, standen vor Haus und Geschäft, das seine Front zur Collegien-Straße hatte, SA-Posten in Uniform. Nur mit Schwierigkeiten gelang es mir, in unsere Wohnung zu kommen. Im Geschäft bemühte sich der neue Geschäftsinhaber Arthur Höller, den in Zivil gekleideten „zornigen Volksgenossen“ klar zu machen, dass das Geschäft bereits „arisiert“ ist und nicht zerstört zu werden braucht. Von der Familie Hirschfeldt war nur die Mutter mit einer der beiden Zwillingstöchter in der Wohnung. Den Vater hatte man – wie wohl auch eine Reihe anderer männlicher Juden der Stadt – schon vorher verhaftet.
Während der „Visitation“ der Wohnung wollte man, wie ich dem Wortwechsel entnehmen konnte, die beiden „Judenweiber“ nicht dabeihaben. So zwang man Arthur Höller, ein Schild zu malen mit der Aufschrift: „Ich bin eine Judensau! Bitte spucke auf mich!“ Das hängte man einer der beiden Frauen um den Hals und trieb dann johlend die beiden die Collegienstraße auf und ab. Währenddessen beschäftigte man sich mit der Wohnung. Man kann sich die folgenden Verwüstungen nicht vorstellen. Die Möbel wurden umgestürzt und mit einem Beil zertrümmert. Den Lüster riss man von der Decke und zerschlug ihn. Die Betten wurden aufgeschlitzt, das Geschirr zerschlagen, die Lebensmittel in der Wohnung verstreut. Nur die Gardine ließ man unversehrt, so dass die Verwüstungen von der Straße aus nicht zu erkennen waren.
Nachdem man so innen ein Abbild von Sodom und Gomorrha geschaffen hatte, rief einer der Vandalen: „Lasst die Judenweiber wieder rein!“ Die beiden total verzweifelten Frauen wurden von ihren Peinigern erlöst. Schluchzend betraten sie die Wohnung und ließen sich entsetzt in dem sie umgebenden Trümmerfeld nieder, mühsam nach den wenigen unversehrten Habseligkeiten Umschau haltend.

Schicksal der Familie Hirschfeldt – Maria und Chantal (Kl. 9):

  • der Familie Hirschfeldt gelingt es, Deutschland rechtzeitig zu verlassen und 1939 nach Palästina auszuwandern
  • nur Tochter Eva blieb mit ihrem Ehemann in Berlin, von wo aus sie 1942 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und vermutlich noch am Tag ihrer Ankunft in die Gaskammer geschickt wird, obwohl sie noch auf der Transportliste als arbeitsfähig eingestuft wurde
  • ihr Mann überlebt sie nur wenige Tage und stirbt am 22.12.1942




Paul F. Martin

Studienleitung Theologie/ Gesellschaft/ Kultur
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Tobias Thiel

Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung
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Stelen und Steine

Durch die Stelen ist man gezwungen stehenzubleiben und sich damit auseinanderzusetzen, bei den Stolpersteinen bin ich einfach unbewusst drübergegangen.

Ein Teilnehmer bei den Stelen-Rundgängen am 08.11.2018

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