Nach langer Planung und diversen Verschiebungen aufgrund der Corona-Pandemie fand am 17. und 18. September 2021 nun endlich die Tagung Konflikte und Friedenswege in Osteuropa – von Belarus bis Armenien in der Ev. Akademie in Wittenberg statt. Hans-Joachim Kiderlen, ehem. Botschafter und Bischof em. der Ev.-lutherischen Kirche in Georgien hatte die Tagung mitgestaltet und gab die Umsetzung trotz der äußeren Umstände nicht auf. Für mich war es die erste Tagung, die ich in meinem FSJ begleiten durfte und durch die ich mein Wissen zu außenpolitischen Themen vertiefen konnte.
Vor allem intern wurde die Tagung verkürzt als Russland-Tagung bezeichnet. Doch schon gleich zu Beginn wurde dieser inoffizielle Name von Karsten D. Voigt, ehem. MdB und ehem. Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung der NATO korrigiert. In seinem Kommentar sagte er, dass es bei den Gesprächen nicht vorrangig um Russland gehe oder gehen sollte. Denn dieses sei nach der Auflösung der Sowjetunion nicht mehr unser direkter Nachbar und daher auch nicht der Partner, mit dem gesprochen werden sollte, wenn es um die Interessen und Anliegen der postsowjetischen Länder geht. Der Fokus der Gespräche und Vorträge der Tagung sollte daher vielmehr auf den osteuropäischen Ländern und Konfliktregionen liegen.
Warum es die Tagung gab
Aber weshalb gibt es überhaupt eine Tagung zu Osteuropa? Diese Frage stellt sich sicherlich so manch einer oder eine und auch ich muss zugeben, dass ich mein Interesse bisher eher weniger auf Osteuropa gelenkt hatte als auf unsere anderen europäischen Nachbarn. Die dramatische Situation in Afghanistan, der Krieg in Bergkarabach oder der Ukraine, die Situation in Belarus oder die gemeinsame Militärübung von Belarus und Russland – die Ereignisse scheinen sich zu überschlagen, aber sie betreffen uns hier in Deutschland doch kaum oder doch?
Warum die Konflikte und die Bemühungen um Frieden in Osteuropa sehr wohl auch im deutschen Interesse liegen, macht Karsten D. Voigt deutlich. Wir seien umgeben von Freunden und daher in der besten geostrategischen Lage seit hunderten von Jahren. Es leuchtet ein, dass der Frieden in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und die zwischenstaatlichen Beziehungen daher auch in unserem Interesse liegen sollten. Dies und die Übertragbarkeit der Konfliktstrukturen und -lösungen auf andere zukünftige Konflikte zeigen die Wichtigkeit der Gespräche im Rahmen der Tagung.
Ein geographischer Fokus der Veranstaltung lag auf dem Kaukasus, der sowohl aufgrund der komplexen Konfliktsituation in Bergkarabach als auch wegen der starken Einflussnahme anderer Großmächte wie dem Iran, der Türkei oder Russland im Gespräch immer wieder aufkam. Diese Region ist in Deutschland und Europa weniger bekannt, was u.a. durch die geringe Berichterstattung in den Medien bedingt ist und zugleich wird sie oft mit Kriegen assoziiert.
Die Konflikte, die im Kaukasus seit langer Zeit vorherrschen und zuletzt 2020 in Bergkarabach in Krieg aufgeflammt sind, scheinen komplex und undurchsichtig. Und als Nicht-Expertin in diesem Themenfeld und der Region musste ich wie auch einige andere Teilnehmende öfter mal nachschauen, wo wir uns gedanklich gerade befanden. Nachdem es mir dann möglich war, das Gesagte auch geographisch zu verorten, waren die vertiefenden Einblicke, in das, was in den Medien nur teilweise oder oberflächlich berichtet wird, durchaus nachvollziehbar und interessant.
Vielschichtige Konfliktursachen
Die Referierenden, darunter Dr. Uwe Halbach der Stiftung Wissenschaft und Politik und Dr. Stefan Meister, Programmleiter Internationale Ordnung und Demokratie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), konnten aufgrund ihrer Arbeit sehr tiefe Einblicke in die Situation in Bergkarabach sowie anderen Regionen wie der Ukraine geben und teils auch aus ihren Erfahrungen vor Ort berichten.
In seinem Vortrag unter dem Titel „Gefahren für den Frieden in Osteuropa“ gab Dr. Uwe Halbach einen ersten Einstieg in die Thematik und sprach über die diversen Konfliktursachen, die u.a. historischen und ethnischen Ursprungs sind. Immer wieder wurde das Spannungsverhältnis zwischen Ost und West als eine Ursache der Konflikte in Osteuropa deutlich. Das Ende des Kalten Krieges sei weder friedlich gewesen, noch mündete es in Harmonie zwischen Ost und West, so Halbach. Vielmehr sehe sich Russland weiterhin als Ordnungsmacht und habe einen massiven Einfluss auf sein nahes Ausland, den es auch weiterhin aufrechterhalten wolle.
Im weiteren Verlauf wurde das komplexe Gebilde aus Konfliktursachen u.a. im Südkaukasus von den Referierenden immer weiter gezeichnet und vertieft. Spannend fand ich hierbei auch die teils ambivalente Rolle der orthodoxen Kirchen in den osteuropäischen Konflikten z.B. in Georgien, von denen Hans-Joachim Kiderlen berichtete. Laut Kiderlen verteidigen die Kirchen einerseits die Souveränität der Nationalstaaten gegenüber Russland. Auf der anderen Seite stehen sie aber auch auf der Seite Russlands, wenn es um die Verteidigung der eigenen Werte gegenüber dem Westen gehe.
Anders als in unserer Gesellschaft befeuern die Kirchen daher aus westlicher Perspektive die inner- und außenpolitischen Konflikte eher, als das sie als Friedensstifter oder Opposition agieren. Aus seinen Beobachtungen als Bischof em. in Georgien schilderte Kiderlen, dass die Kirche dort ein Zufluchtsort sei, aber gleichzeitig gegen die Gleichberechtigung und gegen Minderheiten mobilisiere.
Auch Dr. Stefan Meister bezog sich in seinen Ausführungen u.a. auf die Rolle der Kirchen in den Konfliktregionen. Laut Meister sei eine Polarisierung zu beobachten, die neben den Kirchen auch von den Medien und rechtsradikalen Gruppen vorangetrieben werde.
Das Frauenbild in Osteuropa
Neben den Referenten aus dem Bereich der Politik und Kirche referierte auch die Schriftstellerin Natalka Sniadanko aus der Ukraine, die zunächst aus ihrem politischen Roman „Frau Müller hat nicht die Absicht mehr zu bezahlen“ las. Der Ursprung des etwas sperrigen Titels des 2013 erschienenen Buches und ein erster Einblick in das Frauenbild in der Ukraine, zeigte Sniadanko in der Lesung einiger Kapitel aus ihrem Buch. Als Schriftstellerin und gebürtige Ukrainerin konnte sie spannende Einblicke und zusätzliche Perspektiven geben, die die anderen Referierenden nicht hatten.
Besonders interessant fand ich, wie sie über die Rolle der Frauen in der Ukraine oder Belarus und ihre Bedeutung in den Auseinandersetzungen und Protesten berichtete. Das Frauenbild in der Ukraine scheint nach den Schilderungen Sniadankos weitaus konservativer und die Strukturen patriarchaler als beispielsweise in Deutschland – ohne behaupten zu wollen, dass nicht auch in Deutschland ähnliche patriarchale Strukturen, noch Teil der Gesellschaft sind.
Dem Westen hingegen werde durch die Besetzung von politischen Ämtern durch Frauen wie beispielsweise in Georgien und durch das Partizipieren von Frauen an den Protestbewegungen in der Ukraine oder Belarus ein progressives Frauenbild vermittelt. Doch in den Protesten werden Frauen, so Sniadanko, vor Ort eher als Hilfe der Männer gesehen und weniger als Protestierende, weshalb sich hierdurch das Frauenbild nicht merklich verändere. Zudem setzen sich die Frauen in hochrangigen Positionen wie in Georgien kaum bis gar nicht für feministische Themen ein und seien so Teil des patriarchalen Systems.
Allerdings spricht Sniadanko auch von einer positiven Entwicklung in den sozialen Medien, die zumindest mir Hoffnung auf den Beginn einer Veränderung gibt. So finden, ähnlich wie in Deutschland, beispielsweise auf Facebook, Reaktionen auf frauenfeindliche Äußerungen und Solidarisierungen unter dem Hashtag #metoo statt.
Steinige Friedenswege
Wie im Titel angesprochen sollten auch die Friedenswege, die es in Osteuropa gab und geben könnte, Teil der Tagung sein. Doch wie im Laufe der Veranstaltung deutlich wurde, scheint die Situation verfahren. Daher beschreibt der Begriff Friedensweg meiner Meinung nach sehr gut, was auch in den Schilderungen der Referent:innen deutlich wurde. Es ist kein einfaches Unterfangen, dauerhaften und nachhaltigen Frieden in den Konfliktregionen Osteuropas zu erreichen. Vielmehr sind es lange, teils schwere und auch steinige Wege, die aus den Krisen herausführen könnten. Einige von ihnen stellten sich in der Vergangenheit bereits als Sackgassen heraus.
Auch die Pandemie habe, anders als vielleicht anfangs vermutet, nicht für mehr Solidarität auf nationaler und internationaler Ebene gesorgt und so auch keinen Beitrag zum Frieden geleistet, stellt Kiderlen klar. Vielmehr habe sie in den Staaten eine laufende positive Entwicklung unterbrochen und wirkte als Beschleuniger von Krisen, sodass u.a. die Zahl bewaffneter Konflikte und autoritärer Systeme zunahm.
Nach diesen eher negativen Zukunftsaussichten und Friedensperspektiven stellte ich mir die Frage, ob Frieden in Osteuropa in naher Zukunft überhaupt realistisch und erreichbar ist. Auch aus dem Publikum kam die Frage, ob es denn noch Hoffnung auf Frieden gäbe. Die Referierenden sind sich einig, dass eine friedliche Lösung nicht leicht zu finden sei. Ein Generationenwechsel könne aber eine Chance in Bezug auf Friedenwege in Osteuropa sein und es könne durch (Medien-)Bildung ein Beitrag zur Lösung geleistet werden.
Kulinarische Reise nach Osteuropa
Neben dem inhaltlichen Input, den das Publikum während der Tagung erhalten hatte, sollte das umfangreiche Catering nicht gänzlich unerwähnt bleiben. Neben Kaffee und Kuchen, rundete ein Buffet mit osteuropäischen Spezialitäten und Getränken den ersten Abend ab. Auch am zweiten Tag wurden die Gäste mit Mittagessen, Kaffee und Kuchen versorgt. Zudem sind es vermutlich die Gespräche während der Mahlzeiten und in den Pausen, die eine gute Tagung ausmachen. Demnach schien es den Teilnehmenden zu gefallen, denn es gab nicht nur interessierte Rückfragen und Diskussionsanstöße während der Vorträge, sondern auch einen regen Austausch in den Pausen.
Ich muss resümierend ebenfalls festhalten, dass die Tagung für mich ein interessanter und lehrreicher Exkurs nach Osteuropa war. Diese kurze Reflexion dessen, ist nicht annähernd vollständig, denn die tiefen Einblicke der Expert:innen kann und will ich hier auch gar nicht in Gänze wiedergeben. Dennoch hoffe ich, dass ich durch diesen Rückblick auf die Veranstaltung einen Einblick in die Thematik geben und ihr Interesse wecken konnte.
Vielleicht möchten Sie das nächste Mal selbst eine gedankliche Reise unternehmen und an einer solchen Veranstaltung teilnehmen. Schauen Sie dazu gerne in den Veranstaltungskalender der Ev. Akademie.
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