In zwei Workshops mit jungen Menschen sowie in drei Online-Veranstaltungen mit Expertinnen in der Reihe „Partizipations-Café“ im Herbst 2020 wurden Erfahrungen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gesammelt und in Form dieser Handlungsempfehlungen zusammengestellt. Hintergrund war das Projekt „Jugendbeteiligung neu denken„, das im Rahmen der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Wittenberg durchgeführt wird. Insofern werden mit den Vorschlägen sowohl die Partnerschaft als auch der Landkreis adressiert. Grundsätzlich sind die meisten Inhalte aber auch übertragbar auf andere Regionen, wobei der Fokus auf ein eher ländlich geprägtes Gebiet erkennbar ist.
Als Partner könnte das Landeszentrum Jugend+Kommune gewonnen werden, das weitere Erfahrungen aus seiner Arbeit sowie Impulse aus dem Fachbereich „Angewandte Kindheitswissenschaften“ an der Hochschule Magdeburg-Stendal einbringen konnte.
Die in den Projekten mit den Jugendlichen entstandenen Filme sowie die Partizipations-Cafés können auf der Projektseite nachgeschaut werden. Kinder- und Jugendbeteiligung, wie sie hier skizziert wird, sollte als ein Teil von Bürgerinnenbeteiligung verstanden und gelebt werden. Die Partizipation junger Menschen kann dann wertvolle Impulse für die gesamte Kreisbevölkerung bieten und die Zufriedenheit in vielen Bereichen fördern.
Empfehlungen für Kinder- und Jugendbeteiligung
Es braucht jugendgerechte Beteiligungsangebote. Erwachsenenzentrierte Strukturen mit ihren formalisierten, fachlich zum Teil hoch anspruchsvollen Abläufen können junge Menschen ausschließen. Damit Kinder- und Jugendbeteiligung die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der jungen Menschen berücksichtigen und funktionieren kann, muss sie jugendgerecht und altersgerecht gestaltet sein und sich an den vielfältigen und oft sehr unterschiedlichen Identitäten, Kompetenzen und Interessen junger Menschen ausrichten. Junge Menschen müssen das Gefühl vermittelt bekommen, wirklich gefragt zu sein. Authentizität und Augenhöhe sind ihnen wichtig. Ziel von Jugendbeteiligung sollte es sein, Jugendliche selber sprechen zu lassen, sie dabei ernst zu nehmen und sie als eine Bevölkerungsgruppe des Landkreises sichtbar zu machen.
Strukturen, die politische oder institutionelle Macht haben, müssen die Mitsprache junger Menschen anerkennen, mitdenken und strukturell verankern. Dafür müssen die erforderlichen Ressourcen in der Verwaltung vorgesehen werden.
Jugendbeteiligung braucht eine gute Mischung aus Rahmenbedingungen und Angeboten, die von Erwachsenen bereitgestellt werden und aus Ideen und Impulsen von Jugendlichen. Beides gilt es, miteinander zu verflechten.
Junge Menschen eine sich schnell entwickelnde und lernende Bevölkerungsgruppe, die sich stetig verändert, so dass Gruppen und Konstellationen im Fluss sind (Ältere gehen Jüngere kommen, die Kompetenzen und Interessen verändern sich mit zunehmendem Alter). In der Praxis funktionieren Methoden deshalb mal mehr und mal weniger optimal. Was richtig gewesen wäre, stellt sich häufig erst im Nachhinein raus. Es gilt deshalb, evaluierende und lernende Angebote und methodische Arbeitsweisen aufzubauen. Die Eigenheiten der sich jeweilig beteiligenden Kinder und Jugendlichen gilt es zu berücksichtigen. Dafür sollten Kommunen ein Gesamtkonzept entwickeln, das Partizipation und Engagement ermöglicht und einen Dialog zwischen den Generationen befördert. Das kann auch ein Schlüssel für mehr Jugendfreundlichkeit im ländlichen Raum sein.
Kommunale Konzepte sollten explizit unter Beteiligung der entsprechenden Zielgruppen geschrieben werden. Dies gilt besonders für das Beteiligungskonzept.
Es gibt nur wenige Themen, an denen junge Menschen nicht beteiligt werden können. Sie sind Expertinnen ihrer eigenen Lebenswelt. Wenn ihre Interessen betroffen sind, haben sie das Recht, gehört zu werden. • Es braucht eine Vielzahl an Mitstreiterinnen in Jugendclubs, Vereinen, Schulen Quartiersmanagement, etc. Dies bietet die Möglichkeit, Beteiligungsprojekte direkt an den Orten zu machen, wo sich die jungen Menschen aufhalten und wohnen und somit junge Menschen niedrigschwellig in ihren Lebenswelten zu beteiligen und den Herausforderungen von Flächenlandkreisen zu begegnen. Das heißt auch, dass Beteiligung an möglichst vielen Orten, an denen sich junge Menschen aufhalten, umgesetzt werden muss. Dazu gilt es, durch die Vernetzung einer Vielfalt von Akteuren von Schulen, Jugendeinrichtungen und Gemeinwesen regionale Beteiligungslandschaften zu entwickeln.
Jugendarbeit und Jugendeinrichtungen sind Inkubatoren sozialräumlichen Denkens und Handelns, Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, aber auch Verbindungstragende zu Schulen und Fachstellen. Sie schaffen Angebote für junge Menschen nach Innen in die Jugendeinrichtungen, aber auch nach außen in die Lebenswelten. Jugendarbeit kann wertvolle Möglichkeiten zur Vermittlung zwischen Kommunen und ihrer Jugend bieten. Jugendarbeit hat Zugang zu den Jugendlichen. Anders als Schule bietet Jugendarbeit in der Regel eine offene und lockere Methodik, die oft besser für Beteiligung geeignet ist. Das Selbstverständnis der Jugendarbeit trägt bereits das Mandat der Jugendbeteiligung in sich.
Regionale Akteurinnen brauchen Methodenwissen zur gelingenden Umsetzung von Jugendbeteiligung. Um dieses aufzubauen, sollten landesweite Unterstützungsstrukturen genutzt werden. Zu verbandlicher Jugendbeteiligung berät der Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt e.V. (www.kjr-lsa.de). Zu kommunaler Jugendbeteiligung berät das Landeszentrum Jugend + Kommune (www.jugend-kommune.de). Jugend + Kommune kann Kommunen zudem finanziell beim Aufbau von Beteiligungsstrukturen unterstützen und bietet eine Qualifizierungsreihe für kommunale Akteurinnen an, die Beteiligung umsetzen wollen.
Für Kinder- und Jugendbeteiligung muss nicht zwangsläufig immer wieder etwas Neues aufgebaut werden. Vorhandene Strukturen können gestärkt und weiterentwickelt werden. Sie können mit jungen Menschen ins Gespräch kommen und gemeinsam regelmäßig ihre Arbeit reflektieren.
Wichtig ist, die Dialoge, Abläufe und Strukturen so zu gestalten, dass sie es jungen Menschen möglich machen, sich ernsthaft einzubringen. Mangelndes Interesse junger Menschen ist auch häufig eine Frage der Methodik und Ansprache. Erwachsenenzentrierte Abläufe können nicht auf alle jungen Menschen übertragen werden.
Auf die Fragen und Forderungen junger Menschen muss in den Gremien sofort eingegangen werden. Zuständige Behörden und Stellen müssen im Nachgang zeitnah und konkret antworten und Umsetzungen transparent machen.
Entscheidungsträger*innen müssen bereit sein, ihre Macht ein Stück weit an die Jugendlichen abzugeben.
Die Sprechstunde für Kinder und Jugendliche im Jugendhilfeausschuss sollte in diesem Sinn weiterentwickelt werden.
Kinder- und Jugendbeauftragte oder Servicestellen für die Jugend sind einerseits konkrete Anlaufstelle und auch Vermittlungsstelle, um Prozesse vorantreiben zu können.
Haltung und Fachwissen sind von Bedeutung für die gelingende Vermittlungsarbeit. Sie sollten junge Menschen mit ihren Stärken und Potenzialen sehen und diese auch ihre Arbeit einbeziehen. Sie sollten Kinder und Jugendliche unterstützen, Lösungen und Verbesserungsvorschläge für ihre Probleme und Wünsche zu erarbeiten und Strukturen in den Kommunen aufbauen, die es jungen Menschen ermöglichen, diese in politische Entscheidungsprozesse einzubringen.
Die Interessenvertretungen müssen kommunale Strukturen vorfinden oder mit aufbauen, die Kinder- und Jugendbeteiligung ermöglichen. In verschiedenen Ämtern werden Entscheidungen getroffen, die die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen tangieren. Es braucht eine starke Lobby und ein gutes Miteinander mit Verwaltung und Politik. Die Kinder- und Jugendbeteiligung muss als kommunale Querschnittsaufgabe verstanden werden, die an einer neutralen oder übergreifenden Stelle angesiedelt ist und ämterübergreifend arbeitet. Abläufe in der Kommune müssen Vernetzung, Abstimmung und Austausch mit und Zwischen den Zuständigkeitsebenen ermöglichen. Die Interessenvertretung braucht konkrete Ansprechpersonen, die sich für das Thema interessieren, es streuen und weiterentwickeln können sowie Ressourcen für Kinder- und Jugendbeteiligung in Stadtplanung und Finanzen.
Die Interessenvertretung empowert junge Menschen, (Beteiligungs-)Möglichkeiten wahrzunehmen und macht ihnen dadurch ihre eigenen Rechte bewusst.
Die Interessenvertretungen können den Aufbau von Beteiligungsstrukturen vor Ort in Schulen, Freizeiteinrichtungen, Kommunalverwaltungen, Kreistag und weiteren fördern. Dafür brauchen sie ein gutes und starkes Netzwerk an Akteurinnen, die zu verlässlichen Ansprechpartnerinnen für Kinder- und Jugendbeteiligung werden.
Denkbar ist auch eine Aufteilung der Interessensvertretung für junge Menschen zwischen verschiedenen Arbeitsbereichen oder Personen, wie es in Lutherstadt Wittenberg praktiziert wird.
Digitale Medien bieten die Möglichkeit, über große Entfernungen Beteiligung zu vereinfachen und schnelle Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Jugendliche können dadurch direkt mitwirken. Die Corona-Pandemie hatte zumindest den Vorteil, dass viele Erfahrungen gemacht wurden, positiv mit Jugendlichen über digitale Medien in Kontakt zu bleiben. Dies muss im Landkreis weiter ausgearbeitet und genutzt werden.
Gerade im ländlichen Raum müssen entsprechende Strukturen geschaffen werden, um Beteiligungsprozesse auch digital vermittelt umsetzen zu können. Dabei muss auf den gelichberechtigten Zugang aller Kinder und Jugendlichen zu den dafür notwendigen digitalen Medien geachtet werden. Das Medienmobil für den Landkreis Wittenberg sollte dabei eingezogen werden und könnte so als Motor für (digitale) Beteiligungsprozesse weiter an Bedeutung gewinnen. Ebenso können Jugendeinrichtungen hier mitwirken, die bereits über Technik und Erfahrungen in der Medienpädagogik verfügen, z.B. der Jugendclub Techna.
Bei digitalen Medien kann auch auf die Expertise der Kinder und Jugendlichen in der digitalen Welt vertraut und die Medien genutzt werden, mit denen junge Menschen bereits kommunizieren. Zusätzlich ist einzubeziehen, dass Kinder und Jugendliche sich selber bilden, selber damit beschäftigen, eigene Server und eigene technische Mittel aufzubauen.
Auch Videogames, z.B. „Minecraft“ (analog zu Lego), können geeignete Werkzeuge für digitale Jugendbeteiligung sein. So ermöglicht Minecraft, eigene Welten zu bauen und auf diese Weise Prozesse digital durchzuspielen und zu gestalten. Die Produkte lassen sich digital (z.B. als Video mit Originalstimmen der jungen Menschen) oder auch analog (in Konferenzen oder persönlichen Treffen) an Entscheidungsträger*innen herantragen. Videogames bieten außerdem die Möglichkeit, dass sich Kinder und Jugendliche nach der Schule oder der Veranstaltung digital treffen können, so dass Projekte und der Austausch auch außerhalb fester Zeiten und Räume digital fortgesetzt werden können