Der Minetest-Corona-Bildungsserver

Oder wie durch Corona ein neuer Bildungsraum entstand

Corona-Virus in Minetest - Bild: www.minetestbildung.de

Just in den Tagen, als die Kultusminister*innen den Beschluss fassten, zur Eindämmung der Ausbreitung der Corona-Pandemie alle Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen zu schließen, trafen sich Expertinnen und Experten des Game-based Learnings in Wittenberg. Allen Teilnehmenden war klar, dass sie einen Beitrag zur jetzt notwendigen Entwicklung neuer digitaler Bildungsräume leisten können. So entstand bei einigen die Idee, einen virtuellen Raum zu schaffen, in dem Lehrende Bildungsinhalte erstellen und Lernende diese spielerisch erkunden und nachvollziehen können. Gleichzeitig sollte dieser virtuelle Raum Jugendeinrichtungen die Möglichkeit geben, dass sich Jugendliche weiterhin – wenigstens online – treffen können. Die Idee für den Minetest-Corona-Bildungsserver war geboren.

Tobias Thiel: Der Minetest-Corona-Bildungsserver. Oder wie durch Corona ein neuer Bildungsraum entstand. in: Jantschek, Ole; Lorenzen, Hanna (Hrsg.): Don’t panic, act now. Beteiligung und Demokratie in der politischen Jugendbildung. Jahrbuch 2020. Ev. Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Berlin, S. 76–79. www.politische-jugendbildung-et.de

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Exkurs: Bildung mit Minetest und Minecraft

Minetest ist eine freie, kostenlose Open-Source-Alternative zum beliebten Videospiel Minecraft. In einem offenen, digitalen Raum können die Spielenden virtuelle Welten aus quadratischen Blöcken bauen. Im Kreativmodus ist es einem Online-Lego vergleichbar, bei dem unbegrenzt Steine verfügbar sind. Im Überlebensmodus kann das Spiel um Simulationen des Wirtschaftens (zum Beispiel Shops), der Produktion, der Landwirtschaft usw. ergänzt werden.(1) In der Bildung lassen sich Minetest und Minecraft daher für (fast) alle Themen, Fächer und Lehrplaninhalte oder zur Vermittlung bestimmter Kompetenzen einsetzen.(2)

Exkurs: Discord in der Jugendarbeit

Discord ist ein Online-Dienst für Chat, Sprach- und Videokonferenzen, der in den letzten Jahren insbesondere bei Gamer*innen an Bedeutung gewonnen hat. Da dieses Tool bei Jugendlichen sehr verbreitet ist, erfolgte die Sprachkommunikation zum Minetest-Bildungsserver per Discord. Datenschutzrechtlich ist der Dienst bedenklich. Die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) Nordrhein-Westfalen e.V. hat deshalb eine Handreichung zur Nutzung von Discord in der Jugendarbeit herausgegeben.(3)

Vom Präsenz- zum Onlinespielen und -lernen

Am 13.3.2020, dem Tag, an dem die Schließung der Schulen in Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie verkündet wurde, veranstaltete das Regionalteam Ost der Ev. Trägergruppe einen Präsenz-Workshop zum Game-based Learning. Unter dem Eindruck der Schließung aller Bildungseinrichtungen und den sich abzeichnenden Kontakteinschränkungen vieler anderer Lebensbereiche beschlossen einige der Teilnehmenden, ihre Erfahrungen zu nutzen, um für die Corona-Zeit einen Minetest-Server aufzusetzen. Pädagog*innen sollten so eine digitale Plattform für ihre Bildungsarbeit und Jugendeinrichtungen einen virtuellen Ort für ihre Angebote erhalten. Außerdem sollten sich auf dem Server Kinder und Jugendliche in einem ihrer Lebenswelt entsprechenden Raum virtuell treffen können. Um exemplarisch zu zeigen, wie man mit einem solchen spielbasierten Ansatz Bildung gestalten kann, sollten zusätzlich Online-Veranstaltungen, sogenannte Live Events, auf dem Server durchgeführt werden.

Experimentierraum für digitale Bildung

Weniger als zehn Tage nach der Idee stand ab 22. März 2020 ein stabiler Minetest-Server rund um die Uhr online zur freien Verfügung, der mehrere Stunden am Tag pädagogisch betreut wurde. In der Zeit der Schulschließungen fanden insgesamt mehr als 40 Live Events statt, an denen Kinder und Jugend-liche teilnehmen konnten und die anderen Pädagog*innen als Beispiel dienten. Die thematische Vielfalt reichte dabei von konsumkritischen Themen im Projekt MineHandy(4) über eine Zugfahrt durch Europa, Angebote des Philosophierens mit Kindern und biblische Themen bis zum gemeinsamen Schachspielen oder Achterbahnfahren. In mehr als 15 VLOG-Folgen wurden außerdem Live Events dokumentiert oder Anleitungen für die Minetestnutzung zusammengefasst.(5) Darüber hinaus führten externe Pädagog*innen Online-Unterricht und Workshops auf dem Server durch. Unter anderem bot das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München einen spielerischen Zugang zum Thema Hatespeech an.
Die Lernoase des Freizeitheims Vah-renwald in Hannover-Langenhagen gestaltete mit Jugendlichen einen Stadtteil, in dem junge Menschen über ihre Erfahrungen mit der Distanz in der Corona-Krise reflek-tierten. Kinder aus der Kinderstadt Halle bauten ihre Zukunftsstadt. Eine Lehrerin entwickelte ein Mathe-matikmodul für ihre Schüler*innen.Da Minetest nur einen Textchat bietet, wurde das Angebot durch einen Discord-Channel ergänzt, der in pädagogischen Kontexten für In-puts, Diskussionen und Reflexionen genutzt wurde. Trotz relevanter Datenschutzbedenken – im Gegen-satz zu Minetest – entschied sich die Projektgruppe bewusst für das Medi-um, in dem Kinder und Jugendliche bereits zu Hause sind und deshalb leichter erreicht werden können

Ein virtueller Ort der Kinder- und Jugendarbeit

Insgesamt haben in der Zeit der Schulschließungen ca. 300 Personen den Minetest-Server und etwas mehr als 200 Menschen den Discord-Channel genutzt. Dabei handelt es sich überwiegend um Kinder und Jugendliche sowie schätzungsweise zu einem Viertel um Pädagog*innen aus Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen. Der Server diente in dieser Zeit auch als virtueller Treffpunkt für junge Menschen. Das Kulti Biesenthal hat auf dem Server über mehrere Wochen einen virtuellen Treffpunkt gefunden, ein virtuelles Jugendzentrum gebaut und an Projekten mitgewirkt. Die Teamer*innen des Kulti haben sich in der Zeit intensiv mit Minetest beschäftigt und betreiben seit Ende April einen eigenen Minetest-Server für ihre Jugendarbeit.(6) Die Kinderkirche des Kirchspiel Dobien führte jeden Dienstag ein Live Event auf dem Server durch. Das Jugend- und Kulturzentrum TheO’door aus Sangerhausen beteiligte sich immer donnerstags an den Live Events. Konfigruppen aus der Nähe von Stuttgart und aus Mainz haben an Projekten mitgewirkt. Der Christliche Jugendbund Bayern hat sein Pfingsttreffen hier durchgeführt

Jugendliche übernehmen als überregionales virtuelles Team Verantwortung

Neben den pädagogischen Angeboten entstand im Projekt eine im Vorfeld nicht geplante pädagogische Ebene. Einige Jugendliche, die an Live Events teilgenommen hatten, blieben dem Projekt verbunden und betreuen inzwischen den Minetest-Server und den Discord-Channel. Neben der Moderation der Online-Plattformen gehört dazu auch die Einrichtung, Anpassung und teilweise Programmierung für die beiden Dienste.
Schnell zeigte sich, dass die Jugendlichen diese Aufgaben schneller und besser erledigen, als es der Autor und Initiator des Projektes könnte. Hier gelingt es, die Kompetenzen der Jugendlichen zu nutzen und zu fördern und Teilnehmende aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands, die sich ganz überwiegend nicht persönlich kennen, zur Zusammenarbeit zu befähigen.

Rück- und Ausblick

Das Projekt erhielt Anerkennung von ganz unterschiedlichen Seiten. So wurde es beim Wettbewerb #digitalgegencorona des Wirtschaftsministeriums Sachsen-Anhalt mit dem ersten Preis in der Kategorie Bildung und Arbeit ausgezeichnet. Außerdem berichteten unterschiedlichste Online-Plattformen über den Minetestbildungsserver – vom bundesweiten Jugendbeteiligungs-netzwerk „jugend.beteiligen.jetzt“ bis zur Evangelischen Jugend in Oldenburg. Die Landesmedienanstalt Baden-Württemberg ließ sich durch den Minetest-Corona-Server inspirieren, Schulen einen eigenen Minetest-Server zur Verfügung zu stellen und Lehrer*innen bei der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zu unterstützen.
Mit dem Einsatz von Minetest als Bildungs- und Begegnungsraum konnten viele junge Menschen erreicht werden. In der Corona-Zeit war der Minetest-Server ein Treff- und Ankerpunkt für Menschen, die einen digitalen Raum suchten. Insbesondere durch die beispielhaften Live Events ist es gelungen, Pädagog*innen vermehrt auf diesen Zugang aufmerksam zu machen.
Es hat sich aber auch gezeigt, dass es für viele Pädagog*innen noch ein weiter Weg ist, die Potenziale digitaler, spielorientierter und aus der Lebenswelt junger Menschen stammender Tools zu entdecken und gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen zum Lernen zu nutzen. Deshalb ist geplant, dass der Minetest-Server auch weiterhin als Bildungs- und Jugendbegegnungsort kostenlos zur freien Verfügung gestellt wird.
Ausgewählte Materialien und Dokumentationen sollen auch in Zukunft erstellt und unter einer CC-BY-Lizenz als freie Bildungsmaterialien (Open Educational Ressources – OER) veröffentlicht werden. Außerdem soll die Vernetzung der Pädagog*innen, die Minetest nutzen, durch ein Bildungsnetzwerk gestärkt werden.(7)