Globales Lernen ist ein breites und vielschichtiges Konzept, was sich nicht so leicht in drei Worten zusammenfassen lässt. Es bezieht sich weniger auf ein Thema als vielmehr auf eine Haltung in Bezug auf tiefgreifende und komplexe global verflochtene Veränderungen, die allzu oft – mal versteckter, mal offener – unseren Alltag prägen. Globales Lernen versucht somit eine pädagogische Antwort auf Globalisierungsprozesse. Doch was genau hat das nun mit Konfi-Arbeit zu tun? Wieso sollten ausgerechnet in der Kirche Jugendliche mit einer so komplizierten Wirklichkeit konfrontieren werden? In 3 Punkten argumentiere ich in diesem Beitrag, dass es sich lohnt, Globales Lernen in der Konfi-Arbeit als Chance anstatt als Zusatzstoff zu begreifen. In einem bald folgenden Beitrag ergänze ich in 3 Punkten, warum ausgerechnet die Arbeit mit digitalen Medien hierfür hilfreich und sinnvoll ist.
Globales Lernen – didaktischer Hintergrund
Ziel des Globalen Lernens ist es, die Lernenden zu befähigen komplexe Zusammenhänge und Vernetzungen weltweit zu erkennen, Strukturen und Prozesse zu bewerten und Optionen des Handelns daraus abzuleiten. Globales Lernen ist grundsätzlich themen- und fächerübergreifend angedacht und stellt Solidarität und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt – von der Klimagerechtigkeit über den Fairen Handel bis hin zur Geschlechtergerechtigkeit und der Chancengleichheit. Dabei geht es jedoch weniger um die Vermittlung von Wissen. Was die Lehrenden heute noch als richtig und wichtig empfinden, mag morgen schon an Bedeutung verloren haben. Das Kernstück des Globalen Lernens sind vielmehr die Kompetenzen, sich in einer globalisierten Welt zurechtzufinden, Perspektiven zu wechseln und Konflikte zu lösen. Es bestärkt die Lernenden darin, sich stetig neuen Herausforderungen und Themen zu stellen und den globalen Wandel aktiv zu gestalten. Scheunpflug und Schröck fassen in ihrem didaktischen Würfel 3 Dimensionen des Globalen Lernens zusammen: die räumliche Dimension vom Lokalen bis zum Globalen, die thematische Dimension rund um globale Gerechtigkeit und letztlich eine Reihe an persönlichen und fachlichen Kompetenzen.
Scheunpflug, Annette und Nikolaus Schröck (2000),“Globales Lernen. Einführung in eine pädagogische Konzeption zur entwicklungs-bezogenen Bildung“, Brot für die Welt: Stuttgart.
Chancen des Globalen Lernens in der Konfi-Arbeit
- Das christliche „Wir“ ist ein globales „Wir“
Erst jüngst prognostizierte eine Studie an der Universität Freiburg, dass die Kirchen in Deutschland bis 2060 nur noch rund halb so viele Mitglieder haben werden. Während in ostdeutschen Regionen Jugendliche mit christlicher Religionszugehörigkeit schon länger als Minderheit zählen, nimmt auch im westlichen Teil des Landes diese Entwicklung zu. Vor diesem Hintergrund werden christliche Jugendliche verstärkt mit der Besonderheit ihrer Religionszugehörigkeit konfrontiert und müssen lernen, sich zu erklären. Die Frage nach der christlichen Identität gewinnt an Bedeutung. Doch wovon sprechen junge Christ*innen heute, wenn sie das christliche „Wir“ verwenden? Bezieht es sich auf 2-3, vielleicht auch noch ein paar mehr christliche Jugendliche in der Klasse? Oder vielleicht auf 4-5 praktizierende Familien im Dorf oder dem Stadtteil? Beschränken sie sich auf ihre Konfession oder denken sie womöglich an ein vermeintlich christliches Abendland, das es vor äußeren Einflüssen zu beschützen gelte? Oder haben sie schon eine dynamische und florierende und weltweit vernetzte Glaubensgemeinschaft vor Augen, eine Gemeinschaft aus Menschen aller Länder und Kontinente, die an kultureller Vielfalt kaum zu überbieten ist?
Das Christentum, aus einer globalen Perspektive betrachtet, zeigt Jugendlichen, dass ihre Religion alles andere als auf einem absteigenden Ast ist. Ganz im Gegenteil: sie ist jung und lebendig. Sie zieht Menschen an und baut Gemeinschaft auf. Sie ermöglicht Beziehung und Solidarität, über nationale Grenzen und Hindernisse hinweg. Sie vernetzt in einer zunehmend diffus und auseinanderklaffend erscheinenden Welt. Eine globale Perspektive kann nicht nur die Themen der Konfi-Arbeit öffnen – sie öffnet Horizonte.
- Globales Lernen befähigt zum Handeln und vor allem die Kirche lädt auch dazu ein
Ob es die Ungerechtigkeit vor der eigenen Haustür ist oder die Empörung über den Hunger in der Welt, ob es die Sorge um die Geschwister ist oder das Mitleiden am tödlichen Schicksal von flüchtenden Menschen im Mittelmeer: Gerechtigkeit und Verantwortung für andere zu übernehmen ist ein zentrales Thema für Konfirmand*innen – das gaben knapp 2/3 nach ihrer Konfirmation in der letzten bundesweiten Konfi-Studie von Schweitzer et al. an. Doch wer für Gerechtigkeit einstehen möchte, kommt auf kurz oder lang nicht drum herum, global zu denken und zu fühlen. Eine nachhaltige Lösung nur für sich selbst, die eigene Familie, Gemeinde, Stadt, Region oder Nation ist für Hungernde nach Gerechtigkeit auf Dauer wenig zufriedenstellend. Der Anfang kann jedoch sehr wohl vor der eigenen Tür beginnen. Darum bleibt Globales Lernen nicht beim Erkennen und Bewerten stehen. Handlungsorientierung und ist hier von zentraler Bedeutung und eine wertvolle Zielsetzung.
Im Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung der Kultusministerkonferenz wird die Fächergruppe Religion und Ethik daher auch als „das Herzstück“ des Themenkomplexes bezeichnet. Fragen der Gerechtigkeit seien als solches schon ethisch „aufgeladen“ und bedürften einer vertiefenden Reflexion und einer Handlungsanleitung. Doch während sich der Schulunterricht meist auf die theoretische Auseinandersetzung und die Aufforderung zum Handeln beschränkt, reicht die Kirche darüber hinaus: sie lädt auch dazu ein!
Kirche bietet einen Raum, Gemeinschaft, Netzwerke und das nötige Werkzeug für Engagement. Ob in der Gemeinde vor Ort oder bei Brot für die Welt Jugend: junge Menschen haben eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich effektiv und konstruktiv einzubringen. Wenn Kirche schon in der Konfi-Zeit Jugendliche in ihrem Suchen nach Gerechtigkeit ernst nimmt, sie begleitet und die Tür öffnet, wenn sie ihnen zeigt, dass Kirche ein Ort sein kann, an und mit dem sie etwas bewirken, die Welt tatsächlich ein kleines Stückchen verbessern können, dann kann das eine große Chance sein, nicht nur für die Konfis und die Kirche, sondern auch für die Eine Welt.
Schweitzer, Friedrich et al. (2015),“Konfirmandenarbeit im Wandel – Neue Herausforderungen und Chancen“, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh.
- Globale Herausforderungen bedürfen theologischer Antworten
Auch bei den Fridays for Future Demonstrationen zeigt sich die Sehnsucht von jungen Menschen nach einer gerechten und heilen Welt. Ihre Empörung, Angst und Wut nimmt im Protest Gestalt an und sie ergreifen eine Stimme in der Politik. Diese Jugendlichen haben längst begriffen: es liegt an ihnen, die Welt zu gestalten und für Veränderungen einzutreten. Wenn nicht sie sprechen, wer tut es sonst? Doch so sinnvoll jede Aktion des gesellschaftlichen Engagements sein mag, kann sie keine Antwort auf den Kern der Bewegung geben: die existentielle Angst davor, den Planeten, unsere Welt und Heimat bald völlig zu zerstören.
Globale Herausforderungen scheinen zunehmend irreversibel. Strukturelle Ungerechtigkeit scheint zunehmend komplex und wenig greifbar. Immer öfter mischen sich frustrierte und lethargische Stimmen in die Debatten: „Was soll das Individuum schon erreichen können“, „Es gibt längst kein Zurück mehr“, „daran wird sich eh nie etwas ändern“, „Wir sind ja sowieso schon verloren“, … Gibt es da überhaupt noch einen Grund zur Hoffnung? Hier sind Religionen gefragt, Antworten – oder zumindest den Fragen Raum zu geben. Hier ist trotz allem Engagement für die Eine Welt nach einer Gerechtigkeit gefragt, die über alles Weltliche hinausgeht. Kurzum: globale Herausforderungen brauchen neben wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Handlungsoptionen auch ganz dringend theologische Antworten. Die Konfi-Arbeit kann ein Fundament für dieses Ringen um existentielle Fragen und Antworten bauen und zu einem Anker im spirituellen Weg der Konfis werden.
Chancen digitaler Medien für das Globale Lernen in der Konfi-Arbeit
Nun habe ich die Lesenden dieses Beitrages vielleicht ein bisschen mehr davon überzeugen können – wenn sie es nicht schon vorher waren –, dass Globales Lernen auch für die Konfi-Arbeit von essenzieller Bedeutung ist. Was aber haben nun genau digitale Medien damit zu tun? Wie können gerade sie als eine Chance begriffen werden, wenn doch schon die Gewinnung seltener Erden als Rohstoff elektronischer Geräte soziale wie ökologische Probleme mit sich zieht?! Das stimmt. Dennoch meine ich, dass digitale Medien – wenn sie sowieso schon in jeder Konfi-Hosentasche stecken – für das Globale Lernen in der Konfi-Arbeit in vielerlei Hinsicht gewinnbringend genutzt werden können. Eine Ausführung folgt demnächst in einem weiteren Beitrag.
Weitere Beiträge zu Globalem Lernen in der Konfi-Arbeit und Anregungen zur Nutzung digitaler Medien: