Diskurs

Über die Freiheit III

Gedanken zu Begriff und Konzept

Die Geschichte der Freiheit – und wieder einmal Griechenland.

Peter Sloterdijk führt in seinen Überlegungen Streß und Freiheit aus, dass der Begriff der Freiheit – Eleutheria) in seinem ursprünglichen Kontext (Griechen gegen Fremdherrschaft) der Kampf um das Recht bedeutete, nach der eigenen Väter Sitte zu leben. (Wie skurril dieser Kampf aus unserer Sicht aussehen konnte, zeigt sich etwa bei Herodot in Buch 3/ 38 seines Geschichtswerkes* : Daß es aber mit ihren Bräuchen alle Menschen so zu halten pflegen, läßt sich überhaupt aus vielen Beweisen ermessen, und namentlich aus folgendem. Während seiner Herrschaft rief einmal Dareios die Hellenen, die bei ihm waren, und fragte sie, um welchen Preis sie sich wohl verständen, ihre toten Väter zu essen. Darauf versicherten sie, das täten sie um alles nicht. Darauf rief Dareios die sogenannten Kalatier, ein indisches Volk, das seine Eltern zu essen pflegt, und fragte sie in Gegenwart der Hellenen, denen ein Dolmetscher die Reden der andern übermittelte, um welchen Preis sie darauf eingehen würden, ihre gestorbenen Väter zu verbrennen. Darauf schrien diese laut auf, er solle doch nichts Unheiliges aussprechen.

Bei Freiheit in dieser ursprünglichen Bedeutung ging es nicht das individuelle Recht eines autonomen Subjekts, sondern die Autonomie einer Volksgemeinschaft. Dazu gehört, dass auch der Begriff AUTONOM eine andere Bedeutung hatte als im heutigen Sprachgebrauch. Autonomie meinte die in den Dingen selbst liegende Geregeltheit und nicht das Recht, über sich selbst nach Belieben zu bestimmen. Die Autonomie der Erde liegt in ihrem Kreisen um die Sonne – als das ihr gemäß Zukommende. Die Autonomie der Menschen läge demnach darin, dass sie den ihnen zukommenden Platz in der Gemeinschaft einnähmen. Und fundamental für die anderen wäre es demnach, diese im Gegenüber selbst liegende Geregeltheit zu respektieren. Aber noch einmal – dies ist keine freie Wahl und keine Entscheidung, sondern das, was einem Ding oder einem Lebewesen der Natur nach zukommt. Die Erde entscheidet sich ja auch nicht, ob sie um die Sonne kreist oder nicht.

In diesem Zusammenhang bedeutet Freiheit das Recht, autonom – also nach der im Wesen der Volksgemeinschaft liegenden Selbstgeregeltheit die eigenen Angelegenheiten zu verhandeln und das Leben gemäß Sitte und Herkunft zu gestalten. In diesem Sinne ließe Freiheit sich als die Tyrannei der Konvention verstehen.

Sloterdijk weist in seiner Rede auf die Geschichte der Lucretia hin, die am Anfang des Freiheitskampfes der Römer aus der Fremdherrschaft der Etrusker steht und in ebendiesem Sinne ein Freiheitskampf ist um das Recht, den eigenen Gesetzen zu folgen. Dabei geht es aber nicht um die Freiheit des Individuums – und schon gar nicht um individualistische Freiheiten.

Verbunden mit diesem Kampf um das Recht auf Fremdbestimmung durch die eigenen Gesetze – und nicht die einer fremden Macht – ist dann allerdings die Erfahrung, dass Gesetze durchaus kontingent sind. Nicht beliebig, aber eben immer auch Konvention und im Belieben der Volksversammlung.

Die Sophisten sind in diesem Sinne Aufklärer, die auch den Rahmen der Freiheiten der Einzelnen erweitern und zu verschieben versuchen. Und das im Interesse des Einzelnen gegen die Interessen des Gemeinwohls. An dieser Stelle setzt auch die Kritik der Konservativen ein, deren Interesse der Erhalt des Status quo war (durchaus auch aus Eigeninteresse – aber im Sinne des Erhalts eines austariertem Systems.).

Inwieweit die Sophisten so etwas wie Querdenker waren, ließe sich durchaus überlegen. Denn auch sie profitierten in hohem Maße finanziell von denen, die sich von ihnen inspirieren ließen. Und auch sie entwickelten rhetorische Mittel zur Verunklarung von Diskursen und zur Manipulation.

*Der Text des Geschichtswerkes online: https://www.projekt-gutenberg.org/herodot/geschic1/titlepage.html

Paul F. Martin

Studienleitung Theologie/ Gesellschaft/ Kultur
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Öffentliche Diskurse in öffentlichen Angelegenheiten.

Gemeinschaftlicher Ausgang aus nicht nur selbstverschuldeter Unmündigkeit.

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