Diskurs

„So regieren Diktatoren“

Verfassungskrise in den USA - und bald auch in Deutschland?
Wegweiser: Demokratie in eine Richtung, Diktatur in die andere - Bild von Markus Mörth auf Pixabay

„Als Folge einer jahrhundertelangen Entwicklung hat das Amt [des amerikanischen Präsidenten] inzwischen eine Machtfülle, die nie vorgesehen war. Sie läuft darauf hinaus, dass ein skrupelloser Präsident – und den haben wir gerade im Amt – eine Art Diktaturgewalt für sich reklamiert: Regieren durch Exekutiverlass“, so Manfred Berg, Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, im Interview auf tagesschau.de.

Stehen checks and balances zur Disposition?

Berg äußert sich im Interview auf tagesschau.de sehr besorgt. Wenn Trump Gerichtsurteile nicht anerkenne und als Präsident und Leitung der Exekutive auch nicht umsetze, spiele er mit dem Feuer. Das System der checks and balances stünde zur Disposition, wenn der Vizepräsident J.D. Vance sich damit durchsetzen würde, dass die Justiz nicht das Recht hätte, Präsidenten und Regierung zu kontrollieren.

Außerdem sei die Art der Gründung einer neuen Behörde wie DOGE, mit der Tech-Milliardär Elon Musk gerade sehr brachial den Regierungsapparat im Sinne der Trump-Administration umgestalte, höchst problematisch. Normalerwiese brauche es dafür einen Gesetzesakt des Kongresses.

Die Trump-Administration vertraue bei ihrem aktuellen Vorgehen auf „zwei Dinge. Zum einen auf die plebiszitär-populistische Parole, dass Trump nur den Willen des Volkes umsetze. Das ist für die Öffentlichkeit bestimmt. Zum anderen vertraut sie institutionell darauf, dass das System überwältigt wird und paralysiert ist.“

Überfluten des öffentlichen Raums mit Informationen und Maßnahmen

Dabei greift Trump auf eine Taktik zurück, die sein früherer Berater Steve Bannon 2018 als „Flood the zone with shit“ bezeichnet hat. Die Öffentlichkeit – u.a. Medien, Zivilgesellschaft, Justiz und andere politische Parteien – könne sich nur auf wenige Themen konzentrieren. Deshalb müsse der öffentliche Raum mit Informationen und Maßnahmen überflutet werden, um viel unbemerkt umsetzen zu können. Jeden Tag sollten viele Dinge auf einmal getan und dann damit gelebt werden, dass „sie“ sich an einer Sache festbeißen. Auch wenn diese eine Maßnahme scheitere, würden die anderen alle schon erledigt werden (vgl. deutschlandfunk.de und cnn.com).

In den ersten Wochen seiner Amtszeit hat Trump mehr Dekrete, Richtlinien und Anordnungen unterzeichnet als jeder andere Präsident. Dabei hatte er auch keine Scheu seine Kompetenzen bewusst zu überschreiten und nahm den Bruch der Verfassung in Kauf. So hob er z.B. das Verfassungsprinzip des Rechts auf Staatsbürgerschaft durch Geburt auf, verstieß in seiner Flüchtlingspolitik gegen die Menschenrechte und setzte Bürgerrechte außer Kraft. Aktuell scheint es so, als würde die Gewaltenteilung noch oder zumindest noch teilweise funktionieren. Das Dekret über die Änderung der Staatsbürgerschaft wurde ebenso wie die Zwangsfreisetzung von mehr als 2000 USAID-Mitarbeitenden gerichtlich außer Kraft gesetzt (vgl. tagesschau.de und deutschlandfunk.de). Andererseits scheint auch die „Flood the zone“-Strategie aufzugehen. Angesichts der Vielzahl von Maßnahmen scheint selbst Trump den Überblick zu verlieren.

Administrativer Staatsstreich

So habe Trump zusammen mit Musk schon etliche Vorhaben umsetzen können und das Land bereits merklich verändert. Die Medien könnten bei der Taktung nicht mehr mithalten. Teile der US-Gesellschaft resignierten bereits und zögen sich ins Private zurück, erklärt die Publizistin und Historikerin Annika Brockschmidt auf deutschlandfunk.de. Sie geht sogar soweit, von einem „administrativen Staatsstreich“ zu sprechen.

Die nächsten Jahre werden zeigen, wie weit sich Trump tatsächlich als autoritärer Führer durchsetzen kann und ob und wenn ja welche Kräfte diesen Prozess stoppen oder verändern können. Aber was können wir für Deutschland daraus lernen?

Was käme mit einer Verantwortungsübernahme der AfD?

Dass die AfD einen ähnlichen Weg gehen würde, hat sie angekündigt und setzt sie auch schon um. Erinnert sei an den für die AfD gewählten Pirnaer Oberbürgermeister Tim Lochner, der im ersten Interview laut mdr.de ankündigte: „Ich werde die Mitarbeiter im Rathaus versuchen, möglichst einzeln kennenzulernen – und auf Loyalität überprüfen.“ Wie in den USA geht es dabei darum, entweder Personal auszuwechseln oder soweit einzuschüchtern, dass Anweisungen ohne weitere rechtliche Prüfungen (bisher eine wichtige Aufgabe kommunaler Verwaltung) umgesetzt werden.

Dabei haben Behördenleitungen die Möglichkeit, Verordnungen zu erlassen oder starken Einfluss auf die Umsetzung von Gesetzen zu nehmen. So kann z.B. das Asyl- und Aufenthaltsrecht mehr oder weniger freundlich oder restriktiv ausgelegt werden. Oder es kann mehr oder weniger Kontrollen von z.B. Dönerläden oder vermeintlich linken Kneipen geben, die mit mehr oder gar keinen Schikanen durchgeführt werden. Arne Semsrott beschreibt in seinem Buch „Machtübernahme. Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Eine Anleitung zum Widerstand“ sehr ausführlich, welche Möglichkeiten Rechtsextreme hätten, ohne überhaupt Gesetze ändern zu müssen. Wer ihn persönlich erleben will, ist herzlich eingeladen, an unserer Workshop-Tagung „Kontroversen am Gartenzaun“ teilzunehmen.

Kontroversen am Gartenzaun - Workshop für eine Kultur der Vielfalt und Diskursstärkung - 14. bis 16. März 2025, Klieken, Hotel Waldschlösschen - c_melms

AfD will Identitäts- statt Demokratiebildung

Mit der AfD würde sich aber auch die Situation der politischen und demokratischen Bildung ändern. Die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt hat erst im Januar 2025 den Antrag gestellt, die Landeszentrale für politische Bildung in ein „Landesinstitut für staatspolitische Bildung und kulturelle Identität“ umzuwandeln. „Dieses soll die deutsche Brauchtumspflege, Traditionsveranstaltungen sowie die Stärkung der deutschen Sprache, Geschichte und Landeskunde in den Fokus rücken.“ (Quelle: spiegel.de). Bisher setzt die Landeszentrale neben der Förderung externer und der Durchführung eigener Veranstaltungen der politischen Bildung ihre Schwerpunkte u.a. im Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit und in der Förderung des bundesweiten Programms Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Diese beiden Programme sind der AfD – aus Sicht einer in Sachsen-Anhalt als rechtsextremistisch anerkannten Partei verständlich – ein Dorn im Auge. Sie würde deshalb die Bildung für Demokratie und Vielfalt zügig abschaffen.

Was alles noch passieren könnte, wenn die AfD in politische Verantwortung kommen würde, habe ich gemeinsam mit einigen Kolleg:innen aus der evangelischen politischen Jugendbildung im Projekt alternativlos-unterschiedlich.de gesammelt und grafisch aufarbeiten lassen.

Erliegen Konservative (und Liberale) der Versuchung?

Aber auch andere Parteien scheinen vor der Aushebelung der Gewaltenteilung nicht gefeit zu sein. Seit den Wahlen im letzten Jahr scheinen viele Konservative eher die Positionen der AfD zu übernehmen, als das Grundgesetz oder europäische Vereinbarungen schützen zu wollen, wie mein Kollege Paul F. Martin schon am 5.9.2024 nach der Thüringen Wahl schrieb. Das zeigen auch sehr deutlich die Anträge der CDU im Bundestag. Mit Abweisungen von Geflüchteten an der deutschen Außengrenze ohne Einzelfallprüfung wäre das verfassungsmäßig garantierte individuelle Asylrecht defacto abgeschafft. Außerdem verstieße das wie auch anlasslose, dauerhafte Grenzkontrollen außerdem gegen Europarecht. Genau das aber war der Inhalt des Fünf-Punkte-Plans der CDU, für den sie in einem Entschließungsantrag im deutschen Bundestag am 29.1.25 eine Mehrheit mit Unterstützung von FDP und AfD erhielt. Der CDU-Parteitag beschloss am 3.2.25 diesen Plan als Teil eines Sofortprogramms.

Die Journalistin Ulrike Herrmann analysiert in der ARD-Sendung Maischberger Friedrich Merz. Er habe schon sehr stark Trump imitiert, so ihre Einschätzung. Als erstes Argument führt sie sein Argument an, dass er das, wenn er Kanzler sei den Fünf-Punkte-Plan per Richtlinienkompetenz durchsetzen werde. Als zweites verweist sie auf offensichtliche juristische Probleme, die ihrer Meinung nach der Jurist Merz sehr wohl kenne und bewusst ignoriere oder zumindest nicht kommuniziere (vgl. @nurderkoch auf Instagram oder Maischberger vom 12.02.2025 in der ARD Mediathek, ab Min. 13:25).

Statt in der Konfrontation mit der AfD zu gehen und für Gewaltenteilung, Grundgesetz und Vielfalt als Wert einzustehen, scheint es das Missverständnis oder die politische Überzeugung zu geben, dass es keine Brandmauer gegen Rechtsextremismus brauche. „Brandmauer ist das falsche Bild. Ich möchte, dass der Brand hinter der Mauer nicht zum Flächenbrand in ganz Deutschland wird“, so der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (zit. nach n-tv.de). Dieser Brand aber wird von Rechtsextremist:innen in der Form einer Angstdebatte immer wieder angezündet und kann nur durch Übernahme der von ihnen geforderten Maßnahmen gelöscht werden.

Zugehen auf Rechtsextreme stärkt das Original

Und das passiert, obwohl Politikwissenschaftler:innen immer wieder darauf hinweisen, dass die Anpassung demokratischer Parteien an extremistische Forderungen in der Regel dazu führt, dass das Original – also die Extremist:innen – gestärkt werden. Sehr viele Studien quer durch Europa würden laut Parteienforscher Marc Debus zeigen: „Es nutzt nicht den Parteien, die auf die Rechtsextremen zugehen, sondern es nutzt den rechtsextremen Parteien. Deren Stimmenanteil steigt tendenziell, während die Partei, die auf die weit rechtsstehende Partei zugeht, keinen Bonus davon hat“ (zit. nach tagesschau.de). Verändert werde stattdessen auch die Diskurskultur, wie die Radikalisierung der Sprache in den letzten Jahren im Bundestag und in den veröffentlichten Medien zeige.

Quellen/Links:

Titelbild von Markus Mörth auf Pixabay

Schlagwörter: Gesellschaft, Politik

Tobias Thiel

Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung
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