Diskurs

Schulfusion? Nur gut gestaltet!

Vize-Landrat Hartmann stellt Konzept für Gymnasiallandschaft des Landkreises bei Diskussionsveranstaltung des Jugendforums vor
Vize-Landrat Hartmann stellt Konzept des Landkreises vor

Auf Einladung des Jugendforums im Landkreis Wittenberg trafen sich am 24.5. ca. 20 Jugendliche und ca. 30 Erwachsene, darunter Landtagsabgeordnete, der stellvertretende Landrat, Vorsitzende und Stellvertretende von Kreistagsfraktionen und Ausschüssen sowie Lehrerinnen und Lehrer, um über die geplanten Veränderungen in der Gymnasiallandschaft zu diskutieren.

Hintergründe und Notwendigkeiten

In der Einführung zeigte ein Mitglied des Jugendforums auf, warum jetzt Entscheidungen anstehen. Drei von vier Gymnasien im Landkreis würden schon seit längerem die angestrebten Schülerzahlen nicht erreichen. Erst durch Änderung des Landesrechts 2022 bedürfe es aber jetzt einer Sondergenehmigung, um diese Schulen weiter zu betreiben.

Der stellvertretende Landrat bestätigte diese Einführung in wesentlichen Punkten, ergänzte und korrigierte in Einzelheiten. So sei das Thema schon länger bekannt. Der Kreistag hatte bereits im Februar einen Prüfauftrag beschlossen. Eine Entscheidungsfindung sei noch vor dem Sommer zu finden, weil Absprachen mit dem Landesschulamt verlangen würden, dass die Reform bereits zum nächsten Schuljahr greife. Das sei Voraussetzung dafür gewesen, dass die Stelle des Schulleitenden am Paul-Gerhard-Gymnasium in Gräfenhainichen wieder ausgeschrieben wurden sei.

Ca. 50 Leute bei der Diskussion des Jugendforums zur geplanten Fusion der Wittenberger Gymnasien
Ca. 50 Leute bei der Diskussion des Jugendforums zur geplanten Fusion der Wittenberger Gymnasien

Diskussion in Arbeitsgruppen

Im Anschluss lud das Jugendforum die Teilnehmenden zu Gesprächen in Arbeitsgruppen ein. Die Zuordnung hatten sie durch die Nummerierung von Stühlen organisiert. In sechs Gruppen mit 7 bis 10 Teilnehmenden wurde teils heftig diskutiert. Hier trafen ganz unterschiedliche Positionen aufeinander. Während Vertreter:innen des Luther-Melanchthon-Gymnasiums eine Fusion mit dem Lucas-Cranach-Gymnasium als Chance sahen, waren die Schüler:innen und Lehrer:innen des Piesteritzer Gymnasiums eher skeptisch. Politisch wurde einerseits auf die Notwendigkeit einer schnellen und präzisen Entscheidung hingewiesen. Dafür lägen jetzt alle Prüfergebnisse vor, so dass einer Entscheidung – vermutlich für eine Fusion – im Kreistag im Juni nichts mehr im Wege stehen würde. Dagegen gehalten wurde, dass man sich hier ohne Not in eine überschnelle Entscheidung habe zwingen lassen, dass Kooperationen nicht geprüft worden seien und dass das Konzept ein unnötig großes Gymnasium schaffen würde, ohne wirklich langfristige Perspektiven für die Schullandschaft im Landkreis zu schaffen. Schließlich stelle sich das Problem der Sondergenehmigung für das Paul-Gerhard-Gymnasium in Gräfenhainichen in wenigen Jahren erneut.

Während zwei Arbeitsgruppen zu Alternativen zu den aktuellen Planungen gearbeitet haben, wurde in den anderen vier Gruppen dazu gearbeitet, unter welchen Bedingungen eine Fusion gelingen kann.

Die Bilder können zur Detailansicht per Rechtsklick oder langes Drücken geöffnet und gedownloaded werden.

Wenn Fusion, dann nur wenn …

Vier Gruppen kamen zum Ergebnis, dass eine Schulfusion angesichts des aktuellen Standes der politischen und administrativen Diskurse nicht mehr zu verhindern sein. Deshalb haben sie daran gearbeitet, Bedingungen für einen guten Prozess des Zusammengehens zu fomulieren („Wenn die Schulfusion offensichtlich schon beschlossen ist, bleibt ja nichts mehr als das Beste daraus zu machen“):

Zusammenarbeit

  • Der Prozess des Zusammenwachsens muss extern moderiert und begleitet werden. Es kann nicht sein, dass eine Schulleitung die größte Schule des Landes leitet und auch noch allein für das gute Zusammengehen verantwortlich ist.
  • Die Fusion muss von Lehrer:innen und Schüler:innen gestaltet und umgesetzt werden. Nicht durch Verwaltungsbeschlüsse.
  • Schüler:innen und Lehrer:innen müssen zusammenarbeiten
  • Gespräche zwischen Schulen müssen gesucht werden, damit Lehrer*innen zu einem Kollegium zusammenwachsen können.
  • Auf Seiten der Schüler*innen kann schon an gute Kontakte angeknüpft werden.

Schule als sozialer Lernort

  • Schule sollte nicht nur als Bildungsort, sondern vor allem auch als sozialer Standort gesehen werden. Dafür müssen Ressourcen freigesetzt werden.
  • In den Schulen sollte die Aufenthaltsqualität (Räume für Schüler:innen, Pausenversorgung, …) verbessert werden
  • Schüler:innen sollten als noch mehr als Persönlichkeiten wahrgenommen werden, nicht nur als Lernende bzw. zu Bildende.

Bessere Bildung

  • Schulfusion muss genutzt werden, um bestmögliche Bildung umzusetzen.
  • Sie darf nicht zur weiteren Verschlechterung führen (Lehrermangel, Bürokratie, …)
  • Fusion sollte zu einem erweiterten Kursangebot führen

Erhalt der Strukturen

  • Erhalt aller drei Schulstandorte
  • für die unteren Klassen sollte sich im Schulalltag möglichst wenig ändern
  • Zusammenlegung nur für Oberstufe (ab Klasse 11 oder 10)
  • Erhalt der Standorte bis Klasse 10 bzw. 9
  • Haus Melanchthon könnte ein guter Standort für die gemeinsame Oberstufe sein
  • Bei einer Zusammenlegung müssten Alternativstandorte geprüft werden: Berufsschule Wittenberg, Pferdestall, …

Pendeln zwischen Schulstandorten/ÖPNV

  • Fahrtzeiten bzw. der Einsatz der Lehrer*innen sollten so organisiert werden, dass sich die Gesamtunterrichtszeit nicht verlängert.
  • Busverkehr so einrichten, dass in den Pausenzeiten auch per ÖPNV zwischen Standorten gewechselt werden kann
  • Busverkehr muss schneller werden. Aktuell ist es auf ganz vielen Strecken schneller mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren als mit dem Bus. Das geht so nicht!
  • Pendeln zwischen den Standorten muss für alle Altersgruppen (Schüler*innen) und Lehrer*innen kostenlos möglich sein.

Entlastung der Lehrer:innen und Schulleitung

  • Wenn Lehrer:innen pendeln müssen, braucht es an anderer Stelle Entlastung,
  • Mehr Fachkräfte neben Lehrpersonal, z.B. zusätzliche Schulsozialarbeit, techniches Personal, Unterstützung bei Vorbereitung des Unterrichts, …
  • Lehrkräfte sollten weitgehend weiterhin an den jetzigen Standorten eingesetzt werden.
  • Pendeln könnte dazu führen, dass es für Lehrer:innen unattraktiver wird, an der Schule in Wittenberg zu arbeiten. Um einen noch größeren Lehrermangel vorzubeugen, muss es deshalb hier Ausgleiche geben.
  • Aufstockung der Verwaltungsmitarbeitenden, damit Schulleitung mehr Zeit für Fusions-Vorgang hat.

Vorteile einer Zusammenarbeit

  • Breites Fächerangebot kann gesichert werden.

Alternative Vorschläge

Zwei Gruppen haben primär über Alternativen zum aktuellen Vorschlag des Landkreise nachgedacht, aber auch aus anderen Gruppen kamen Ideen, wie es ganz anders laufen könnte.

Verantwortung des Landes Sachsen-Anhalt

  • Die aktuelle Debatte entspringt der Landesgesetzgebung, die deshalb zugunsten kleinerer Schulen und des ländlichen Raums verändert werden müsse.
  • Das eigentlich Grundproblem ist die fehlende Finanzierung von Bildung und der Lehrermangel. Beides kann nur vom Land behoben werden.

Kooperation

  • Statt einer Fusion der beiden Schulen sollte eine Kooperation in der Qualifikationsphase geprüft werden.

Begrenzung der Kapazität am Luther-Melanchthon-Gymnasiums

  • Möglich wäre auch eine Kapazitätsbegrenzung am LMG auf 5 Klassen pro Stufe, damit Schüler:innenzahlen an den anderen Schulen steigen

Echte Wahlfreiheit mit besseren ÖPNV

  • Paul-Gerhard-Gymnasium könnte aufgrund des naturwissenschaftlichen Profils auch für Wittenberger Schüler:innen interessant werden, wenn der ÖPNV das ermöglichen würde.

Fazit

Trotz der großen Kontroverse in den Medien wurde in der Veranstaltung versucht konstruktiv ins Gespräch zu kommen. Zu möglichen Entscheidungen gab es sehr unterschiedliche Positionen. Eine große Mehrheit der Teilnehmenden halten den Prozess der Entscheidungsfindung nicht für besonders gelungen. Beklagt wurde insbesondere die späte Einbindung der Betroffenen und die Kurzfristigkeit der Entscheidung in wenigen Monaten, die nicht genügend Zeit lasse, um alle mitzunehmen.

Fusion nur unter Bedingungen und mit Beteiligung der Betroffenen

Sollte eine Fusion beschlossen werden, könnten viele der beschriebenen Bedingungen Teil des Beschlusses werden, um eine bestmögliche Umsetzung zu ermöglichen. Dabei ist es auch wichtig, dass die Betroffenen von Anfang an einbezogen und die Prozesse maßgeblich von ihnen gestaltet werden.

Fürs Jugendforum war es ein großer Erfolg. Zu einem für junge Menschen wichtigen Thema wurde eine gut wahrgenommen und besuchte öffentliche Veranstaltung durchgeführt, die so strukturiert werden konnte, dass trotz einer hitzigen Debatte alle miteinander sprechen konnten. Die vorgeschlagenen Bedingungen für eine Fusion können eine gute Basis für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Gestaltung der Schullandschaft im Landkreis sein.

Kinder- und Jugendbeteiligung nach § 80 KVG Sachsen-Anhalt

Wünschenswert wäre, dass sich das Jugendforum der Partnerschaft für Demokratie zum Beteiligungsorgan des Landkreises entwickelt, über das Positionen junger Menschen in Verwaltung und Politik eingebracht werden und berücksichtigt werden können. Schließlich ist in der Diskussion auch deutlich geworden, dass Jugendliche und übrigens auch die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen nur teilweise informiert und gehört wurden.

Seit 2018 sind Kommunen in Sachsen-Anhalt durch den § 80 des Kommunalverfassungsgesetzes aufgefordert, Kinder- und Jugendliche angemessen zu beteiligen und die Art der Beteiligung durch kommunale Satzung festzuschreiben. Die Diskussion um die Zusammenlegung der Gymnasien zeigt, dass das im Landkreis Wittenberg noch nicht oder zumindest nicht wirkungsvoll und sichtbar erfolgt ist. Eine Handreichung zum Thema hat das Landeszentrum Jugend+Kommune erstellt.

Danke sagt das Jugendforum auch an das Projekt „Akademie für Kinder- und Jugendparlamente“ und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die die Veranstaltung unterstützt haben.

Tobias Thiel

Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung
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