Diskurs

Interaktionsübungen mit Geflüchteten?

Können die Erfahrungen der interkulturellen Pädagogik Ausgangsbasis für die Arbeit mit Geflüchteten sein? Welche Methoden aus z.B. der deutsch-französischen Jugendbildung können übertragen werden?

Es wäre so einfach, wenn sich die Erfahrungen mit pädagogischen Übungen aus den bi- und multilateralen Jugendaustauschen einfach in die Arbeit mit jungen Geflüchteten übertragen ließen. Auf den ersten Blick gibt es auch viele Gemeinsamkeiten in den Zielgruppen und den Formaten. Andererseits unterscheiden sich die Erfahrungshintergründe Geflüchteter von denen der meisten Europäer*innen enorm.

Im Rahmen des deutsch-französischen Forums „Nach der Flucht“ im November 2016 in Berlin haben wir deshalb eine Übung zur Exklusion mit Multiplikator*innen aus der Flüchtlingsarbeit ausprobiert und um Feedback gebeten. Im Folgenden finden sich die Feedbacks der Teilnehmenden, die kurz zusammengefasst davor warnen, die Methoden ungeprüft zu übertragen.

Die Methode erinnere an ganz reale Erfahrungen in der Jugendarbeit, z.B. in Wohnvierteln, in denen Teilnehmende arbeiten würden. Dort würden Jugendliche von der Erfahrung nicht dazuzugehören berichten. Oft gäbe es nicht mal einen offensichtlichen Grund (Hautfarbe, Kultur, Sprache) dafür.

Diese Methode könne aus mindestens zwei Gründen nicht mit Geflüchteten angewendet werden: Zum einen sei die Aufgabenstellung vielen zu fremd, zum anderen funktioniere keine, auch nicht eine minimale Reflektion, die aber notwendig wäre. Eine Idee wäre es deshalb, die spielerischen Interaktionen durch „echte“ Begegnungen zu ersetzen.

Ein Teilnehmer berichtet von der sichtbaren Fremdheit, als Flüchtlinge das erste Mal zur Jungen Gemeinde kamen. Aber beim gemeinsamen Kochen und anderen täglichen Erfahrungen hätte es eine „Normalisierung“ gegeben und es sei normaler geworden, miteinander etwas zu tun. Schließlich seien die Jugendlichen sogar miteinander ins Gespräch gekommen.

Ein Teilnehmer meinte, dass Ausgrenzungserfahrungen auch anders passieren würden, als man zuerst denke. Manchmal könne in neuen Umgebungen neue Erfahrungen gemacht werden. So hätte ein rechtsextremer Jugendlicher zuerst versucht, ihn als dunkelhäutigen Leiter aus einer Jugendgruppe auszuschließen. Bei einer Freizeit in der Communité de Taizé hätte dann keiner den Jugendlichen gefragt, warum er Kleidung mit rechtsextremen Motiven trüge, sondern er sei einfach als ein Jugendlicher wahrgenommen worden. Es hätte dann so gewirkt, als ob er seine rechtsextremen Einstellungen vergessen habe. Nach Deutschland zurückgekommen sei er einer der aktivsten in der Begleitung von Flüchtlingen gewesen.

Voraussetzung für Übungen wie diese sei die Möglichkeit, sich auf Augenhöhe zu begegnen.

In einem Flüchtlingsheim gäbe es diese Exklusion als tägliche Realität und es gäbe deshalb immer wieder sogar Verletzte. So ein Spiel könne deshalb niemals in einer Flüchtlingsunterkunft gespielt werden.

Ein anderer Teilnehmer merkte an, dass die Übung vereinfachend sei. Flüchtlinge seien nicht eine homogene Gruppe. Vielmehr müsse man darüber nachdenken, welches Kriterium eine Gruppe ausmachen würde (Sprache, Kultureller Hintergrund, Wohngemeinschaft (gemeinsames Zimmer), …?). Sein Vorschlag wäre deshalb eine Übung nach folgendem Schema: Mehrere Gruppen mit unterschiedlichen Regeln und Gruppenmitglieder wechseln ohne die Regeln zu kennen.

Eine Teilnehmerin fand die Übung sehr erweckend, weil Exklusion so sichtbar würde. Die Übung sei besonders für Mitarbeitende wichtig.

Ein Teilnehmer wies auf die Erfahrung beim Besuch einer Einrichtung vom Vortag hin: Wenn man eine Flüchtlingsunterkunft, z.B. in einem ehemaligen Krankenhaus, sehe, sei das allein schon ein Platz der Exklusion. Was passiere denn mit den Menschen, wenn sie da für eine lange Zeit nicht rauskommen würden? Er habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass es viele Widerstände geben würde, sobald man andere Formen der Unterkunft schaffen wolle. Oft würde da mit praktischen Gründen argumentiert, die aber vielleicht auch vorgeschoben seien.

Zum Abschluss erklärte Borris Diederichs, warum er sich für diese Übung entschieden hat: Er würde es – im Gegensatz zu manchen Teilnehmenden – nicht Spiel, sondern eher Methode nennen. Im Vorfeld hätte er sich überlegt, welche Übung für diese Gruppe passen würde. Seiner Erfahrung nach, könne diese Methode sehr tief gehen. Deshalb sei sie nicht für den ersten oder zweiten Tag einer Begegnung geeignet, sondern vielleicht sogar besser für eine Gruppe, die sich schon länger kennen würde. Sie ginge nicht mit Menschen mit aktuellen Traumata. So eine Übung würde er auch nicht mit Geflüchteten machen, weil es als zu „gewalttätig“ erlebt werden könnte. Aber mit bestehenden Gruppen könne sie einen guten Einstieg bieten. Für schwierigere Gruppen fände er Übungen des Teambuilding spannend. Dazu gehörten  auch Kennenlernübungen und Sprachanimationen. Empowerment sei ihm dabei besonders wichtig. D.h. insbesondere sollten Benachteiligte gestärkt werden, als Individuen und als Gruppen.

(Mitschrift: Tobias Thiel)

Tobias Thiel

Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung
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