Diskurs

Gegenwartslyrik IX

Ich wandre durch Theresienstadt

Ich wandre durch Theresienstadt,
das Herz so schwer wie Blei,
bis jäh mein Weg ein Ende hat,
dort knapp an der Bastei.

Dort bleib ich auf der Brücke stehn
und schau ins Tal hinaus.
Ich möcht so gerne weitergehn,
ich möcht so gern – nach Haus!

»Nach Haus!« – du wunderbares Wort,
du machst das Herz mir schwer.
Man nahm mir mein Zuhause fort.
Ich habe keines mehr.

Ich wende mich betrübt und matt,
so schwer wird mir dabei.
Theresienstadt, Theresienstadt,
wann wohl das Leid ein Ende hat –
wann sind wir wieder frei?

Ilse Weber

Ilse Weber, geb Herlinger, *11. Januar 1903 in Witkowitz war eine tschechisch-jüdische Schriftstellerin. Am 6. Februar 1942 wurde sie mit ihrer Familie nach Theresienstadt deportiert.

Einer ihrer zwei Söhne wurde mit einem Kindertransport nach England verschickt und überlebte die Shoa. In Theresienstadt arbeitete Ilse Weber in der Krankenstation. Im Jahr 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert – sie meldete sich freiwillig, um die von ihr betreuten Kinder nicht allein zu lassen. In Auschwitz wurden sie, ihr zweiter Sohn und die Kinder, die sie begleitete, gleich zur Ankunft am 06. Oktober von den Nazis ermordet.

Ihr Mann Willi Weber überlebte als Zwangsarbeiter. Nach dem Krieg barg er Ilses Gedicht-Manuskript, dass sie in Theresienstadt eingemauert hatten.

Veröffentlicht sind ihre Texte in dem Buch: In deinen Mauern wohnt das Leid. Die Gedichte sind gemeinfrei. Unter https://www.literatisch.de/ sind ihre und viele andere Texte “verbrannter Dichterinnen und Dichter“ zu finden.


Paul F. Martin

Studienleitung Theologie/ Gesellschaft/ Kultur
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