Spielen macht Spaß und Spielende lernen mit Emotionen, also so wie es Lernforscher*innen für erfolgversprechender halten. Wie in der Demokratie braucht es im Spiel die gute Kombination von Freiheit und Regelgebundenheit. Und mit Spielen erreicht politische Bildung andere Menschen als mit Tagungen und Referaten. Mindestens aus diesen drei Gründen lohnt es sich, neue spielerische Zugänge zu betrachten und diese für die Bildung zugänglich zu machen.
Dr. Annika Schreiter / Tobias Thiel: Game-based Learning in der politischen Bildung. Im Spiel gesellschaftliche Probleme modellhaft lösen und Selbswirksamkeit erfahren. in: Jantschek, Ole; Lorenzen, Hanna (Hrsg.) (2020): Don’t panic, act now. Beteiligung und Demokratie in der politischen Jugendbildung. Jahrbuch 2020. Ev. Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Berlin, S. 72–75. www.politische-jugendbildung-et.de
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Spielen macht in erster Linie Spaß. Man vergisst die Welt um sich herum, alltägliche Sorgen und Probleme. Die beim Spielen freigesetzten „Glückshormone“ sorgen dafür, dass eine intrinsische Motivation zum Spielen entsteht. Es gibt wenige Methoden, wenige Situationen, durch die und in denen ein Mensch sich so niedrigschwellig und einfach glücklich fühlen kann. Neben diesem elementaren Merkmal kann Spielen – analog und digital – noch viel mehr. Ein freies Spiel kann die Spielenden in fremde Länder und unbekannte Welten mitnehmen. Manche Spiele vermitteln kulturelle und historische Hintergründe. Oft können die Spielenden neue Rollen erproben, Aufgaben und Rätsel lösen und so ihre Problemlösungskompetenz stärken und Selbstwirksamkeit erfahren. Spielen ist auch entwicklungspsychologisch gesehen eine der wichtigsten Lernmethoden.
Allerdings lässt sich auch nicht alles gleich gut im Spiel lernen. Faktenwissen, insbesondere wenn es nur losen oder keinen Bezug zu den spielerischen bzw. ludischen Elementen des Spiels hat, kann weniger gut im Spiel vermittelt werden. Die Stärken des Mediums für Bil-dungszwecke liegen unter anderem im Bereich visueller oder räumlicher Darstellungen, des Veranschaulichens von (auch komplexen) Sachverhalten, der Vermittlung von Narrativen, dem Nachvollziehen von Ereignissen und Entscheidungen durch interaktives Nacherleben und dem kreativen Ausprobieren.(1)
Die passenden Bildungsinhalte, gepaart mit einem he-rausfordernden und belohnenden sowie auf das Alter der Zielgruppe angepassten Spielprinzip, sind daher Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung von Game-based-Learning-Konzepten.
Game-based Learning (GbL) – Lernen durch Spielen – greift die intuitive Weise der Welterschließung durch das Spielen auf und macht sie für Jugendliche und Erwachsene (wieder) erfahrbar. Dabei orientieren sich die spielerischen Zugänge an der Lebenswirklichkeit und den Anliegen der Teilnehmenden. Das unterstützt diese darin, sich kritisch mit gesellschaftspolitischen Themen auseinanderzusetzen, sich ihrer Verantwortung für das politische Gemeinwesen bewusst zu werden und eigenständige Urteile bilden zu können. GbL generiert Wissen, auf dessen Basis eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Vorgängen möglich wird. Die Teilnehmenden erleben, dass Demokratie eine gestaltbare Gesellschafts-, Herrschafts- und Lebensform ist, deren Gelingen auch von der Qualität von Kommunikationsprozessen abhängt. Daneben zeigt das Spiel auch die Notwendigkeit und die Wertigkeit gemeinsamer Verbindlichkeiten und Regeln auf, da gemeinsames Spiel nur dann gelingt, wenn alle die Regeln kennen, sie befolgen oder auch mal versuchen, sie kreativ auszuhebeln.
In der politischen Bildung sind Plan- und Rollenspiele seit Langem Teil des Methodenrepertoires. Etwas neuer ist der Einsatz von Video- und Liverollenspielen, Handy-Apps und Escape Games. In Liverollenspielen stellen die Teilnehmenden Charaktere dar, die sich selbst passend zu einem vorgege-benen Setting ausgesucht haben. Für ihre Rolle gibt es keine Anleitung. Die einzige Bedingung ist, dass sie mit den anderen Spielenden interagieren und ihren Charakter authentisch ausfüllen – und so ein Spiel entwickeln, das Spaß macht. Die Stärke dieses Ansatzes liegt darin, dass die Spielenden selbst entscheiden, wie sie sich verhalten und ob sie das Spiel nutzen wollen, um etwas anderes auszuprobieren, was sie im normalen Leben eher nicht machen würden.(2)
Über Videospiele kann man darüber hinaus insbesondere Jugendliche auch dazu befähigen, besser über ihre Wünsche und Bedarfe zu sprechen. In einer frei gestalt-baren Welt entwickeln sie ihren kreativen Ausdruck. Diese in „ihren“ Spielen entstandenen Ergebnisse können sie politisch Verantwortlichen viel einfacher als eine textbasierte Pinnwand vorstellen.(3)
Handy-Apps wie Actionbound ermöglichen es unter anderem, digitale Informationen mit realen Räumen zu verbinden. Escape Games sind extrem stimulierend für Gruppen, weil sie trotz ihrer Komplexität auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind. Die Gruppe kann in der Regel nur gemeinsam gewinnen oder verlieren. Die Rätsel des Escape Games können mit einem entsprechenden Thema verwoben sein und zum Beispiel Faktenwissen vermitteln oder Entscheidungs-Situationen erzeugen, die das Vertreten einer Meinung oder einen Abstimmungsprozess erfordern.(4)
Die im Spiel gemachten Erfahrungen werden im GbL durch Reflexionen auf die eigene Lebenswelt und auf größere politische Zusammenhänge übertragen. In der Auswertung des Spiels setzen sich die Teilnehmenden mit dem Potential von demokratischen Aushandlungs- und Mitbestimmungsprozessen auseinander. So wird aus dem Spiel politische Bildung.
Deutlich wird an den Beispielen, dass es nicht primär um kognitives, sondern um erfahrungsgesättigtes Lernen geht. Anschließend an aktuelle Lernstudien gehen wir davon aus, dass dieses Lernen intensiver und nachhaltiger ist, weil es mit Emotionen und mit persönlichen Entscheidungen und Erfahrungen verbunden ist.
Außerdem ermöglicht GbL Zugänge zu neuen Teilnehmendengruppen. Politische Bildung wird dadurch an die Welt der Gamer*innen anschlussfähig. In der Jugendbildung zeigt sich, dass wir dadurch diversere Zielgruppen ansprechen können.
GbL ermöglicht es darüber hinaus, die Teilnehmenden aus ihrem alltäglichen Kontext und/oder bei bestehenden Gruppen auch aus den Gruppenrollen „herauszulösen“. Das erleichtert den eigentlichen Bildungsprozess und erhöht den Lernerfolg, verbunden mit jeder Menge Spaß, wodurch die Hemmschwellen gegenüber dem Spielen oder der Skepsis, erneut „lernen zu müssen“, sinken. GbL ist anwendbar in außerschulischen Kontexten, kann aber auch in Schule übertragen werden.
Teilnehmendenorientierung gehört unserer Auffassung nach zur qualitativen, qualitätsvollen Gestaltung von Bildungsprozessen. GbL unterstützt diese sehr hilfreich.
Je nach Spiel und Methode ermöglicht GbL das Annehmen einer völlig neuen Rolle, Einblicke in unbekannte gesellschaftliche Verantwortlichkeiten, Handlungsfelder oder Prozesse. Jede Umsetzung wird anders verlaufen, kein Spiel nimmt den gleichen Verlauf wie das vorhergehende, sondern GbL ist gestaltbar und immer dialogisch. Selbst das gewohnte räumliche Umfeld kann verändert und in eine ganz andere Situation übertragen werden.
In einem Workshop hat das Regionalteam Ost der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspo-litische Jugendbildung (et) deshalb im März 2020 Expert*innen des GbL eingeladen, eine Handreichung mit Hintergründen und Praxisbeispielen zu erstellen. Dazu wurden Methoden zusammengetragen, die sie selbst im Bildungskontext umgesetzt und weiterentwickelt haben. Mit Drama Games, Liverollenspiel, Escape Games, Actionbound, Minecraft/Minetest und Virtual Reality werden gut erprobte Spielformate für die politische Bildung sowie (digitale) Tools vorgestellt und mit Beispielen veranschaulicht. Detaillierte Schilderungen sollen die Adaption in andere Bildungsprozesse ermöglichen. Ausführlich wird sich in der Handreichung auch den Reflexionsprozessen gewidmet. Es werden Ideen vorgestellt, wie ein zu großer Bruch zwischen einer oft sehr sprachorientierten, kognitiven Auswertung und dem Spiel davor vermieden werden können.(5)
Mit unserer politischen Bildungsarbeit erreichen wir junge Menschen und Erwachsene in vielen Regionen Deutschlands und Teilnehmende aus verschiedenen Bil-dungsmilieus. Dabei haben wir immer wieder ähnliche Beobachtungen gemacht: Spielen hat unsere Optionen als Moderator*innen und Initiator*innen von Bildungs-prozessen deutlich erweitert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Bildungsprozesse gelingen, hat sich dadurch erhöht. Außerdem merken wir, dass es zahlreichen Bildungsakteur*innen nicht leichtfällt, neuere Spiel-methoden in die eigene Bildungsarbeit zu integrieren oder diese gar als Bestandteil von Bildungsprozessen zu akzeptieren. Deshalb halten wir es für umso wichtiger, unsere Erfahrungen zu teilen
1. Vgl. Hawlitschek, Anja (2013): Spielend lernen. Didaktisches Design digitaler Lernspiele zwischen Spielmotivation und Cognitive Load. Berlin.
2. Vgl. Grooten, Jan; Schreiter, Annika; Thiel, Tobias (2019): Abenteuer in Tiamast. Liverollenspiel in der politischen Bildung. In: Jantschek, Ole; Lorenzen, Hanna (Hrsg.): UTOPIEN! Praxiskonzepte für eine kritische, innovative und zukunftsfähige politische Jugendbildung. Jahrbuch 2019. Ev. Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Berlin, S. 40–45.
3. Eine Sammlung von Beispielen und Artikeln zur politischen Jugend-bildung mit Minecraft und Minetest findet man auf den Seiten der Jungen Akademie Wittenberg: www.j-a-w.de/minecraft, Zugriff: 9.10.2020.
4. Ein Beispiel eines Escape Rooms in der politischen Bildung wurde hier dokumentiert: Gramoll, Annika; Jantschek, Ole; Witza, Jan (2019): „General Solutions“ – politische Bildung mit einem Escape Game zur digitalen Zukunft. In: Jantschek, Ole; Lorenzen, Hanna (Hrsg.): UTOPIEN! Praxiskonzepte für eine kritische, innovative und zukunftsfähige politische Jugendbildung. Jahrbuch 2019. Ev. Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Berlin, S. 26–33.
5. Download und weitere Infos hier: https://www.politische-jugendbildung-et.de/projekt/game-based-learning.