Diskurs

Die Johannespassion und christlich motivierte Judenfeindschaft

Gedanken am Karfreitag

Jahrhundertelang mussten Jüdinnen und Juden gerade am Karfreitag mit Anfeindungen und Pogromen rechnen und diese erleiden. Das ist beschämend und nicht vereinbar mit dem heute erreichten Verhältnis der Kirche zum Judentum.

Wenn heute z.B. die Passionsmusik von Johann Sebastian Bach nach dem Johannesevangelium aufgeführt wird, sollten die Verantwortlichen, Aufführenden sowie Besucherinnen und Besucher sensibel im Umgang mit dem Erbe christlich motivierter Judenfeindschaft sein. Sie tragen Verantwortung dafür, dass sich judenfeindliche Motive nicht weitertransportieren werden.

Wir müssen anerkennen, dass die Johannespassion mit ihrem Bild „der Juden“ als herabwürdigend und verletzend erfahren werden kann. Zu den wirkmächtigsten antijüdischen Motiven zählt der Vorwurf an die Juden, Gottesmörder zu sein. Die Verantwortung für das Todesurteil wird im Johannesevangelium pauschal „den Juden“ zugewiesen. Pilatus, der eigentlich Verantwortliche, wird zum gutmütigen Philosophen, der seine Hände in Unschuld wäscht, während die Hohenpriester und das Volk als blutrünstige Menge erscheinen. Das Motiv des Verrats ist ebenfalls sehr wirkmächtig. So wird Judas sprichwörtlich zum Synonym für einen Verräter. Während im Markusevangelium potenziell alle Jünger als Verräter gelten können und Judas immer als „einer von den Zwölfen“ gekennzeichnet wird, identifiziert Jesus im Johannesevangelium den Verräter eindeutig und verteufelt ihn („Und als er den Bissen nahm, fuhr der Teufel in ihn.“ Joh 13,27).

Erklären lassen sich die antijüdischen Motive in der johanneischen Passionserzählung aus den Konflikten zwischen den Jesusanhängern und der offiziellen jüdischen Religion. Völlig absurd erscheinen diese allerdings, wenn man bedenkt, dass Jesus von den römischen Machthabern verurteilt und hingerichtet wurde. Auch hätte die zentrale theologische Deutung seines qualvollen Todes als Konsequenz seiner Sendung in die Welt keinerlei judenfeindliche Motive nötig.

Bachs geniale Art, uns mit allen Emotionen in die Passion Jesu hinein zu ziehen, verstärkt die antijüdischen Züge der Passionserzählung. Es liegt aber an uns, die Energie der Ablehnung und Verspottung nicht unkritisch auf „die Juden“ zu projizieren. Wo in Bachs Passion mit der Stimme des Chores eine Volksmasse in Bewegung kommt, kann man heute die Warnung vor der Manipulierbarkeit der Massen hören und so mit der Passionsandacht die eigene Frömmigkeit in der Nachfolge Jesu auf heutige gesellschaftliche Phänomene ausrichten.

(Dieser Text entstand im Zusammenhang mit der Aufführung der Johannespassion am Karfreitag 2023 in der Stadtkirche in Lutherstadt Wittenberg. Vorangegangen war der Informationsabend „Johannes, Bach und die Juden“ mit Werkeinführung und einem besonderen Fokus auf judenfeindlichen Motiven im Johannesevangelium.

Christoph Maier

Akademiedirektor und Studienleiter für Theologie und Politik
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