Diskurs

Abendseminar für Stadtführer

Schmährelief und Judentum im Spiegel der Lutherschriften

Seit etwa 1290 befindet sich eine judenfeindliche Schmähplastik an der Wittenberger Stadtkirche. Der richtige Umgang mit ihr beschäftigt nicht nur Gerichte und Medien, sondern ist auch Thema bei Stadtführungen durch die Lutherstadt. Aber welche Geschichte kann vor Ort erzählt werden? Und wie reagieren Touristinnen und Touristen darauf? Um diese und noch weitere Fragen zu vertiefen, lud die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt am 09.12.2022 zu einem Seminar für Stadtführerinnen und Stadtführer. Das Thema: Lokale Erinnerung – Schmährelief und Judentum im Spiegel der Lutherschriften. Gemeinsam setzten wir uns mit der Geschichte des christlichen Antijudaismus auseinander und gingen der Frage nach, warum Martin Luther, der zu Beginn der Reformation noch für einen gewaltfreien Umgang mit Jüdinnen und Juden plädiert hatte, das Judentum schließlich zum zentralen Feindbild erklärte.

Im Mittelpunkt des Seminars stand die Auseinandersetzung mit drei Schriften Martin Luthers: Dass Jesus ein geborener Jude sei (1523), Von den Juden und ihren Lügen (1543) und Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi (1543). Im Gegensatz zu seinen späten Schriften, wandte sich Luther 1523 noch gegen die gewaltsame Missionierung von Jüdinnen und Juden. Judenfeindliche Mythen wie die Ritualmordlegende wies er explizit zurück, ebenso wie die Zuschreibung des Wuchers oder der Hostienschändung. Später dann erfolgte beim Reformator jedoch ein fundamentaler Richtungswandel. 1543 entwarf er ein regelrechtes Programm zur Ächtung von Jüdinnen und Juden. In diesem Zuge nahm er auch Bezug auf das Schmährelief an der Stadtkirche, um das Judentum öffentlich herabzuwürdigen.

Wie vermitteln wir diese Perspektive an einem der zentralen Orte der Reformation? Zunächst gilt es festzuhalten: Die judenfeindliche Schmähplastik ist schon jetzt fester Teil der Stadtführungen. Stadtführerinnen und Stadtführer übernehmen derzeit den Großteil der unmittelbaren Wissensvermittlung vor Ort. Sie leisten viel, müssen ob der begrenzten Zeit von Stadtführungen aber auch notwendigerweise Wissen komprimieren und zusammenfassen. Drei wichtige Aspekte sollten bei einer Begehung des Reliefs nicht zu kurz kommen: Die Geschichte des antijüdischen Bildwerks, die Rezeption durch Luther in seinen judenfeindlichen Spätschriften sowie die Diskussionen und Bemühungen um eine angemessene Kontextualisierung seit den 1980er Jahren.

Erarbeitet und durchgeführt wurde das Abendseminar von der Projektstelle „sus et iudaei“ an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Kooperation mit der Fachstelle für Politische Bildung und Entschwörung der Amadeu Antonio Stiftung. Wir danken der Fachstelle herzlich für ihre Unterstützung.

Vincent Kleinbub

Mitarbeiter im Projekt „Bildspuren“ (2022 bis 2023)
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