Diskurs

5.000 Anregungen zum Erdüberlastungstag

Predigt zu Joh 6,1-15 gehalten am 31. Juli 2022 in der Schlosskirche, Lutherstadt Wittenberg.

Liebe Gemeinde,

diese Geschichte erzählt sich doch normalerweise so: Da ist dieser eine, unbedarft Junge. Mit fast nichts kommt er zu Jesus. Fünf Gerstenbrote und zwei Fische vertraut er Jesu an. Durch diese Freigiebigkeit werden, aus Jesu Hände, wundersamer Weise 5.000 satt. Also, liebe Gemeinde: wenn wir alle teilen, was wir haben, dann reicht es doch für alle! Bring dich ein! Teile was du hast! Auch wenn es dir ärmlich vorkommt, Gott kann mit kleinen Gaben großes bewirken.

So könnte man die Aussage zusammenfassen und in diesem Sinn habe ich schon viele Auslegungen gehört und auch schon selbst Predigten gehalten. Jesus steht hier für eine andere Verteilungsgerechtigkeit für eine andere Effizienz. Jesus nimmt den Menschen ihre Angst und Zurückhaltung und verwandelt sie in Freigiebigkeit und Fülle. Wahrhaftig, ein Wunder. Aus Mangel wird so Überfluss.

Auch wenn wir in den westlichen Industrienationen heute eher das Problem von sinnlosem Überfluss haben, Hunger ist nach wie vor ein ernstes Problem auf dieser Welt. Eine bessere Verteilungsgerechtigkeit könnte noch viel mehr Menschen satt machen. Wenn jetzt für erst einmal 120 Tage endlich Getreide über das Schwarze Meer ausgeführt werden soll, ist das ein dringend benötigter Schritt, um Hunger nicht als geostrategische Waffe einzusetzen, um nicht mit Mangel Angst und Unsicherheit zu schüren. Wir sind also im Moment weit davon entfernt, dass bei segensreicheren Verteilmechanismen alle satt würden. Statt Verteilungsgerechtigkeit und Effizienz liegt Angst und Unsicherheit über der Welt.

Und Jesus hob seine Augen auf und fragt die Jünger um sie zu prüfen: „Wo kaufen wir Brot, um all diese Menschen satt zu bekommen?“ Fünf Gerstenbrote und zwei Fische und aus Jesu Hände werden wundersamer Weise alle satt.

Wenn es doch nur um Verteilung und mehr Gerechtigkeit ging! Doch das Problem liegt heute noch tiefer. Am vergangenen Donnerstag, am 28. Juli war der Erdüberlastungstag 2022. Seit letzten Donnerstag sind die Ressourcen der Erde aufgebraucht. Ab jetzt leben wir auf Pump. Was wir uns jetzt nehmen, kann die Erde auf natürliche Weise nicht regenerieren. Unser ökologischer Fußabdruck ist als Weltgesellschaft so groß, dass wir eigentlich mehr als 1,7 Erden benötigen würde, um uns unseren Lebensstil wirklich leisten zu können.

Es geht also nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit, um Effizienz wir brauchen eine Ethik des genug, weniger Verbrauch, mit dem Fachbegriff: wir brauchen Suffizienz statt Effizienz. Aus Überfluss und Sorglosigkeit sollte mehr Zurückhaltung und Genügsamkeit werden.

„Wo kaufen wir Brot, um all diese Menschen satt zu bekommen?“ Fünf Gerstenbrote und zwei Fische – mehr gibt es halt nicht. Es gibt nur diese eine Erde. „Wo kaufen wir das Brot, dass den Hunger nach Überfluss stillt?“

Wir nehmen uns dann schon erst mal vier Brote von den Fünfen und von den zwei Fischen, würden wir den anderen erst mal nichts übriglassen. Laut Umweltbundesamt hatte Deutschland seinen Erdüberlastungstag bereits am 4. Mai erreicht. (https://www.umweltbundesamt.de/themen/erdueberlastungstag-ressourcen-fuer-2022-verbraucht)

Spricht Philippus zu ihm: „Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme.“

  • Wussten Sie, dass die Nutzung von Carsharing, statt dem eigenen Auto den Erdüberlastungstag drei Tage nach hinten verschieben könnte.
  • Fünf würde es bringen, wenn wir unsere Kleidung länger auftragen würden.
  • Sieben Tage, wenn wir 50% weniger Fleisch konsumieren.
  • Dreizehn Tage, wenn wir Lebensmittel nicht im großen Stil wegwerfen, wie das derzeit der Fall ist.
  • 42 Tage soll das Potenzial sein, wenn viele Länder dem Beispiel des Green-New-Deal der Europäischen Union folgen würden.

https://www.overshootday.org/power-of-possibility/ oder https://www.wwf.de/earth-overshoot-day#:~:text=Der%20Earth%20Overshoot%20Day%20markiert,er%20auf%20den%2028.%20Juli.

Ein Anfang, liegt in unserem Tun. Ein Anfang besteht darin, vor der schieren Menge, den 5.000 unlösbaren Herausforderungen, nicht mutlos stehen zu bleiben, sondern das wenige, das wir tun können, einfach tun. Fünf Tage für nachhaltigere Kleidung und zwei für mehr Fahrradfahren und dann schauen, was daraus wächst.

Aber, und hier schau ich noch einmal in die Bibel, aber das Johannesevangelium führt uns noch einen Schritt tiefer in das Wunder hinein. Unser Tun ist erst der Anfang. In den anderen drei Evangelien werden die Jünger Jesu, also seine Nachfolger, als aktiv handelnde dargestellt. Sie teilen die Brote aus, lassen die Menschen sich lagern, und sammeln die Reste wieder ein. Das Johannesevangelium deutet all das nur an. Handeln wird in dieser Version der Speisungsgeschichte nur Jesus.

Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. Als sie aber satt waren …

Keine Aufforderung an die Jünger: gebt ihr ihnen zu essen. Keine Anweisungen die Menschen in Tischgruppen einzuteilen. Keine Erzählung, dass Jesus nach dem Dankgebet das Brot an die Jünger gibt, damit sie es verteilten. Johannes fokussiert ganz auf das Handeln Jesu: Und Jesus nahm das Brot, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten. Da klingt auch schon für die damaligen Hörerinnen und Hörer die Abendmahlsliturgie an.

Wenige Verse weiter wird Jesus sagen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. (Joh 6, 35)

Es braucht noch eine andere Speise, ein anderes Brot, um Menschen satt zu bekommen. Unsere Art zu leben, unsere unglaubliche Ressourcenvernichtung, zeugt von einer anderen Art des Hungers, ein ungestillter Hunger nach Erfolg, nach Wachstum, nach Vermehrung von Möglichkeiten und Wohlstand nach gelingendem erfülltem Leben. Und doch macht uns all das, was wir in ungeheurer Geschwindigkeit produzieren, Informationen und Güter, nicht satt. Stattdessen führt es uns in eine Spirale der Beschleunigung, an deren Ende eine große Erschöpfung steht, die sich immer deutlicher abzeichnet.

„Wo kaufen wir nur das Brot, um all diese Menschen satt zu bekommen?“

63 Tage bringt die Anhebung der CO2-Abgabe von derzeit 25,-€ auf ca. 95,- €. Was aber passiert, wenn Energie zu teuer wird, das Wachstum mit Mitteln des Marktes gebremst wird? Wir werden das vielleicht schon diesen Winter erleben. Soziale Verteilungsgerechtigkeit und Suffizienz – also Verzicht, ein echtes Weniger – wird gut auszutarieren sein, wenn die Energie teurer wird und unser Hunger nach Energie nicht mehr befriedigt wird. Schon befürchten manche Regierungsvertreter „Volksaufstände“. Brot und Spiele, das weiß man seitdem alten Rom, Brot und Spiele braucht das Volk, um friedlich regiert werden zu können. Die Protestbewegungen, die sich in den letzten zwei Jahren gebildet haben, laufen sich schon jetzt warm um Angst und Unzufriedenheit zu schüren.

„Wo kaufen wir nur das Brot, um all diese Menschen satt zu bekommen?“

Jesus sagt: „Ich bin das Brot“

Nahrung für die Seele, nimm und iss: Christus für dich. Was ist das für ein Brot? Was macht Menschen satt. Geistige Energie tanken, den Hunger der Seele spüren lernen.

Die Seele braucht Halt, bei all den Herausforderungen unsere Zeit. Komm und iss – Christus für dich.
Die Seele baucht Trost, bei all der Überforderung und den 5.000 Dingen, die ich gleichzeitig tun sollte. Komm und iss – Christus für dich.
Die Seele braucht Rückbindung, bei all der Verantwortung, die auf meinem ganz individuellen Tun lastet. Komm und iss – Christus für dich.
Die Seele braucht jemanden, der sie liebevoll anblickt und sagt: Ich kenn dich, du gehörst zu mir. Jesus sagt: ich bin das Brot des Lebens: nimm und iss! Christus für dich.

Amen

Christoph Maier

Akademiedirektor und Studienleiter für Theologie und Politik
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