Diskurs

Träume für den Frieden

Predigt zum Abschlussgottesdienst der Konferenz „Friedenswege 2025 – Kirche zwischen Welt- und Staatsverantwortung“

(UN-)Weltfriedenstag, 21. September 2025
Schlosskirche, Lutherstadt Wittenberg
Predigttext: Genesis 28:10–19a
Pastor Dr. Kenneth Mtata (Programmdirektor Department Leben, Gerechtigkeit und Frieden, Ökumenischer Rat der Kirchen, Genf)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Schwestern und Brüder,

wir haben uns heute hier in der Schlosskirche zu Wittenberg versammelt, an der Geburtsstätte der Reformation. Hier entdeckte die Kirche vor 500 Jahre das Evangelium neu als Gute Nachricht für das verängstigte Gewissen und die Wahrheit, dass Frieden mit Gott allein aus Gnade kommt. Versöhnung wurde proklamiert nicht als menschliche Errungenschaft, sondern als Gottes Einladung: Gnade für die, die sie nicht verdienen, empfangen im Glauben.

Wie gut passt es da, dass wir unsere Friedenskonferenz hier abschließen, an diesem Weltfriedenstag der Vereinten Nationen, einem Tag, der die Ideale des Friedens stärken soll. Was für einen besseren Ort, was für einen besseren Tag könnte es geben, um wieder zu träumen von Gottes Verheißung des Friedens für Einzelne, Gruppen und Völker?

Jakobs ruhelose Nacht

Unser Text aus dem Buch Genesis stellt uns Jakob als einen Menschen auf der Flucht vor. Er hat seinen Vater belogen und seinen Bruder Esau betrogen und ist nun auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft. Er trägt die Last des Betruges, der hinter ihm liegt, und er wird selbst betrogen werden im Haus Labans. Und genau hier an diesem Ort – zwischen Schuld und Angst, Betrug und Unsicherheit – begegnet ihm Gott.

Jakob, der erschöpft war, legte seinen Kopf auf einen Stein. Er träumte von einer Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reichte und auf der Engel hinauf- und herabstiegen. Und ganz oben sprach der Herr: „Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.“

Als Jakob aufwacht, erklärt er erstaunt: „Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht. Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.“ Er markiert die Stätte mit seinem Stein, salbt ihn und nennt sie Bethel – Haus Gottes.

Auf den ersten Blick empört uns diese Geschichte. Warum sollte ein Betrüger, ein Trickser, eine solche Vision der Gnade erleben? Sollte Gott nicht lieber den Gerechten erscheinen als denen, die es nicht verdienen?

Aber Luther erinnert uns, als er diesen Text kommentiert: Jakobs Vision war keine Belohnung für seinen Betrug, sondern eine Offenbarung von Gottes Gnade. Die Leiter weist auf Jesus Christus hin – die Verbindung zwischen Himmel und Erde – und zeigt, dass Gottes Verheißung nicht zu uns kommt, wenn wir gut sind, sondern weil Gott treu ist.

Das ist das Evangelium: Gott begegnet uns in der Nacht unserer Angst, in zerbrochenen Beziehungen, in verlorenem Vertrauen. Der Friede wartet nicht auf die Vollkommenheit. Er bricht herein als Geschenk.

Gnade oder billige Gnade?

Hier müssen wir innehalten und fragen: Ist es wirklich möglich, im Kontext von Betrug und betrügerischer Politik von Gnade oder Erbarmen zu sprechen? Ist es nicht billige Gnade, von Vergebung und Versöhnung zu sprechen angesichts von Krieg und eklatanter Missachtung des Völkerrechts? Bonhoeffer warnte genau vor dieser Gefahr. Billige Gnade ist Vergebung ohne Reue, Versöhnung ohne Wahrheit, Friede ohne Gerechtigkeit.

Und genau deshalb geht uns Jakobs Geschichte etwas an. Gottes Erbarmen in Bethel radiert Jakobs Betrug nicht aus. Gnade hebt nicht die Verantwortung auf. Jakob wird Esau noch entgegentreten müssen. Er wird eine Nacht hindurch ringen, sogar verletzt werden und hinkend zur Versöhnung erscheinen. Ja, die Gnade begegnet ihm in dieser Nacht, aber diese Gnade bringt ihn auf einen schmerzlichen Weg der Wahrheit, des Schuldeingeständnisses, der Bitte um Vergebung, des Angebots von Wiedergutmachung und des Versprechens einer erneuerten Beziehung.

Das ist auch in unserer Welt so. Gnade im Kontext von Krieg und Ungerechtigkeit bedeutet nicht, Rechtsverletzungen zu entschuldigen oder die Schreie der Opfer zu vergessen. Sie bedeutet nicht, die Augen vor Unterdrückung zu verschließen. Gnade ist keine Erlaubnis für die Starken, die Schwachen mit Füßen zu treten. Sondern sie ist Gottes unbeirrbare Weigerung, uns fallen zu lassen – selbst in Phasen der Lüge und der Gewalt. Die Gnade öffnet uns für Möglichkeiten, eine andere Zukunft zu gestalten. Aber sie fordert Buße, Wahrheit und Wiedergutmachung.

Wenn wir Versöhnung verkünden, muss es Versöhnung mit Gerechtigkeit sein. Wenn wir Vergebung aussprechen, muss es Vergebung sein, die verändert und nicht vergisst. Wenn wir vom Frieden träumen, muss es ein Friede sein, der in der Wahrheit verankert ist.

Albträume unserer Welt

Und heute, liebe Freundinnen und Freunde, leben wir auch inmitten von tiefer Unrast. Kriege toben ohne Ende. Wir sind Zeugen der Verwüstungen in der Ukraine, des Blutvergießens im Sudan und im Südsudan, der Gewalt im Ostkongo, der völkermörderischen Zerstörung in Gaza und vieler anderer Konflikte in der Welt, über die gar nicht berichtet wird. Warum brennen diese Feuer gewaltförmiger Konflikte immer weiter? Oft ist es Betrug, der sie nährt – Lügen, die Misstrauen säen, Versprechen, die nie gehalten werden, Recht, das nicht für alle gleich angewendet wird, und Ressourcen, die nicht gerecht geteilt werden.

In der Ukraine wird ein Aggressionskrieg mit verdrehter Geschichte gerechtfertigt, geleugneter Identität und immer wieder zynischer Täuschung. Im Sudan brachen rivalisierende Führer ihre Versprechen, den Menschen zu dienen, und wählten Macht und Profit anstelle von Frieden. In dem endlosen israelisch-palästinensischen Konflikt haben ganze Generationen von gebrochenen Vereinbarungen Verzweiflung anstelle von Vertrauen hinterlassen. Manchmal werden Verhandlungspartner zu Gesprächen eingeladen und es ist eine Falle, um sie zu töten. Im Kongo vollzieht sich das immense Leiden weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, die den Konflikt als eine Gelegenheit betrachtet, seine natürlichen Ressourcen zu plündern.

Betrug ist die Triebkraft des Krieges in unseren Zeiten. Zweierlei Maß bei der Anwendung des internationalen Rechts befeuern diese Atmosphäre des Misstrauens. Manche werden hart bestraft für Rechtsverletzungen, andere werden aus politischen Rücksichten entschuldigt. Internationale Gerichte werden in einem Fall freudig begrüßt, in einem anderen übergangen. Die Botschaft ist klar: die Gerechtigkeit muss sich der Macht unterordnen.

Solche Kämpfe gibt es nicht nur draußen in der Sphäre der Politik und der Öffentlichkeit. Sie werden auch in unseren polarisierten Gesellschaften geführt, wo Desinformation die Völker polarisiert. Konflikte toben in Familien, die von Betrug und Schweigen zerrissen sind. Konflikte toben auch in unseren eigenen Herzen, wo Ängste, Sorgen und Unzufriedenheit das Ergebnis eines Bombardements mit vielen Postings in den sozialen Medien sind.

Das, liebe Freundinnen und Freunde, ist die Anatomie unserer gegenwärtigen Zwietracht.

Vom Frieden träumen

Aber unser Text lädt uns dazu ein, den Frieden zu träumen, Schalom oder umfassende Harmonie. Vom Frieden zu träumen heißt nicht, vor der Realität zu fliehen. Es bedeutet, den Betrug mit der Wahrheit zu konfrontieren. Das Misstrauen zu heilen, indem man Versprechen hält. Darauf zu bestehen, dass jedes Leben mit gleicher Würde ausgestattet ist. Zu fordern, dass Regeln konsequent eingehalten werden – nicht als Waffen für die Mächtigen, sondern als Schutz für die Verletzlichen.

Das mag utopisch klingen oder sogar naiv. Und dennoch, geht es beim Glauben nicht genau darum? Vor fünfhundert Jahren, als Luther hier stand mit der Gewissheit des Evangeliums gegen Falschheit und Verzerrung, schien es auch unmöglich, dass die Erneuerung Erfolg haben könnte. Aber ausgerüstet mit Gottes Verheißung, zog ein neuer Morgen herauf. Das Feuer der Erneuerung wurde wieder entfacht, neue Gemeinden und eine neue Zukunft wurden geboren.

Unsere Aufgabe

Was ist also unser Auftrag, wenn wir diese Friedenskonferenz verlassen? Es ist eine Einladung, Menschen zu werden, die von einem Frieden in Gerechtigkeit träumen. Unsere Aufgabe ist es, unsere Steine und unsere Orte der Verzweiflung zu verwandeln in Orte von Gottes Frieden, in Gottes Haus. Wo wir sind, können wir unsere Leitern ausfahren oder aufstellen, die den Graben zwischen uns und den anderen überbrücken. Wir sind dazu berufen, Leitern der Versöhnung zu bauen, wo Spaltung herrscht. Wir sind eingeladen, das heilende Öl auszugießen, wo schmerzhafte Wunden eitern. Gott ist der letztendliche Urheber von wahrer und dauerhafter Versöhnung. Wir sind dazu eingeladen, mit Gott mitzumachen bei dieser Agenda von Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung. Die Reformation hat uns gelehrt, dass die Kirche nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern um eine Wahrheit zu verkünden, die frei macht. Jakobs Traum offenbart uns, dass Gottes Verheißung nicht im Himmel bleibt, sondern in unsere Welt herabsteigt. Christus lädt uns ein zu diesem Frieden, der nicht die bloße Abwesenheit von Konflikt ist, sondern uns hineinführt in seine Gegenwart von Gerechtigkeit, Vergebung und Wahrheit. Liebe Freundinnen und Freunde, mögen wir von Wittenberg fortgehen als rastlose Träumende für den Frieden. Mögen wir Steine tragen – nicht um damit zu verletzen, sondern um sie als Säulen und Denkmäler der Hoffnung aufzurichten. Mögen wir so leben, dass andere sagen können: „Fürwahr, der Herr ist an diesem Ort.“ Und möge der Friede Gottes, der all unser Verstehen übersteigt, unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.

Christoph Maier

Akademiedirektor und Studienleiter für Theologie und Politik
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