Diskurs

„Dem Volk aufs Maul schauen – aber nicht nach dem Mund reden.“

Kanzelrede am 1. Mai 2022
Dr. Wolfgang Schäuble vor dem Altar der Stadtkirche in Lutherstadt Wittenberg

Kanzelrede von Dr. Wolfgang Schäuble

Am 1. Mai 2022 war Dr. Wolfgang Schäuble in der Reihe der Wittenberger Kanzelreden zu Gast an der ehemaligen Wirkungsstätte Martin Luthers. So hörte man dann auch – wie es dieser Ort erwarten lässt – aus dem Mund des langjährigen Bundestagspräsidenten sehr grundsätzlichen Wort zum Zustand der repräsentativen Demokratie in unseren Tagen. Immer wieder ordnet Schäuble seine Wahrnehmungen in dieser lesenswerten Rede philosophisch ein und kommt dabei von Aristoteles bis zu Karl Popper.

Seinen Ausgangspunkt nimmt Schäuble bei der Spannung von Individuum und Zugehörigkeit und dem Problem, das sich heute daraus für die repräsentative Demokratie ergibt, die die „Bereitschaft jedes Einzelnen erfordert, auch Entscheidungen zu akzeptieren, die der eigenen Überzeugung nicht entsprechen“.

Schäuble betont die gestiegenen Erwartungen durch die Kommunikationsformen des Internet an öffentlichen Diskursen und Entscheidungsfindungen partizipieren zu können und diagnostiziert zugleich mit Jürgen Habermaß den „Verlust an Kraft, einen Fokus zu bilden.“ So beschreibt Schäuble die Krise der westlichen Demokratie als „Verlust an Vertrauen in die Bündelungsfunktion oder Fokusbildung von Öffentlichkeit, Parteien und Parlamenten“.

Als eine Gegenmaßnahme schlägt er vor mit der Aufmerksamkeitsökonomie der öffentlichen Rede nach dem Knappheitsgesetzt zu verfahren, das Schäuble aus seinen Tagen als Bundesfinanzminister in seiner Wirkung gut kennt.

„Dem Volk aufs Maul schauen, meint zu verstehen, was das Volk empfindet, und in einer Weise, die Verständnis beim Volk findet, für die für notwendig gehaltene Richtung zu überzeugen. Nicht nach dem Mund reden, weil daraus ein Fokus im Habermaschen Sinne, eine Reduzierung der unendlichen Vielfalt, nicht entsteht. Das Wünschenswerte mit dem Machbaren zusammenbringen – Knappheitsgesetz. „Begreifst Du aber, wieviel andächtig schwärmen leichter als gut handeln ist“, will Nathan der Weise seine Tochter lehren.“

Die ganze Kanzelrede lesen Sie hier:

Christoph Maier

Akademiedirektor und Studienleiter für Theologie und Politik
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