Liebe Leserinnen und Leser,
zunächst bitte ich Sie um Entschuldigung. Diese Ausgabe folgt sehr kurz auf die Vorige. Davor gab es eine lange Lücke. Grund ist (neben den üblichen krankheitsbedingten und technischen Verzögerungen) die große Zahl von Anfragen und Projekten, die erfreulicherweise bearbeitet werden wollen. Neben aktuellen Fragen, wie z. B. einen neuen Blick auf Landschaftswasserhaushalte und die Rolle von Wiesen, Mooren und Bruchwäldern, gibt es auch vermehrt wissenschaftliche Anfragen zur Geschichte der kirchlichen Umweltarbeit in der DDR und der Zeit danach. An dieser Stelle danke ich Ihnen deshalb noch einmal ganz besonders herzlich für die zahlreichen Zusendungen alter BRIEFE und anderer Dokumente. Das hilft.
Diese BRIEFE Ausgabe hat ihren Schwerpunkt im kirchlichen Engagement für die Elbe. Kein neues Thema, aber nach wie vor aktuell und drängend. Denn der Fluss steht beispielhaft für die Verluste an Lebensräumen für Mensch und Tier durch ein „Weiter so“ in Wirtschaft, Politik und Verwaltung trotz anderslautender Konzepte und Gesetze.
In der Advents- und Weihnachtszeit wollen wir einander eine Freude bereiten. Mit dem Lese-Tipp von Hans-Joachim Döring, dem neuen Buch von Ulrich Grober „Die Sprache der Zuversicht“ bekommen Sie einen sehr besonderen Vorschlag dafür. Ich habe das Buch bei der Buchhändlerin meines Vertrauens bestellt, 3 Stück ☺.
Gottes Schöpfung ist wunderbar und groß, doch vermissen wir seine Gegenwart an vielen Stellen. Es ist Advent. Macht hoch die Tür. Lassen wir Gott in jeden Winkel der Welt, las️sen wir seinen Frieden und seine Gerechtigkeit ein.
Ihnen wünsche ich eine gesegnete Zeit. Bleiben Sie froh!
Ihre Siegrun Höhne
Geistliches Wort
Verantwortliches Tun im Glauben
von Joachim Liebig
Seit Jahrzehnten befassen sich die deutschen Landeskirchen und Bistümer entlang der Elbe mit dem Schicksal des Flusses. Wenigstens bis Hamburg ist die Elbe einer der wenigen noch freifließenden Flüsse Deutschlands. Völlig berechtigt ist die Auenlandschaft der Mittleren Elbe UNESCO Biosphärenreservat.
Scheinbar unüberwindlich sind die unterschiedlichen Interessen, die der Fluss bedienen soll. Ganzjähriger zuverlässiger Schiffsverkehr gehört ebenso dazu wie der Erhalt der natürlichen Landschaft und die Versorgung der Landwirtschaft mit notwendigem Wasser. Tourismus und Fischerei seien gleichfalls genannt.
In einem sehr aufwendigen Verfahren ist über Jahre in einem Elbegesamtkonzept versucht worden, die unterschiedlichen Interessen zu tarieren und einen vertretbaren Kompromiss zu finden. Die Kirchen haben dabei eine wesentliche Moderationsrolle gespielt. Nicht selten wurden sie dafür kritisiert. Im Kern solle Kirche bei ihren Aufgaben wie Predigt und Seelsorge bleiben und ein durchaus politisches Geschäft anderen überlassen. Dieser Vorwurf ist alt und findet sich bereits im Neuen Testament. Wie sehr ist der Glaube eine öffentliche Sache oder bleibt er intim ganz bei den Glaubenden? Zunächst ist der Glaube eine sehr persönliche Angelegenheit zwischen einem Menschen und Gott. Nirgends ist der Mensch verletzlicher als im Gespräch mit Gott, in dem radikale Offenheit gilt. Das kann nie öffentlich sein oder es wäre eitle Selbstdarstellung. Zugleich aber drängt der Glaube in die Öffentlichkeit und kann sich nicht selbst genug sein. Er wäre sonst eine fromme Selbstbeschäftigung ohne Konsequenzen. Der Tod Jesu am Kreuz ist die entsetzliche Folge seines öffentlichen Auftretens. Ohne das Kreuz wäre unser Glaube belanglos.
Wenn sich also Christeninnen und Christen um die Dinge der Welt kümmern, weil ihr Glaube sie dazu drängt, ist das nicht ungewöhnlich. Im Glauben verantwortetes Tun ist Teil christlicher Ethik.
Gern wird den Kirchen zudem Naivität und Unkenntnis der zentralen, nicht selten wirtschaftlichen, Zusammenhänge vorgeworfen. Wer die bisherigen Symposien zur Elbe verfolgt hat, wird das gewiss nicht mehr sagen.
Indem wir als Christinnen und Christen unser Tun vor Gott verantworten, müssen wir uns freilich auch selbst beschränken. Das Heil der Welt liegt in Jesus Christus begründet. Nicht wir sind für das Heil verantwortlich und treten damit allen Heilszusagen aus anderen Quellen entgegen. Dazu gehört auch die Vermutung, die Natur selbst sei der Ort von dauerhaftem Heil. Sie ist Teil der Schöpfung Gottes wie wir selbst – nicht mehr und nicht weniger. Pflege und Erhalt der Schöpfung sind uns übertragen. Das ist unsere Verantwortung. Darum bleibt die Elbe und ihr Schicksal ein dauerhaftes Thema für uns.
Der Autor ist Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts.
Gentechnik
Keine neuen Gentechnik-Pflanzen durch die Hintertür
AbL bewertet brisante Pläne der EU-Kommission
Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) vom 25.8.2022
Im Herbst 2021 startete die EU-Kommission einen Gesetzgebungsprozess zu neuen Gentechnik-Verfahren. Damit will die Kommission geltendes EU-Recht aufweichen. Bisher gab es nur vage Aussagen dazu. Nun wurden detailliertere Pläne bekannt, die, wenn sie umgesetzt werden, zu einer kompletten Deregulierung bestimmter neuer Gentechnik-Verfahren führen. Diese brisanten Pläne wurden von GMWatch, einer englischen Nichtregierungsorganisation, veröffentlicht. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V. hat diese nun aus bäuerlicher Perspektive analysiert und bewertet.
Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL kommentiert: „Die Pläne der EU-Kommission zur Deregulierung sind absolut unakzeptabel! In den bisher internen Papieren werden Szenarien zur Abschaffung der Risikobewertung, der Rückverfolgbarkeit, der Transparenz sowie der Kennzeichnungs- und Nachweispflicht dargestellt. Setzt sich die Kommission mit diesen Plänen durch, wäre das Gentechnik durch die Hintertür. Denn neue Gentechnik-Pflanzen wären nicht mehr erkennbar und sie kämen ungeprüft und unreguliert auf europäische Äcker und Teller. Bäuer:innen, Züchter:innen, Verarbeiter:innen und Handel hätten keine Chance mehr, gentechnikfrei zu erzeugen – weder konventionell noch ökologisch. Sie würden gegen ihren Willen, unbeabsichtigt und unwissentlich neue Gentechnik-Produkte einsetzen – und könnten sich auch nicht mehr dagegen wehren, weil sie keine Möglichkeit mehr hätten, ihre Produkte vor Gentechnik-Kontaminationen zu schützen. Auch die Verbraucher:innen hätten keine Wahlfreiheit mehr. Unser Recht auf gentechnikfreie Lebensmittel wäre passé. Dagegen setzen wir uns entschieden zu Wehr.“
Volling führt weiter aus: „Parallel zur Deregulierung soll eine Nachhaltigkeitsbewertung eingeführt werden. In der Folge würden neben der Risikobewertung zusätzlich auch Nachhaltigkeitskriterien in die Bewertung von Gentechnik-Pflanzen einbezogen. Diese Verquickung ist kontraproduktiv. Sie relativiert und torpediert das Vorsorgeprinzip. Gesetzlich abgesicherte Nachhaltigkeitskriterien für Lebensmittelprodukte können hilfreich sein, müssen aber in einem eigenständigen Regel- und Prüfsystem unabhängig durchgeführt werden, wissenschaftlichen Kriterien unterliegen und das gesamte Lebensmittelsystem betrachten. Bisher sind angeblich nachhaltige neue Gentechnik-Pflanzen reine Industrie-Versprechen. Keinesfalls darf eine Nachhaltigkeitsbewertung die Gentechnikregulierung aushebeln.“
Volling fordert: „Die AbL fordert die EU-Kommission auf, ihre Deregulierungspläne umgehend zu stoppen und stattdessen bestehendes Gentechnikrecht umzusetzen. Sollte sie bei ihren Plänen bleiben, sind die Szenarien umgehend zu veröffentlichen und ein transparenter Diskurs zu führen. Bislang wurden nur wenige Organisationen in die Pläne eingeweiht. Deswegen müssen die im Gesetzgebungsprozess vorgeschriebenen Konsultationen wiederholt werden. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesumweltministerin Steffi Lemke fordern wir auf, bei der EU-Kommission Transparenz einzufordern und gegen die aktuellen Pläne vorzugehen, indem sie sich klar für eine Regulierung aller neuen und alten Gentechnik-Verfahren einsetzen. Nur so können wir die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und die Wahlfreiheit sicherstellen.“
Berit Thomsen
Pressesprecherin
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL)
Tel.: 02381 9053172
Anm. der Red.: Gern senden wir Ihnen die Analyse und Bewertung der Deregulierungspläne der EU-Kommission der AbL zu.
Klimaschutz
EKD-Klimaschutzrichtlinie
Ein Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität
von Oliver Foltin
Seit 2008 hat die Synode der EKD insgesamt acht Beschlüsse mit klimarelevanten Empfehlungen an die Landeskirchen auf den Weg gebracht. Diese Beschlüsse weisen eine in sich schlüssige Kontinuität auf. Das Einsparziel für die Gliedkirchen war zunächst eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 25 Prozent bis 2015. In einem zweiten Schritt wurde das Ziel für EKD, Gliedkirchen und Werke mit der Reduktion um 40 Prozent bis 2020 fortgeschrieben, jeweils gemessen am Niveau des Jahres 2005. Dabei beziehen die Beschlüsse ab 2017 EKD und Werke neben den Gliedkirchen explizit mit ein. Die Erarbeitung von Klimaschutzkonzepten zur Erreichung von Treibhausgasneutralität bis 2050 wurde den Gliedkirchen zudem mehrfach nahegelegt.
EKD-Klimaschutzberichte und verfehlte Klimaschutzziele
Von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) wurden auf Bitte des Rates und des Kirchenamtes der EKD in den zurückliegenden Jahren insgesamt vier Klimaschutzberichte (2011, 2014, 2017, 2020) erarbeitet, in denen erhobenen Daten aus den Landeskirchen dargestellt, bewertet und daraus Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz ableitet wurden. Der letzte Klimabericht aus dem Jahr 2020 hat insbesondere auf die Kluft zwischen Zielen und Realität hingewiesen: Von 2005 bis 2015 wurde nur eine Minderung der Treibhausgasemissionen von 20 Prozent erzielt. Und auch das für 2020 anvisierte Reduktionsziel von 40 Prozent wurde mit einem Rückgang von lediglich 29 Prozent nicht erreicht. Trotz aller statistischer Ungenauigkeiten in den Berechnungen aufgrund teilweise schlechter Datenlage in den Gliedkirchen zeigt sich eine erhebliche Lücke zwischen den Ambitionen der EKD bei der Zielformulierung und dem tatsächlich Erreichten durch umgesetzte Maßnahmen in den Gliedkirchen. Auf der virtuellen EKD-Synode 2020 wurde über die Zielverfehlung und daraus abzuleitender Konsequenzen – etwa eine deutliche Intensivierung der Klimaschutzmaßnahmen – allerdings nicht weitergehend diskutiert.
Neue Dynamik ab 2021
Mit dem EKD-Synodenbeschluss aus dem November 2021 ist dagegen eine neue Dynamik in Bezug auf Klimaschutz und die Formulierung entsprechender Ziele entstanden:
„Die Synode bittet den Rat der EKD, die Kirchenkonferenz, die Gliedkirchen und das Kirchenamt der EKD, bis zur 3.Tagung der Synode im November 2022 eine datenbasierte Roadmap für einen verbindlichen EKD-weiten Prozess zur Klimaneutralität bis 2035 zu erarbeiten. Eine solche Strategie sollte jährliche Etappenziele mit verbindlichen Überprüfungs- und Anpassungsmechanismen beinhalten und in den Instrumenten das gesamte Erfahrungswissen aus den Gliedkirchen und anderen gesellschaftlichen Bereichen zur Geltung bringen. Auch die Ausarbeitungen der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e. V. (FEST) sind dabei einzubeziehen und ein geeigneter rechtlicher Rahmen soll gesucht werden“.
Neu an dem 2021er-Synodenbeschluss sind vor allem zwei Punkte. Zum einen ein ehrgeizigeres Ziel bis zur Erreichung der Treibhausgasneutralität nämlich 2035 statt bislang 2050. Zum anderen die Entwicklung eines rechtlichen Rahmens und einer datenbasierten Roadmap für einen EKD-weiten verbindlichen Prozess zur Erreichung des Ziels. Der Beschluss hat in Folge auch in den Landeskirchen eine gewissen Dynamik initiiert oder vorhandenes Engagement unterstützt. Zahlreiche Gliedkirchen haben 2021 und 2022 neue rechtliche Regelungen zum Klimaschutz beraten, Prozesse hierfür angestoßen und teilweise bereits auf den Weg gebracht. So sind eine Reihe von Landeskirchen dem Beispiel der Nordkirche und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) gefolgt, Klimaschutzgesetze respektive verbindliche Regelungen zu entwickeln bzw. in Auftrag zu geben.
Vorbild Nordkirche und EKBO
In der Nordkirche wurden bereits 2015 und in der EKBO 2020 jeweils ein Klimaschutzgesetz verabschiedet. Diese enthalten unter anderem verbindliche Regelungen für den Bereich Gebäude, wie etwa der Einbau von nichtfossilen Heizungen oder der Bezug von Ökostrom sowie Vorgaben im Bereich Mobilität und Beschaffung. Mit den Gesetzen verbunden ist die Einrichtung von entsprechenden Instrumenten für die Finanzierung von notwendigen Maßnahmen etwa durch Klimaschutzabgaben für die Speisung von Klimaschutzfonds oder zweckgebundenen Schlüsselzuweisungen für Klimaschutz. Des Weiteren liegt ein Schwerpunkt der Gesetze in der Pflicht zur Erhebung von Daten, der regelmäßigen Berichtspflicht auf allen Ebenen sowie der Aufbau einer organisatorischen Struktur von Klimabeauftragten respektive Fachstellen auf Kirchenkreis- und Landeskirchenebene.
EKD-Klimaschutzrichtline
Sowohl in den Landeskirchen als auch in der EKD hat nach dem EKD-Synodenbeschluss vom November 2021 – eine Roadmap für einen verbindlichen EKD-weiten Prozess zur Klimaneutralität bis 2035 sowie verbindliche Überprüfungs- und Anpassungsmechanismen erarbeiten zu lassen – eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Klimaschutz stattgefunden. Auf der EKD-Ebene vor allem mit der Fragestellung, welche rechtlichen Regelungen und welche Maßnahmen nötig sind, um auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität entscheidend voranzukommen. Mit einer Klimaschutzrichtlinie, die zum 1. Oktober 2022 in Kraft getreten ist, hat die EKD nun einen Meilenstein für den Weg zu einer klimaneutralen Kirche gesetzt. Die von der Kirchenkonferenz und vom Rat der EKD verabschiedete Richtlinie beschreibt einen Standard für den kirchlichen Klimaschutz, an dem künftig die rechtlichen Regelungen der Landeskirchen gemessen werden können. Damit bietet sie eine Grundlage für einheitliche und überprüfbare Regelungen. Sie ist so etwas wie ein „Mindeststandard“ im Klimaschutzhandeln der EKD. Landeskirchen können darüber hinausgehen. In der Präambel der Klimaschutzrichtlinie heißt es:
Klimaschutz ist nicht nur Aufgabe staatlicher Gesetzgebung, sondern auch Gegenstand kirchlichen Auftrages. Dieser begründet sich aus der Verantwortung des christlichen Glaubens zur Bewahrung der Schöpfung und zur Wahrung der Lebensrechte aller Menschen der gegenwärtigen ebenso wie der künftigen Generationen. Deshalb tritt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in gemeinsamer Verantwortung mit ihren Gliedkirchen auf vielfältige Weise für Klimaschutz, globale Klimagerechtigkeit und Generationengerechtigkeit sowie Nachhaltigkeit ein. Die Beschlüsse der Pariser Weltklimakonferenz und die Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen von 2015 eine wichtige Orientierungshilfe für das kirchliche Handeln. Dieser Rahmen beschreibt Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe, die den Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung umfasst. Die Klimaschutzrichtlinie der EKD leistet einen Beitrag für Klimaschutz und ist Vorlage für mehr Verbindlichkeit und mehr Ambitionen im Klimaschutzhandeln in der EKD. Ein wichtiges Ziel dabei ist die Minderung der Treibhausgasemissionen zum Schutz des Klimas und die Erreichung der Netto-Treibhausgasneutralität in der EKD.
Mit diesem Orientierungsrahmen, den die Klimaschutzrichtlinie bietet, wird deutlich, dass sowohl die bereits vorhandenen als auch die derzeit entstehenden landeskirchlichen Klimaschutzgesetze und der Synodenbeschluss der EKD zur Klimaneutralität konsequent und verbindlich umgesetzt werden sollen. „Mit der neuen Richtline und der Roadmap ist es innerhalb kürzester Zeit gelungen, einen gemeinsamen überprüfbaren Rahmen für die Umsetzung der Klimaziele der EKD zu finden“, so die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich.
Klimaschutzziele und Maßnahmen
Das Ziel ist eine Reduktion der THG-Emissionen um 90 Prozent bis 2035 und um 100 Prozent (Netto-Treibhausgasneutralität) bis zum Jahr 2045; jeweils ausgehend vom Basisjahr 2023. In der Richtlinie wird hierfür ein besonderes Augenmerk auf Gebäude und Mobilität gelegt und wichtige Aspekte verbindlich benannt, wie zum Beispiel der zukünftige Ausschluss von fossiler Heizungstechnik, der Anschaffung von Fahrzeugen mit fossilem Antrieb sowie von Inlandsflügen.
Im Gebäudebereich geht es vor allem auch um Suffizienzmaßnahmen zur Vermeidung aber auch um Effizienzmaßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Im Bereich Mobilität ist neben dem Einsatz klimafreundlicher Fahrzeuge auch das mobile Arbeiten ein wichtiger Punkt. Dieser ist in der modernen Arbeitswelt inzwischen unverzichtbar und hat auch wesentlich Einfluss auf die Reduktion der Emissionen durch eine reduzierte Mobilität.
Beim Thema Beschaffung werden in der Richtlinie ökologische und nachhaltige hergestellte Produkte nebeneinandergestellt. Damit wurde bewusst eine offene Formulierung gewählt. Denn besonders wünschenswert wären ökologisch zertifizierte Lebensmittel, da sie in der Regel eine bessere Klimabilanz haben. Es sollen aber auch die Produkte von landwirtschaftlichen Erzeugern berücksichtigt werden, die sich in anderer Weise um Nachhaltigkeit bemühen. In der Begründung zu der Richtlinie wird auf den Aspekt der Landnutzung intensiv unter anderem wie folgt eingegangen: „Im Rahmen der Erarbeitung der Richtlinie war ursprünglich vorgesehen, die Verpachtung von Kirchenland und eine klimafreundlichere Landwirtschaft zu thematisieren. Durch die unterschiedlichen Voraussetzungen in den jeweiligen Gliedkirchen wäre hier eine entsprechende Regelung zu kleinteilig und würde zu einer Absenkung der Anschlussfähigkeit seitens der Gliedkirchen und gliedkirchlichen Zusammenschlüsse führen. Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen in den jeweiligen Gliedkirchen hätte eine Regelung zur Verpachtung des Kirchenlandes erwartbar zu Widerständen geführt. Das komplexe und auch kontroverse Thema der klimafreundlichen Landwirtschaft und der sozial-ökologischen Kriterien für die Verpachtung von Kirchenland sollte in den kommenden Jahren gesondert mit der Fragestellung behandelt werden, wie die Landeskirchen und die EKD auch hier zu gemeinsamen Standards kommen können, die dem Klimaschutz und der sozial-ökologischen Transformation der Landwirtschaft dienen.“ Zudem wurden verbindlich die Datenerhebung und deren Auswertung in der Richtlinie verankert sowie die Intervalle für die Berichterstattung einheitlich auf zwei Jahre festgelegt. In Bezug auf die Kompensation von Treibhausgasemissionen stellt die Richtlinie die Vermeidung und die Reduzierung in den Vordergrund.
Roadmap zur Erreichung der THG-Neutralität
Ergänzt wird die Richtlinie durch eine Roadmap zur Erreichung der Netto-Treibhausgasneutralität, die die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft entwickelt hat. Während die Klimaschutzrichtlinie die rechtlichen Rahmenbedingungen aufzeigt, stellt die Roadmap die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen dar, in denen die Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden kann. Denn „der Klimawandel bleibt die größte Herausforderung der Menschheit. Das müssen wir uns auch und gerade in der Energiekrise immer wieder vor Augen führen“, so die Ratsvorsitzende der EKD, Präses Annette Kurschus. „Zusammen mit Politik, Wirtschaft, den Religionsgemeinschaften und allen Menschen guten Willens müssen wir uns als evangelische Kirche dieser Herausforderung entschlossen und konsequent stellen. Die Klimaschutzrichtlinie der EKD nimmt uns selbst in die Pflicht, genau das zu tun.“ Die datenbasierte Roadmap beschreibt einen linearen Reduktionspfad, der eine Absenkung der Emissionen von 90 Prozent im Zeitraum von 2023 bis 2035 vorsieht, was einer jährlichen Minderung von 7,5 Prozent entspricht. Die restliche Absenkung der verbleibenden 10 Prozent soll spätestens im Zeitraum von 2035 bis 2045 (jährliche Minderung 1 Prozent) erfolgen. Wie hoch dieser Restbetrag ist, hängt unter anderem auch von den noch zu treffenden Konventionen bei der Bilanzierung ab. Zu den Grundannahmen des Zielpfades in der Roadmap gehört neben dem linearen Reduktionspfad vor allem eine Berücksichtigung der selbstgenutzten Gebäude und der dienstlichen Mobilität. Weitere klimarelevante Bereiche wie Bildung und Kommunikation sollen vor allem durch Maßnahmen adressiert werden.
Ausblick
Zum 1. Oktober 2022 ist die EKD-Klimaschutzrichtlinie in Kraft getreten. Die für die Erreichung der Ziele notwendigen Daten zu Treibhausgasemissionen werden ab dem 1. Januar 2024 jährlich erhoben und bis spätestens zum 31. Juli des jeweils nachfolgenden Jahres an eine vom Rat der EKD beauftragte Institution übermittelt, um eine Auswertung des erreichten Klimaschutzniveaus in der EKD zu ermöglichen. Ab dem 1. Januar 2025 evaluiert und bewertet der Rat der EKD den Stand der Treibhausgasemissionen in der EKD und erstattet der Synode regelmäßig Bericht. Die EKD-Synode hat im November 2022 zudem bekräftigt, dass die THG-Neutralität durchaus schon bis zum Jahr 2035 erreicht werden sollte, da der Zielpfad in der Klimaschutzrichtlinie (eine Reduktion der THG-Emissionen bis 2035 um 90 Prozent) ein verbindliches Minimalziel darstelle. Zudem bittet die Synode um einen jährlichen Fortschrittbericht.
Die EKD-Klimaschutzrichtlinie ist online abrufbar unter:
www.ekd.de/meilenstein-auf-dem-weg-zur-klimaneutralitaet-75291.htm
Der Autor Dr. Oliver Foltin ist stellvertretender Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST) in Heidelberg und Leiter der Fachstelle für Umwelt und Klimaschutz der EKD, Berater für Umwelt- und Klimaschutzfragen im Team der Beauftragten für Schöpfungsverantwortung der EKD.
Weiterbildung
Weiterbildung zur NaturkindergärtnerIn/ FacherzieherIn für Natur & Ökologie
für pädagogisch Mitarbeitende in Kindertageseinrichtungen und Interessierte
September 2023 bis Juni 2024
Natur ist ein unverzichtbarer Erfahrungs- und Spielraum für Kinder. Da sie meist künstliche Funktions- und Bewegungsräume erleben, bleiben sie in Unkenntnis über Wachstum und Ernte von Pflanzen, über die unendlichen Möglichkeiten, mit Naturstoffen zu spielen und zu bauen sowie über den natürlichen, verantwortungsbewussten Umgang mit Tieren. Die so bedingte Abhängigkeit von künstlichen Lebenswelten hemmt ihre Entwicklung und lässt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sich kaum entfalten. Bleibt unseren Kindern das Geheimnis der Natur als Quelle des Lebens verschlossen, verkümmern ihre Sinne, die Kreativität verarmt, ihnen bleiben großartige Entdeckungen vorenthalten. Die Lebendigkeit der Natur wird ihnen zum Feind statt zum Lehrmeister. Mit der Weiterbildung setzen wir dieser für die Lebensqualität negativen Spirale Lebenssinn und Lebenslust entgegen. Wir befähigen die Teilnehmenden auf der Basis eigener Erfahrungen, die Natur mit ihrem Reichtum als eine unerschöpfliche (religions-) pädagogische Quelle zu erkennen und dem Alltag der Kinder im Kindergarten eine am Leben orientierte, gesündere, wertebewusste Prägung zu geben.
Termine und Inhalte:
4.-8. September 2023 (Mo-Fr)
Kurswoche 1 im Faßhotel auf dem Hessenkopf in Goslar
Themenleiterin: Wiebke Warmbold
Aus dem Programm der Woche:
• Kinder brauchen Luft & Freiheit
• Naturerfahrung und Lebensspuren im Wald
• Waldkindergarten
• Techniken zur Verarbeitung von Naturmaterialien
• Befreiungen von Behinderungen (Sicherheit im Naturkindergarten)
27. November bis 1. Dezember 2023 (Mo-Fr)
Kurswoche 2 auf dem CVJM Jugendschiff, Dresden
Themenleiter: Michael Schicketanz
Aus dem Programm der Woche:
• Kinder brauchen Wasser und Bewegung
• Naturnahe Außengestaltung – spielend Leben entdecken
• Planung, Gestaltungsideen, Materialien
• Farben der Natur – Naturfarben zum Spielen & Renovieren – Hinführung – Workshop und Kreativzeit
• Kinder auf dem Bauernhof – Bauernhofkindergarten
18.-22. März 2024 (Mo-Fr)
Kurswoche 3 in der Lutherstadt Wittenberg
Themenleiterin: Siegrun Höhne
Aus dem Programm der Woche:
• Kinder brauchen Erde und Wurzeln
• Lehm im Kindergarten, nicht nur zum Ofenbau
• Vom Korn zum Brot (gestern und heute; Vielfalt der Körner, Flocken, Mehl; Fladen, Brötchen, Brot backen mit Kindern).
• Verschiedene Ernährungsformen und ihre Berechtigung
• Pflanzen und Ernten in lokaler und globaler Verantwortung
24.-27. Juni 2024 (Mo-Do)
Kurswoche 4, Ziegenhof Schleckweda bei Zeitz
Themenleiter: S. Höhne, W. Warmbold, M. Schicketanz
Aus dem Programm der Woche:
• Kinder brauchen Feuer und Wärme
• Natur- und Umweltprojekte im Kindergarten – Hausarbeiten
• Bildung für Nachhaltige Entwicklung
• Tu Gutes und rede darüber – Öffentlichkeitsarbeit
• Yoga für Kinder
Die Anfertigung einer in die Praxis umgesetzten Hausarbeit ist Voraussetzung für das Zertifikat. Das Thema wird aus den Kursinhalten frei gewählt.
Weitere Informationen auf: www.naturkindergarten.net
„Ich packe meinen Koffer und nehme mit: die Naturbegeisterung, Neugier und Spannung. Auf geht’s in die Weiterbildung zur Facherzieherin Natur und Ökologie.“
Liebe Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, liebe Interessierte,
wir möchten Euch einladen zu einem außergewöhnlichen Kurs. Nehmt Teil am Jubiläumskurs (dem Zwanzigsten), vom September 2023 bis Juni 2024. Der erste Kurs fand 2001 statt und begeisterte seitdem schon viele Teilnehmende.
Die gemeinsame Zeit wird nicht in einem langweiligen „Klassenzimmer“ verbracht, sondern in der naturnahen Umgebung. Außerdem erhaltet Ihr die Möglichkeit, nicht nur an einem Ort zu verweilen. Die vier Kurse finden in Goslar, Dresden, Lutherstadt Wittenberg und in Schleckweda statt. Ihr lernt nicht nur interessante Kursinhalte, sondern auch besondere Unterkünfte mit einem gewissen Flair kennen. Von einem Fass in der Natur bis zu einer Kabine eines Schiffes auf der Elbe, sind viele neue Erfahrungsfindungen möglich. Durch gemeinsame Experimente, vergleichbar einem Chemielabor im Freien, können z. B. Feuerinfernos entstehen. Aber keine Angst, Körperteile und Augenbrauen bleiben unversehrt.
In einer Farbenküche werden unterschiedliche Farbkompositionen, z. B. aus Karminläusen, Gesteinen und Blumen hergestellt.
Doch auch sehr wichtige Aspekte des Lebens werden näher beleuchtet. Stellt euch dabei eine Frage, „Was bietet uns die Natur?“. Dank des erlernten Wissens dieser Weiterbildung zur FacherzieherIn für Natur und Ökologie stehen Euch in Eurem Berufsfeld viele neue Anwendungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Es werden umfassende Themengebiete erörtert und mit allen Sinnen erlebt.
Seid ihr neugierig geworden auf das ganzheitliche Arbeiten im naturpädagogischen Bereich? Dann meldet Euch jetzt auf der Internetseite www.naturkindergarten.net an.
Mit freundlichen Grüßen
Katharina und Claudia, Absolventinnen der XIX. Weiterbildung
Literaturtipp
In der Sprache graben, die Schöpfung lieben
von Hans-Joachim Döring
Ulrich Grober legt nach seinen Büchern: Entdeckung der Nachhaltigkeit (2010), Vom Wandern: Neue Wege zu einer alten Kunst (2011), Der leise Atem der Zukunft: Vom Aufstieg nachhaltiger Werte in Zeiten der Krise (2016) u. a. eine neue Publikation vor. Sie kann als Summe seines Wanderns und Schreibens gelesen werden. Es ist ein ‚weltfrommes‘ Buch. Ich erkläre mich als befangen. Autor und Rezensent kennen sich zu lange. Die einzige Objektivität ist gekennzeichnete Subjektivität. Trotzdem, dieses Buch sollte als Generationen-Gesprächs-Buch auf den weihnachtlichen Gabentischen seinen Platz finden. Die „alten weißen“ Männer und Frauen könnten es Ihren Kindern und Enkeln – der vermeintlich letzten Generation – schenken mit der Bitte: Schaut doch hier mal nach, woher wir kommen. Was hat uns geprägt, motiviert und getrieben? Nicht jede oder jeder, aber eine wachsinnige Minderheit unserer Generation. Die Bilanz ist nicht gut, mitunter vernichtend, aber es gibt Verwandtschaften mit Euch.
Und vielleicht schenken Kinder und Enkel ihren Eltern, Großeltern oder dem Großonkel, der immer hämisch weiß, was die „da oben“ verbocken, diesen Band. Und sie fragen: Können wir drüber reden? Worin bestanden eure Zuversicht und eure Ziele? Und: Warum hab ihr immer noch mehr Angst um euer eigenes so gefährliches Wohlstandswachstum als um unsere Sorgen und um unsere zukünftigen Lebensgrundlagen? Die werden doch viel weniger gedeihlich sein, als die, die ihr hattet. Es sei denn, wir ändern uns miteinander. Eure Sicherheitsbedürfnisse gefährden unsere Chancen.
Was macht Grobers Buch so lesenswert? Er nimmt keine Hemmnisanalysen vor – eine Spezialstrecke politologischer Sachbücher – und er redet kaum über die Grenzen des Wachstums mit den darin eingebundenen Bedrohungen. Vielmehr zeigt er Chancen der Empathie und Einfühlung in Natur und Mensch auf und beschreibt reale Ideengeschichten eines geprüften Glaubens auf gute Zukunft. Dabei geht er wie ein sensibler Bergführer vor. Er weist auf mal hohe, mal ferne oder nähere Gipfel des machbaren, besseren Lebens hin und verdeutlicht an Schürfgräben in verschiedenen Sprachen (Grober ist Anglist und Germanist), wie an zeitgeschichtlichen Aufschlüssen, dass wir Menschen mitunter bereits nahe an Pfaden gelingenden Lebens standen, bevor wir dann falsch abbogen. Das heute herauszufinden ist nicht selbstverständlich in einer Welt, die Häme kultiviert, Risse in der Gesellschaft künstlich und gewaltsam verstärkt und Kriege vom Zaun bricht.
In neun Kapiteln verlockt der Autor zum Staunen und gibt eine Kulturgeschichte des WOW preis – viel eher als der Fernsehsender Sky sein Programm in WOW umbenannte. Er besingt die einzigartige Ikone Erde im alleinigen Kosmos und frischt den Leitbegriff Nachhaltigkeit in unserer Epoche als Gegen-Konzept eines nahenden Kollapses auf; er entwirft eine Anatomie der Furchtlosigkeit und erinnert in einem Einspruch gegen lähmende Alternativlosigkeit an eine andere, bessere Welt, die möglich ist. Im Lob des Minimalismus weist er nach: Weniger ist der neue Mehrwert. Und er stellt die Tools der Zuversicht zusammen und zur Diskussion. Zudem: Zwischen den Zeilen lässt sein Schreibstil Raum für Assoziationen und den Einbau eigener Erfahrungen wie Sehnsüchte.
Bei der Lektüre schrieb ich einmal an den Rand: Glotz nicht so romantisch! Ich strich es wieder. Denn: Grober schreibt nicht fade Harmonie auf, sondern gehoben Einfachheit. Bei aller gegenwärtigen Unsicherheit betritt er ein Gelände – die Zukunft – für die schon längst die Karten gezeichnet sind, obwohl wir beständig erklären, sie noch nicht zu besitzen. Ulrich Grober hat ein Buch vorgelegt, das Vertrauen, Liebe und Kraft für und aus der Schöpfung beschreibt, sieht und aus ihr zieht. Zuversicht aus gutem Grund.
Ulrich Grober
Die Sprache der Zuversicht
Inspirationen und Impulse für eine bessere Welt.
250 Seiten
Erschienen am 04. Oktober 2022
ISBN: 978-3-96238-368-8
Preis: 24,00 €
Oekom-Verlag, München
Veranstaltungshinweis
Social Tipping Interventions
Und sie bewegt sich doch. Kann es sein, dass eine kritische Masse an Menschen das Ruder in der Klimakrise herumreißen könnte, selbst wenn es nicht die Mehrheit ist? Das Konzept der „Social Tipping Interventions“ spielt in der Klimawissenschaft und -bewegung eine immer größere Rolle und gibt vielen Menschen Zuversicht, dass sie trotz eskalierender globaler Krisen einen relevanten Beitrag leisten können. Denn das Modell beschreibt positive Ansteckungsketten, die zu einer raschen Verbreitung von innovativen Technologien, neuen Verhaltensweisen, veränderten sozialen Normen und Umstrukturierungen von Organisationen und Institutionen führen.
Anlässlich des 5. Geburtstages der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) widmen wir uns der Theorie und Praxis von „Social Tipping Interventions“.
Wir laden Sie deshalb herzlich ein zu:
Theorie und Praxis sozialer Kipp-Interventionen (auf Deutsch)
am 23. Januar 2023 von 18-19:30 Uhr in der großen Aula der LMU München und per Livestream mit folgenden Gästen
• Prof. Dr. Harald Lesch (LMU München)
• Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann (Helmholtz Munich)
• Dr. Martin Herrmann (KLUG)
Das Team der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG)
Informationen und Anmeldung:
www.klimawandel-gesundheit.de/veranstaltungen-zum-5-jaehrigen-klug-geburtstag-event-2/
Leserbrief
Königsweg im Klimaschutz: Verschwendung unterlassen
von Dr. Ernst Paul Dörfler
Die Zeit läuft uns davon. Wir haben keine vernünftigere Alternative, als alle Hebel in Bewegung zu setzen um uns selbst vor dem Kollaps zu retten.
Klimaschädliche Subventionen müssen abgebaut werden, es ließen sich so Milliarden Euro Steuergelder jährlich einsparen. Doch da geht noch sehr viel mehr. Klimaschonende Produkte können günstiger werden, wenn ihr Mehrwertsteuersatz reduziert wird und im Gegensatz klimaschädliche Erzeugnisse entsprechend verteuert werden. So können notwendige Anreize geschaffen werden. Doch die Politik scheut sich, uns etwas zuzumuten.
Wie wäre es, wenn wir Bürgerinnen und Bürger der Politik Mut machten und zeigten, dass es auch anders geht? Es liegt auch an uns selbst, die nötigen Einsparziele zu erreichen. Dabei hätten wir weniger zu verlieren als zu gewinnen. Unsere tägliche Verschwendung abzubauen wäre das Einfachste der Welt und würde nicht einmal etwas kosten. Wir würden im Gegenteil Geld sparen, mit verminderter Nachfrage den Preisanstieg bremsen, die Inflation dämpfen und die Treibhausgas – Emissionen reduzieren. Was nicht produziert werden muss, kommt dem Klimaschutz zugute.
Ein Drittel unserer Nahrungsmittel landet jährlich in Deutschland in der Abfalltonne, das entspricht mehr als dem Körpergewicht eines Erwachsenen pro Person. Diese offenbar nicht benötigte Nahrung wird mit einem hohen Einsatz an Energie, Dünger, Pestiziden sowie menschlicher Arbeit erzeugt und belastet mit den freigesetzten Treibhausgasen unser Klima. Das können wir ab sofort ändern durch mehr Wertschätzung unserer Nahrungsmittel. Der Nahrungsmittelsektor ist jedoch nur zu einem Sechstel unseres Pro-Kopf-Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Ein Vielfaches davon können wir im Bereich des sonstigen Konsums einsparen.
Über die Hälfte unseres Pro-Kopf-Treibhausgas-Ausstoßes entfällt auf unsere Ansprüche bezüglich Mobilität, Kleidung, elektronischer Geräte usw. Hier nach Einsparungsmöglichkeiten zu suchen ist besonders klimawirksam. Nach statistischen Erhebungen kauft jeder Deutsche wöchentlich ein neues Kleidungsstück, das bis zur Entsorgung nur viermal getragen wird. Das ist Verschwendung und Erderhitzung pur. Wer das Klima schützen will, bevorzugt generell langlebige Produkte und das Benutzen bis zum „geht nicht mehr“. Wir haben endlos viele Möglichkeiten Tag für Tag, um Klima und Geldbeutel zu entlasten und können gleichzeitig der Politik Mut zum entschlossenen Handeln machen. Wir sollten es tun, weil es vernünftig ist.
Themenseiten – Kirchliches Engagement für die Elbe
Kirchen für die Elbe – warum?
von Siegrun Höhne
Welcher andere Fluss wurde so gewürdigt? Seit 2008 finden entlang der und für die Elbe nach ihr benannte Kirchentage statt. Im kleinen Fischerstädtchen Coswig in Anhalt begann diese beachtliche Reihe. Weitere Elbe-Kirchentage folgten unter anderem in Dresden, Dessau, Hamburg, Wittenberg und zuletzt in diesem Jahr in Lenzen. Mit Andachten und Gottesdiensten, mit viel Musik, mit Märkten und Fachdiskursen, mit Kinderangeboten und fantasievollen Aktionen und – immer dabei – mit dem Elbe-Kreuz bezeugen die Gemeinden am Fluss ihre Liebe zu dieser Landschaft. Und sie machen deutlich, dass der Fluss für sie viel mehr ist als eine Wasserstraße.
Das bestätigen auch die Synoden der Evangelischen Landeskirchen an der Elbe und die der EKD (eine entsprechende Liste hat Pfr. i. R. Dietrich Bungeroth zusammengestellt, sie ist bei der Redaktion abrufbar).
In einer Reihe von hochkarätigen Elbe-Symposien, organisiert von der Anhaltischen Landeskirche, wurden Wissenschaft, Verwaltungen, Politik und Verbände ebenso wie Bürgerinitiativen geladen, um die Situation, die Planungen und deren zu erwartenden Auswirkungen vorzustellen und zu diskutieren.
Was ist das Problem?
Im Kern geht es um konkurrierende Politikziele. Zum einen soll die Elbe als Wasserstraße dazu beitragen, große Transportmengen von der Straße „zu holen“. Zum anderen soll die Elbe mit ihren Auenlandschaften einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Biodiversitätsziele der Republik leisten. Beide Ziele gleichzeitig zu erreichen, scheint unmöglich. Um die Elbe für die Schifffahrt in dem gewünschten Maße zu ertüchtigen, sind erhebliche Eingriffe nötig. Sie würde zu einer Art Straße. Als solche wäre sie per se kein reicher Lebensraum mehr, die Auenlandschaften würden nur noch selten überflutet – damit wären sie keine Auen mehr. Entweder – oder.
Ein scheinbares Randproblem, dass auch auf andere konkurrierende Politikfelder zeigt, ist die Zuständigkeit. Während Wasserstraßen als Bundesstraßen in die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums mit seinen Fachbehörden fallen, sind Naturschutzaufgaben im Wesentlichen Ländersache, mit Rahmensetzungen durch die Europäische Union. Ernsthafte Konfliktlösungsstrategien setzen demnach eine Zusammenarbeit der verschiedenen Politikebenen „auf Augenhöhe“ voraus.
Dies wurde mit dem Konsultationsprozess zum „Gesamtkonzept Elbe (GKE)“ versucht. Auch Umweltverbände und sogar die Kirchen waren beteiligt. Das Konzept wurde 2017 vorgelegt. Dass es dieses Konzept nach einem schweren Prozess gibt, ist ein Erfolg. Doch recht zufrieden mit dem Ergebnis scheint niemand zu sein. Umweltverbände beklagen, dass es nach wie vor keinen Maßnahmenplan für die ökologischen Ziele gibt. Aus dem zuständigen Ministerium wurde bei der ersten Zwischenbilanztagung zum GKE im November 2022 in der Lutherstadt Wittenberg berichtet, dass die Umsetzung des GKE nach den Pflichtaufgaben dran wäre (also jetzt noch nicht?).
Zwischenzeitlich gräbt sich die Elbe immer tiefer in den Grund.
Kirchliches Engagement
Ein schönes Bild: eine Taufe im Fluss. Zurück zu den Anfängen.
Doch das Bild zeigt mehr. Es ist wieder möglich im Fluss, in der Elbe zu stehen, hier zu baden und auch zu taufen, denn sie ist kein dreckiger Abwasserfluss mehr, sondern ein vielfältiger Lebensraum. Auch für Menschen.
Die hohe Motivation von Christinnen und Christen entlang der Elbe, von Bad Schandau bis Hamburg, sich für den Lebensraum Fluss stark zu machen, hat hier eine Ursache. Sie haben erlebt, dass es möglich ist, umzukehren, etwas wieder gut zu machen. Das wollen sie nicht erneut, wenn auch unter anderen Vorzeichen, opfern.
Für die Elbe
Resolution des Elbe-Kirchentages in Lenzen (Elbe), 27. bis 29. Mai 2022
Wir, der evangelische Kirchenkreis Prignitz und die Unterzeichnenden des Elbe-Kirchentags, fordern die Verantwortlichen in Bund und Ländern auf, die Elbe und ihre Auen als Teil der Schöpfung mit all ihren Ökosystem-Leistungen und als Erholungsraum zu schützen und zu bewahren.
Die Auen brauchen wieder mehr Raum, das Buhnenkorsett muss aufgeschnürt, die Tiefenerosion gestoppt werden. Um diesen wichtigen Lebensraum und seine Funktionen zu erhalten, muss die Elbe die Auen wieder mit Wasser versorgen können, damit sie nicht weiter austrocknen.
Wir bitten auch die Landeskirchen entlang der Elbe und alle Christenmenschen, sich weiterhin engagiert für die Elbe einzusetzen.
Begründung:
Die auf fast 600 Kilometern von der tschechischen Grenze bis Geesthacht freifließende Elbe und ihre Auen gehören zu den letzten naturnahen Flusslandschaften Europas. Sie sind ein einzigartiger Teil der Schöpfung und liefern viele kostenlose Leistungen für die Menschen an ihren Ufern. Die Auen reinigen Wasser, speichern ähnlich wie Moore das Klimagas CO2, bieten Raum für Hochwasser, sind Hort vieler seltener Pflanzen und Tiere. Die ursprüngliche Auenlandschaft ist die Basis für den wichtigen Wirtschaftsfaktor der Region, den Naturtourismus. Dieses Naturerbe muss zu unserem Wohl geschützt werden.
Doch die Elbe, ihre Auen und damit die Artenvielfalt stehen unter Druck und sind in einem besorgniserregenden Zustand. Die Trockenheit als Folge des Klimawandels setzt Auen und seltenen Lebensräumen zu. Die kontinuierliche Einengung der Elbe, um den Fluss als Wasserstraße zu vertiefen, treibt die Tiefenerosion weiter voran und verstärkt somit die Folgen des Klimawandels.
Obwohl die Gütertransporte in den letzten 20 Jahren um 90 Prozent auf weniger als 0,2 Millionen Tonnen zurückgegangen sind, hat die Elbe als Wasserstraße bislang immer noch oberste Priorität. Das neue deutsch-tschechische Regierungsabkommen vom 20.7.2021 zur „Binnenwasserstraße Elbe“ stellt die Belange der Schifffahrt in den Vordergrund. Tschechien erwartet, dass bis 2030 die Schiffbarkeit auf der deutschen Elbe bis Hamburg an 340 Tagen im Jahr bei einer Fahrrinnentiefe von mindestens 1,40 Meter erreicht wird – eine Steilvorlage für Tschechien, die seit Langem geplante Staustufe nahe der deutschen Grenze doch noch umzusetzen. Das widerspricht den Vereinbarungen des Gesamtkonzeptes Elbe aus dem Jahr 2017, nach dem Naturschutz und Schifffahrt gleichberechtigt behandelt werden sollen. Damit wird der Druck, die noch freifließende Elbe weiter einzuengen und auszubauen, enorm erhöht, obwohl unklar ist, wie das verkehrliche Ziel unter Einhaltung der Natur- und Umweltziele erreicht werden kann. Mit dem Klimawandel nehmen extreme Trockenheit und Hochwasserereignisse zu; die Bedingungen für die Güterschifffahrt verschlechtern sich noch weiter.
Antragsteller:
Evangelischer Kirchenkreis Prignitz
Adressaten:
Die Ministerinnen und Minister für Umwelt und Verkehr der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg sowie die Umweltbeauftragten der Landeskirchen entlang der Elbe
Die Elbe ist nicht gerettet!
von Iris Brunar, BUND-Elbeprojekt
Vorab: Die Elbe ist noch nicht gerettet. Obwohl die Elbe und ihre Auen von den Folgen der Klimakrise und der Vertiefung des Flusses schwer gezeichnet sind, wird nach wie vor darauf beharrt, die Schiffbarkeit zu verbessern. Ein weiterer Ausbau der Elbe ist nicht ausgeschlossen.
Attraktion Elbe
Die Elbe zwischen der deutsch-tschechischen Grenze bis kurz vor die Tore Hamburgs1 ist dem Schicksal so vieler Flüsse im Westen entkommen. Aufgrund der Teilung Deutschlands wurde sie nicht kanalisiert und gestaut. Sie darf auf 600 Kilometer frei durch eine einzigartige Flusslandschaft fließen, die vielfach geschützt ist. Als Nationalpark Sächsische Schweiz, der direkt an der tschechisch-deutschen Grenze beginnt, als UNESCO-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe, das sich entlang von 400 Fluss-Kilometern erstreckt. Die Elbe ist Teil des UNESCO-Welterbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Fast ihr gesamter Lauf steht als Natura 2000-Gebiet unter dem Schutz der EU. Nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist sie in Deutschland als natürliches Gewässer ausgewiesen, das es verbindlich in den guten ökologischen Zustand zu bringen gilt.
Die ursprüngliche Natur und schöne Landschaft sind inzwischen zu einem Magneten für den Naturtourismus und damit zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren in der Region geworden. Der Elbe-Radweg lockt hunderttausende Erholungssuchende an und wurde bereits 15 Mal als beliebtester Fernradwanderweg ausgezeichnet. Radtouristen wollen gut essen und trocken schlafen. Zwischen 120 bis 160 Millionen Euro geben sie jedes Jahr in kleinen und mittelständischen Betrieben wie Restaurants und Pensionen aus2. Doch in der politischen Diskussion um die Elbe spielt diese Erfolgsstory kaum eine Rolle. Noch immer liegt der Fokus auf dem Ziel, die Elbe für die Güterschifffahrt besser befahrbar zu machen – ungeachtet von Klimakrise, ökologischen Schäden, verschwendeten Ressourcen und marginalen Transporten.
Diese Widersinnigkeit fordert seit Jahrzehnten die Proteste von Umwelt- und Naturschützern heraus. Ein breites gesellschaftliches Bündnis – angefangen bei großen Naturschutzverbänden über Kirchen und gut vernetzten Bürgerinitiativen bis hin zu aktiven Einzelpersonen – engagiert sich für die freifließende Elbe und eine der großen der naturnahen Flusslandschaften in Europa.
Wasserstraße Elbe – Zukunfts- oder Auslaufmodel?
Planungen und Konzepte: Zielkonflikte werden ausgeblendet
Nach jahrelangen Gesprächen wurde Anfang 2017 das Gesamtkonzept Elbe (GKE) von Bund und Ländern verabschiedet3. Es ist eine Art Leitfaden für das künftige Handeln der Landes- und Bundesbehörden. Das Ziel war, den grundlegenden Konflikt zwischen den ökologischen Zielen und den Anforderungen an die Elbe als Wasserstraße aufzulösen und in Einklang zu bringen. Nach Ansicht der Umweltorganisationen und der Kirche, die beratend in den Prozess einbezogen waren, ist das nicht gelungen.
Zielkonflikte zwischen Verkehr, Umwelt- und Naturschutz werden in dem Prozess nicht bearbeitet, sondern ausgeklammert. Es wird nicht geklärt, welche Maßnahmen wo in welcher Anzahl umgesetzt werden müssen, um die ökologischen Ziele erreichen zu können. Es fehlt also ein konkretes ökologisches Maßnahmenprogramm. Hinzu kommt, dass die finanzielle und personelle Ausstattung der Länder, die für die Erreichung der ökologischen Ziele zuständig sind, für diese Aufgabe zu dünn ist.
Bei den im GKE beteiligten Umweltorganisationen herrscht daher Unmut. Die Arbeit im GKE wird von Seiten der Behörden als konstruktiv und beispielhaft beschrieben. Doch die kontinuierlich eingebrachten und konstruktiv vorgebrachten fachlichen Vorschläge der Umweltverbände werden kaum aufgegriffen.
Wunsch und Realität: Vereinbarkeit von Verkehr und Natur an der Elbe
Viele unterschiedliche Ziele, die in der Vergangenheit nicht erreicht wurden, sollen nun unter einen Hut gebracht werden. Die Fahrrinnentiefe der Binnenelbe soll auf mindestens 1,40 m unter GlW 20104 verbessert werden. Die Sohlerosion soll zugleich gestoppt und umgekehrt, Fluss und Aue in einen günstigen ökologischen Zustand gebracht werden. Keines dieser Ziele darf die anderen Ziele behindern. Zudem müssen „entsprechende Vorhaben zugleich den Zielsetzungen von NATURA 2000 und der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) dienen“.
Wie diese hochgesteckten Vorsätze erreicht werden sollen, ist ungeklärt. In der Vergangenheit wurden weder die Umwelt- und Naturschutzziele umgesetzt, noch die angestrebte verkehrliche Mindest-Fahrrinnentiefe erreicht: Trotz eines erheblichen baulichen Aufwands mit Ausgaben von 400 Millionen Euro in allein 20 Jahren für die Elbe als Wasserstraße5 werden im Gesamtkonzept 85 Schwachstellen gezählt6. Die Umweltverbände machten wiederholt ihre Zweifel deutlich, ob die verkehrlichen und ökologischen Ziele überhaupt miteinander vereinbar sind. Diese Bedenken werden in Zeiten von Wasserdefizit noch verstärkt.
Immerhin bleiben Bund und Länder dabei, dass keine Staustufen in Deutschland gebaut werden. Die Hürden für einen weiteren Ausbau sind ebenfalls hoch gelegt: „Ein Ausbau zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse soll auch zukünftig nicht stattfinden. Flussbauliche Maßnahmen werden jedoch akzeptiert, wenn sie zugleich ökologischen, wasserwirtschaftlichen und verkehrlichen Zielen dienen und diese Ziele in sinnvoller Weise verbinden.“7
Gleichwertiger Wasserstand (GlW 2010) vs. reale Fahrrinnentiefen – ein bedeutender Unterschied
„Mindestens 1,40 m unter GlW 2010“ bedeutet, dass eine Fahrrinnentiefe von mindestens 1,40 m bei einem bestimmten Abfluss erreicht werden soll. Anders ausgedrückt, nur wenn eine bestimmte Wassermenge die Elbe herunter fließt, kann 1,40 m erreicht werden. Wenn das Wasser nicht vorhanden ist, wird die Fahrrinnentiefe von 1,40 m nicht erreicht. Ob dieser Abfluss vorliegen wird oder nicht, ist über einen Monat hinaus nicht vorhersagbar.
Das Mantra der Verkehrsverlagerung
Wozu dieser Aufriss um die Elbe? Dazu muss das große Ganze betrachtet werden. Seit den 1960er Jahren ist es das politisches Ziel der Bundesregierungen, Verkehre von der Straße auf das Binnenschiff zu verlagern. Das ist auch das proklamierte Ziel an der Elbe. Für die Bundeswasserstraßen werden jedes Jahr 500 Millionen bis 1 Milliarde Euro ausgegeben. Doch das Ziel, in nennenswertem Umfang Güter von der Straße auf das Schiff zu verlagern, wurde trotz dieser hohen Investitionen, perfekt ausgebauten Wasserstraßen mit Fahrrinnentiefen von 2,5 bis 4 m und enorm gestiegenen Transportmengen nicht erreicht. Der Anteil des Binnenschiffs am Gesamt-Güterverkehr in Deutschland sank von knapp 30 auf unter 10 Prozent.
Die Realität der Güterschifffahrt auf der Binnenelbe
An der Elbe ist das Ziel, Güter auf das Binnenschiff zu verlagern, gescheitert. Absurd ist: Je mehr an der Elbe für die Binnenschifffahrt gebaut wird, desto weniger wird transportiert. Obwohl die Flussbauwerke inzwischen in einem ordnungsgemäßen Zustand sind, brachen seit den 1990er Jahren die Transporte um über 90 Prozent ein. An der Zählstelle Magdeburg sanken sie von 1,8 Mio. Tonnen im Jahr 1998 auf 0,16 Mio. Tonnen in 2020. Die Prognosen der Schifffahrtsbehörden von bis zu 23 Mio. Tonnen pro Jahr ab 2010 stehen dazu in einem extremen Missverhältnis.
Ursache sind die ausgeprägten Niedrigwasserphasen der Elbe, die keine planbaren und verlässlichen Transporte zulassen. Die Wirtschaft benötigt jedoch heute größtenteils „just in time“ Lieferungen. Die Elbe kann das nicht leisten.
Ebbe in der Elbe – reicht das Wasser für 1,40 Meter?
Im Jahr 2018 wurde an der Elbe während acht Monaten die offiziell angestrebte Mindest-Fahrrinnentiefe von 1,40 Meter nicht erreicht. Es fehlten allerdings nicht nur ein paar Zentimeter. Über ein halbes Jahr lang lag die Fahrrinnentiefe teils weit unter einem Meter8.
Das Jahr 2018 war zwar extrem, ist aber keine Ausnahme. Es folgten die Trockenjahre 2019, 2020 und 2022. Zwischen 2014 und 2022 wurde an über 40 Prozent der Tage die von der Bundesregierung angestrebte Mindest-Fahrrinnentiefe von 1,40 Meter nicht erreicht. An ca. jedem dritten Tag wurde sogar die Fahrrinnentiefe von 1,20 m unterschritten9. Die Schifffahrt kam jedes Jahr monatelang zum Erliegen. Die Klimakrise hat Deutschland erreicht und ist auch an der Elbe zu spüren.
Mit der Klimaerwärmung nehmen die Extreme weiter zu. Trockenperioden wie die seit 2015 bleiben nicht mehr die Ausnahme. Das Elbegebiet ist ohnehin eines der abflussärmsten großen Flussgebiete Europas10. Nur für wenige Wochen können die Wasserstände vorhergesagt werden. Ein planbarer, verlässlicher Gütertransport auf der Elbe ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Wenn das Wasser fehlt, dann fehlt die notwendige Fahrtiefe für die Güterschifffahrt. Ausbaumaßnahmen oder Steinschüttungen können den Wassermangel nicht beheben.
Doch es wird gebaut – mit unerwünschten Folgen
Ein weiteres Mantra an der Elbe von Befürwortern der Wasserstraße lautet: „Nur wenige Engstellen müssen beseitigt werden, um die durchgängige Schiffbarkeit der Elbe herzustellen.“ So wird die Hoffnung geschürt, dass die ganzjährige Befahrbarkeit fast erreicht sei. Davon kann aber keine Rede sein. Trotz jahrzehntelanger Bautätigkeit – die Engstellen bleiben.
Bei der Unterhaltung werden jedes Jahr tausende Tonnen Schotter in den Fluss gekippt. Der Fluss gräbt sich ein, daher müssen die Bauwerke zwangsweise immer länger werden, wenn verhindert werden soll, dass sie in den Fluss rutschen. Eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit und der Umweltverträglichkeit Umweltverträglichkeit wird nicht durchgeführt, weil die Maßnahmen unter Instandhaltung laufen.
Die Elbe wird so immer weiter eingeengt, fließt schneller und tieft sich ein. Die Tiefenerosion hat keinen Nutzen für die Schifffahrt, aber schadet der Flusslandschaft. Mit dem Wasserspiegel des Flusses fällt auch der Grundwasserspiegel in der Aue. Die Elbe erreicht sie immer seltener und wirkt wie ein riesiger Entwässerungsgraben auf die Landschaft. Das UNESCO Welterbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich und das UNESCO Biosphärenreservat Mittelelbe drohen trocken zu fallen. Die massiven Schäden sind unübersehbar.
Das Vertrauen in die zuständigen Behörden bröckelt
Würde es wirklich gelingen, die Tiefenerosion zu stoppen und umzukehren, wenn zugleich die Fahrrinne der Elbe weiter vertieft wird – also Maßnahmen ausgeführt werden, die unter anderem zu der verheerenden Eintiefung geführt haben? Diese Position vertreten die Fachbehörden, insbesondere die Bundesbehörde Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung. Wie das genau gehen soll, wurde bislang noch nicht erörtert.
Zu denken gibt das Fiasko, das durch die letzte Vertiefung der Tideelbe – der Elbe zwischen Hamburg und der Nordsee – entstanden ist. Auch da war die Wasserstraßenverwaltung der Ansicht, dass eine Vertiefung des Flusses machbar wäre und die ökologischen Folgen handhabbar. Die Warnungen und Expertisen der Umweltverbände wurden in den Wind geschlagen. Jedoch – nach der 800 Millionen Euro teuren Vertiefung verschlickt der Fluss rasant. Ein ökologisches und ökonomisches Desaster. Wertvolle Lebensräume verschwinden und Fische verenden im sauerstoffarmen Wasser. Die Schifffahrt kämpft mit Mindertiefen und einem immensen Unterhaltungsaufwand. Schon jetzt übertreffen die Baggermengen die der eigentlichen Vertiefung und es ist kein Ende in Sicht. Die gescheiterte Elbvertiefung ist ein Mahnmal für allzu optimistische Prognosen der Planer.
Vergleichbare negative Konsequenzen von Eingriffen an der Mittleren und Oberen Elbe gilt es auszuschließen. Politik und die Fachbehörden stehen in der Verantwortung kein Risiko einzugehen. Die Fluss- und Kulturlandschaft darf nicht für eine kaum existente Schifffahrt geopfert werden.
Die Elbe vertieft sich selbst – erzwungenermaßen
Die Tiefenerosion ist inzwischen ein sich selbstverstärkender Prozess, was auch die Wasserstraßenverwaltung einräumt. In einem Pilotprojekt bei Klöden nahe der Mündung der Schwarzen Elster in die Elbe sollen erste Versuche gemacht werden, wie die Eintiefungsrate gemindert werden kann. Selbst bei einer Verlangsamung der Eintiefung verschlechtert sich der jetzt schon besorgniserregende Zustand der Elb-Auen dennoch – halt nicht ganz so schnell. Nur durch den Stopp und die Umkehr der Sohlerosion kann die Elbe wieder öfter ihre Auen erreichen und sie wieder mit Wasser versorgen. Doch ist das unter der Voraussetzung machbar, zugleich die Befahrbarkeit des Flusses zu verbessern, wie es im Gesamtkonzept Elbe vorgesehen ist? Belegt wurde das in dem Konzept nicht, daher sind Zweifel mehr als angebracht.
Keineswegs ein Rest: Die Reststrecke
Zwischen Dömitz und Hitzacker, an der ehemaligen Grenze zwischen Ost und West bei Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, fließt die Elbe noch breiter. Hier kann die Weite des ursprünglichen Flusses noch nachvollzogen werden. Indes stören die Schifffahrt die Sandbänke, die in diesem Abschnitt im Fluss bei niedrigeren Wasserständen auftauchen.
Bislang wurde hier gebaggert, um die Fahrrinne freizuhalten und so war die Schiffbarkeit der sogenannten Reststrecke vergleichbar mit dem Abschnitt weiter stromauf. Nun soll sie ausgebaut werden, um die Kosten des Baggerns zu reduzieren. Angedacht sind Leitwerke, die wie lange, schmale Inseln parallel zum Ufer verlaufen und das Wasser in der Fahrrinne bündeln sollen. Niedersachsen hat sich wiederholt gegen einen Ausbau dieses Abschnitts der Elbe ausgesprochen, zuletzt in dem aktuellen Koalitionsvertrag von 2022.
Der wirtschaftliche Nutzen dieses Vorhabens ist offen. Parallel zur Elbe verläuft der Elbe-Seitenkanal, der eine ganzjährige verlässliche Schifffahrt für einen Tiefgang von 2,80 Metern vorhält. Wozu also die Elbe ausbauen und erhebliche negative ökologische Auswirkungen auf die Elbe riskieren? Auf dem Kanal können Schiffe nur mit zwei Lagen Containern beladen werden. Die Brückenhöhe ist der limitierende Faktor. Die Reeder wollen aber gerne auf den Schiffen drei der Blechkisten übereinander stapeln und so den Gewinn steigern. Allerdings wird auch nach einer Vertiefung der Elbe dafür die Fahrrinnentiefe nicht ausreichen, wenn – wie so oft – monatelang das notwendige Wasser fehlt.
Staustufen: das Aus für einen Fluss
Die Bundesregierung schließt seit den 1990er Jahren den Bau von Staustufen an der Elbe konsequent aus. Allerdings hat Andreas Scheuer, der Bundesminister für Verkehr der letzten Bundesregierung, im Juli 2021 kurz vor den Wahlen zum Bundestag schnell noch ein Abkommen mit Tschechien unterzeichnet. Darin geht es um die Planungen beider Regierungen zur Elbe als Wasserstraße. Für Prag ist das Abkommen ein strategischer Baustein, um die Elbe weiter ausbauen und Staustufen bauen zu können. Mit der Unterzeichnung des Abkommens unterstützt das Bundesverkehrsministerium Tschechiens Pläne.
Seit 30 Jahren plant Tschechien an Staustufenprojekten nahe der deutschen Grenze bei Děčín. Das kostete viele Millionen Euro an Steuergeldern. Fünfmal wurden Planungen dazu vorgelegt, fünfmal sind sie gescheitert. Beim letzten Mal hatte die EU ein Veto eingelegt: Ein seltener und geschützter Lebensraum, die Sand- und Kiesbänke, würde überstaut werden. Ein Ausgleich der Schäden wäre nicht möglich. Das war 2018.
Tschechien aber bleibt hartnäckig und plant von Neuem. Die Häfen an Nord- und Ostsee sollen ganzjährig per Schiff erreichbar sein. Die endlos wiederholte Behauptung, man müsse nur die Staustufe bei Děčín bauen, um der tschechischen Binnenschifffahrt ein großes Wachstum zu ermöglichen und die Meere zu erreichen, ist realitätsfern. In beide Richtungen, weder stromauf noch stromab, bestünde während der monatelangen Niedrigwasserphasen Anschluss. Insbesondere die Nicht-Befahrbarkeit der deutschen Elbe wird ignoriert.
Eine völkerrechtlich-verbindliche Vereinbarung, dass an der Elbe eine bestimmte Fahrtiefe von Deutschland vorgehalten werden muss, gibt es nicht. Das Regierungsabkommen kann wieder gekündigt werden. Und Deutschland behält sich auch vor, die Ziele je nach Verfügbarkeit von Wasser anzupassen. Was es gibt, ist eine funktionierende und verlässliche umweltfreundliche Alternative: die Schiene. 80 Prozent der Güter werden laut dem Hafen Hamburg zwischen Hamburg und Tschechien auf der Schiene transportiert. Der Ausbau von weiteren alternativen Strecken wäre möglich.
Kein „überwiegendes öffentliches Interesse“
Es liegt auf der Hand, „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ im Zusammenhang mit dem Projekt Staustufe Děčín sind nicht ableitbar. Die zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft sind erheblich – vor allem in Tschechien, wo flusstypische und seltene Lebensräume durch den Stau zerstört werden würden. Aber auch in Deutschland wären beträchtliche negative Auswirkungen z. B. auf Schutzgebiete die Folge. Damit sind erhebliche Verstöße gegen die FFH-Richtlinie und die Wasserrahmenrichtlinie der EU zu erwarten.
Warum muss die Elbe eine Wasserstraße sein?
Die Antwort kann nur eine Annährung sein. ‚Politischer Wille‘ kommt dem wohl am nächsten, liefert aber keine Begründung. Oder ist es der kindliche Wunsch, per Schiff in die große weite Welt hinauszufahren? Ein Wunsch, der aus lang vergangenen Jahrhunderten stammt, als es noch keine Schiene und keinen LKW gab. Sinnvoll ist es nicht, an der Elbe als Wasserstraße festzuhalten – weder ökonomisch noch ökologisch. Die Kosten sind hoch, ein Nutzen nicht existent, der Schaden ist groß, auch für die Wirtschaft.
Die Argumente für Staustufen oder eine weitere Vertiefung sind leicht widerlegbar. Güter in Übergröße können auch jetzt bei ausreichenden Wasserständen auf der Elbe transportiert werden. Oder sie werden über Kanäle abgewickelt. Eine Statistik, die darstellt, wie viele große Güter transportiert wurden und von der eine Notwendigkeit ableitbar wäre, existiert nicht. Das Schreckgespenst LKW funktioniert ebenfalls nicht mehr. Die wenigen Güter, die noch auf der Elbe verschifft werden, können auch von der Schiene übernommen werden.
Wertschätzen, was nichts kostet – die kostenlosen Leistungen der Elbe
Ohne natürliche Grundlagen kann der Mensch nicht überleben. Auch die naturnahe Flusslandschafte Elbe trägt zu unser aller Wohlergehen bei, freiwillig und kostenlos! Sie erbringt, wenn wir sie lassen, viele Leistungen für die Menschen an ihren Ufern. Intakte Auen reinigen Wasser und sie speichern ähnlich wie Moore das Klimagas CO2 in Form von Kohlenstoff. Sie lassen Wasser versickern und bieten Raum für Hochwasser. Nährstoffe werden gespeichert und reduzieren die Überdüngung der Meere. An der Elbe sind (noch) viele seltene Pflanzen- und Tierarten zu finden, die anderswo teils schon ausgestorben sind.
Wenn wir die Elbe nicht lassen und ihr den Raum und die Dynamik zuzugestehen, den sie braucht, weil wir sie verbauen, vertiefen und einengen, handeln wir uns immer größere Probleme ein. Wir verstärken die Folgen der dramatischen Klimakrise und treiben den Verlust der Artenvielfalt – die Biodiversitätskrise – weiter voran. Wir schaden uns selbst.
Die ursprüngliche Elb-Auenlandschaft ist nicht nur ein wirtschaftlicher Schatz für die Region, sondern auch identitätsstiftend. Dieses Naturerbe muss zu unserem Wohl und dem Wohl der künftigen Generationen geschützt werden.
In Frankreich ist man schon weiter. In den 1990er Jahren hat Paris beschlossen, die Loire Fluss sein zu lassen. Der Fokus liegt nun auf dem Flussschutz und nachhaltigem Hochwasserschutz. Damit fährt die Region gut. Das kann auch an der Elbe gelingen.
Die BUND-Elbe-Vision finden Sie unter:
www.bund.net/elbevision/
Hintergrund und Fakten finden Sie unter:
www.bund.net/elbevision-hintergrund/
Iris Brunar
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Stand 30.11.2022
1 Wird hier von der Elbe in Deutschland gesprochen, dann ist die 550 Kilometer lange Strecke zwischen der tschechisch-deutschen Grenze und der Einmündung des Elbe-Seiten-Kanals gemeint. Es steht außer Frage, dass der daran anschließende Abschnitt bis zur Staustufe Geesthacht und darüber hinaus ganz andere Bedingungen und damit auch Fahrbedingungen aufweist. Dort werden auch circa die zehnfachen Gütermengen transportiert im Vergleich zur frei fließenden Elbe.
2 Antworten der Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 18.4.2017 und der Sächsischen Staats-regierung vom 13.8.2018.
3 BMVI – Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2017. Gesamtkonzept Elbe, Strategisches Konzept für die Entwicklung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen. www.gesamtkonzept-elbe.bund.de/Webs/GkElbe/DE/Informationen/Ergebnis/Ergebnis_node.html
4 GlW steht für Gleichwertiger Wasserstand, zur Erläuterung siehe Kasten
5 Antwort der Bundesregierung vom 28.1.2016, Drucksache 18/7398: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/073/1807398.pdf
7 Gesamtkonzept Elbe, Kapitel 1
8 Antwort der Bundesregierung vom 17. Januar 2019. Die Angaben beziehen sich auf die Strecke zwischen Magdeburg und der deutsch-tschechischen Grenze.
9 Auswertung von Daten der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, zur Verfügung gestellt auf www.elwis.de/DE/dynamisch/gewaesserkunde/f_t/
Anmerkungen zur Zwischenbilanz des Gesamtkonzeptes Elbe (GKE) 2022
vom Vertreter der Kirchen im GKE-Beirat, Dr. Hans-Joachim Döring
Am 3. Mai 2022 im 12. Beirat des GKE-Prozesses in Magdeburg vorgetragen und diskutiert.
A. Das Gesamtkonzept vom 17.01.17 sehe ich – bei graduellen Abstufungen – in einer Reihe mit weiteren gesellschaftlichen Verständigungs- und Transformations-Prozessen bei der zukünftigen Gestaltung technologischer Großfragen, so der Kohle-Kommission oder der Borchert-Kommission zum Umbau der Nutztierhaltung. Das gemeinsame Ergebnis des GKE war ein wichtiger Schritt und “modern” dazu.
B. Das GKE hat den Auftrag, als „wesentliche Grundlage für das künftige Verwaltungshandeln der Landes- und Bundesbehörden“, „die umweltverträgliche verkehrliche Nutzung der Binnenelbe und die wasserwirtschaftlichen Notwendigkeiten mit der Erhaltung des wertvollen Naturraumes in Einklang zu bringen.“ (GKE S. 9). Damit war – so meine Lesart – der Jahrtausende alte geologisch-hydrologische und morphologische Naturraum als Basis und Vorrangbezug für die zukünftige Gestaltung des Flussschlauches und der Auen in einer postindustriellen Epoche gesetzt. Die Kirchen hofften auf die Auflösung der jahrzehntelangen Stagnation bei der Gestaltung der Kulturlandschaft von Elbe und Aue.
C. Einige Punkte aus dem Votum der Kirchen von 9. Januar 2017 sind für die gegenwärtige Zwischenbilanz des Anschlussprozesses noch relevant:
- „Überprüfung und Anpassung der Zuständigkeiten und Ressourcen (Auftrag, Aufgaben, rechtlicher Rahmen, Personal) der Ministerien und Behörden an die zukünftigen Nutzungs- und Schutzanforderungen des Systems Fluss und Aue (Zuschnittcheck)“.
Für die Kirchen unerwartet und nicht nachvollziehbar hält sich das BMU bei der Gestaltung und gemeinsamen Leitung des GKE-Prozesses stark zurück. Das ist zum Nachteil der gleichrangigen Ziele. Der Anschlussprozess des GKE steht in der Gefahr, durch die strukturelle Ausstattung der verkehrlichen Behörden einseitig zu bleiben bzw. dies neu zu werden. Die für den Naturschutz und für den Ufer- wie Auenbereich zuständigen Länderbehörden wurden (bisher) nicht ausreichend und nachholend so ausgestattet (strukturell und materiell, einschließlich WRRL-relevanter Einheiten, z. B. Flussgebietsge-meinschaft (FGG)), wie dies dem GKE-Kompromiss gemäß wäre. Vielmehr kommt es mit dem im Bundestagsbeschluss vom 22. Juni 2017 enthaltenen und umgesetzten Personal-Tableau (30,5 neue Dienstposten) (noch) nicht zu der erhofften gewässerökologischen Fachausstattung und damit Umsetzungs-Dynamik. Kurz: Es wurden ohne einen transparenten Zuschnittsscheck langfristig Fakten geschaffen, welche die gestalterischen Defizite an der Elbe eher vergrößern als verringern. Die ehrenwerte, aber inzwischen überholte Tradition des Wasserbaus, welche den Fluss an die verkehrliche Nutzung anpasst, wurde (bisher) zu wenig zugunsten der gewässerökologischen und wasserwirtschaftlichen Erfordernisse verändert, bzw. wurden Veränderungen in diese Richtung nur zögerlich eingeleitet.
- Eine „Betrachtung und Abwägung der langfristigen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirtschaftlichkeit der Aufgaben und Maßnahmen des GKE (Kosten- und Nutzencheck) … und der Ökosystemdienstleistungen (Schutzcheck) von Fluss und Aue zu Beginn des Anschlussprozesses sind notwendig.“
Dies erfolgte bisher nicht, bzw. wurde nicht in Auftrag gegeben. Das ist ein Grund für ein verbreitetes Unbehagen. Eine wirtschaftliche Güterschifffahrt – zumindest im Nordabschnitt der Elbe – steht in Frage bzw. wird nicht mehr durchgeführt. Dies geschieht ohne erkennbare Nachteile für die anliegenden Gewerbe, hat aber Bremswirkung für die Gewässerökologie. Die Hafenwirtschaft wie die Schifffahrt haben sich anders orientiert und notgedrungen arrangiert. Im GKE-Umsetzungsprozess sollten diese langfristigen Tendenzen als Stärkungen für gewässerökologische und naturschutzfachlichen Belange und Aktivitäten verstanden und genutzt werden.
- „Ein optimierter Elbe-Seiten-Kanal (ESK) ist ein substantieller Weg zu tragfähigen Kompromissen zwischen Ökologie und Güterschifffahrt an der Elbe. Die konsequente Nutzung des ESK wird die Berechenbarkeit der Transportleistungen der Güterschifffahrt fördern.“
Dieser alte Vorschlag, von den Kirchen aufgenommen und unterstützt, wurde in den zurückliegenden Jahren außerhalb des GKE gestärkt (Gebührenbefreiung, Bundes-Verkehrswegeplan). Im GKE-Prozess wird der ESK in seiner entlastenden Wirkung für die Gewässer- und Auenökologie wie bei der Verbesserung der Berechenbarkeit und damit Wirtschaftlichkeit der Güterschifffahrt zu wenig berücksichtigt. Eine Berücksichtigung könnte auch zur Entspannung des Konfliktes an der Reststrecke beitragen.
Weitere Punkte:
- Die Kirchen haben Verständnis, dass Generationenaufgaben nicht im NGO-Tempo geleistet werden können. Sie sind aber auch sensibel – aus eigener problematischer Praxis – für die Transformation von altem Wein in neue Schläuche. Diese Gefahr und Neigung muss der GKE-Prozess vermeiden.
- Die Erfahrungen, die bei den Naturschutzgroßprojekten im Biosphärenreservat Elbe und an der Unteren Havel gewonnen wurden, sollten stärken und stark in den GKE-Prozess mit eingepflegt werden.
- Noch eine Anmerkung zum neuen GKE-Logo: Die Größe des Güterschiffes verzerrt die tatsächlichen Inhalte und Möglichkeiten des GKE-Prozesses.
Magdeburg, am 1. Mai 2022
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