Diskurs

Schmutzige, aber glückliche Kinder

Wildniscamp

Junge Menschen haben in den letzten zwei Corona-Jahren besonders gelitten. Kinder zwischen 8 und 14 waren deshalb vom 17. bis 19. Juni 2022 eingeladen, alles hinter sich zu lassen, ein Wochenende im Freien zu verbringen, gemeinsam auf dem Feuer zu kochen, durch den Wald zu schleichen und die Natur zu erkunden.

Am Freitagnachmittag kamen die Kinder im Wildniscamp an. Auf einer Wiese an einem kleinen Bach sollte das Zeltlager entstehen. Die Waschgelegenheiten und eine Dusche im Freien sind aus einfachem Holz gezimmert und werden durch Plastikkanister mit Wasser versorgt. Die Toiletten funktionieren sogar ganz ohne Wasser. Für alle, denen dieses einfache Leben in der Wildnis zu abenteuerlich ist, gibt es aber einen kleinen Fußweg entfernt auch eine klassische Toilette und Dusche in der alten Mühle. Abgetrennt durch einen anderen Bachlauf liegt eine weitere Wiese für die gemeinsamen Camp-Aktivitäten mit einem großen Tipi, Tischen und einem Feuerplatz mit Holzklötzen zum Sitzen, abgeschattet durch einen großen, aufgespanntem Fallschirm.

Im Camp angekommen galt es als erstes die Zelte aufzubauen, die die Kinder mitgebracht haben. Dabei gab es Gelegenheit, sich kennenzulernen und sich gegenseitig zu helfen. Anschließend ging es zu einer ersten Gesprächsrunde, bei der alle etwas zu sich erzählen konnten und die Gruppe in vier Clans aufgeteilt wurden. Die Clans sollten übers Wochenende zusammen eine „Familie“ bilden und die gemeinsamen Aufgaben erledigen. Und schon begann die Organisation des gemeinsamen Lebens. Ein Clan musste mit einem alten Handwagen Wasserkanister fürs Trinkwasser und die Waschgelegenheiten, ein anderer Holz holen, der nächste Feuer machen und einer das Essen vorbereiten.

So packten von Anfang alle an. Gemeinsam wurden auf dem Feuer Nudeln mit Tomatensoße gekocht und dann rund ums Feuer sitzend genoßen. Nach dem Abwaschen trafen sich alle ums Feuer, um übers Campprogramm und Campregeln zu sprechen. U.a. wurde eingeführt, dass es regelmäßige Blitzlichtrunden gibt, bei denen immer nur der spricht, der den „Redestab“ hat. Auch wenn etwas diskutiert werden muss, wird erst geantwortet, wenn der Stab weitergegeben wird.

Am zweiten Tag ging es nach dem gemeinsamen Frühstück zum ersten Mal in den Wald. Als erstes galt es gute Verstecke zu finden, in denen man nicht entdeckt werden kann. Spielerisch entdeckten die Kinder dabei die Natur, Baumarten, Insekten und Pflanzen. Am Nachmittag nutzten sie ihre dabei erworbenen Skills, um sich vor einer Touristin, die von einer Teamerin gespielt wurde, zu verstecken. Außerdem lernten die Kinder, wie sie mit konkreten Materialien aus dem Wald ein Feuer so vorbereiten können, dass sie es mit einem Streichholz anzünden können. In den Clans wurde das ausprobiert und dann gemeinsam geschaut, ob es funktioniert. Nur ein Clan brauchte ein zweites Streichholz, aber auch nur, weil sie den Wind beim Anzünden des Streichholzes unterschätzt hatten.

Die lange Mittagspause nutzten die Kinder an einem sehr heißen Tag, um im Bach zu spielen. Dabei wurden Fische gesichtet und Vögeln gelauscht. Aber auch der Spaß durfte nicht zu kurz kommen, z.B. in einer Schlammschlacht. Die Kinder durften dabei ihre Gruppe und Spielgelegenheiten in der Natur entdecken und ausprobieren. Das Team griff nur ein, wenn es zu Ausgrenzungen von Kindern gab. Diese wurden in den Gesprächsrunden aufgenommen und dort gemeinsam nach Lösungen gesucht. Niedrigschwellig wurden in diesen Runden so auch Themen wie Zusammenleben, Organisation in Gruppen, Beteiligung und Mitwirkung aller, Zuhören und Perpektivwechsel – also Methoden demokratischer Alltagskultur – eingeführt, behandelt und diskutiert.

Während am Freitag viele Kinder abends noch lange wach waren, drängten viele am Samstag von sich aus, auf eine rechtzeitige Nachtruhe. Und tatsächlich waren nach einem so ereignisreichen Tag 22:30 schon die meisten eingeschlafen.

Am Sonntag war noch kurz Zeit, im Wald schleichen zu üben. Eine große Bärin, eine Teilnehmerin, hielt dazu mit verbundenen Augen Kekse bereit. Die anderen Kinder mussten versuchen, sich diese zu holen, ohne gehört zu werden. Nach noch einer kurzen Versteckrunde ging es dann zurück ins Camp und die Zelte wurden abgebaut.

Aufgrund des starken Windes und bei weit über 30 Grad wurde das Essen am letzten Tag nicht überm Feuer, sondern auf dem Gaskocher gekocht. Ein aufregenden Moment gab es noch, als der Wind den schattenspendenden Fallschirm abzureißen drohte und dieser nur mit der Kraft aller Teilnehmenden eingeholt werden konnte. Vor der letzten Gesprächsrunde spritzten sich die Kinder gegenseitig mit Wasser ab und versuchten nur teilweise erfolgreich den letzten Schlamm vom Vortag zu entfernen.

In der Auswertung fanden alle Teilnehmenden etwas, dass ihnen besonders gefallen hat. Bis auf zu wenig Schlaf gab es kaum Klagen. Die meisten Kindern hatten die Zeit miteinander und in der „Wildnis“ genossen. Und dann kam auch schon der Bus, der die Kinder nach Hause brachte. Nach einer knappen Stunde Fahrt nahmen Eltern oder Großeltern glückliche, aber immer noch ziemlich schmutzige Kinder wieder in Empfang.

Tobias Thiel

Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung
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