Diskurs

BRIEFE 1/2023

Liebe Leserinnen und Leser,

der Arbeitskreis Landwirtschaft und Umwelt an unserer Studienstelle arbeitet inzwischen seit zehn Jahren. Es handelt sich hier nicht um einen geschlossenen Kreis, sondern um ein lebendiges informelles Miteinander von Menschen, die an sehr verschiedenen Stellen in und mit Landschaften arbeiten. In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen zwei der aktuellen Arbeitsfelder vor, zum einen das vieldiskutierte Thema Agroforst, das Dr. Andrea Seidel von der TU Dresden vorstellt, zum anderen die wenig beachteten, aber für die biologische Vielfalt wesentlichen Wiesen, vorgestellt von PD Dr. habil. Hans Hochberg und Dipl. agr. Ing. Elisabet Hochberg.

In den weißen Seiten geben wir der Initiative FairPachten des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) viel Raum. Denn Kirchen sind in recht großem Stil Verpächter. Und sie können wählen, wem sie die Flächen zur Bewirtschaftung überlassen, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis. Zwar sind die Regelungen in den Landeskirchen hier unterschiedlich, und die Vergabe erfolgt beispielsweise in der EKM auf der Ebene der Kirchenkreise, nicht durch die Kirchengemeinden vor Ort. Trotzdem bleibt die Verantwortung für das Flächeneigentum sowie die sozialen und ökologischen Wirkungen der Verpachtung beim Eigentümer. Eigentum verpflichtet!

Liebe Leserinnen und Leser,

ich möchte Sie gerne auf das neu aufgelegte Buch „Am Abend mancher Tage“ von Joachim Krause aufmerksam machen. Ich habe es mit großer Freude und manchem Erstaunen gelesen. Wenn Sie Lust haben, das auch zu tun und dann auch eine Rezension für die BRIEFE zu schreiben, bekommen Sie von uns ein Freiexemplar. Rufen Sie an oder schreiben Sie.

Und wer gerne würde, aber sich nicht recht zutraut, eine Rezension (zu welchem Buch auch immer) zu schreiben, melde sich bitte auch. Christoph Kuhn bietet Ihnen eine Schreibwerkstatt an, für Sie kostenlos. Herzlichen Dank dafür.

Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen und wünsche Ihnen einen frohen Mai, trotz aller Krisen und Widrigkeiten. 

Ihre Siegrun Höhne

Geistliches Wort

Das Heilige Wasser in Jesus.
Ein Grundelement der Erde, aus der wir bestehen, die uns stärkt und die uns herausfordert

von Elisabeth Steffens

Im Buch Genesis steht geschrieben, das Gott am Anfang Himmel und Erde schuf:

Wasser floss aus der Erde.
Da formte Gott den Menschen aus Adamah, Erde.
Jesus, du bist Erde. Du bist der zweite Adam.
Wir sind Erde.

In der Enzyklika Laudato si‘ schrieb Papst Franziskus: „Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat […] Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unsere unterdrückte und verwüstete Erde, die „seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22). Wir vergessen, dass wir selber Erde sind (vgl. Gen 2,7). Unser eigener Körper ist aus den Elementen des Planeten gebildet; seine Luft ist es, die uns den Atem gibt, und sein Wasser belebt und erquickt uns. 

Wasser war und ist für die Bildung der Erde schon immer wesentlich. Wasser ist in der Erde, an ihrer Oberfläche, in der Luft, in Organismen und genauso auch in unseren Körpern. Wasser lässt Pflanzen wachsen, kann sie jedoch auch zerstören. Der menschliche Körper besteht zu 70 Prozent aus Wasser. Und etwa 50 Prozent unseres Bluts ist Wasser. 

Erde, Wasser, Feuer, Luft, Pflanzen und Tiere existierten, bevor höhere Wesen durch Menschen erfahrbar wurden und zur Gründung von Religionen führten.  Wasser fließt über religiösen Grenzen hinweg. Für Milliarden von Menschen in der Welt hat Wasser eine religiöse Bedeutung. 

Leben ist Sterben, Sterben ist Leben. Ein Weg zum bewussten Umgang mit dieser Realität ist Leben als Zugastsein zu verstehen. Dies zu verstehen dauert wohl ein Leben lang. In einem Lied, das bei katholischen Beerdigungen gesungen wird, heißt es: „Wir sind nur Gast auf Erden.“ 

Deshalb haben wir uns als Gäste zusammen mit Ihnen und Papst Franziskus zu fragen: „Wozu braucht uns diese Erde?“  Ein Gast auf Erden zu sein bedeutet, in einem ausgeglichenen Verhältnis zu geben und nehmen, sodass wir „nur“ ein gutes und gesundes Leben haben. Dabei lehrt uns unsere Spiritualität zu spüren, was wir wirklich brauchen und Grenzen im Hinblick auf den (Miss)Brauch von (nicht)menschlichen Wesen und (im)materiellen Gütern zu setzen.

Spiritualität geht auf das lateinische Verb spirare zurück. Atmen ist für alle Wesen ein lebensnotwendiger Prozess zur Herstellung von Energie. Atmen ist ein permanenter Prozess des Gleichgewichtens. Durch das Atmen ist das Innere unseres Köpers in permanenter Koexistenz mit den anderen Körpern. Unsere Körper sind die inneren Häuser unseres gemeinsamen Hauses, die heilige Schöpfung.

Jesus, während der schmerzvollen Kreuzigung flossen Wasser und Blut aus Deiner Wunde. Mit Dir sind wir durch dieses Wasser verbunden. Es ist ein lebenswichtiges Element der Schöpfung besonders für diejenigen Körper und in denjenigen Körpern, die leiden und/oder für ein gerechtes und schönes Reich Gottes in einem respektvollen Verhältnis mit Gläubigen anderer Religionen und Glaubenssystemen kämpfen.

Ostern bekennen wir diesen tellurischen Prozess des Lebens und Sterbens. Jesus, Du hast in allen Wesen gelebt und bist in ihnen gestorben und lebst weiter in allen Wesen. Denn „Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ 

Wir feiern Deine Auferstehung, Jesus, in allen Wesen als eine reiche Ernte. Du bist in dem heiligen Wasser und durch das heilige Wasser, das in der Erde, in Deinem und unseren Körpern fließt. Diese wichtigste Eucharistiefeier im Jahr, drei Tage nach Deinem Tod, Jesus, ist deshalb eine holistische Erfahrung des Dankens und der Freude.

Durch das heilige Wasser Deines Körpers, Jesus, erfahren wir uns selber als Teile von anderen Wesen der Erde. Weil das Heilige Brot, gebacken aus Wasser und Körnern, Dein Körper ist, Jesus. Und der heilige Wein, gekeltert aus Trauben, Dein Blut ist, Jesus.

Nachdem wir Dir, Jesus, in Wasser, Körnern und Trauben, begegnet sind, sind wir gestärkt. Als Gäste auf Erden können wir dann wieder versuchen, weniger auf Kosten von (nicht)menschlichen Wesen zu leben, für die Verwirklichung ihrer Rechte zu kämpfen, Mächte gerecht zu teilen, durch das Pflanzen von Bäumen auszugleichen, kranken (menschlichen) Wesen zu helfen, Wege der Versöhnung zu finden und durch bewusstes Atmen unser Verwurzeltsein in dem Reichtum und in dem Leiden der Schöpfung Gottes zu spüren. 

Dazu braucht uns diese Erde, Papst Franziskus. 

Dr.in phil. Elisabeth Steffens
Die Autorin ist Lateinamerikanistin & Referentin im Päpstlichen Missionswerk der Frauen in Aachen
Tel.: 0241 5156209

Aktuelles

Fairpachten – Für mehr Natur
auf kirchlichen Landwirtschaftsflächen

von Karoline Brandt

Die Bewahrung der Schöpfung ist für Kirchen seit jeher eine große Aufgabe. Auch auf den kircheneigenen Landwirtschaftsflächen kann viel für den Erhalt der Artenvielfalt und der natürlichen Lebensgrundlagen getan werden. Von mehrjährigen Blühstreifen, einer vielgliedrigen Fruchtfolge bis hin zum Verzicht auf Pestizide ist vieles möglich. Welche Naturschutzmaßnahmen für Ackerflächen, Wiesen oder Weiden sinnvoll sind, hängt jedoch von vielen Faktoren ab.

Kirchengemeinden, die mehr für die Natur auf ihren Flächen tun möchten, können sich kostenlos und individuell beim Projekt Fairpachten der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe beraten lassen. Das deutschlandweit aktive Team von Fairpachten berät Grundeigentümer/innen zu passenden Naturschutzmaßnahmen für die jeweilige Fläche und gibt Hinweise, wie diese im Pachtvertrag mit den Landwirt/innen vereinbart werden können. Dabei stehen die örtlichen Gegebenheiten als auch die individuellen Wünsche der Verpächter/innen an die Bewirtschaftung im Zentrum. Außerdem werden ein Musterpachtvertrag und Steckbriefe von Naturschutzmaßnahmen kostenlos zur Verfügung gestellt.

Das Projekt Fairpachten wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert.

Kontakt Projektbüro:
Tel.: 030 2849841844


www.fairpachten.de

Regionalberater Ost:
Ralf Demmerle
Tel.: 0173 5745781

Regionalberaterin Berlin – Brandenburg:
Karoline Brandt
Tel.: 0162 4079651

Die Artenvielfalt auf kircheneigenen Ländereien fördern
Regionalberaterin Linda Trein im Interview mit Fairpachten

Regionalberaterin Linda Trein berät seit März 2020 für Fairpachten unter anderem Kirchengemeinden in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zu Naturschutzmaßnahmen auf ihren landwirtschaftlichen Flächen.

Fairpachten: Warum sollten Kirchen sich für mehr Naturschutz auf ihren Flächen einsetzen?

Linda Trein: Die Bewahrung der Schöpfung ist für Kirchen seit jeher eine der wichtigsten Aufgaben. Und das betrifft natürlich auch die Bewirtschaftung kircheneigener Ländereien. Durch die Umsetzung von mehr Naturschutzmaßnahmen auf diesen Flächen können Kirchen also viel für den Erhalt von Biodiversität und Lebensräumen beitragen und damit den Schutz von Arten aktiv fördern.

FP: Kirchengemeinden in Deutschland besitzen unterschiedlich viel Land. Während manche Gemeinden über hunderte Hektar verfügen, haben andere nur wenig Fläche, die sie verpachten. Ab welcher Flächengröße ist es sinnvoll an ökologische Maßnahmen zu denken?

LT: Das ist immer sinnvoll, denn jede Fläche trägt zum Schutz der Artenvielfalt bei! Gerade kleine Pachtflächen wirken manchmal wie ein Puzzleteil zwischen mehreren Biotopen in der Landschaft, sodass man auch mit nur einem Hektar einen Beitrag leisten kann. Daher beraten wir jede/n Verpächter/in kostenlos, egal wie groß die Fläche ist.

FP: Wie können sich Kirchengemeinden bei dir beraten lassen? Wie läuft eine Beratung ab?

LT: Am besten erst einmal anrufen und einen Beratungstermin vereinbaren. Das kann prinzipiell jede/r: Das interessierte Gemeindemitglied, jemand aus dem Kirchenvorstand oder der Pfarrer, der für seine Gemeinde beschlossen hat, sich für mehr Naturschutz auf den kircheneigenen Flächen zu engagieren. Im gemeinsamen Gespräch identifizieren wir dann genau die Naturschutzmaßnahmen, die am besten für die jeweilige Fläche geeignet sind und geben Tipps, wie diese im Pachtvertrag mit den Landwirt/innen vereinbart werden können.

FP: Gibt es Naturschutzmaßnahmen, die auf Kirchenland besonders sinnvoll sind?

LT: Das ist immer abhängig von den Wünschen der Kirchengemeinde und den örtlichen Gegebenheiten. Gibt es beispielsweise Gewässer oder Hecken nahe der Fläche, kann es sinnvoll sein, Abstand zu solchen Strukturen zu schaffen, besonders wenn konventionelle Betriebe auf dem Pachtland mit Pestiziden oder Dünger arbeiten. Dann kann ein Blühstreifen eine wichtige Abstandsfläche sein, die als Puffer vor ausgebrachten Mitteln wirken kann. In anderen Fällen ist es vielleicht sinnvoller, die Fruchtfolge zu ändern und abwechslungsreicher zu gestalten. Wir fragen auch immer, was für die Verpächter wichtig ist, zum Beispiel Vogel- oder Insektenschutz. Davon ist abhängig, was wir empfehlen.

FP: Wie gut wird das Beratungsangebot von Kirchen denn bisher angenommen?

LT: Es melden sich erfreulich viele Interessierte bei uns, die entweder in Ihrer Kirchengemeinde aktiv sind und etwas tun wollen, oder auch direkt aus dem Kirchenvorstand kommen – und die sind oft auch sofort begeistert von den Möglichkeiten, die es gibt, um naturschutzvertäglicher zu verpachten. Meist wirken aber viele Parteien an so einer Entscheidung mit, weshalb der Prozess häufig einfach länger dauert – Wir stehen natürlich gerne beratend zur Seite. Außerdem gehen wir auch selbst auf Kirchenvertreter/innen zu, so waren wir beispielsweise einmal auf dem evangelischen Kirchentag in Dortmund und haben Fairpachten dort vorgestellt. Grundsätzlich kann man aber sagen: Obwohl es bereits viele Interessierte in den Kirchen gibt, könnte hier noch viel mehr passieren.

Getreidefeld vor Kirche © Frank Gottwald

FP: Was ist deine persönliche Motivation, dich für mehr Naturschutz einzusetzen?

LT: Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und war ständig draußen, habe Igel beobachtet und Marienkäfer gesammelt und viele wertvolle Naturerfahrungen machen dürfen. Ich wünsche mir für meine Kinder und zukünftige Generationen, dass auch sie noch Feldblumen pflücken und Feldvögel und Insekten beobachten können.

Fairpachten in der kirchlichen Praxis
Christine Jantzen im Interview mit Fairpachten

Christine Jantzen ist Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde Kieve-Wredenhagen. Vor Ort setzt sie sich erfolgreich für den Naturschutz ein. Die landwirtschaftlichen Flächen der Kirchengemeinde werden zukünftig naturschonend verpachtet.

Fairpachten: Über den Umgang mit Kirchenland wird viel diskutiert. Ihre Gemeinde ist eine der ersten, die Naturschutzmaßnahmen in Pachtverträgen vereinbart. Wie kam es dazu? Ein langer Weg oder ein Selbstläufer?

Christine Jantzen: Beides! Der Impuls kam, nachdem wir in Kieve ein Moor renaturiert hatten. Die Auseinandersetzung mit unserem Land und mit der Natur war sehr inspirierend. Danach war klar, dass wir auch bei der Verpachtung unserer Agrarflächen mehr auf die Natur achten wollen. Der Weg bis zum fertigen neuen Pachtvertrag brauchte dann viel Zeit. Wir sind fast alle Laien auf landwirtschaftlichem und ökologischem Terrain und mussten uns das nötige Wissen erst aneignen. Hier war die zusätzliche Beratung durch das Projekt Fairpachten sehr hilfreich.

FP: Was ändert sich nun auf den Acker- und Grünlandflächen in Ihrer Gemeinde?

Regionalberaterin Karoline Brandt und Christine Jantzen
© Kevin Neitzel

CJ: Ziel war es, unsere Flächen so ökologisch und nachhaltig bewirtschaften zu lassen, wie es einem konventionell arbeitenden Landwirt möglich ist. Nur einer unserer zehn Pächter ist ein Biobauer. Die Pächtertreue liegt uns generell sehr am Herzen. Für unsere Flächen wollten wir eine Bodenverbesserung erreichen sowie die weitere Vergiftung des Bodens und die Erosion verhindern. Die konkreten Maßnahmen dafür sind z. B. die fünfgliedrige Fruchtfolge mit mindestens einer Leguminose, eine Untersaat bei Maisanpflanzungen oder eine anschließende Winterzwischenfrucht, der Verzicht auf Breitbandherbizide oder nicht selektive Wirkstoffe, der Erhalt von Feldgehölzen oder die Beachtung tierschutzrelevanter Maßnahmen beim Mähen.

FP: Die Kirchengemeinde Kieve-Wredenhagen verpachtet 181 ha Land. Wie haben denn die Landwirte reagiert?

CJ: Sehr entspannt. Wir haben die neuen Pachtverträge mit den rot markierten Änderungen den Landwirten zugeschickt und dann zum Gespräch geladen. Bei einem Pächter gab es eine kurze Diskussion zum Glyphosat-Verzicht, aber als wir ihm klargemacht haben, dass uns auch dieser Punkt enorm wichtig ist, willigte er ein.

FP: Sie haben in Ihrer Gemeinde viel erreicht. Worüber freuen Sie sich besonders?

CJ: Ich freue mich besonders über die Selbstverständlichkeit, mit der in unserem Kirchengemeinderat mittlerweile ökologische Aspekte beachtet werden – das war zum Anfang schon eher schwierig. Und ich freue mich über den Blühstreifen auf einer unserer Flächen, an dem ich fast täglich vorbeifahre, über die sichtbare Zunahme der Artenvielfalt und über das sich langsam verändernde Konsumverhalten in meiner Umgebung. Ich freue mich darüber, dass unsere Pacht-AG von anderen Gemeinden um Rat gefragt wird und wir nun ein Infoportal zur Verpachtung von Kirchenland haben und dass immer mehr Projekte wie Fairpachten entstehen und sich was tut auf dem Land.

FP: Alle Menschen lieben Kornblumen, um die die Bienen kreisen. Was hat Sie bewegt, sich für mehr Natur in der Landwirtschaft einzusetzen?

CJ: So banal es klingt: Ich möchte eine gute Zukunft für meine Kinder! Und für mich als Christin ist die Bewahrung der Schöpfung eine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich motiviert und aktiviert werde ich durch Zeitungsartikel oder im Internet veröffentlichte Studien mit aufrüttelnden Ergebnissen – über Kornblumen kreisende Bienen sind da, wo ich lebe, schon noch häufig sichtbar. Ausschlaggebend für das Anlegen der mittlerweile sieben Bienenweiden in meinem Dorf war z. B. ein Artikel namens „Tatort Wiese“ in der Zeitschrift „GEO“.

Bericht

Der Grüne Hahn ist bunt
Impressionen vom Fachtag Kirchliches Umweltmanagement

von Siegrun Höhne

Dass der Grüne Hahn eine sehr lebendige und kreative Angelegenheit sein kann, zeigten die Referentinnen und Referenten beim diesjährigen Fachtag Kirchliches Umweltmanagement am 18. März in den Räumen der Katholischen Studierendengemeinde (KSG) im Herzen von Halle an der Saale.

Lisa-Marie Müller und Yosef Awan Arifian, beide ausgebildete Umweltauditor/innen, berichteten vom Grünen Hahn der KSG, zu der ca. 50 junge Erwachsene aus verschiedenen Studiengängen und Ausbildungsrichtungen zählen. In den wenigen gemieteten Räumen sind die möglichen Energiesparmaßnahmen überschaubar und schnell „erledigt“. Schwerpunkt der Arbeit liegt hier im praktischen Tun: Garten naturnah gestalten, Bienen anschaffen, Workshops zum umweltbewussten Leben, Vorträge, Tauschregal… Umweltkommunikation und Öffentlichkeitsarbeit liegen neben der Förderung der Biodiversität und dem Energiesparen dem Grünen KSG Hahn besonders am Herzen.

Die KSG Halle im naturnahen Garten © Lisa-Marie Müller

Es folgte ein Bericht vom Eco Team am Goethe Zentrum in Tirana/ Albanien. Umweltauditorin Sina Brod hat dort ein Team aufgebaut, das den Grünen Hahn einführt. Die Zertifizierung ist im Sommer geplant. Die Situation in Albanien ist recht verschieden zu der in Deutschland. Strom stammt nahezu zu 100 Prozent aus Wasserkraft, es gibt keine Abfalltrennung und generell ein wenig entwickeltes Umweltbewusstsein. Der Focus der Arbeit hier liegt neben der Behandlung von Umweltthemen in den Sprachkursen des Goethe-Zentrums, in der Mülltrennung, Maßnahmen zum Energie sparen und bei Ressourcen schonenden Investitionen. Aber auch neue Fahrradständer und Nistkästen gehören dazu.

Aus dem Programm des Eco Camps 2022 
© Goethe Zentrum Tirana

Auch das KonfiCamp Wittenberg strebt die Zertifizierung in diesem Sommer an. Constanze Adam berichtete, wie der Grüne Hahn zum Camp-Leben passt. KonfiCamps sind eine Mischung aus Jugendfestival, Evangelischer Kirche und Taizé. Seit 2017 finden jährlich im August drei Camp-Wochen, je für ca. 500 Konfis plus Betreuer/innen und Teamer/innen statt. Das Gelände im Norden der Lutherstadt ist eine voll ausgestattete Zeltstadt, die jedes Jahr aufgebaut wird und aus 90 Schlafzelten, einem Großzelt mit Bühne, verschiedenen Programm- und Verpflegungszelten, mit Nachtkirchen als spirituelle Orte und Bereichen für Sport und Spaß sowie Sanitärcontainern besteht. 

Umweltthemen hier sind: 

Mobilität (Lastenfahrrad statt Auto), Einkauf, Verpflegung, Workshops und Bildung, Umwelt und Natur, Reparieren und Wiederverwenden.

Um die Teilnehmer zu informieren, werden Schilder aufgestellt, die die Umweltregeln erklären.

Beispiel aus dem „Schilderwald“: Verpflegung beim Camp 
© KonfiCamp

Dass der Grüne Hahn auch in einer traditionellen Kirchengemeinde nicht langweilig ist, machte Dr. Mareike Güth von der Petrusgemeinde in Dessau deutlich. Mit der Erstzertifizierung im Jahr 2014 war die Gemeinde die erste in der Anhaltischen Landeskirche. 

Die Folgen der Coronapandemie auf das Gemeindeleben, Pfarrstellenvakanz und Strukturanpassungen forderten die Gemeinde. Das Umweltteam musste sich (aus Altersgründen) neu aufstellen und die Rezertifizierung steht an. 

Mareike Güth hielt fest, dass alles länger dauert als gedacht und es wichtig ist, zu akzeptieren, dass alle im Umweltteam ehrenamtlich tätig und fachliche Laien sind und dass es ok ist, wenn es länger dauert. Und wichtig wäre: Umweltgruppenarbeit soll Spaß machen und sich nicht nur mit (Re-) Zertifizierungsarbeit beschäftigen.

Dr. Jens Wendler vom Martin-Niemöller-Haus in Jena-Lobeda, ebenfalls Umweltauditor, berichtet vom sehr breit aufgestellten Leben in der Gemeinde: Geistliche Vielfalt, Kinder- und Seniorenarbeit, Meditation, Musik, Feiern, aber auch Diakonieanlaufstelle und vielfältige Friedensarbeit… Gäste sind willkommen. 

Im Ökoteam engagieren sich zehn Gemeindeglieder. Zentral ist das Thema erneuerbare Energie. Im Jahr 2022 wurde eine Pelletheizung eingebaut und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach installiert, deren Leistung den Bedarf der Gemeinde deutlich übersteigt. 

Im Haus steht ein „Ökobaum“ als Infotafel.  Das Team kümmert sich auch um „schöpfungsharmonische Stoffflüsse“, zum Beispiel durch die Anlage einer Insekten- und Vogelwiese, einer naturgemäßen Außengestaltung, aber auch bei der Reinigung und durch Müllreduktion. 

Ein Herzensprojekt, das „LoLa” (Lobedaer Lastenrad) für die Gemeinde, soll bald bereitstehen. Der Grüne Hahn muss noch warten.

Am Nachmittag stand „Photovoltaik und Kirche“ im Zentrum. Das Thema hat in den letzten Monaten wieder Fahrt aufgenommen. Burkhard Petersen, Energieberater und Vorstandsmitglied der helionat eG Dessau gab einem Überblick zum Stand der Technik, Anwendungsmöglichkeiten und der Debatten. 

Diskutiert wurde anschließend die Frage, welchen konkreten Beratungsbedarf Kirchengemeinden und -Orte aktuell haben. Es wurde schnell deutlich, dass es keine Standardfragen und -Lösungen geben kann bei der baulichen und gelebten Vielfalt im kirchlichen Raum. Gebraucht werden individuelle Beratungen, die dieser Situation gerecht werden. Und dies in baulicher und technischer Hinsicht, in juristischer, speziell auch vertragsrechtlicher Hinsicht und in Sachen Kommunikation nach innen und außen. Eine entsprechende orientierende Erstberatung, die das weitere Vorgehen aufzeigt, soll durch die Landeskirchen und/ oder Kirchenkreise organisiert und finanziert werden.

Der Fachtag Kirchliches Umweltmanagement findet in jedem Jahr Mitte März statt und ist ökumenisch offen.

Literaturtipp

Nicht innerlich abrutschen 

von Christoph Kuhn

Der Unfall beim Fußballspiel mit dem Enkel neun Stunden Bahnfahrt von zu Hause entfernt, ein komplizierter Beinbruch, eine noch kompliziertere Operation mit Spinalanästhesie und der Angst, danach gelähmt zu sein – so unheilschwanger beginnt die Erzählung der Autorin Caritas Führer, die mit Lyrik und Prosa und vor allem mit dem Roman „Die Montagsangst“ vor 20 Jahren bekannt wurde. 

Angst ist auch in der neuen Erzählung ein Thema: Angst der Protagonistin Fanny davor, dass die Knochen nicht wieder richtig zusammenwachsen; Angst, nicht aus der Narkose zu erwachen; Angst vor den weiteren nötigen Operationen am Bein, welches sich wie ein Fremdkörper anfühlt und aus dem Eisenteile ragen: Fixateur externe.

Bangen und Hoffen wechseln, bekommt Fanny doch Fürsorge, Zuspruch, Trost vom Klinikpersonal, von Besuchern, aus Briefen, bei Anrufen. Studentinnen interessieren sich für den Krankheitsverlauf: „Ein winziger Nützlichkeitsfaktor ist das, den sie dringend nötig hat.“ 

Fanny, verheiratet mit dem Pfarrer Niklas, dem sie in der Gemeindearbeit zur Seite steht, wird aus allem Engagement gerissen, fühlt sich ausgeliefert – hat nur noch Kraft für sich selbst, beispielsweise um die Abscheu gegenüber der Mitpatientin zu überwinden oder um sich abzugrenzen von der „Munterkeit der Therapeutin“ – immer bemüht „innerlich nicht abzurutschen“. Sie macht die „traumatische Erfahrung“, beschädigt, eingeschränkt, behindert, versehrt zu sein. Krank? Fanny denkt über diese Begriffe nach; sie fragt sich, ob wohl jede Verletzung eine „geheime Ursache“ habe, tiefliegende Zweifel, unbeantwortete Fragen, eine Beunruhigung, ein Warnsignal offenbare. Sie findet einen anderen, vielleicht naiveren, Zugang zum Glauben an einen Gott, den „allerobersten Chefarzt“, „der ihr zublinzelt“, den man darum bitten darf, dass die Ärzte auch ja alle Schrauben wieder aus dem Bein herauskriegen. Statt wie im Psalm mit der Seele, redet sie mit dem Bein. Es wird personifiziert, es leistet etwas, „erledigt jede Menge Arbeit“, beschwert sich aber auch über das Eingepresst-Sein im Stützstiefel, der Orthese, „ohne Luft zum Atmen“; das Bein ist „tapfer“. 

Welches Gefühl, zum ersten Mal wieder freihändig zu laufen! Die Verletzungen wurden leichter wahrgenommen als sie noch mit Gehhilfe ging. Das Loslassen begreift Fanny als „neue Lebensphase.“ Sie erlebt weiterhin Fortschritte und Rückschritte; und als wäre die Prüfung nicht groß genug, fällt sie zusammen mit weiteren Umbrüchen und Neuanfängen: Niklas geht in den Vorruhestand. Sie ziehen aus dem idyllischen dörflichen Pfarrhaus in eine kleinere Stadtwohnung. Die Klimaveränderungen erschrecken nicht weniger als die Pandemie; deretwegen alles ausfällt: Buchmesse, Theater, Kino, Gottesdienste. Eine Ausgangssperre wird verhängt; kann die Physiotherapeutin kommen? Was wird aus dem Röntgentermin? 

Privates und Globales wird gleichzeitig und mehrschichtig geschildert; und poetisch, denn am Schluss leuchtet noch ein Erdstern – ein seltener Pilz mit rätselhafter Symbolik. Bei aller Schwere und oft fehlender Zuversicht, ist diese Geschichte leicht und mit wohltuendem, Abstand schaffendem Humor geschrieben. Etwa wenn Fanny sich fragt, „ob Chirurgen eine Art Stickkurs belegen müssen, bevor sie die Nadel ins Fleisch stechen dürfen?“ 

Den Krankheitsverlauf erlebt Fanny wie eine Läuterung – auch dankbar, weil sie erkennt, dass ein Gemeinschaftsgefühl, welches sie in der Gesellschaft mit gestiftet und gestaltet hat, auf sie zurückwirkt, Genesung befördert, neue Kraft verleiht.

Christoph Kuhn
Tel.: 0345 2026073

Caritas Führer
Fixateur Externe
oder die Entdeckung des Erdsterns

160 Seiten
edition petit 2022
ISBN 978-3-941209-2
18,00 €
Verlag Schumacher Gebler

Warum Klimaschutz bisher verpufft und wie er gelingt – 
zum neu erschienenen Buch von Klaus Simon 

von Brigitte L. Ehrich

Der bereits stattfindende Klimawandel ist ebenso naturwissenschaftlich erwiesen wie seine Verursachung durch den Menschen. Allein technologische Innovationen und Effizienzsteigerungen, wie sie die Green Economy vorsieht, und selbst der massive Ausbau erneuerbarer Energien können die Erderwärmung nicht aufhalten, da ihre Wirkungen durch Rebound-Effekte und permanentes Wirtschaftswachstum aufgehoben werden. Der Wachstumszwang des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist die eigentliche Ursache hinter den ökologischen Problemen und dem Klimawandel. Wollen wir Naturzerstörung und Erderwärmung aufhalten, kann das nur mit einer Postwachstumsökonomie gelingen, die notwendigerweise eine postkapitalistische ist. 

Das sind die Kernaussagen des neu erschienenen Buchs von Klaus Simon „Warum Klimaschutz bisher verpufft und wie er gelingt“. In klarer und verständlicher Weise wird der Leser, die Leserin mit allen relevanten naturwissenschaftlichen Fakten zum Thema Klimawandel und seinen Folgen vertraut gemacht. Sachlich diskutiert Klaus Simon eine Vielzahl denkbarer Möglichkeiten der Emissionsreduktion einschließlich des Geoengineerings und vier Modellpfade, die der Weltklimarat (IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change) in einem Sonderbericht 2018 vorgelegt hat. Auch die notwendige Veränderung individueller Konsum- und Verhaltensmuster wird in den Blick genommen. 

Doch sie allein wird den Klimawandel nicht stoppen. Klaus Simon legt genauso faktenreich wie überzeugend dar, dass ohne eine grundlegende Transformation des auf Wachstum und Kapitalakkumulation angelegten Wirtschaftssystems der Erhalt des Planeten mit seiner wunderbaren Biosphäre nicht möglich sein wird. Wie das gelingen kann, zeigen bereits vorhandene Modellprojekte der Solidarischen und Gemeinwohl-Ökonomie, Genossenschaften u. a. Alternativen. 

Klaus Simons Buch bedarf keiner mahnenden Untergangs- und Katastrophenrhetorik. In einem äußerst sachlich-diskursiven Stil reiht der Mathematiker und Informatiker Fakten an Fakten, die für sich sprechen, und weist gangbare Wege aus der Klimakrise. Mit seiner Strukturiertheit, zahlreichen Graphiken, Satellitenfotos und zusammenfassenden Info-Kästchen empfiehlt sich das Buch als Handbuch und Nachschlagewerk in Sachen Klimawandel, Emissionsreduktion, Kapitalismus und gesellschaftliche Transformation. 

Neben dem etwas kurz gehaltenen Glossar hätte allerdings ein Stichwortverzeichnis diese Nachschlagefunktion weiter unterstützen können. Vielbeschäftigte können sich jedoch durch die Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels einen schnellen Überblick über die wesentlichsten Inhalte verschaffen. Klaus Simons „Warum Klimaschutz verpufft und wie er Gelingt“ gehört in jede private wie öffentliche Bibliothek und sollte Pflichtlektüre (…) sein. Das Buch bietet Faktisches für ein postfaktisches Zeitalter der Leugnung und Verdrängung und bereitet damit einen Weg aus der ökologisch-gesellschaftlichen Krise. 

Die Autorin Brigitte L. Ehrich ist 2. Vorsitzende von AWC Deutschland e.V. (Vereinigung von Weltbürgern und Weltbürgerinnen in Deutschland.)

Der englische Name der Dachorganisation: Association of World Citizens (AWC)
www.worldcitizens.de

Klaus Simon
Warum Klimaschutz
bisher verpufft 
und wie er gelingt

278 Seiten

ISBN 978-3-96317-217-5 (Print)
24,00 €

ISBN 978-3-96317-750-7 (ePDF)
17,99 €

ISBN 978-3-96317-751-4 (ePub)
17,99 €

Büchner-Verlag, Marburg

Veranstaltungshinweise

Aus dem Programm der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg

Vom Vietnamkrieg zur „Weltordnung“ 

Henry Kissinger zum 100. Geburtstag

1. Juni 2023 | Do. | 19.30 Uhr
Dessau-Roßlau, Gemeinde- und Diakoniezentrum St. Georg 

Er war ein Politiker mit weltpolitischen Ambitionen: Henry Kissinger, Sohn deutsch-jüdischer Emigranten, erfolgreicher Harvard-Absolvent, späterer Sicherheitsberater und Außenminister unter den US-Präsidenten Nixon und Ford. Seine Politik hinterließ tiefe Spuren, über die sehr unterschiedlich geurteilt wird. Forcierte er den Vietnam-Krieg zunächst, erhielt er später für dessen Beendigung den Friedensnobelpreis. Im „Kalten Krieg“ vertrat er eine harte Haltung gegenüber der Sowjetunion und setzte sich doch für Entspannung und Abrüstung ein. Professor Bernd Greiner, Historiker und Amerikanist, beleuchtet Leben und Wirken Henry Kissingers und analysiert dessen jüngste Stellungnahmen zum Krieg in der Ukraine.

Weitere Infos: Jörg Göpfert,

Gelingende Kooperationen
Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Naturschutz 

1. bis 2. September 2023 | Fr.–Sa.
Lüttgen-Ottersleben bei Magdeburg, Villa Böckelmann

Um in den Agrarlandschaften die biologische Vielfalt zu fördern, braucht es einen fachlichen Austausch zwischen Landwirtschaft und Naturschutz auf Augenhöhe sowie geeignete Finanzierungs- und Verwaltungsinstrumente. Vorgestellt und diskutiert werden aktuelle Kooperationen; bei einer Exkursion unter Leitung von Dr. Jens Birger in der Region sowie in Vorträgen vom Landschaftserhaltungsverband Landkreis Ravensburg, vom Naturpark Fläming und der Hochschule Anhalt.

Weitere Infos: Siegrun Höhne,

Handel zum Wandel – oder zur Weltherrschaft?
Geoökonomie als neue Herausforderung 

5. Oktober 2023 | Do. | 19.30 Uhr
Dessau-Roßlau, Gemeinde- und Diakoniezentrum St. Georg

Ökonomisches Denken und Handeln prägen seit Jahrzehnten die internationalen Beziehungen. Doch der Trend zu freiem Warenaustausch unter dem Postulat der „Globalisierung“ hat sich zunehmend in ein Ringen um eine neue Weltordnung verwandelt. Import- und Exportbarrieren bestimmen zunehmend die internationalen Beziehungen. Geoökonomie, also die Durchsetzung politischer Interessen mit ökonomischen Mitteln, breitet sich aus. Die existenziellen Herausforderungen, die damit auch für Deutschland verbunden sind, beschreibt Elisabeth Winter, Programmleiterin Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit an der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, Hamburg.

Weitere Infos: Jörg Göpfert,

ElbAuenland
5. Elbesymposium der Ev. Landeskirche Anhalts

7. Oktober 2023 | Sa. | 10.00–17.00 Uhr
Dessau-Rosslau, Kornhaus

Seit Beginn der 1990er-Jahre setzt sich die Evangelische Landeskirche Anhalts moderierend für den Dialog zum Schutz der Elbe und ihrer Auen ein. Das 5. Elbe-Symposium setzt den Fokus auf die einzigartige Flusslandschaft und ihren Wert für unsere Gesellschaft.  Es gilt, die Resilienz der Flusslandschaft zu stärken, unser Naturerbe mit seiner lebendigen Vielfalt und seinen ökologischen Funktionen ist zu erhalten und zu sichern.

Weitere Infos: Siegrun Höhne,

Leserbrief

EDK-Klimaschutzrichtlinie – Ein Meilenstein?
In BRIEFE 4/2022, Seite 8 ff

von Thomas Glaubig

Herr Dr. Foltin bemerkt in der Vergangenheit eine Kluft zwischen Zielen und Realität. Das Neue ist jetzt eine Roadmap zur klimaneutralen Kirche 2035, die neue Richtlinie soll ein Meilenstein auf dem Weg dahin sein.

Das alles ist – offensichtlich – Gegenstand kirchlichen Auftrags (aus Verantwortung?), wichtige Orientierungshilfe sind die Beschlüsse Pariser Klimakonferenz und die Nachhaltigkeitsziele der UN. Kirchen-Ferne und -Amateure vermuten als Richtlinie wohl eher die Bibel, der ja auch Äußerungen zur Zukunft der Welt zu entnehmen sind. Verblüffend auch Annette Kurschus: „Der Klimawandel bleibt die größte Herausforderung der Menschheit.“ Ob das theologisch korrekt ist? 

Und dann der Reduktionspfad: Für selbstgenutzte Gebäude keine fossile Heizung, dienstliche Mobilität ohne Fahrzeuge mit fossilem Antrieb, keine Inlandsflüge. Wenn man es hinterfragt: nichtfossile Heizungen könnten Elektroheizungen mit Grünstrom oder Biogas sein oder auch Holzheizungen. 

Nur: Ausreichend Winter-Grünstrom gibt es weder jetzt noch 2035 (jedenfalls bei den derzeitigen Zubau-Raten), Initiativen zur Förderung der Biogas-Erzeugung fehlen (zum Vergleich: Dänemark hat ca. 20% Biogas im Gasnetz, Deutschland ca. 2%.). Holzheizungen könnten wegen der Eigenerzeugung im Kirchenwald sinnvoll sein, sind aber wegen erwarteter Feinstaubemissionen unerwünscht. Gar nicht in der Diskussion sind Lösungsideen wie die erprobte Speichertechnik von Josef Jenni zur ganzjährigen solaren Gebäudeversorgung, obwohl diese seit Jahrzehnten funktionieren (und noch dazu ist Jenni ein frommer Mann!). Fahrzeuge ohne fossilen Antrieb sind derzeit eigentlich nur CNG-Autos (Methan, laut „gibgas.de“ tankt man an mehr als der Hälfte der deutschen CNG-Tankstellen Biogas) oder mit Eigenstrom versorgte Elektro-Autos. Mit PV lassen diese sich von März bis November laden, für den Winter müsste dann Wasserkraft- oder Windstrom zur Verfügung stehen. Allerdings gilt die Kleinwasserkraft wegen der Eingriffe in die Natur als Auslaufmodell.

Themenseiten – Zehn Jahre Arbeitskreis Umwelt und Landwirtschaft

Zehn Jahre Arbeitskreis (AK) Umwelt und Landwirtschaft
an der Studienstelle

von Siegrun Höhne

Unter Leitung von Dr. Gerhard Pfeiffer startete der Arbeitskreis Landwirtschaft und Umwelt in der Postwachstumsgesellschaft mit großem Engagement und vielen Themenfeldern. Ein erstes Ergebnis war ein Thesenpapier zur Landwirtschaft, dass die Probleme prägnant in den Blick nahm und Lösungswege skizzierte. Schnell entwickelte sich das Thema: mehr Vielfalt in Agrarlandschaften zum Hauptarbeitsfeld, es entstanden Kooperationen und eine jährliche Tagung in diesem Kontext machte den AK zu einer (wenn auch informellen) Institution im Land.

Die notwendigen Entwicklungspfade, die sich nach und nach in den Tagungen herausschälten, wurden ganz ähnlich im Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft des Bundesumweltministeriums vom Juni 2021 formuliert. Der Kommission, die den beachtenswerten Bericht erarbeitete, gehören 31 Mitglieder aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, Wirtschaft und Verbraucher sowie aus der Wissenschaft an.

Im Leitbild heißt es in These 1: „Die Transformation des Ernährungs- und Landwirtschaftssystems muss unter Berücksichtigung der planetaren Grenzen die ökologische Verträglichkeit und Resilienz landwirtschaftlicher Produktion sowie den Tierschutz verbessern und die Diversität der Betriebsformen, Produktionssysteme, Agrarstrukturen und Agrarlandschaften fördern. (…)“ Und in These 2: „Die Vermeidung schädlicher Effekte und die Steigerung positiver Wirkungen auf Klima, Umwelt, Biodiversität, Tierwohl und menschliche Gesundheit müssen im eigensten individuellen wie unternehmerischen Interesse der landwirtschaftlichen Produzent/innen liegen können. Die Agrar- und Umweltpolitik sowie das Agrar- und Ernährungssystem müssen deswegen darauf angelegt sein, dass auf der Produzentenseite die Vermeidung derzeitiger negativer Externalitäten und die Erzielung positiver Effekte auch betriebswirtschaftlich attraktiv werden.“

Nun sind Leidbilder und auch ein ambitionierter Bericht leider (noch) nicht praxiswirksam. Aber es zeigt sich, dass bei einem großen Teil der Beteiligten in der Branche, bei Landwirtschaft wie auch in den zuständigen Behörden, in der Wissenschaft und auch (in Teilen) bei den Umweltverbänden etwas bewegt hat.

Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen nichts. Eine Landwirtschaft, die neben der Produktion von Agrarprodukten auch Wasser und Boden schützen, die biologische Vielfalt fördern und das Tierwohl im Blick haben soll, muss dazu auch befähigt werden; durch entsprechende wirtschaftliche und strukturelle, fördertechnische und marktordnerische, fachliche und flexible Rahmensetzungen. 

Ob die aktuell im Start steckende neue EU- Förderperiode tatsächlich vielfältige Änderungen ermöglicht, ist offen. 

Ein Denken über die eigenen Ziele und das eigene Unternehmen hinaus – hierfür können neue Kooperationen sich als mögliche Wege anbieten. Um Beispiele für solche Kooperationen geht es bei der diesjährigen Tagung des AK am 1. und 2. September bei Magdeburg. Das Programm wird in Kürze versandt, Anmeldungen sind bereits möglich.

Wenn Sie Interesse an der Mitwirkung im AK Umwelt und Landwirtschaft haben, im Verteiler aufgenommen werden wollen oder Hinweise und Anregungen für die Weiterarbeit haben, melden Sie sich bei der Redaktion.

In diesen Themenseiten finden Sie zwei Texte, die sehr verschiedene Agrarlandschaften in den Blick nehmen, die beide das Potential haben, für Vielfalt in Agrarlandschaften zu sorgen, die aber beide auch Probleme mit sich bringen:

Dr. Andrea Seidel, Technische Universität Dresden, stellt Möglichkeiten und Begrenzungen von und für Agroforstsysteme vor. Hier ist seit der Feststellung des Status von Agroforst als landwirtschaftliche Nutzungsform sehr viel in Bewegung und in der Diskussion. Der Beitrag erscheint hier als Vorabdruck. Er wird in der Zeitschrift „Naturschutz in Sachsen-Anhalt, in einer Sonderausgabe zum Thema Agroforst erscheinen, die derzeit in Arbeit ist.

PD Dr. habil. Hans Hochberg und Dipl. agr. Ing. Elisabet Hochberg vom Deutschen Grünlandverband e. V. beschreiben Dauergrünland als Multifunktionär und Sorgenkind. Dieser Beitrag wurde im Oktober 2022 bei einer Veranstaltung zum Thema Grünland in der Evangelischen Akademie in Wittenberg vorgetragen und intensiv diskutiert.

Mehr Agroforst in Gunstgebieten der Landwirtschaft?
Ein Diskussionsbeitrag.

von Dr. Andrea Seidel

Unsere Landschaften formen sich aus unterschiedlichen raumgreifenden Nutzungen. Die grüne Wiese, der gelbe Acker, der dunkle hohe Wald – es sind alles in Form und Farbe gegossene Erscheinungsbilder, die als Ergebnis einer bestimmten Handlungsweise entstanden sind. Faszinierend ist der fortwährende Wandel dieser landschaftlichen Struktur, angetrieben durch sich ändernde Nutzungsziele und -intensitäten sowie räumliche Verschiebungen: das Wachsen von Siedlungen, das Verbuschen von aufgegebenen Flächen oder das sich stetig verändernde Muster innerhalb landwirtschaftlicher Flächen im jahreszeitlichen Wechsel einerseits, andererseits in der Verteilung von Weiden, Wiesen sowie unterschiedlichen Ackerkulturen. 

Die heute so deutliche Grenze zwischen Grünland, Wald und Feld war in früheren Jahrhunderten weit weniger scharf, indem sich Nutzungsformen überlagerten und dynamisch wechselten. Äcker und Wälder wurden beweidet oder Grünland entstand, indem erschöpfte Ackerböden temporär brach gelegt wurden. Vor allem die Einbindung von Gehölzen im räumlichen und zeitlichen Wechsel mit Feldfrüchten, Gras oder einer Weidenutzung war eine allgegenwärtige Mehrfachnutzung in der historischen Kulturlandschaft (-> Abb. 1): Streuobstwiesen, Hutewälder oder Kopfweiden entlang von Bächen wurden aus dem Zwang zur Selbstversorgung mit Nahrung und Brennholz angelegt. 

Diese heute als agroforstliche Systeme bezeichneten Landnutzungspraktiken sind in unseren Breiten überwiegend als Kulturlandschaftsrelikte erhalten. Ein stärkerer Handel mit Agrarprodukten und die Loslösung von der Selbstversorgung machten viele der handarbeits- und zeitintensiven Nutzungen entbehrlich. Auch der wachsende Maschineneinsatz in der landwirtschaftlichen Praxis sowie eine messbare Aufteilung der Flur in Grundstücke und zugeordnete Nutzungen trugen dazu bei, dass man gehölzbestandene Flächen und Nahrungsmittelproduktion trennte. 

Auch gegenwärtig manifestiert sich diese klare Abgrenzung, indem das System der europäischen Agrarförderung sehr unflexibel auf weiche Übergänge zwischen Gehölzen und ‚landwirtschaftlich genutzten Fläche‘ reagiert. 

Bis heute überdauert haben großräumige Doppelnutzungen aus Gehölzen und landwirtschaftlicher Produktion nur in manchen (süd)europäischen Regionen: Beweidungslandschaften unter Oliven, Korkeichen und anderen Nutzbäumen in Portugal, Spanien oder Griechenland, u.a. bekannt unter den Namen dehesas oder montados. Nicht zufällig bestehen diese rezenten Agroforstsysteme vor allem in Gebieten fort, deren Bewohnerschaft mit eher ungünstigen Bedingungen für die Landwirtschaft zu kämpfen hatten und haben, sei es mangelnde Bodenfruchtbarkeit oder Trockenheit.

Und nicht zufällig sind gerade diese Gehölz-Feld-Weide-Mischnutzungen von einer ausgesprochen hohen Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen gekennzeichnet. Die Ursachen liegen auf der Hand: Auf engem Raum werden zwei gegensätzliche pflanzliche Habitatvoraussetzungen kombiniert: eine in größere Höhen reichende dauerhafte Vegetationsform sowie eine niedrige, im Jahresverlauf sehr dynamisch in der Höhe und Dichte variierende Pflanzendecke. Entsprechend finden sich gehölzgebundene Vögel, Säugetiere u.a. Insekten in unmittelbarerer Nachbarschaft zu Arten der Steppenlandschaft ein. Das Gros der mobilen Arten jedoch profitiert von der Kombination der Eigenschaften: die Gehölze sind sicherer Brutstandort, geben Deckung und ermöglichen die Überwinterung, während die von Gräsern und Kräutern bestimmte Unterebene eine Quelle der Nahrung in Form von Blüten, Samen, weichen Blättern und den sich dort tummelnden Insekten bietet. Je älter dabei die Gehölzstrukturen und je weniger intensiv der Unterwuchs genutzt wird, desto höher sind die Artendichten. 

Abbildung 1: Flächennutzung der Gemeinde Schleinitz 1839

Es wundert daher nicht, dass Agroforstsysteme als Idee aufgegriffen werden, um auch in heutigen Agrarlandschaften eine höhere Biodiversität zu erreichen. Gerade in gehölzarmen, großflächig landwirtschaftlich dominierten Gebieten mit hoher Bodenfruchtbarkeit erscheinen sie als Möglichkeit, ein größeres Spektrum an Habitaten zu etablieren und nebenbei weitere Ziele der Nachhaltigkeitsdebatte umzusetzen. Eingebracht in eine intensive Ackerlandschaft, hofft man:

  • dass sich Nischen für Gebüschbrüter u. a. gehölzabhängige Arten bzw. Arten der Säume ausbilden, 
  • dass sich Vorteile für das umgebende Feld ergeben, indem die Erosionsgefährdung durch Wind und Wasser sowie die oberflächennahe Austrocknung reduziert wird, 
  • dass der Gehölzschnitt bei Hecken als nachwachsender Energierohstoff genutzt wird, sich unter den Gehölzen Humus anreichert und damit CO2 im Boden gebunden wird und 
  • dass die Landschaft durch Gehölzelemente gegliedert und damit abwechslungsreicher wird. 

Diese Idealvorstellung erinnert an die Hoffnung, die beim Aufkommen von Biogasanlagen bestand, endlich einen Abnehmer für Landschaftspflegegut zu finden. Stattdessen entwickelte sich eine neue Form der Agrarindustrie, die eher das Gegenteil bewirkte: Eine weitere Intensivierung der Landschaft wurde befeuert, indem der Maisanbau floriert(e) und sich Schnitthäufigkeiten von Graskulturen weiter verengten. Das Problem, den Aufwuchs von Biotopflächen sinnvoll zu verwerten, besteht hingegen fort. Dieser Exkurs soll andeuten, dass nicht nur die Vorteile, sondern auch Risiken neuer landschaftlicher Systeme bedacht werden sollten. 

Gerade auf Böden mit hoher Fruchtbarkeit wird in der Regel nur über eine Form der Agroforstsysteme gesprochen, die Kurzumtriebsplantagen (KUP). Diese vorrangig für die Herstellung von Holzhackschnitzeln gedachte Kulturform könnte als energetischer Rohstoff angesichts hoher Preise für Strom und Wärme an Bedeutung gewinnen. Charakteristisch weisen KUPs eine einheitliche Altersstruktur von starkwüchsigen Gehölzarten wie Pappel oder Weiden, ggf. auch Robinien auf, die durch den „Umtrieb“ aller zwei bis fünf, maximal bis zehn Jahre kein höheres Altersstadium erreichen. Folglich können Habitate für Gebüschbrüter aufgrund des monokulturartigen Aufbaus nur eingeschränkt, Baumhöhlen und andere Mikrohabitate wie Rinden- und Holzrisse für Arten der Altgehölze gar nicht entstehen. Auch die Ausbildung eines Unterwuchses oder Saumes, der Nahrungsvielfalt durch Kräuter- oder Insektenreichtum bietet, ist nur eingeschränkt möglich oder aus Gründen einer effizienten Nutzung gar nicht gewollt. In der Anwuchsphase der Gehölze werden Mittel zur Beikrautregulierung durchaus verwendet. 

Dennoch sind Kurzumtriebsplantagen vor allem zum Schutz von Böden interessant, gerade, wenn durch einen Streifenanbau entgegen der Hauptwindrichtung oder hangparallel ihr erosionsmindernder Effekt genutzt wird. 

Eine viel schwerer abzuschätzende Wirkung ist jene auf die Landschaftsgestalt. Ökologen, Planer und Naturschützer befürworten, wenn Gehölze – welcher Art und Form auch immer – in ackerdominierten Landschaften eingebracht werden. Die Bewohnerschaft hingegen könnte dies ganz anders sehen. Historisch ist eine Heckenstruktur in steinarmen Lößlandschaften selten nachzuweisen. Vielmehr lassen sich in Flurkarten von 1842 in den Lößgefilden Sachsens vor allem Hutewälder auf Feuchtstandorten, Niederwälder und Streuobst nachweisen (-> Abb. 1). Ein Hinterfragen von Seiten der Einheimischen gegenüber dem andersartigen Landschaftsbild mit engmaschigen Pappel- oder Weiden-KUPs wäre, wie bei anderen neu eingeführten Landnutzungen, nicht verwunderlich.

Damit sich die vielschichtigen Vorteile von Agroforstsystemen auf Boden, Wasser und Biodiversität entfalten können, ist mehr als nur eine zweidimensionale Mischung von Gehölz- und landwirtschaftlicher Nutzung notwendig. Gerade für ein höheres Maß an Artendichte und –vielfalt müssen einzelne Gehölze ein hohes Altersstadium erreichen und die Nutzungsintensität zumindest auf Teilflächen reduziert werden.)

Doch wie lassen sich vielgestaltige Gehölz-Acker-Grünland-Mischsystemen in modernen Land(wirt)schaften etablieren?

Als Ausgangspunkt für ein diesbezügliches Gedankenspiel muss eingestanden werden, dass sich derartige Mischnutzungsformen unter den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen nicht ‚von selbst‘ etablieren, auf Gunststandorten ebenso wenig wie in Geringstertragslagen. Betrachtet man eine (Agrar)landschaft als System im Fließgleichgewicht aus naturräumlichen Bedingungen, gesellschaftlichen Anreizen und Wirtschaftlichkeit, sieht die Autorin vier Voraussetzungen, um Nutzgehölze zurück in die landwirtschaftliche Praxis zu bringen: 

  • Das bisherige System wird aufgegeben, indem die Nutzung von Gehölzen als wirtschaftlicher angesehen wird. Die Ackernutzung wäre dann nur Begleitnutzung oder würde gar aufgegeben werden. Ein zugegebenermaßen unrealistischer Fall für Gunstgebiete der Landwirtschaft. 
  • Um das bestehende System aufrecht zu erhalten, muss mit Agroforstsystemen gearbeitet werden. Dies wäre der Fall, wenn klimatische Änderungen wie Starkregen und Austrocknung so gravierend werden, dass Erträge von Ackerkulturen und Grünland vergleichsweise kostengünstig durch das Pflanzen von Gehölzen stabilisiert werden könnten. Theoretisch bereits jetzt überlegenswert, aber in der betrieblichen Praxis (noch) kein Thema.
  • Das bestehende System wird lukrativer, durch die Einbettung von agroforstlicher Nutzung. An dieser Stelle setzen in der Regel Fördermittel an. 
  • Strukturen aus Gehölzen mit Acker oder Grünland entstehen durch Eigeninitiative, indem einzelne Akteure eine agroforstliche Mischnutzung ausprobieren und nach Synergien für ihr persönliches Nutzungsziel suchen. So verlockend diese Strategie ist, bezogen auf die Fläche handelt es sich um Einzelfälle. 

Das Mittel der Wahl, um agroforstliche Nutzung in landwirtschaftlichen Gunstgebieten aktuell voran zu bringen, scheint der monetäre Anreiz für landwirtschaftliche Betriebe zu sein. Angesichts der alten und neuen Ziele der EU, die Biodiversität zu erhöhen, Ressourcen zu schonen (Schlagwort Grundwasserschutz und Nitrat sowie Wasserrahmenrichtlinie), den Treibhausgasausstoß zu mindern (CO2-Bindung im Boden) und Nutzungen an Klimaänderungen anzupassen, überrascht es nicht, dass Agroforst ab diesem Jahr in der Säule der Direktzahlungen bedacht wird. 

In der „Ökoregelung 3“ wird bundesweit einheitlich die Erhaltung bestehender Gehölzstreifen, nicht aber die Pflanzung, gefördert. Für Sachsen gibt es sehr explizite Zusatzregelungen, in denen u.a. ein schlagbezogenes Nutzungskonzept für die Agroforstsysteme vorgelegt werden muss. Ob allein die „Nutzung“ als Windschutz oder eine alternative Nutzungsart zu Kurzumtriebsplantagen akzeptiert wird, entscheidet die Behörde nach nicht bekannten Kriterien. Klar aber ist, durch die Vorgabe eines streifenförmigen Anbaus, der „in der Summe zwischen mind. 2 % und max. 35 % des Schlages umfassen“ darf, sind gehölzüberstandene Weiden wie beispielsweise in Südeuropa nicht förderfähig.

Die Gefahr besteht, dass sich förderbedingt sehr einheitliche Strukturen durchsetzen, nämlich eine für Holzhackschnitzel angebaute, verholzende Kultur in „Breite von 3 bis 25 Meter“, unabhängig vom umgebenen Landschaftstyp und der flankierenden landwirtschaftlichen Nutzung. Fokussiert die Förderung allein auf KUPs, werden zudem in erster Linie größere landwirtschaftliche Betriebe angesprochen. Denn für eine kostendeckende Nutzung klassischer Kurzumtriebsplantagen braucht es eigene Technik oder Dienstleister bei Pflanzung, Ernte und Rodung, Transportmittel und ggf. Lager- und Trocknungsmöglichkeiten. Welche Gewinnspanne bleibt da für kleinere Landwirtschaftsbetriebe?

Die Vorstellung von Naturschützern, Ökologen und Landschaftsplanern sieht doch anders aus: Vielgestaltige Mischnutzungen aus verschiedenen Gehölzarten mit Beweidung, Mahd oder Ackerkultur in einer kleinräumigen Verflechtung, welche die Flur einer Gemeinde oder einer Region in ihrer unverwechselbaren Gestalt bestärkt. Doch um diesem Ziel näher zu kommen, müssen wir uns von der bis hierhin vollzogenen Betrachtungsperspektive lösen. 

Naturschützer und Planer blicken in der Regel „von oben“ mit einer Gesamtidee auf einen Raum. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Nutzungsform treffen jedoch ausschließlich die vor Ort Handelnden auf Basis ihrer persönlichen Ziele, ihrer sozialen Prägung und der gesellschaftlichen und damit auch wirtschaftlichen Zwänge und Anreize. Landschaften entstehen aus dem unbewussten Zusammenwirken einer Vielzahl miteinander verflochtener lokaler Akteure. Es ist genau das, was Naturschutzinitiatoren nicht selten graue Haare wachsen lässt. Doch der Weg mit den lokalen Landnutzenden lohnt, denn, je pluraler die Nutzungskonzepte und Vorstellungen der Haupterwerbslandwirte, Nebenerwerbslandwirte, Grundstückspächter oder Kommunen sind, desto heterogener formt sich das Erscheinungsbild einer landwirtschaftlichen Flur. Für den Ansatz eines selbstorganisierten Landschaftswandels braucht es daher nicht ein Nutzungskonzept, sondern viele unterschiedliche, welche den jeweiligen Anforderungen und Sichtweisen der Landnutzenden entsprechen.

Stellen wir uns die Gemeinde „Grünleben“ vor: Während sich die dort tätige Agrargenossenschaft „Rübenglück“ für das Konzept der Kurzumtriebsplantagen als Erosionsschutz und als Zusatzeinnahme interessiert, lehnt Friedhelm Müller, der vor-Ort-aufgewachsene Nebenerwerbslandwirt, diese Nutzungsform gänzlich ab. Er würde lieber die aus seiner Kindheit in Erinnerung gebliebenen Obstreihen neu pflanzen und stellt dazu den Wegsaum von zwei Ackerschlägen zur Verfügung. Zudem genehmigt ihm die Landwirtschaftsbehörde die Beweidung eines Feldgehölzes mit dem umliegenden Grünland durch seine zwei Mutterkühe und deren Kälber. Die zugezogene Susanne Weidner möchte einen Biobetrieb in einer Mischnutzung aus Hühnerlauffläche, Zucht von Haselnüssen und dem Anbau von Gemüse aufbauen. Im Ergebnis sehen wir in der Gemeinde „Grünleben“ sehr unterschiedliche Ausprägungen von agroforstlichen Mischnutzungen mit einem hohen Effekt nicht nur für die Artenvielfalt. Doch warum bleibt es an dieser Stelle bei einem Gedankenspiel? Für die Realisierung der fiktiven Beispiele wären mindestens drei Herausforderungen zu bewältigen:

  • Eine monetäre Förderung müsste in gewissen Maßen flexibel für die Kreativität von Landnutzenden sein, so lange die Förderziele (z.B. Förderung der Biodiversität, Ressourcenschutz und Klimaanpassung) im Fokus bleiben. Denkbar sind Punktesysteme, die an bestimmte Geldleistungen gebunden sind. Die Schwierigkeit besteht darin, ein transparentes Modell zu schaffen, das den Förderwilligen nicht bürokratisch erschlägt.
  • Die Aus- und Weiterbildungsbetriebe setzen Ideen in die Köpfe der Landnutzenden von morgen. Es braucht Versuchsanlagen und die Begleitung von Vorreitern, um die Kombinierbarkeit von klassischer Landwirtschaft und einer vielseitigen Gehölznutzung zu erforschen. Wenn klar ist, welcher betriebliche Aufwand, welche Vor- und Nachteile mit bestimmten Nutzungsformen einhergehen, können Betriebsleiter und –leiterinnen der alten und nachwachsenden Generation entscheiden, ob und wenn ja, welches Modell zu ihnen passt. 
  • Das Wiederaufleben von Mehrfachnutzungen ist nur möglich, wenn sich die Vorgaben aus dem Forstrecht, dem Naturschutzrecht und den Landwirtschaftbehörden nicht gegenseitig blockieren. Immer wieder zeigt sich, dass es trotz vieler Hürden Gestaltungsspielräume gibt, wenn Behördenvertreter nicht nur mit dem Landwirt, sondern auch untereinander in gutem Austausch stehen.

Mehr Agroforst in landwirtschaftlichen Gunstgebieten ist eine große Aufgabe, für die es einen langen Atem brauchen wird. Je vielgestaltiger die Möglichkeiten einer Gehölz-Acker-Grünland-Mischkultur gedacht werden, umso mehr Benefit ist für die Biodiversität und vielleicht auch den Klimaschutz und die Klimaanpassung zu erwarten. Die Basis für die Umsetzung und Akzeptanz vielgestaltiger Agroforstsysteme sind immer die Bewohner und Bewohnerinnen sowie die Landnutzenden der (Agrar)landschaft. Sie gilt es zu überzeugen, um Wege neben der aktuell effizientesten und gewinnbringendsten Nutzungsform auszuloten. 

Quellen: 

Abbildung 1: Flächennutzung der Gemeinde Schleinitz 1839 (Quelle: Auswertung auf Grundlage des Flurkrokis und Flurbuches der Gemeinde Schleinitz (1839), Hauptstaatsarchiv Dresden. In: Schmidt, C.; Lachor, M.; Lein, M.; Grosskopf, F.; Stricker, M.; Hofmann, M. (2013): Naturschutzfachliche Bewertungsgrundlagen für die Ausstattung mit Arten, Lebensgemeinschaften und Lebensräumen in intensiv genutzten Agrarlandschaften. Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Auftrag des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie durch die Professur Landschaftsplanung an der TU Dresden und das Professor Hellriegel Institut an der der Hochschule Anhalt (FH). Unveröffentlicht.

Die Ausführungen dieses Beitrags basieren auf: 

Seidel, A. (2017): Die Wirkung von Landnutzung und landnutzenden Akteuren auf die Entstehung unterschiedlicher physischer Erscheinungsformen in Agrarlandschaften. Dissertation an der Fakultät Architektur der Technischen Universität Dresden. Online unter: https://tud.qucosa.de/api/qucosa%3A30862/attachment/ATT-0/

Dauergrünland – Multifunktionär und Sorgenkind

PD Dr. habil. Hans Hochberg und Dipl.agr.Ing. Elisabet Hochberg
Deutscher Grünlandverband e.V.

Das Dauergrünland prägt in vielen Naturräumen Deutschlands das Landschaftsbild entscheidend und ist ein äußerst wertvoller Bestandteil einer vielseitig strukturierten Kulturlandschaft. Hinter dem Begriff Dauergrünland verbergen sich zahlreiche Pflanzengemeinschaften, bestehend aus ausdauernden Gräsern, Leguminosen und Kräutern, die im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt stehen. Es sind dynamische Pflanzengemeinschaften, die einzigartige Ökosysteme mit jeweils spezifischer floristischer wie faunistischer Artenzusammensetzung bilden (Übers. 1).

Übersicht 1: Was ist Dauergrünland? (Hochberg, Maier, Hochberg, 2009)

Dauergrünland erfüllt fünf, in direkter Beziehung miteinander stehende Funktionen in der Kulturlandschaft. Die Nutzung als Wiese oder Weide ist die Grundvoraussetzung für die Aufrechterhaltung der abiotischen und biotischen Ressourcenschutzfunktion sowie der Erholungs- und Bildungsfunktion (Übers. 2).

Übersicht 2: Funktionen des Dauergrünlandes

Im Ergebnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der letzten Jahrzehnte sind alle Funktionen, d.h., das Agroökosystem Grünland, problembehaftet. Die Vielfalt an Pflanzengesellschaften und -arten wurde durch Meliorationsmaßnahmen, die Mitte des 19. Jhd. Ihren Anfang nahmen, durch die Intensivierung der Düngung und die Erhöhung der Nutzungshäufigkeit in der 2. Hälfte des 20. Jhd. und z.T. bis heute immer weiter eingeengt. Inzwischen hat sich ein besorgniserregendes Spannungsfeld rund um das Grünland entwickelt. Das resultiert aus einem anhaltenden Tierbestandsabbau an Wiederkäuern. Das betrifft vor allem die Schafe aber auch die Milchrinder. Diese Entwicklung wird begleitet von einem stetigen Flächenverlust trotz EU-Grünlanderhaltungsgebotes. Andererseits sind alternative Biomasseverwertungsmöglichkeiten, ob energetisch oder stofflich, vom Anteil des Biomasseanfalls nur marginal. Der Ressourcenschutz und die Biodiversität des Grünlandes sind jedoch an die regelmäßige, angepasste Nutzung gebunden. Da die Erhaltung der Wiesen und Weiden an Nutzung und Verwertung der anfallenden Biomasse gebunden, aber vielerorts nicht mehr gewährleistet ist, hat sich das Grünland in der Kulturlandschaft zum Sorgenkind entwickelt. Diese, besonders in Ostdeutschland, entstandene Situation verdeutlicht Übersicht 3.

Übersicht 3: Spannungsfeld Dauergrünland – Ursachen und Folgen

Die Grünlandbewirtschaftung bewegt sich seit Jahren am ökonomischen Limit. Maier (2018) ermittelte anhand der Buchführungsergebnisse der Thüringer Grünlandbetriebe im benachteiligten Gebiet den Anteil der Förderung am Einkommen (Tab. 1). 

Einkommen
(%)
Betriebsform
MilchviehbetriebeMutterkuhbetriebeSchäfereien
Umsatzerlöse795831
Direktzahlungen91727
Ausgleichszulage2610
KULAP21226
andere betriebl. Erträge886
Tabelle 1: Einkommensanteile (%) von Umsatzerlösen und Förderungen bei verschiedenen Betriebsformen Thüringer Grünlandbetriebe im Zeitraum 2014 bis 2016

Der Anteil der Förderung am Einkommen beträgt bei den Milchviehbetrieben 13%, bei den Mutterkuhbetrieben 35% und bei den Schäfereien 63%. Trotz Förderung wird nur ein verfügbares Betriebseinkommen pro Arbeitskraft und Jahr von weniger als 30.000 € erreicht! Diese dramatische ökonomische Lage der tierhaltenden Grünlandbetriebe sowie deren existenzielle Abhängigkeit von Förderprogrammen nehmen Politik und Gesellschaft billigend in Kauf. Ohne ein komplexes Förderinstrumentarium mit fairer finanzieller staatlicher Unterstützung gibt es für das Dauergrünland keine Zukunft, weil nur so die mit der Grünlandbewirtschaftung erbrachten und nicht am Markt handelbaren ökologischen und sozialen Gemeinwohlleistungen bezahlt werden können.

Die Grünlandwirtschaft steht mit ihren extrem unterschiedlichen Produktionsbedingungen vor Herausforderungen, die noch nie so groß und komplex waren (Übers. 4).

Übersicht 4: Herausforderungen für das Dauergrünland und dessen Bewirtschaftung

Alle Stakeholder müssen beim Umgang mit diesem Multifunktionär umdenken. Der erforderliche Beitrag zur Ernährungssicherheit und zum Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, der Biodiversitätsschutz sowie die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Grünlandbewirtschafter machen eine standortangepasste, differenziertere Grünlandbewirtschaftung erforderlich, wenn wir uns diesen Herausforderungen wirksam stellen wollen (Übers. 5).

Übersicht 5: Funktionstypen des Dauergrünlandes (Hochberg, 2022)

Diese Unterteilung des Dauergrünlandes in Funktionstypen mit ihren charakteristischen Pflanzengesellschaften/ Grünlandtypen gilt es anzuerkennen und diese differenzierte Betrachtung muss auf allen Ebenen praktiziert werden. Für die Durchsetzung dieser Betrachtungsweise ist ein gesellschaftlicher Konsens, agrar- wie umweltpolitische Akzeptanz und Unterstützung sowie mediale Anerkennung unumgänglich. Das erfordert einen Paradigmenwechsel in den Köpfen und bei den Taten. Wenn diese Funktionstypen in den Betrieben die unterschiedlichsten, einzelbetrieblich ökoeffizientesten Flächenanteile einnehmen, dann wird ein Future-Grasslandfarming umgesetzt. Es ist ein neuer Ansatz zur Bewältigung o.g. Herausforderungen. 

In den ostdeutschen Grünlandgebieten hat seit den 1990er Jahren eine beispiellose Extensivierung hinsichtlich Ausmaßes und Inputreduzierung stattgefunden. Regionalspezifische Kulturlandschaftsprogramme dienen der finanziellen Unterstützung, d.h., dem teilweisen Ausgleich extensivierungsbedingter Einkommensverluste. Die Entwicklung in den letzten 3 Jahrzehnten wird nachfolgend am Beispiel Thüringens dargestellt, weil hier der überwiegende Flächenanteil extensiv bewirtschaftet wird und mit einem Landesmonitoring eine solide Datengrundlage zu den Auswirkungen dieser Wirtschaftsweise vorliegt. Grünlandextensivierung und naturschutzkonforme Bewirtschaftung haben dazu geführt, dass sich der Flächenanteil standortangepasster Grünlandgesellschaften von etwa der Hälfte des Grünlandes 1987 im ersten Jahrzehnt auf zwei Drittel und nach 15 Jahren auf fast drei Viertel erhöht hatte (Übersicht 6).

Übersicht 6: Entwicklung der Pflanzengesellschaften des Grünlandes in Thüringen unter den Bedingungen langjähriger Extensivierung (Hochberg et al., 2008)

Damit ist auch eine deutliche Differenzierung der Pflanzengemeinschaften einhergegangen, so dass die Anzahl Grünlandgesellschaften von anfänglich 37 auf 48 innerhalb von 10 Jahren und im weiteren Verlauf bis auf 58 angestiegen ist. Vielfach sind auf den Flächen entsprechend der standörtlichen Voraussetzungen kleinräumig und mosaikartig verschiedene Grünlandtypen vorzufinden. Damit sind Entwicklungsmöglichkeiten für Flora und Fauna entstanden, wie es z.Z. früherer Generationen der Fall war. Aber das Ergebnis des Monitorings nach 15 Jahren ungewöhnlich starker, undifferenzierter Extensivierung zeigte, dass der Flächenanteil mit pflanzensoziologisch definierten Grünlandgesellschaften wieder deutlich abnahm. 

Die nicht auf Grünlandtypen/ -gruppen ausgerichtete Extensivierung mit Verzicht auf Nährstoffzufuhr, außer Weidetierexkremente, vorherrschend viel zu später Schnittnutzung und Extensivweidesystemen hat zu einer charakteristischen Entwicklung des Flächenanteils einzelner Pflanzengesellschaften geführt (Abb. 1).

Abbildung 1: Entwicklung des Flächenanteils (%) ausgewählter Grünlandtypen bei langjährig undifferenzierter Grünlandextensivierung (Hochberg et al., 2008)

Der Flächenanteil der Goldhaferwiesen, vor allem der des Poo-Trisetetum aber mit zeitlichem Verzug auch der des Geranio-Trisetetum, ist extensivierungsbedingt stark zurückgegangen. Erwartungsgemäß war auch ein sehr starker Rückgang der Ansaatgrünlandtypen zu verzeichnen. Dem gegenüber hat der Anteil an Mähweiden mit Entwicklungspotential zu einer Grünlandgesellschaft sehr stark zugenommen.

Die außergewöhnlich extensive und undifferenzierte Wirtschaftsweise hat sich bis heute fortgesetzt. In der Regel sind komplette Gemarkungen betroffen. Dabei ist eine massive Unternutzung festzustellen. Eine repräsentative Analyse auf 1.124 landwirtschaftlich genutzten Wiesen und Weiden im Naturraum Thüringer Wald nach 30 Jahren Extensivierung macht die Langzeitwirkung deutlich (Abb. 2).

Abbildung 2: Differenzierung des Grünlandes im Naturraum Thüringer Wald nach Flächenanteil (Hochberg, Reißmann, Bornkessel, 2018)

Nach 3 Jahrzehnten Extensivierung konnte für klassische pflanzensoziologische Einheiten/ Grünlandtypen nur noch ein Flächenanteil von 60% ermittelt werden. Auf 28% waren die Pflanzengesellschaften überprägt mit Wolligem bzw. Weichem Honiggras. Der anfänglich fördernde Einfluss extensiver Bewirtschaftung auf die biologische Vielfalt ist nach 3 Jahrzehnten einer massiven Unterschreitung der Mindestbewirtschaftungsintensität umgeschlagen und es haben sich vielfach Dominanzbestände entwickelt. Andererseits hat sich aus ehemaligem Ansaatgrünland artenreiches Grünland entwickelt und auf 12% der Untersuchungsfläche ist artenreiches Grünland mit Entwicklungspotential zu Grünlandgesellschaften/ -typen entstanden. Von den 50 ermittelten Grünlandtypen konnten nur noch 22 einer klassischen pflanzensoziologischen Einheit zugeordnet werden, während bereits 19 Typen mit Überprägung durch Holcus spec., aber auch 7 Typen artenreichen Grünlandes mit Entwicklungspotential existieren. Die undifferenzierten Fördervorgaben zur Nutzung und zum Düngungsverzicht haben auf Biotopgrünland zum Artenverlust geführt, so dass Extensivgrünland inzwischen artenreicher ist als Biotopgrünland. Bei reduzierter Düngung und angepasster Nutzung hat sich aus artenarmen Beständen artenreiches Grünland entwickeln können. 

Der Erhaltungszustand vieler Bergwiesen ist sehr bedenklich. Auf den 1.124 untersuchten Flächen waren nur 20% Wiesentypen vorzufinden, wovon ein Drittel dieser Bestände von den Honiggräsern beherrscht werden. 40% konnten Weidetypen zugeordnet werden, wovon ein Viertel mit Honiggras überprägt ist. Die Bärwurz-Rotschwingelwiese hat sich zur vorherrschenden Pflanzengemeinschaft entwickelt. Die Vegetationsaufnahmen auf 100 Flächen des Typs „FFH-Grünland OBK Bergwiese“ nach Braun-Blanquet ergaben, dass nur 20% Wiesentypen (Geranio-Trisetetum, Alopecuretum pratensis submontane AF), aber drei Viertel Extensivweidetypen (Meo Festucetum, Festuca rubra – Agrostis tenuis-Gesellschaft) sind. Die Bestände enthalten nur 23 Arten. Oft dominiert Poa Chaixii und konkurrenzschwache Arten fehlen meist.

Der aufgezeigten Entwicklung liegen folgende Problemfelder zugrunde:

  • Langjähriger Verzicht auf gezieltes Nährstoffmanagement (auf Biotopgrünland förderbedingt) auf vorherrschendem Flächenanteil (ohne Mineraldüngung, Festmist marginal auf Wiesen)
  • Sehr niedriger Tierbesatz auf Betriebsebene (oft nur 0,3 … 0,5 RGV/ha Grünland!) 
  • Unterschreitung Mindestbewirtschaftungsintensität der Grünlandtypen 
    • nur 1 bis 2 Nutzungen/Jahr unabhängig ob Wiese oder Weide
    • Nutzungszeitpunkt des 1. Aufwuchses zu spät – Wiese wie Weide (z.T. förderbedingt)
    • Nährstoffmanagement erfüllt nicht Ansprüche der Grünlandtypen
    • mechanische Nachpflege auf Weiden marginal 
    • Nutzungsaufgabe und Flächenverlust bemerkenswert hoch
    • Neophyten u.a. Problempflanzen im Vormarsch (Orientalische Zackenschote, Staudenlupine)

Aus dieser Situation ergibt sich folgender Handlungsbedarf:

  • Da Arten- und Biotopschutz an Nutzung des Grünlandes gebunden sind, ist Harmonisierung statt Polarisierung erforderlich.
  • Alle Aktivitäten zur Erhaltung der Biodiversität des Grünlandes müssen auf Funktionstypen und deren Pflanzengemeinschaften ausgerichtet werden.
  • Die Bewirtschaftungsvorgaben müssen auf die heutigen Grünlandtypen/ -gruppen, auf den Standort und auf Ökoeffizienz ausgerichtet werden. Pauschale Vorgaben sind kontraökologisch.

Schlussfolgerungen:

1. Die Entstehung der Grünlandtypen muss respektiert werden, um fatale Fehlentwicklungen zu vermeiden.

2. Generell ist ein Paradigmenwechsel erforderlich (Mindestbewirtschaftungsintensität, Verwertung, Förderung).

3. Ein Mindesttierbesatz an Raufutterfressern (Rinder, Schafe) in Grünlandbetrieben ist notwendig, da nur marginale Verwertungsalternativen für die Biomasse bestehen.

4. Nährstoffmanagement und Nutzungsansprüche von Biotopgrünland gehören auf den Prüfstand. 

5. Grünland hat eine Schlüsselfunktion im Ressourcenschutz unabhängig vom Stellenwert als Futterlieferant.

6. Ohne Konsens zwischen Zielvorstellungen des Naturschutzes und wirtschaftlicher Umsetzbarkeit sind die Erwartungen an die Gewährleistung der Schutzfunktionen des Grünlandes nicht mehr erfüllbar.

7. Die Naturschutz-Managementplanung steht vor der besonderen Herausforderung einer differenzierteren Betrachtung des Grünlandes.

8. Angemessene Markterlöse und eine faire Finanzierung der nicht am Markt handelbaren ökologischen und sozialen Gemeinwohlleistungen in Form eines komplexen Förderinstrumentariums bilden die wirtschaftliche Voraussetzung einer nachhaltigen, existenzsichernden Grünlandwirtschaft.

9. Eine Bildungs-, Qualifizierungs- und Kommunikationsoffensive ist auf allen Ebenen erforderlich.

10. Kooperation Landwirtschaft, Naturschutz, Tourismus sollten zielgerichtet ausgebaut werden.

11. Die Angewandte Grünlandforschung ist auf Öko-/ Ressourceneffizienz und Resilienz der Grünlandtypen auszurichten.

Fazit

Die Botschaft zur Erhaltung der Multifunktionalität des Grünlandes kann nur sein, nicht Agrobiodiversität versus Effizienz sondern Ökoeffizienz und Multifunktionalität. Ökologisch erreichbar ist nur, was ökonomisch vom Bewirtschafter umsetzbar ist.

Literatur

Hochberg, H., D. Zopf, U. Maier, M. Schwabe, E. Hochberg (2008): Ex-post Bewertung EPLR Thüringen 2000 – 2006.- Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft Jena, 467 S.

Hochberg, H., U. Maier, E. Hochberg (2009): Deutschland braucht seine Wiesen und Weiden. Sachverständigen-Gutachten BMELV. Berlin, 52 S.

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Siegrun Höhne

Kirchlicher Dienst auf dem Land, Umweltmanagement der EKM, Leiterin der Studienstelle/ KFH
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