Etwa 15 Zuschauerinnen und Zuschauer waren am Montag zur zweiten Filmvorführung der Reihe „GegenBilder – Kino gegen Antisemitismus“ ins Kiez Kino nach Dessau gekommen. Zu sehen war Elia Kazans „Tabu der Gerechten“, der 1947 als eine der ersten Hollywoodproduktionen den Alltagsantisemitismus der damaligen US-amerikanischen Gegenwart thematisierte. Noch bis Oktober zeigen der Verein „Film ab! In Dessau“ und das Projekt „Bildspuren“ in Kooperation mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Sachsen-Anhalt drei cineastische Versuche, den Antisemitismus nach 1945 kritisch ins Bewusstsein zu heben und ihm entgegenzutreten.
Der nächste Film der Reihe:
9. Oktober 2023, 19 Uhr, Kiez Kino (Dessau)
Der Fall Judas (2015)
Elia Kazan: Tabu der Gerechten (1947)
Im April 1945 hatten US-amerikanische Truppen die Inhaftierten in Buchenwald und anderen deutschen Konzentrationslagern befreit. Danach leiteten sie die Nürnberger Prozesse ein, um die Verantwortlichen des Holocausts vor den Augen der Welt zur Rechenschaft zu ziehen und die Beteiligung vieler Deutscher offenzulegen. Antisemitismus: Im Selbstverständnis der USA in den späten 1940er Jahren war man dagegen aktiv eingetreten und kämpfte noch immer an vorderster Front für die Entschädigungsansprüche betroffener Jüdinnen und Juden. Dass Judenfeindschaft auch in westlichen Gesellschaften, auch in den USA, verbreitet war, wurde vor diesem Hintergrund oft ausgeblendet.
Umso kontroverser musste in dieser Gemengelage ein Film wirken, der gerade nicht den Antisemitismus der Nazis, sondern die subtile Diskriminierungspraxis in den USA thematisierte. „Tabu der Gerechten“ kam 1947 in die US-amerikanischen Kinos und behandelte den Alltagsantisemitismus der US-amerikanischen Gegenwart. Der Film geht auf einen Roman der Schriftstellerin Laura Z. Hobson zurück, der bereits 1946 als Serie in der Zeitschrift Cosmopolitan erschienen war. In ihrer Geschichte lernen wir eine US-amerikanische Gesellschaft kennen, in der Jüdinnen und Juden ihre Nachnamen ändern, um keine Nachteile auf dem Arbeitsmarkt zu erfahren und in der in manchen US-amerikanischen Clubs und Hotels noch immer ein inoffizielles „Gentleman’s Agreement“ gilt, das besagt: Juden und Schwarze dürfen hier nicht rein.
Als Produzent Darryl F. Zanuck in einem Country Club eben diese Erfahrung machte – er wird dort abgewiesen, weil er angeblich jüdisch sei – entschied er sich dazu, Hobsons Roman zu verfilmen. Gemeinsam mit Regisseur Elia Kazan machte er sich an die Arbeit und stieß dabei schon früh auf Bedenken. Der Film könne als unpatriotisch aufgefasst werden, hieß es von Filmschaffenden. Manche befürchteten gar, der Film werde erst gar nicht zugelassen. Cary Grant sagte dann auch prompt für die Hauptrolle ab, die wiederum Gregory Peck übernahm – gegen den Ratschlag seines Agenten. Die Mühen schienen sich am Ende ausgezahlt zu haben: Zum Kinostart 1947 erhielt „Tabu der Gerechten“ glänzende Rezensionen und stieß tatsächlich eine Debatte über die versteckte Diskriminierung von Jüdinnen und Juden in den USA an. Der Film wurde 1948 für acht Oscars nominiert und gewann drei, darunter für die beste Regie und den besten Film.
„Tabu der Gerechten“ gehörte in den späten 1940er Jahren zu einer Reihe sozialkritischer Hollywoodfilme, an denen sich sowohl Zanuck als auch Kazan federführend beteiligten. Insbesondere Zanuck setzte sich in den von ihm produzierten Filmen kritisch mit Rassismus, Armut oder der Stigmatisierung psychisch Kranker auseinander. Zeitgleich verschärfte sich durch den Kalten Krieg die US-amerikanische Innenpolitik. Die McCarthy-Ära traf sowohl Regisseur als auch Produzent hart. Beide mussten sich Anfang der 1950er Jahre vor dem Committee on Un-American Activities verantworten. Vorgeladen waren mit ihnen auch zwei SchauspielerInnen aus „Tabu der Gerechten“: John Garfield und Anne Revere. Weil beide sich weigerten, gegen ihre KollegInnen auszusagen, landeten sie auf der Hollywood Blacklist, einer nicht-offiziellen Liste, die angebliche kommunistische Akteure im Filmbetrieb brandmarkte.
Besonders Darryl F. Zanuck gilt heute als Schlüsselfigur des US-amerikanischen Films. Seine sozialkritischen Hollywoodfilme haben das moderne Kino entscheidend geprägt. Im Zuge der MeToo-Debatte und es Weinstein-Skandals bröckelte 2017 aber auch dieser Mythos. Zanuck, das legen viele Aussagen ehemaligen Wegbegleiter und mutmaßlicher Opfer nahe, soll bereits damals eine sexistische Arbeitskultur in Hollywood etabliert haben und auch selbst durch sexuelle Belästigung und Übergriffe aufgefallen sein.