Jüdisch leben. Jüdisch sein…was bedeutet das?
Mit der Veranstaltung Jüdisch leben. Jüdisch sein…was bedeutet das? am 23. März lud die Akademie zu einem offenen und niederschwelligen christlich-jüdischen Begegnungs- und Gesprächsformat ein. Damit reagierte sie auf eine gesellschaftliche Herausforderung: Viele Menschen in Deutschland haben kaum Berührungspunkte mit jüdischem Leben. Dies begünstigt die Verbreitung von Stereotypen, Vorurteilen und Erzählungen, die Jüdinnen und Juden in ein verzerrtes Licht rücken. In Wirklichkeit aber ist jüdisches Leben in Deutschland und weltweit vielfältig und facettenreich.
Ziel der Veranstaltung war es, diese Diversität sichtbar zu machen und die Gleichstellung jüdischen Lebens in Deutschland zu unterstreichen. Zu diesem Zweck begrüßte die Akademie zwei Ehrenamtliche von Meet a Jew: David und Samuel*. Gemeinsam mit 25 Gästen kamen sie für zwei Stunden im großen Saal der Akademie zusammen – in einem einladenden Caféhaus-Ambiente mit kleinen Tischen, auf denen bald Kaffee, Tee und Kuchen standen.
David und Samuel begannen den Nachmittag, indem sie über sich selbst, ihre Lebenswege und ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Jüdischsein berichteten. Den größten Teil der Zeit aber widmeten sie den zahlreichen Fragen der Gäste. Besonders häufig ging es um Identität und Religion: Glauben die beiden an Gott? Sind sie Mitglieder einer jüdischen Gemeinde? Wie stehen sie zu den jüdischen Geboten?
David erzählte, dass er nicht religiös aufgewachsen sei und sich als Jugendlicher vom Glauben distanziert habe. Für ihn bedeutete Jüdischsein damals vor allem Religion – etwas, mit dem er sich nicht identifizieren konnte. Also legte er das Jüdischsein ab und verstand sich nur noch als Deutscher. Doch die Frage nach seiner Identität blieb. Erst Jahre später setzte er sich erneut mit seinen Wurzeln auseinander. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der darauffolgende Anstieg antisemitischer Übergriffe bestärkten ihn darin, aktiv zu werden. Er trat Meet a Jew bei, um über jüdisches Leben in Deutschland aufzuklären. Dort lernte er Menschen kennen, die sich – genau wie er – nicht als religiös, aber dennoch als jüdisch verstanden. Diese Begegnungen halfen ihm, sein Jüdischsein neu zu begreifen: als etwas, das weit über Religion hinausgeht.
Samuel wuchs ebenfalls in einem nicht-religiösen Elternhaus auf, begann aber als Jugendlicher, sich für Gott zu interessieren. Für ihn und David bedeutet Jüdischsein auch Gemeinschaft. Sie pflegen enge Kontakte zu jüdischen wie nicht-jüdischen Freundeskreisen, gehen tanzen oder machen Musik. Dennoch spüren sie Unterschiede. Unter jüdischen Freundinnen und Freunden müssen sie sich nicht erklären – gemeinsame Familiengeschichten und ähnliche Erfahrungen in der Gesellschaft verbinden sie.
Denn Antisemitismus ist auch für sie eine Realität. Schon als Kinder hörten sie von ihren Eltern: Ihr seid jüdisch, aber sagt es lieber nicht weiter. Die Sorge war groß, dass sie in der Schule oder anderswo ausgegrenzt würden. Heute gehen David und Samuel offener mit ihrer Identität um und lassen sich nicht einschüchtern. Doch sie sind vorsichtig. Sie wissen, welche Straßen in ihrer Stadt sicher sind – und welche sie besser meiden.
Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll, wie wichtig es ist, Räume für Begegnung und Dialog zu schaffen. Durch persönliche Gespräche konnten Vorurteile abgebaut und neue Perspektiven eröffnet werden – ein kleiner, aber wertvoller Schritt zu mehr Verständnis und gegenseitigem Respekt.
Die positiven Rückmeldungen der Gäste machten deutlich, wie bereichernd ein direkter Austausch sein kann. Viele äußerten den Wunsch nach weiteren Begegnungsformaten, um jüdisches Leben in all seinen Facetten kennenzulernen. Die Akademie wird diesen Impuls aufgreifen und auch in Zukunft Gelegenheiten schaffen, bei denen sich Menschen auf Augenhöhe begegnen, voneinander lernen und gemeinsam gegen Vorurteile eintreten können. Denn gelebte Vielfalt beginnt mit dem Gespräch.
*Namen wurden geändert