Diskurs

FAKT ist: Wir glauben an das, worauf wir vertrauen.

Gottesdienst in der Schlosskirche am 24.04.2022

Predigt von Pfr. Christoph Maier
zu Kolosser 2, 6-10.[12b].15
am Sonntag Quasimodogeniti
dem 1. Sonntag nach dem Osterfest.

Liebe Gemeinde,

„Ich habe mir da meine eigene Meinung gebildet.“ Diesen Satz habe ich in den letzten zwei Jahren sehr oft gehört. „Ich habe da meine eigene Meinung dazu. Du musst dir auch mal die Fakten anschauen und nicht nur glauben, was die Medien berichten.“
Ich bin mir sicher, dass viele unter uns solche oder ähnliche Gespräche geführt haben. Vielleicht kennen sie dann auch den Selbstzweifel, nach solchen Begegnungen: „Habe ich da was übersehen?“ „Bin ich vielleicht tatsächlich falsch informiert?“ – oder je länger das dann so ging, auch dieses Gefühl der Ohnmacht: „Es ist einfach gar kein vernünftiges Gespräch mehr möglich!“ „Wie sollen wir denn da als Gesellschaft jemals wieder zusammenkommen?“

Einer, bei dem es etwas länger gedauert hatte, war Thomas. Er war einfach anderes geprägt. Ihm fehlte die entscheidende Erfahrung. Und was die anderen jetzt behaupteten, das war so unglaublich. Es passte nicht in sein Weltbild. „Ich möchte mir meine eigene Meinung bilden! Das wird wohl noch erlaubt sein.“ Die Türen sind zu! Es herrscht Angst. Aber nach einer Woche, nach einem ganzen weitern Schöpfungszyklus, als wieder Sonntag war, am ersten Tag der Woche, als das Leben wieder einmal ganz neu beginnen sollte, da wurde auch Thomas neu. Das Chaos der Gedanken durfte sich ordnen, an Gottes schöpferischem Geist und in der Begegnung mit Jesus neu ausrichten: „Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und spricht: Friede sei mit euch!“ (Joh 20,26b)

Liebe Gemeinde,

wie sehr ich mich nach Ostern sehne! Nach dem ersten Tag der Woche, wenn alles wieder neu wird, nach dem „Friede sei mit euch!“ Wie sehr ich mich danach sehne, dass die Dinge sich wieder ordnen dürfen, dass der Geist Jesu, ein Geist der Liebe und des Friedens, überzeugender sein dürfte, als die Angst und die verschlossenen Türen.
Aber manchmal braucht es nochmal eine Woche, oder einen ganzen Schöpfungszyklus, bis ein neues menschliches Miteinander möglich wird.

Das Osterfest ist jetzt eine Woche her und ich fühle mich immer noch wie Karfreitag. Zu viel von dem, an was ich geglaubt habe, ist zerbrochen.

  • Eine Illusion der Sicherheit,
  • eine Idee der Rechtsstaatlichkeit, die auch zwischen Staaten gilt,
  • eine Vision von unauflösbaren gemeinsamen Interessen durch weltweite Verflechtungen im Handel,
  • und die Überzeugung, dass weniger Waffen mehr Frieden bedeuten.

Die Türen sind zu und es ist die Zeit all derer, die jetzt sagen können: Das habe ich doch schon immer gewusst …, hätte man damals nicht … , das konnte nicht gut gehen …, das westliche Gutmenschentum ist am Ende. Ich habe mir eben meine eigene Meinung gebildet. Glaub bloß nicht alles, was die Medien berichten. Eine Spezialoperation, oder ein Krieg? Die Leichen von Butscha alles nur inszenierten? Wem kann man auch glauben, wenn das, was es zu glauben gilt, so unglaublich ist.

Dass ich mit eigenen Augen sehen und mit den eigenen Händen die Wunden befühlen kann, ist eher selten. Jesus sagt: „Selig sind die nicht sehen und doch glauben!“

Liebe Gemeinde,

ich bin mir sicher, dass es heute mehr denn je darauf ankommt, genau zu wissen, woran wir glauben. Also genau zu wissen, worauf wir vertrauen. Ich bin mir sehr sicher, dass es heute mehr denn je darauf ankommt, dass wir an dem festhalten, woran wir glauben wollen.

All jenen, die mich in den letzten zwei Jahren von ihren alternativen Fakten überzeugen wollten, habe ich ungefähr wie folgt geantwortet: Lass uns darüber sprechen, was für dich daraus folgt. Ich will nicht anzweifeln, wie du die Welt siehst. Alle Wirklichkeit, alle Fakten müssen gedeutete werden. Nehmen wir einmal an, Ursache und Wirkung lägen so, wie du behauptest, was folgt für dich daraus? An welche Zukunft willst du glauben? Aus welchen Werten, willst du schöpfen?

Schau, ich bin Christ. Ich glaube an die Auferstehung Jesu Christi! Ich kenne mich aus mit ziemlich abstrusen Ursache-Wirkungsbehauptungen. Bis heute ist es schwierig, die Auferstehung Jesu wissenschaftlich zu belegen. Aber ich kann dir sagen, was für mich aus diesem Glauben folgt. Ich kann dir sagen, an welche Welt ich glaube,
weil Gott nicht nur Jesus, sondern alle Opfer aus ihrem Gefängnis der Lähmung, Angst und Wut holt,
weil Gott aus Unrecht neues Leben erwecken kann,
weil Gott über Hass und Gewalt, Liebe und Vertrauen wachsen lassen kann.

You may say I´m a dreamer, but I´m not the only one. – Mag sein, dass ich ein Träumer bin, aber ich bin mit diesem Traum nicht allein.
So hat es John Lennon gedichtet und damit die Hymne eines Staatenlosen, Religionslosen und Besitzlosen friedlichen Zusammenlebens begründet. Ein Traum der ohne Religion auszukommen glaubte und doch selbst die Struktur einer säkularisierten Religion des Friedens aufweist.

Vielleicht ist das einer der größten Irrtümer der Moderne, dass sie glaubte eine Welt aus Fakten und wissenschaftlichen Tatsachen wäre möglich, ohne dass wir auf das, was wir nur behaupten können vertrauen müssten, ohne dass wir gemeinsame Erzählungen von einer Zukunft bräuchten, an die wir nur glauben können, ohne dass wir Visionen von einer friedlichen Zukunft und Utopien von einem guten Leben bräuchten.

Die Verschwörungserzählungen der heutigen Zeit, sind Visionen einer korrupten Vergangenheit. Auch Putins Erzählung in denen sein grausamer und barbarischer Krieg wurzelt, sind Erzählungen von einer verklärten Vergangenheit, Geschichtsdeutung einer glorreichen Historie, die in die Zukunft hinüber gerettet werden soll.

Versuchen sie doch einmal in solchen Gesprächen diesen einfachen Trick: Lassen sie sich nicht ein auf die Deutung der Vergangenheit. Halten sie fest, auf was sie heute vertrauen und richten sie den Blick in die Zukunft.

Sag mir, an was du glaubst!
Und sag mir: wenn die Welt so ist, wie du behauptest, ob du in dieser Welt leben möchtest?
In einer Welt in der die Gier regiert?
In einer Welt in der das Recht mit Füßen getreten wird?
In einer Welt in der Angst und Schrecken siegt?
In einer Welt in der wieder autoritäre Strukturen, Kooperation, Zusammenarbeit und Vertrauen ersetzen?

Ich bin mir sicher, dass es heute mehr denn je darauf ankommt, genau zu wissen, woran wir glauben, also worauf wir vertrauen. Ich bin mir sehr sicher, dass es heute mehr denn je darauf ankommt, dass wir an dem festhalten, woran wir glauben wollen. Ostern wendet den Blick in die Zukunft. Ostern öffnet die Tür zu neuem Vertrauen, wo die Erfahrung von Gewalt, vernichtender Gerüchte, und verlorener Zukunft alles in Frage gestellt hat.

So steht es auch in unserem heutigen Predigttext aus dem zweiten Kolosserbrief geschrieben, den ich ihnen zum Schluss einfach so vorlese, wie er denen, die mit uns und vor uns an eine friedliche Zukunft im Geiste Jesu geglaubt haben, auch vorgelesen wurde:

Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so lebt auch in ihm, verwurzelt und gegründet in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und voller Dankbarkeit.

Seht zu, dass euch niemand einfange durch die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr seid erfüllt durch ihn, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.

Er [Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten], hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert in Christus.“

(Kolosser 2, 6-10.[12b].15)

Amen

Christoph Maier

Akademiedirektor und Studienleiter für Theologie und Politik
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