Ich habe heute die Andacht für unsere gemeinsame Sitzung aller Mitarbeitenden der Akademie übernommen. In einer Zeit, die mich eher bedrückt, in der ich viele Fragen habe, an Gott, der Welt und meiner Kirche zweifle und manchmal auch verzweifle. Es ist aber auch zehn Tage nach Ostern. Das sollen wir, nein da „wollen“ wir alle fröhlich sein, am liebsten in der Gemeinde im Sonntagsgottesdienst und mit Chor. Zum Glück gibt es dafür das Internet. Da finde ich genauso solche Videos und Lieder.
Als ich die Andacht heute vorbereitet habe, war mir gar nicht österlich. Und insofern werde ich euch enttäuschen, wenn ihr eine frohe Botschaft und eine aufbauende Andacht erwartet habt. Bevor ich euch von meinen Zweifeln und Fragen berichte, würde ich gern von euch wissen, welche Dinge euch gerade belasten und bedrücken, woran ihr vielleicht gerade auch zweifelt und verzweifelt.
Schreibt die Dinge auf und nehmt sie später ins Gebet auf.
Ich merke, dass es mir nicht gelingt, dem Gedankenkreis rund um Corona zu entkommen. Und mich beschäftigt das als Christ, aber auch als politischer Bildner. Es bleibt für mich und mein Leben bedeutsam, auch wenn ich gern die Augen und Ohren verschließen würde – und das zum Selbstschutz auch immer wieder mache. Die Corona-Infektionszahlen steigen seit Wochen. Virologen empfehlen dringend Maßnahmen. Aber wir haben uns daran gewöhnt, dass täglich mehrere Hundert Menschen – allein in Deutschland – an Covid19 sterben.
Die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern sind schon seit Monaten überlastet. Halle meldet, dass sie keine freien Intensivbetten mehr haben. Gleichzeitig bleiben die Schulen im Burgenlandkreis auch bei einer Inzidenz über 300 offen. Es erkranken immer mehr Kinder und Jugendliche. Und Lehrkräfte werden bewusst dem Risiko einer Erkrankung ausgesetzt, müssen teilweise nicht mal mehr in Quarantäne, wenn sie Covid19-Erkrankte unterrichtet haben und die Schülerinnen und Schüler in Absonderung gehen. Statistisch entwickeln ca. 10 Prozent Long Covid. Auch da hoffen wir einfach, dass es uns nicht betreffen wird.
Und die gesellschaftlichen Debatten gehen darum, wann es wieder normal wird – also so wie vor Corona – und wie wir möglichst viel Normalität herstellen können, für die, die bisher nicht und hoffentlich nie oder wenn dann nur ganz leicht davon betroffen sind bzw. sein werden. Wieder hoffen wir auf das nächste – menschengemachte – Heil: die Impfung. „Nach es wird schon keine zweite Welle geben“ – und dann keine dritte – gehen wir jetzt fest davon aus, dass rechtzeitig vor der Bundestagswahl genügend Personen geimpft sind, dass es dann wieder Normalität gibt. Die Welt verlieren wir da ganz aus dem Blick. Bis alle Menschen in der globalen Welt überhaupt ein Impfangebot haben, wird es noch mindestens zwei Jahre dauern. Auch diejenigen, die nicht geimpft werden können, spielen keine Rolle bei den Diskussionen darüber, welche Freiheiten Geimpfte erhalten sollen.
Haben wir dabei unseren Nächsten, unsere Nächste noch im Blick? Wer ist das, wer könnte, sollte unsere Nächste, unserer Nächster sein? Ich habe das Gefühl, ich sehe oft nur noch mich, wir sehen oft nur noch uns. Vielleicht sehen wir gerade noch die, die so ähnlich sind wie wir. Und tatsächlich sehe ich ja aktuell auch wirklich oft nur mich und meine Familie. Gern würde ich aber auch die Nächste, den Schwachen, diejenigen, dessen Meinung nicht gehört werden, in den Blick nehmen. Auch von der Kirche bin ich enttäuscht. Statt eines hörbaren Einsatzes für die Schwachen hier und in der Welt dröhnen mir die Debatten um Sonntagsgottesdienste und die sakramentale Unmöglichkeit des digitalen Abendmahls im Kopf.
Aber das vielleicht Erschreckendste ist, dass Corona sichtbar macht, dass wir Krise nicht können, nicht in Deutschland und nicht in der globalen Welt. Und ich verzichte lieber gerade darauf, mir auszumalen, was das für die Klimakrise oder besser die Menschheitskrise angesichts der Erderwärmung bedeuten mag.
Als Christ habe ich mich bewusst, für die Arbeit an der Evangelischen Akademie entschieden. Durch das Anregen gesellschaftlicher Debatten will ich einen Beitrag für die Nächsten, für ein gutes Zusammenleben, für eine verantwortungsvolle Gestaltung von Politik und Gesellschaft leisten. Auch wenn gerade viele Zweifel in meinem Herzen Platz haben, ist das vermutlich trotzdem der richtige Platz für mich. „Hilf, Herr meines Lebens“ wäre mein Ausruf an dieser Stelle und ist das Lied, das mir schon bei den ersten Gedanken zu dieser Andacht in den Sinn kam.
Als ich mit meinen Andachtsüberlegungen an diesem Punkt war, an dem ich nicht mehr genau wusste, was ich überhaupt glauben soll, habe ich in die heutigen Losungen geschaut. Und wie es mit den Losungen manchmal ist, passten sie zu meiner Verzweiflung, weil sie zur österlicher Freude aufriefen:
„Fröhlich lass sein in dir, die deinen Namen lieben!“ (Psalm 5,12) und „Die Jünger wurden erfüllt von Freude und Heiligem Geist.“ (Apostelgeschichte 13,52).
Auf meine Zweifel will ich nicht verzichten. Sie helfen mir dabei, zu erkennen, was zu tun ist. Aber sie sollen nicht allein stehen. Es gibt trotzdem und erst recht Dinge, für die ich dankbar bin. Dazu gehört meine Familie, die in der Corona Zeit eher zusammenwächst. Dazu gehören gute Online-Veranstaltungen, in denen relevante Dinge besprochen werden und in denen ich bekannte Gesichter wieder treffe und neue Menschen kennenlerne. Dazu gehört auch Zeit, in der ich einfach im Garten sitzen darf.
Wofür seid ihr dankbar? Was erfüllt euch mit Freude? Gern könnt ihr dazu auch etwas aufschreiben.
Zum Abschluss lade ich euch ein, Eure Zweifel und Sorgen, aber auch Eure Dankbarkeit und Freude ins Gebet aufzunehmen und mit einem Vaterunser zu schließen.