Diskurs

BRIEFE 2/2022

Liebe Leserinnen und Leser,

haben Sie ganz herzlichen Dank für die vielen positiven Rückmeldungen zu unserem Schöpfungszeit-Kalender, der in diesem Jahr als Sommerausgabe bei Ihnen ankam. Constanze Lattussek hat ihn federführend so wunderbar gestaltet. Haben Sie auch herzlichen Dank für die zahlreichen Rückmeldungen auf die ersten Briefe dieses Jahres und speziell auf meinen „Trotzanfall“ im Editorial. Die meisten von Ihnen sahen sich und haben mich bestätigt. Eine Leserin wies bei allem Verständnis darauf hin, dass doch Russland die Ukraine angegriffen hat. Das stimmt. Die Menschen in der Ukraine tragen die Last dieses Krieges, der möglicherweise noch sehr lange dauern wird. 

Die Weltmärkte werden neu sortiert und der Zugriff auf Ressourcen neu bestimmt; ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen Folgen in der Ukraine, in Europa, vor allem aber in den Ländern, die von Nahrungsmittelimporten ebenso abhängig sind wie von IWF und Weltbank.

Und was können und sollen wir jetzt tun? Ich denke, trotzig bleiben ist ok, hilft allein aber nicht weiter. Aktionismus auch nicht. Wirken können wir in unserem eigenen Verantwortungsbereich, und der ist oft weiter, als es im Augenblick scheint. Konzentrieren wir uns. Wo kommen wir her und wo stehen wir?

In den Themenseiten dieser Ausgabe blicken wir 50 Jahre zurück. Der Bericht des Club of Rome erschütterte 1972 die Welt. Herzlichen Dank an Dr. Hans-Joachim Döring, der für diese Ausgabe von Ulrich Grober die Erlaubnis erhielt, seinen ZEIT-Beitrag vom 20. Januar nachzudrucken. 

Es folgte die Weltkonferenz von Rio des Janeiro 1992, dann Rio plus 10 und Rio plus 20. In diesem Jahr feierte sich die institutionalisierte Umweltbewegung der Welt nach 50 Jahren wieder in Stockholm. Schwedens Klima- und Umweltministerin Annika Strandhäll sagte: Stockholm möchte gerne erneut „ein Schauplatz sein, an dem die Richtung geändert und ein neuer Ton in der globalen Zusammenarbeit für Klima, Umwelt und Entwicklung zum Wohle der Menschen und des Planeten gesetzt werden soll“. Wir beobachten das.

Ich wünsche Ihnen alles Gute. Bleiben Sie froh und hoffnungsvoll.

Ihre Siegrun Höhne

Geistliches Wort

von Klaus-Peter Lüdke

Gott Zebaoth, wende dich doch!
Schaue vom Himmel und sieh,
nimm dich dieses Weinstockes an!
Psalm 80.15

Der Weinstock in diesem Psalm Asafs ist ein Bild über das von Gott wie ein eigenes Kind geliebte Gottesvolk. Allerdings ist es in Not. Die Pflanze wird geplündert, abgefressen, ausgegraben und verbrannt. Der Sohn Gottes stirbt. Asaf aber, statt zu verzweifeln, steht betend für ihn ein und bittet um Hilfe, Heilung und Genesung des Weinstocks Israel.

Heute liegt die Schöpfung im Sterben: geplündert, ausgelaugt, verseucht, durchlöchert, asphaltiert, von Erderwärmung und Hitzeextremen bedroht. Auch dafür ist Gottes Sohn gestorben, um die Schöpfung und ihre Geschöpfe zu versöhnen. Die Lage ist derart schlimm und die Tragweite des Sterbens des Gottessohnes ist so groß, dass wir nicht mehr auf Selbstheilungskräfte hoffen können. Stattdessen lädt dich der Auferstandene dazu ein, bittend, flehend, dankbar und tätig für diese Erde und ihre Schöpfung einzustehen. Gottes Geist unterstützt dich mit Kraft und allen dazu nötigen Gaben. Das von der Liebe Gottes des Schöpfers ausgehende Heilungspotential ist groß. Nicht dass du die Erde retten könntest, sondern größer: dass dein Einsatz ein Teil von der Neuschöpfung werden darf, die mit der Auferstehung des toten Gottessohnes heilvolle Wege eröffnet. Es geht nicht mehr um die Rettung des Weinstockes oder eines Volkes, sondern um die Heilung der ganzen Schöpfung.


aus „Mehr Schöpfer wagen. Ökologische Spiritualität für jeden Tag“
Klaus-Peter Lüdke
Manuela Kinzel Verlag Dessau/ Göppingen, 2018
ISBN: 978-3-95544-104-3
Seite 185

In eigener Sache

Neue Mitglieder im Beraterkreis der Studienstelle

Seit ca. 10 Jahren begleite ein Redaktionsbeirat die inhaltliche Gestaltung und Themensetzung der BRIEFE. Seit diesem Jahr unterstützt der Beirat die Arbeit der Studienstelle über die BRIEFE-Redaktion hinaus durch fachliche Expertise, kritische Begleitung und thematische Ausrichtung, er heißt seit der jährlichen Sitzung im Mai 2022 jetzt Beraterkreis der Studienstelle.

Mitglieder sind (v. l. n. r.):
Hans-Georg Baaske, ab jetzt sein Nachfolger Dr. Jörn Budde (Umweltbüro der EKBO),
Dr. Wendelin Bücking (Bistum Magdeburg), Sylvia Westermann (Energiebüro Westermann), Heike Weidt (Landschaftspflegeverband Nordsachsen), Anne Valverde (Bauernbund Sachsen-Anhalt), Christina Weigel (Pfarrerin in Saalfeld), Heiko Reinhold (Volkshochschule Mittelsachsen), Kathrin Natho (Beauftragte für Umwelt und Entwicklung der EKM).

Nicht auf dem Bild zu sehen sind: Prof. Matthias Pietzsch (Hochschule Anhalt),
Manuela Kolster (Referentin für Umwelt und ländliche Entwicklung, Ev.-Luth. Kirche Sachsens), Michael Schicketanz (Naturfarben, Naturkindergarten und mehr),
Veit Laser (aej). 

Ich danke den Mitgliedern dieses Gremiums sehr herzlich für die kluge, anregende und freundliche Unterstützung.

Aufgelesen

Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit:
30 Jahre Sächsische Verfassung

von Heiko Reinhold

Vor 30 Jahren, im Mai 1992, wurde die Sächsische Verfassung verabschiedet. Ebenso wie das Grundgesetz enthält sie den bekannten Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, sichert Grundrechte zu, regelt den Aufbau des Staates und das Finanzwesen. Kirchen und Religionsgemeinschaften ist ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem z. B. die Trennung vom Staat wie auch besondere Rechte festgeschrieben sind.

Überraschend ist der Inhalt der Präambel. Darin steht, dass „das Volk im Freistaat Sachsen“ bei der Entstehung dieser Verfassung von dem Willen geleitet war, „der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen“.

Dies wird jedoch nur an wenigen Stellen konkretisiert. Artikel 101 beschreibt Grundsätze der Erziehung und Bildung: „Die Jugend ist zur Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zur Nächstenliebe, zum Frieden und zur Erhaltung der Umwelt, zur Heimatliebe, zu sittlichem und politischem  Verantwortungsbewusstsein, zu Gerechtigkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zu beruflichem Können, zu sozialem Handeln und zu freiheitlicher demokratischer Haltung zu erziehen.“ Diese Ziele haben also Verfassungsrang! Zum Vergleich: „Wirtschaftswachstum“ kommt nicht vor.

Nutzen wir dieses Wissen als Rückenwind! In Gesprächen und Diskussionen mit politisch wie kirchlich Verantwortlichen kann es hilfreich sein, diese rechtlichen Voraussetzungen zu kennen und damit den grundlegenden Zielen auch in der Praxis ein höheres Gewicht zu geben.

Aus den landeskirchen

EKBO
Photovoltaikanlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden

Das Kirchliche Bauamt und das Umweltbüro der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz (EKBO) möchten Kirchengemeinden dabei unterstützen, durch die Erzeugung erneuerbaren Stroms mehr für den Klimaschutz zu tun und die Versorgungssicherheit mit (erneuerbarer) Energie zu verbessern. Dazu organisieren sie Treffen mit den Landesdenkmalämtern Berlin, Brandenburg und Sachsen.

In diesen Treffen soll stellvertretend für die Kirchengemeinden anhand von Beispielobjekten erarbeitet werden, welche denkmalgeschützten Gebäude für die Installation einer Photovoltaikanlage prinzipiell in Frage kommen, bei welchen sich dies schwieriger gestalten wird und bei welchen dies aus denkmalpflegerischer Sicht eher ausgeschlossen sein wird.

Wenn Sie überlegen, eine Photovoltaikanlage auf einem denkmalgeschützten Gebäude Ihrer Kirchengemeinde bzw. auf einem Gebäude im Ensembleschutz zu installieren, und möchten, dass Ihr Vorhaben bei einem der Treffen besprochen wird, wenden Sie sich bis zum 30. September an die EKBO.

Kontakt:

Umweltbüro der EKBO
Tel.: 030 24344-411
 

EKM
Finanzielle Förderung von Projekten & Vorhaben

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Schwestern und Brüder,

es gibt so viele wunderbare Projekte und Initiativen in der EKM, welche die Themen des Konziliaren Prozesses aufnehmen – bei Ihnen in der Gemeinde und im Kirchenkreis.

Als Lothar-Kreyssig Ökumenezentrum in der EKM wollen wir Sie gern bei Ihren Vorhaben unterstützen. Sei es bei der Vorbereitung und Durchführung ökumenischer Vorhaben, ihrem Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung oder der Unterstützung von Geflüchteten, wie aktuell zum Beispiel im Fall der Menschen aus der Ukraine.

Dies ist zum Beispiel durch eine finanzielle Förderung möglich. Ein Zuschuss von bis zu 800 € ist dabei jederzeit und unkompliziert möglich. Aber auch darüber hinausgehende Fördersummen sind je nach Vorhaben möglich.

Die Vorhaben dürfen dabei ganz unterschiedlicher Art sein – Gemeindeprojekte, Bildungsveranstaltungen, Pflanzaktionen oder Anderes.

Auf unserer Homepage finden Sie alle notwendigen Informationen oder sprechen Sie uns gerne direkt an:

  • Integration und Unterstützung für Geflüchtete (petra.albert(at)ekmd.de)
  • Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, Zusammenarbeit mit Partnern in Entwicklungsländern (kathrin.natho(at)ekmd.de)
  • Ökumenische Partnerschaften zu Gemeinden und Kirchen in Europa und Weltweit (judith.koenigsdoerfer(at)ekmd.de)
  • Frieden und Versöhnung (jens.lattke(at)ekmd.de)

Aus dem Ökumenezentrum grüßen wir Sie herzlich!

Ihre Petra Albert, Jens Lattke, Kathrin Natho, Dr. Judith Königsdörfer

Anhalt
„Verantwortung für Gottes Schöpfung“
Strukturveränderungen und Klimaschutz

Aus der Pressemeldung der Landeskirche vom 14.5.2022

Bei ihrer Frühjahrstagung in Dessau-Roßlau hat die anhaltische Landessynode weitere Strukturveränderungen in der Landeskirche vorbereitet. Der Landeskirchenrat als administratives Leitungsgremium wurde in einer Entschließung beauftragt, bis zur nächsten Tagung im November einen Zeitplan zu erarbeiten, der eine Verringerung der aktuell fünf anhaltischen Kirchenkreise bis 2030 regelt. (…)

Vorbereitung eines Klimaschutzkonzeptes

Weiterhin beschloss das Kirchenparlament, Anliegen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit in der Landeskirche systematisch in den Blick zu nehmen. Der Ausschuss der Synode für Kirche und Gesellschaft wurde beauftragt, Grundlagen und Anforderungen auf dem Weg zu einem Klima- und Nachhaltigkeitskonzept für die Landeskirche zu prüfen. In einer Entschließung heißt es: „Christen tragen Verantwortung für Gottes Schöpfung, die ihnen anvertraut ist und die es als gute Haushalter Gottes für die heutige und die zukünftigen Generationen zu bewahren gilt. Die durch Menschen verursachten Klimaveränderungen gefährden die Lebensmöglichkeiten von Menschen weltweit. Wenn wir glaubwürdig leben wollen, können wir uns daher der Frage des Klimaschutzes nicht entziehen und müssen bestrebt sein, die durch uns verursachten Treibhausgasemissionen auf ein für das weltweite Klima verträgliches Maß zu reduzieren.“

(…)

Weitere Informationen:
Evangelische Landeskirche Anhalts – Pressestelle
Johannes Killyen
Friedrichstraße 22/24 | 06844 Dessau-Roßlau
Tel.: 0340  2526-101

Sachsen
Einladung zum Praxistag 2022 der Sächsischen Energieagentur SAENA
„Umwelt- und Energiemanagement in sächsischen Kirchgemeinden“

Der jährliche Praxistag der SAEMA ermutigt die teilnehmenden Kirchgemeinden, sich als Teil der Gesellschaft mit den drängenden Fragen des Klimawandels und den Möglichkeiten der Energiewende auseinanderzusetzen. 2022 ist die SAENA mit dem Praxistag „Energie- und Umweltmanagement in sächsischen Kirchgemeinden“ zu Gast im Bildungsgut Schmochtitz St. Benno. 

Nach drei Impulsen zu allgemeinen Themen des kirchlichen Klimaschutzkonzepts, Angeboten für die Kirchgemeinden zum Energiemanagement sowie der Frage wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann, folgt der Themenschwerpunkt zur Frage der zukunftssicheren Wärmeversorgung. Nach der Mittagspause haben Sie die Gelegenheit, die Umwelt- und Energieprojekte des Bildungsgutes Schmochtitz in einem Vortrag mit anschließendem Rundgang kennenzulernen.

19.11.2022, 10:00 bis 15:00 Uhr

Bildungsgut Schmochtitz Sankt Benno, Schmochtitz 1, 02625 Bautzen

Weitere Informationen und Anmeldung:

https://www.saena.de/veranstaltungsdetails.php?id=973

Ihre SAENA- Ansprechpartner:

Antje Fritzsche und Tobias Kade

Bistum Magdeburg
Klimacheck Sparflamme – Projekt zur Förderung der Nachhaltigkeit

Das Projekt „Klimacheck-Sparflamme“ will Pfarreien, Gemeinden und Einrichtungen des Bistums ganz praxisnah dabei helfen, sich umweltbewusster aufzustellen, ihren Energieverbrauch zu kontrollieren und zu reduzieren. Dafür wird ein konkretes Beratungs- und Maßnahmenpaket zur nachhaltigen Entwicklung angeboten, z. B. eine Energieberatung und bei Bedarf auch Unterstützung beim Austausch des Heizungssystems.

Mit dem Projekt sollen folgende Ziele erreicht werden:

  • Mobilisierung und Unterstützung von Menschen vor Ort, die sich für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen
  • Hilfe zur Selbsthilfe: Durchführung einer einfachen Checklistenbasierten Bewertung, mit deren Hilfe sich drei Maßnahmen für das erste Jahr ermitteln lassen
  • Eigenverantwortliches Controlling der Verbräuche vor Ort und Optimierung der Heizungssteuerung
  • Einsparung von Ressourcen und Kosten, insbesondere beim Heizenergieverbrauch
  • positive Außenwirkung für alle beteiligten Akteure
  • Beitrag zu den nationalen und internationalen Klimaschutzzielen

Der Mehrwert des Projekts besteht darin, durch den sparsamen Umgang mit Ressourcen (insbesondere der Reduzierung des Heizenergieverbrauchs) Umwelt und Klima zu entlasten. Dafür ist es sinnvoll, die Verbräuche, die Beschaffung und das gesamte Gemeindeleben im Blick zu behalten, zu dokumentieren, zu bewerten und daraus Maßnahmen abzuleiten. Dadurch können Erfolge (und Misserfolge) von getätigten Maßnahmen kontrolliert, Fehlerquellen schnell identifiziert und das eigene Verhalten und die entstandenen Kosten transparenter gemacht werden.

In der Pilotphase erhalten alle Beteiligten unterschiedliche Schulungsangebote sowie umfangreiche Hilfestellung durch Berater/innen und Expert/innen. Diese können jedoch das Engagement vor Ort nicht ersetzen. Deshalb ist es wichtig, Umweltteams von zwei bis fünf Personen zu bilden, die Verantwortung für die laufenden Prozesse übernehmen und das Bestreben zur Verbesserung aufrechterhalten. Sie sind die „Umweltspezialist/innen“ der Pfarrei, kümmern sich zunächst um die Bearbeitung der Checklisten für die Bestandsaufnahme, erheben die Verbrauchsdaten (hierfür wird eine Datenbank zur Verfügung gestellt) und führen Begehungen durch. Zusammen mit den Berater/innen entwickeln sie die anzugehenden Maßnahmen und kommunizieren diese mit dem Pfarrgemeinderat und dem Kirchenvorstand.

Eine erfolgreiche Umsetzung des Projektes kann jedoch nicht allein von den Umweltteams gewährleistet werden. Das Zusammenwirken vieler ist gefragt. Die Gremienmitglieder als Hauptverantwortliche der jeweiligen Pfarrei beschließen das grundsätzliche Vorgehen und die notwendigen Maßnahmen, die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden werden motiviert mitzumachen. Insgesamt ist es das Ziel, die Gemeindemitglieder auf dem Weg mitzunehmen und damit Denkprozesse für das eigene Verhalten und über die Gemeinde hinaus anzuregen.

Weitere Informationen:
Dr. Wendelin Bücking

Umweltbeauftragte des Bistums Magdeburg

Bistum Erfurt
Projekt: Öko und fair vor Ort

Ökologische Umkehr beinhaltet nach Papst Franziskus, dass alles, was aus der Begegnung mit Jesus Christus erwächst, in den Beziehungen zur Welt zur Blüte gebracht werden soll. „Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben.“ (Laudato Si, Nr. 217). Wirken Sie in Ihr Umfeld und in die Gesellschaft hinein und helfen Sie mit, das Anliegen des Papstes weiter in das Bewusstsein Ihrer Nächsten zu bringen.

Zentrale Auftaktveranstaltung

Die zentrale Auftaktveranstaltung des Projekts „öko+fair vor Ort“ fand am 25.06.2021 am Kloster Hülfensberg statt. Bei der Veranstaltung wurde das Projekt vorgestellt sowie ein gemeinsamer Schöpfungsgottesdienst mit Bischof Ulrich Neymeyr gefeiert.

Info-Workshop bei Ihnen

Zum individuellen Info-Workshop kommen Referentinnen und Referenten aus dem Seelsorgeamt in Ihren Kirchort. Wir überlegen mit Ihnen gemeinsam, wie das Projekt bei Ihnen vor Ort umgesetzt werden kann. Der Workshop ist auf eine Dauer von 2 Stunden angelegt. Bei Interesse kann bereits eine Projektgruppe gegründet werden, die sich für die Umsetzung von „öko+fair vor Ort“ einsetzt.

Start in den Kirchorten

Sobald sich eine Projektgruppe gebildet hat und die Kriterien festgelegt wurden, unterzeichnen Sie eine Selbstverpflichtungserklärung. Der Start des Projekts in Ihrem Kirchort wird durch eine Veranstaltung wie z. B. einem Schöpfungsgottesdienst, einem Fest oder Ähnlichem eingeläutet. Dabei wird das individuelle Vorhaben des Projekts „öko+fair vor Ort“ den Mitgliedern des Kirchorts vorgestellt und weitere Interessierte eingeladen mitzuwirken.

Arbeit in der Projektgruppe

Um die gewählten Kriterien zu erreichen und das Projekt erfolgreich umzusetzen, bildet sich eine Projektgruppe vor Ort. Dabei können z. B. Kleingruppen für einzelne Kriterien gebildet werden und Vernetzungen mit anderen Kirchorten und Vereinen angestoßen werden.

Vernetzungstreffen

Während des Prozesses der Projektumsetzung und auch über die Auszeichnung hinaus, ist die Vernetzung mit anderen eine gewinnbringende Ergänzung der eigenen Arbeit. Ein Vernetzungstreffen aller „öko+fair vor Ort“-Projektgruppen wird einmal jährlich über das Seelsorgeamt organisiert.

Thematische Workshops

Während des Prozesses der Projektumsetzung und auch über die Auszeichnung hinaus, bieten verschiedene Referentinnen und Referenten thematische Workshops zu unterschiedlichen Themen an. Mögliche Themen sind z. B. die Fairtrade-Siegel, verpackungsarmes Einkaufen oder Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu schaffen.

Auszeichnung

Die Auszeichnung Ihres Kirchorts als „öko+fair vor Ort“ durch eine Vertretung des Bistums Erfurt findet statt, wenn die Projektgruppe alle gewählten Kriterien umgesetzt hat. Als Rahmen der Veranstaltung bietet sich ein Gottesdienst, ein Fest oder Ähnliches an.

Weitere Informationen:

Annegret Rhode
Tel.: 0361 6572-315
 

Thomas Göbel
Umweltbeauftragter des Bistums
Tel.:  0361 59011-13

aus der wissenschaft

PERC-Solarzellen aus 100 Prozent recyceltem Silizium
Presseinformation: 07. Februar 2022

In Deutschland landen jährlich circa Zehntausend Tonnen Silizium in alten Photovoltaik-Modulen auf dem Recyclingmarkt, ab 2029 werden es mehrere hunderttausend Tonnen pro Jahr sein. Aktuell werden von Altmodulen nur das Aluminium, Glas und Kupfer neu aufbereitet, nicht aber die Silizium-Solarzellen. Um auch dieses Material weiter nutzen zu können, haben Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP in Halle (Saale) und des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE gemeinsam mit dem größten deutschen Recyclingunternehmen für PV-Module, der Reiling GmbH & Co. KG, eine Lösung entwickelt: Das Silizium der Module wurde im industriellen Maßstab wiederverwertet und zur Herstellung neuer PERC-Solarzellen genutzt.

Die meisten PV-Anlagen wurden in Deutschland in der ersten Ausbauwelle zwischen 2009 und 2011 installiert. »Auf diese wird nach Ende der zwanzig Jahre dauernden Einspeisevergütung ab 2029 absehbar eine erste Entsorgungswelle folgen«, erklärt Prof. Dr. Andreas Bett, Institutsleiter des Fraunhofer ISE. »Es müssen daher im Vorfeld vernünftige Prozesse und Verfahren zur Rückgewinnung des Siliziums aus ausgedienten Modulen aufgebaut werden«. Bereits 2021 betrug die insgesamt installierte Menge an PV-Modulen in Deutschland ungefähr fünf Millionen Tonnen, mit einem Siliziumanteil von 150.000 Tonnen. Silizium ist als Halbleiter-Material Hauptbestandteil der Solarzellen.

Eine Arbeitsgruppe am Fraunhofer CSP hat mit der Reiling GmbH & Co. KG deshalb, gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima BMWK (ehemals BMWi), ein Verfahren entwickelt, mit dem das Silizium zurückgewonnen werden kann. Möglich ist damit das Recycling sämtlicher kristalliner Silizium-PV-Module, unabhängig von Hersteller und Herkunft. Dazu Prof. Dr. Peter Dold, Projektleiter am Fraunhofer CSP: »Sonst wäre das für die Recyclingunternehmen ein viel zu großer Aufwand. Es war uns wichtig, einen skalierbaren Prozess zu entwickeln, der auch wirtschaftlich Sinn macht. Im Labor ist vieles möglich, aber unser neues Verfahren sollte sich für die Recyclingindustrie in der Praxis bewähren.«

Für das Verfahren werden aus Nebenprodukten des bereits etablierten mechanischen Aufbereitungsprozesses die Solarzellenbruchstücke abgetrennt und gesammelt. Die Zellbruchstücke im Größenbereich von 0,1 bis 1 Millimeter werden am Fraunhofer CSP im ersten Schritt durch verschiedene Sortierverfahren von Glas und Kunststoff befreit. Danach erfolgt durch nasschemisches Ätzen die schrittweise Entfernung des Rückseitenkontaktes, der Silberkontakte, der Antireflexschicht und letztendlich des Emitters. Das derart aufgereinigte Silizium wird in Standardprozessen zu monokristallinen oder quasi-monokristallinen Ingots verarbeitet und anschließend zu Wafern weiterprozessiert.

Die Kristallisation erfolgt mit 100 Prozent Recycling-Silizium ohne Zusatz von kommerziellem Reinstsilizium. Die Wafer wurden am Fraunhofer ISE im PV-TEC zu PERC-Solarzellen verarbeitet, deren Zellwirkungsgrad im ersten Versuch bei 19,7 Prozent lag. »Das liegt unter dem Wirkungsgrad heutiger Premium PERC-Solarzellen mit circa 22,2 Prozent Wirkungsgrad, aber mit Sicherheit über dem der Solarzellen in den alten, ausgemusterten Modulen«, setzt Dold die ersten Ergebnisse in Kontext.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Peter Dold

CSP-Labor für Kristallisationstechnologie, Fraunhofer ISE
Otto-Eißfeldt-Str. 12 | 06120 Halle (Saale)
Tel.: 0345 5589-5600

Quelle:
www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2022/perc-solarzellen-aus-recyceltem-silizium-hergestellt.html

Von der Betonwüste zur Schwammstadt
Nachhaltigkeitsforscher Dr. Stefan Geyler untersucht, wie Kommunen ihre blaugrüne Infrastruktur ausbauen können

Presseinformation: 26.07.2022

Interview: Nina Vogt

Die Dürre in vielen Teilen Deutschlands und in Südeuropa macht deutlich: Wasser ist ein kostbares Gut. In Städten können Grünflächen und Gewässer, die sogenannten blaugrünen Infrastrukturen, dabei helfen, besser mit Wasser zu haushalten und Straßen und Plätze zu kühlen. Wir haben mit dem Wirtschaftswissenschaftler und Biologen Dr. Stefan Geyler von der Universität Leipzig darüber gesprochen, wie weit der Weg zu einem multifunktionalen Umgang mit Regenwasser (Stichwort „Schwammstadt“) noch ist.

Gewässer und Grünflächen – wie hier an der Pleiße in Leipzig – helfen unter anderem, Straßen und Plätze zu kühlen. 

Herr Dr. Geyler, wieso sind blaugrüne Infrastrukturen (BGI) in Städten so wichtig? 

Städtische Räume greifen generell stark in den Wasserhaushalt ein. Aufgrund der starken Versiegelung bildet sich zu wenig Grundwasser und verdunstet zu wenig Wasser. Zugleich überhitzen hochverdichtete Räume leicht. Diese Probleme werden durch den Klimawandel noch verstärkt. Jeder kann die Hitze in diesem Sommer spüren, das Stadtgrün leidet unter Trockenstress und die zunehmenden Starkniederschläge können Straßen, Keller und Tiefgaragen überfluten.

Blaugrüne Infrastrukturen bieten Lösungsbeiträge zu diesen Problemen. Dazu zählen verschiedene Ansätze. Gründächer sind mittlerweile häufiger zu sehen. Versickerungslösungen fallen kaum auf, seien es einfache Mulden oder komplexe, platzsparende Versickerungssysteme, die Mulden-Rigolen. In den letzten Jahren wurde intensiv zu Baumrigolen geforscht, welche Regenwasser im Wurzelbereich von Bäumen zurückhalten. Weiterhin zählen Zisternen für die Nutzung von Regenwasser hinzu sowie die gezielte Gestaltung von Straßen und Gelände, um Starkniederschläge unschädlich abzuleiten oder gefahrlos auf Plätzen und Grünanlagen zwischenzuparken. Werden solche blaugrünen Elemente der Regenwasser-Kanalisation im öffentlichen Raum vorangeschaltet oder ersetzen sie diese sogar, so lassen sich Grundwasserneubildung und Verdunstung verbessern, die urbanen Räume kühlen, Wasser zur Bewässerung oder Ähnliches bereitstellen und der Überflutungsschutz verbessern. Und sie haben einen weiteren Vorteil – es sind teilweise einfache Systeme und ressourcenschonend im Vergleich zu technischen Infrastrukturen. Die CO2-Bilanz dieser Systeme ist vielleicht ein Aspekt, dem gegenwärtig noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. 

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der blau-grünen Infrastrukturen in deutschen Städten ein?

Bisher werden blau-grüne Infrastrukturen viel zu wenig, zu unstrategisch beziehungsweise unsystematisch genutzt. Allerdings geht es hierbei um die Veränderung eines komplexen sozio-technischen Systems. Dies macht es auch wissenschaftlich spannend. In den vergangenen 40 Jahren wurde viel geleistet: Die blaugrünen Technologien wurden entwickelt und erprobt, Planungsstandards wurden erarbeitet; die rechtlichen Grundlagen haben sich deutlich verändert – von gesplitteten Abwassergebühren über den Grundsatz der ortsnahen Bewirtschaftung von Niederschlagswasser bis hin zur Stärkung des Gewässerschutzes. Die Informationsbasis hat sich erweitert und mittlerweile verfügen beispielsweise große Städte – auch Leipzig – über Starkniederschlagskarten und können Aussagen zu den Überflutungsgefahren treffen.

Wo können Städte und Gemeinden ansetzen, um nachhaltigere Lösungen umzusetzen?

Die Kommunen müssen Planung, Abstimmungsprozesse, Aufgabenverteilungen, Finanzierungsfragen und die Informationstools weiterentwickeln. Die gegenwärtigen Forschungen zielen darauf ab, die BGI weiter in das Governance-System „Stadt“ zu integrieren.

Wir untersuchen zum Beispiel, welche Ziele in welchem städtischen Teilraum besonders verfolgt werden sollten: Soll und kann in der Innenstadt etwa verstärkt auf Hitzereduzierung hingearbeitet werden und in anderen Quartieren auf Versickerung?

Wir beschäftigen uns auch mit der Frage, in welchem Maße zusätzlicher Ressourcenverbrauch durch Klimaanpassung gerechtfertigt ist.

Zentrale Akteure sind die Grundstückseigentümer. Sie verfügen mit den Dächern und Grünflächen über die entscheidende Ressource „Raum“, der für ortsnahe BGI notwendig ist. Wir erforschen, wer mit welchen Mitteln motiviert oder verpflichtet werden kann, Anlagen zu errichten und langfristig ordentlich zu betreiben. Bestenfalls lassen sich solche Entwicklungen planen und prognostizieren.

Aber auch im öffentlichen Raum, den die Kommune zu verantworten hat, müssen BGI häufiger, koordinierter und systematischer genutzt werden. Wir entwickeln Lösungsvorschläge, wie Ämter hier besser kooperieren können, und schauen uns auch Finanzierungslösungen an.

Kennen Sie Positivbeispiele für Kommunen, die ihre blaugrünen Infrastrukturen erfolgreich ausbauen?

In Leipzig wird gerade im Zuge der Quartiersentwicklung Eutritzscher Verladebahnhof ein umfassendes Regenwasserbewirtschaftungskonzept umgesetzt, die gewonnenen Erfahrungen sollen weitergenutzt werden. In Hannover wird gerade an quartiersbezogenen Ansätzen zur Integration von BGI in das kommunale Handeln geforscht. In Berlin wurde mit der Regenwasseragentur eine Organisation geschaffen, welche dem Informationsaustausch zwischen Stadt und Privaten vorantreibt, eine ähnliche Koordinationsstelle für die Ämter existiert in Hamburg mit der RISA-Leitstelle. In der Emscherregion wird systematisch die Vernetzung zwischen sämtlichen beteiligten Akteuren vorangetrieben. Die Informationsbasis und Möglichkeiten der Planungswerkzeuge entwickeln sich stetig weiter. Es geht also voran. 

Dr. Stefan Geyler vertritt aktuell die Professur für Wassermanagement und Klimaanpassung (ehemals Professur für Umwelttechnik/Umweltmanagement) an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Er forscht zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz von Wasser und Gewässern sowie zur Nachhaltigkeitstransformation von Infrastrukturen der Daseinsvorsorge in urbanen und ländlichen Räumen. 

Tel.: 0341 97-33877

aus der studienstelle

Volksbaukonferenz 2.0
Planungscamp Leipzig – Stadtentwicklung neu denken

von Sven Kröber

Eine Woche lang, vom 18. bis 23. Juli, erkundeten, entdeckten und beplanten ca. 40 Studentinnen und Studenten des Fachbereiches Stadtplanung und Stadtentwicklung der Universität Kassel unter der Leitung von Prof. Harald Kegler die Stadt Leipzig. Zum Thema „Leipzig: Zukunftsstadt“ erprobten sie das neue Lehrformat Planungscamp.

Die meisten von Ihnen waren erstmals in Leipzig und hatten drei Tage Zeit, die Stadt intensiv kennenzulernen. Zum Beispiel bei einem Stadtspaziergang mit den Architekten Bernd Sikora und Angela Wandel zum Thema „Erkundung: Wandel in der Innenstadt“ und einem Spaziergang durch Connewitz mit Herrn Farber vom Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung und Jens-Uwe Bolt vom Stadtplanungsamt. Der Fokus hier war: städtebauliche Herausforderungen gestern, heute und morgen sowie die Wohnungsfrage. Mit Heiko Müller und Rainer Müller ging es auf Radexkursion nach Plagwitz/Lindenau. Am Mittwoch folgte ein Gespräch mit dem Bürgermeister von Markleeberg, Karsten Schütze, zum Innenstadtbereich Markleeberg, zu Koordinationsproblemen bei der infrastrukturellen Erschließung des Südraumes und bei Grenzen überschreitenden Planungen. Im Infozentrum Georg-Schumann-Straße stellte Stefan Grandke den Bürgerverein Magistralenmanagement vor und sprach über Möglichkeiten und Grenzen der Bürgerbeteiligung. 

Im Tapetenwerk Leipzig planten die Studierenden dann donnerstags und freitags die Gestaltung eines Gebietes um den ehemaligen Industriehafen in Lindenau. Sie setzten sich aktiv mit den Sichtweisen von Investoren, der Verwaltung und der Bürgerschaft auseinander, indem sie ihre Planungen aus der jeweiligen Rolle her entwickelten und mit den jeweils anderen Gruppen diskutierten. Es gab keinerlei „Spielregeln“, lediglich den Auftrag, am Samstag bei der öffentlichen Ergebnispräsentation eine gemeinsam getragene Planung vorzustellen.

Im Mittelpunkt der Gespräche stand schnell die Frage, wie ein neuartiges Format bürgerschaftlich getragener basisdemokratischer Stadtentwicklungsplanung aussehen könnte, für eine soziale und ökologische Stadt der Zukunft jenseits alleiniger Verwertung von Grund & Boden.

Die intensive Arbeit war für die Studierenden enorm spannend und erforderte unterschiedlichste Reflexions- und Selbstreflexionsrunden. Wir Beobachter, Siegrun Höhne und Sven Kröber, waren erstaunt darüber, wie kompetent und realitätsnah die jungen Leute in ihren Rollen agierten. Prof. Kegler fiel auf, welche Kompetenz im Studium nicht vermittelt wurde: Projektmanagement. 

Das Format Planungscamp ist nach unserer Einschätzung trotz des enormen Vorbereitungs- und Zeitaufwandes sehr geeignet, intensiv, kompakt und lebenswirklich zu lernen – nicht nur im universitären Kontext.

Das Camp stand im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Stadtwende“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das grundlegende Fragen der Stadtentwicklung anspricht, z. B. die Eigentumsfrage an Grund und Boden, die Utopie einer neuen Stadt in der Vorhandenen sowie deren Umbau. In Leipzig knüpften wir bewusst an der einzigartigen Idee der „Volksbaukonferenz“ an, die in Leipzig 1990 – für kurze Zeit – einen Wendepunkt der Stadtentwicklung markierte und an der auch das Kirchliche Forschungsheim Anteile hatte. 

Die Materialsammlung gibt Anregungen für tierethische Themen und Fragestellungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. In der theologischen Hinführung „Alles was atmet“ wird die Rolle der Tiere in der Bibel aufgezeigt und Schlussfolgerungen für heute gezogen. In dem Abschnitt „Tierethisch praktisch“ finden sich 12 Einheiten über Haustiere, Wildtiere und landwirtschaftliche genutzte Tiere. Es findet sich außerdem eine Sammlung an Liedern, Fürbitten, Gebeten und Psalmen.

Hingehen – sehen, hören, reden!
Gelingende Kommunikation für biologische Vielfalt 

Mit dieser Tagung im Juni haben wir etwas Neues ausprobiert. Sowohl der Tagungsort in der sehr ländlichen Umgebung als auch die Methodik (Themenwanderung mit verknüpftem Planspiel) setzten eine aktive Beteiligung der Teilnehmenden voraus. Neben dem Informationstransfer und direkten Diskurs setzten wir auf physische und emotionale Eindrücke. Das Konzept für die Veranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Matthias Pietzsch und Michael Makala (beide für den Bundesverband beruflicher Naturschutz e. V.) entwickelt.

Nach der Einführung ins Thema und einer Vorstellungsrunde im Tagungshaus startet die mehrstündige Themenwanderung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen die Referenten in ihren jeweiligen Lebens- und Arbeitsbereichen an. Diese berichten von ihrer Situation, ihren Erfahrungen und ihrer Sicht auf die Naturschutzziele und Praktiken.

Zunächst wanderte die Gruppe durch einen von Trockenheit und Schädlingsbefall geschädigten Kiefernforst. Guido Arndt, Diplom-Forstingenieur und zuständiger Revierförster im Betreuungsforstamt Annaburg erläuterte die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Waldbewirtschaftung und die Rolle der Waldbesitzer. Diese entscheiden, welche forstlichen Maßnahmen umgesetzt werden. Mit Wald könne man derzeit in dieser Region kein Geld verdienen. Forstliche Maßnahmen haben hier das Ziel, überhaupt Wald und Baumbestände auf der Fläche zu haben. Für Naturschutzmaßnahmen brauche es zusätzliche finanzielle Anreize. Förderlich ist aber auch, ohne Eingriffe (und zeitliche oder methodische Vorgaben aus Politik und Verwaltung) Waldbestände sich selbst zu überlassen. Bei Privateigentümern ist das schwierig, im Staatswald wäre hier viel möglich bei einem Verzicht auf die Holzerträge.

Für die Landwirtschaft berichtete Ralf Donath, Diplom-Agraringenieur und Geschäftsführer der Vereinigten Agrarbetriebe Seydaland GmbH und Co KG und Vorsitzender des Bauernverbandes im Landkreis Wittenberg zur Situation seines Betriebes und der der Betriebe im Landkreis und deutschlandweit. Drängendstes Problem vor Ort sei die seit 2018 andauernde Dürre, die auf die Produktivität massiven Einfluss habe. Daneben wäre die eigentliche Aufgabe der Landwirtschaft, nämlich die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen und die Ur-Produktion zu gewährleisten, verloren gegangen. Stattdessen ist die Landwirtschaft inzwischen ein Rohstoffproduzent neben anderen im globalen Markt. Dies und die Preisgestaltung der Diskounter machen ganze Betriebszweige unwirtschaftlich. Gerade wären die letzten Schweine des Betriebes verkauft worden. Im ganzen Bundesland verschwände die landwirtschaftliche Schweinehaltung, es bleiben nur gewerbliche Betriebe ohne Fläche. Demnächst werde wohl wegen der negativen Erträge die Weidewirtschaft in den Flussauen aufgegeben. Dies sollte die Naturschützer wachrütteln. Und die Politik wäre von den Realitäten vor Ort sehr weit weg, sie ließe die Fragen der Branche gar nicht zu.

An einer Streuobstwiese sprach Dr. Bernd Simon, Biologe und Vorsitzender des Naturschutzbundes (NABU), Kreisverband Wittenberg, vom ehrenamtlichen Naturschutzengagement im Gebiet. Es gäbe nur wenige Menschen, die sich aktiv für den Naturschutz einsetzen, aber Geld für Maßnahmen wäre immer da, auch in der Land- und Forstwirtschaft. Man müsse offen für Neues sein. Die Weidewirtschaft fördere grundsätzlich die Artenvielfalt und muss erhalten bleiben. 

Mit Blick auf den Fluss Schwarze Elster, die in einem Naturschutzgroßprojekt renaturiert werden soll, erläuterte Georg Darmer, Biologe und Geschäftsführer der Umweltvorhaben in Brandenburg Consult GmbH (UBC) die Planungen. Er ist im Projekt als Fachgutachter beteiligt. Es sollen Altwässer an den Fluss wiederangebunden werden, um Wasser in der Fläche zu halten und die Biodiversität zu fördern. Auch er betonte: eine Beweidung der Flussauen ist notwendig. Hier wurde deutlich, dass die Themen Wassermangel in der Fläche und die Rentabilität der Nutzungen zentrale Herausforderungen aller bei unterschiedlichen sonstigen Interessen sind.

Anschließend besuchte die Gruppe das Weingut Zwicker. Die Region bezeichnet sich selbst als nördlichstes geschlossenes Weinbaugebiet Deutschlands. Angelika Zwicker, die Seniorchefin, berichtete vom schwierigen Start des Betriebes in den 1990er Jahren und von der gelungenen Betriebsübergabe an die nächste Generation. Damit verbunden wäre eine Änderung des Betriebskonzeptes, hin zu hochqualitativen und modernen Weinen, die in einer gesunden Umgebung reifen. Dies mache auch einen besonderen Blick auf Landschaft und Naturschutz nötig. Es werde beispielsweise versucht, den Pflanzenschutzmitteleinsatz „gegen Null zu fahren“. Im Betrieb werden Hoffeste und Familienfeiern als zweites Standbein ausgerichtet.

Die Wanderung brache verschiedene Akteure mit verschiedenen Interessen und Perspektiven sowie verschiedenen Handlungsspielräumen zusammen, um einander zuzuhören und zu versuchen, die anderen Rollen und Handlungsgrenzen kennenzulernen und zu verstehen. Kommunikationsziel war Verständigung, um auf dieser Grundlage etwas konkret aushandeln zu können bzw. Lösungswege zu suchen. 

Am Abend stellte Lars Fischer vom Büro für Landschaftskommunikation in Eberswalde das Konzept der Landschaftskommunikation vor. Ziel ist immer die Erarbeitung eines Kompromisses unter Einbeziehung möglichst aller in einer definierten Landschaft tätigen Akteure bzw. Nutzerinnen. Dies wäre ein Prozess, in dem Landschaft und auch Natur zu verhandeln sind, denn auf jeder Landschaft läge ein steter Entwicklungs- und Gestaltungsdruck, der sich aus den Interessen der verschiedenen Nutzergruppen speist. Bundes- und Landespolitik hätten den Bezug zu konkreten Gegebenheiten verloren. Prozesse der Landschaftskommunikation könnten in konkreten Landschaftsräumen angestoßen werden, um die Kommunikation über die Entwicklung zu fördern und gezielte Mitgestaltung durch die verschiedenen Nutzergruppen zu ermöglichen.

Am Folgetag wurden in einem Rollenspiel Kommunikationsbarrieren und Erfolge am Beispiel des Naturschutzgroßprojektes Schwarze Elster erprobt. Die von den Akteuren beschriebenen Alltagssituationen, Probleme oder Konflikte wurden in veränderten Rollen nachempfunden. Ziel dieser Methode war es, Sachzwänge der jeweils anderen, deren Einstellungen und Verhaltensweisen zu „erleben“ und Ansatzpunkte für Veränderungen bzw. Lösungsansätze fern der eingeübten Zuschreibungen aufzuzeigen. Es zeigte sich, dass eine Rolle in den Vorüberlegungen nicht beachtet wurde, im konkreten Prozess aber notwendig einbezogen werden muss: die der Flächeneigentümer. Spontan schlüpften zwei Teilnehmer in diese Rolle. Es ergab sich, neben dem persönlichen Gewinn, den Teilnehmerinnen und Teilnehmer mitnahmen, dass alle zu behandelnden Fragen und Probleme zu Beginn von allen Beteiligten gemeinsam klar definiert werden müssen. Auch die jeweiligen Handlungsspielräume sind klar zu beschreiben. Schwierig wird Kommunikation, wenn jede/r in seiner eigenen Sprache bleibt und in einer Innenansicht verharrt. Gelingt das Format, kann Verantwortung in eine Region zurückgegeben werden, auch und gerade, wenn man politisch nicht weiterkommt. Es empfiehlt sich, Diskussionen und Standpunkte kreativ aufzuarbeiten, das schafft Distanz und fügt eine neue Perspektive in den Prozess ein. 

Deshalb begleitete Christina Gebreyes, Schnellzeichnerin und Karikaturistin aus Berlin, die Tagung und hielt die Ihre Eindrücke und Wahrnehmungen grafisch fest. 

Am Ende fassten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zusammen, was für eine gelingende Kommunikation (im Naturschutz) gebraucht wird und was stört. Es helfen: gute Beispiele, verständliche Sprache, Zuhören, Neugierde, Unvoreingenommenheit, Authentizität, Humor und Zeit. Es stören: Rechthaberei, Zeitdruck, vorschnelle Wertungen, Aggression, Schlechte Vorbereitung und Halbwissen, Schuldzuweisungen, Hektik und mangelnde Bereitschaft, sich einzulassen.

Veranstaltungshinweise

„Brücken aus Papier“ – Friedensbotschaften
Schreiben als gesellschaftliches Engagement

23. bis 25. September 2022, Klosterhof St. Afra Meißen

„Schlimm ist es zu sehen, wie Geschichte entsteht“, schrieb einst der ukrainische Dichter Serhij Zhadan, dem gerade der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zugesprochen wurde. Zurzeit ist er in Charkiw und tut alles dafür, damit er und die anderen „mit voller Kraft am Leben bleiben“. Kriege sind so alt wie die Menschheit – die Sehnsucht nach Frieden auch, davon zeugen nicht zuletzt zahlreiche literarische Texte sowie auch weltweites zivilgesellschaftliches Engagement.

Davon ausgehend, wollen wir an diesem Wochenende Möglichkeiten schaffen, sich schreibend zu engagieren und miteinander ins Gespräch zu kommen, über Krieg und Frieden. 

Schreibwerkstätten mit:

Sandra Miriam Schneider, Berlin
und Christoph Kuhn, Halle 

Studienleitung:
Dr. Kerstin Schimmel, Meißen

Teilnahmebeitrag: 

260 Euro pro Person im Doppezimmer. Darin sind sowohl die Kosten für Übernachtungen und Vollpension als auch der Tagungsbeitrag enthalten. Für die Übernachtungen im Einzelzimmer wird ein Zuschlag von insgesamt 20 Euro erhoben.

Informationen und Anmeldung:
Evangelische Akademie Sachsen
Tel.: 0351  8124300
| www.ea-sachsen.de


Knautschzone Landwirtschaft
Zwischen Natur-, Klimaschutz und Ernährungssicherung

3. bis 5. November 2022, online

Der Krieg in der Ukraine hat massive Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung in Europa, wenn nicht gar der ganzen Welt. Wie können die Ernteausfälle und Lieferengpässe kompensiert werden? Nahe liegt, den Anbau – auch – in Deutschland zu intensivieren und die Erträge durch mehr Düngen oder die Ausweitung der Anbauflächen zu steigern, etwa durch Grünlandumbruch. Beides jedoch wäre Gift für den Klima- und den Naturschutz. Die Landwirtschaft ist also in der Klemme – genauso wie die Politik. Welche Prioritäten müssen jetzt gesetzt werden? Hat die Ernährungssicherung Vorrang vor dem Klimaschutz – oder lässt sich beides erreichen? Könnte mehr importiert werden, ohne die klimaschädlichen Effekte ins Ausland zu verlagern? Und welche Rolle spielt die aktuelle Reform der EU-Agrarpolitik dabei? Fachleute aus Wissenschaft, Landwirtschaft, Politik und Umweltverbänden, aber auch interessierte Bürgerinnen und Bürgern sind eingeladen, über diese Fragen miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Landwirtschaft in Mitteldeutschland gerichtet.

Tagungsleitung: 

Jörg Göpfert und Siegrun Höhne


Teilnahmegebühr:

10 Euro

Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie online unter:

https://ev-akademie-wittenberg.de/veranstaltungen/kw/bereich/kursdetails/kurs/2022-46/kursname/Knautschzone%20Landwirtschaft/

oder bei der Tagungsleitung per E-Mail:


Jörg Göpfert



Siegrun Höhne

Wassermanagement in der Landschaft
Reihe: Bauernfrühstück

3. Dezember 2022, 10 bis 13 Uhr in der Evangelischen Akademie in Wittenberg

In den Landschaften, besonders auch in Mitteldeutschland, fehlt es an Wasser. Dürreereignisse häufen sich und das Wasser von Starkregen kann von den Böden kaum aufgenommen werden. Die Grundwasserstände sinken. 

Ein gezielter Wasserrückhalt in der Fläche könnte Vorsorge schaffen. Doch ein solch regionales Wassermanagement müsste institutionenübergreifendend und überbetrieblich koordiniert werden. Wie können ökonomisch sinnvolle sowie umwelt- und naturverträgliche Konzepte des Wassermanagements organisiert und etabliert werden können? 

Ziel der Veranstaltung ist es, zunächst zu eruieren, welche Akteure und Institutionen in einer Region, hier am Beispiel des westlichen Flämings, einbezogen werden müssen, um eine Wasser-Strategie zu entwickeln zu können. Neben Land- und Forstwirten sowie Bürgerinnen und Bürgern sind Fachleute der Agrarlandschaftsforschung, der Regionalplanung und der Politik eingeladen.

Tagungsleitung: 

Siegrun Höhne


Teilnahmebeitrag (für das Frühstück): 

5 Euro

Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie online unter:

https://ev-akademie-wittenberg.de/veranstaltungen/kw/bereich/kursdetails/kurs/2022-55/kursname/Wassermanagement%20in%20der%20Landwirtschaft/

oder bei der Tagungsleitung per E-Mail:

Siegrun Höhne

Themenseiten – 50 Jahre „Grenzen des Wachstums“

1972
Die Erde zuerst – Der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“
und eine blaue Murmel im All: Wie vor 50 Jahren die globale
Umweltbewegung begann.

von Ulrich Grober

Es war nur ein schmales Paperback. 205 Seiten, keine Bilder, dafür lauter Diagramme. Aber es war ein globales Medienereignis, als vor 50 Jahren, im März 1972, der Club of Rome seinen Bericht über „Die Grenzen des Wachstums“ vorstellte. Das Feuerwerk der medialen Resonanz reichte vom Wissenschaftsjournal Science bis zum Playboy, vom Economist bis zur Peking Rundschau. „Die Grenzen des Wachstums“ wurde zu einem der größten Bucherfolge des 20. Jahrhunderts. Er war zugleich der fulminante Auftakt eines ökologischen Wendejahres, das rückblickend die Geburtsstunde der globalen Ökologiebewegung markiert. Aus einer Reihe von Ereignissen kristallisierte sich 1972 ein neues Paradigma heraus, eine neue Sicht der Welt. Sie war geprägt von dem Gefühl, es gehe ums Ganze.

Begonnen hatte alles vier Jahre zuvor, im April 1968. In Rom hatte sich ein kleiner, international zusammengesetzter Kreis versammelt: Philanthropen, Wissenschaftler, Kader von OECD und UNESCO. Eingeladen hatte der damals 60-jährige italienische Industriemanager Aurelio Peccei. Sein Antrieb war die Sorge, dass die „unausweichliche und nicht reduzierbare Wechselbeziehung zwischen der Menschheit und der Biosphäre“ in eine tiefe Krise geraten sei. Nötig sei eine neue „kopernikanische Wende“. Um das „Meta-System der Probleme“ besser zu verstehen, vereinbarte man regelmäßige Gesprächsrunden. Daraus ging der Club of Rome hervor. 

In der Folge identifizierte der Club fünf Mega-Trends: beschleunigte Industrialisierung, rasches Bevölkerungswachstum, verbreitete Unterernährung, Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen, zunehmende Verschmutzung der Umwelt. Was würde bei einem „Weiter so“ passieren? Wie könne man der Weltöffentlichkeit die Notwendigkeit schnellen Handelns vermitteln?

1970 knüpfte der Club Kontakt zu Dennis Meadows, einem 28-jährigen Experten für Systemdynamik am MIT, dem weltweit renommierten Massachusetts Institute of Technology. Dessen Idee: mithilfe von Computersimulationen die fünf variablen Wachstumsprozesse abzubilden, sie in Beziehung zu setzen und daraus zukünftige Entwicklungen abzuleiten. Meadows erhielt den Auftrag und stellte ein Team aus 17 Personen zusammen. Zwölf Männer und fünf Frauen, unter ihnen seine Frau, die Biophysikerin (und Bio-Bäuerin) Donella Meadows und der norwegische Ökonom Jorgen Randers. Das Durchschnittsalter lag unter 30. 

Für die Finanzierung des Projekts sorgte Eduard Pestel, Professor für Mechanik an der TU Hannover, der nicht nur im Club of Rome Mitglied war, sondern auch im Kuratorium der Volkswagenstiftung. Die stellte im November 1970  775.000 D-Mark bereit, übrigens nicht ohne Hinweise auf Schwachstellen des Antrags. Ihre Gutachter bemängelten den „starken technokratischen Grundzug“ des Projekts und sein „unspezifisches eschatologisches Katastrophenszenario“. Wenn man die ökologischen Probleme nicht an den ganz spezifischen Interessen von Verursachern festmache, drohe eine „Generalhaftbarmachung der Menschheit“.

Schon ein Jahr später legte die Gruppe die Ergebnisse vor. Ihr Bericht entwarf ein „Weltmodell“. Die Erde ist begrenzt. Wenn Wachstum und Expansion von Teilsystemen ungebremst weitergehen, erleben wir eine Periode des overshoot, also das Überschreiten von Grenzen. Diese Prozesse würden um die Mitte des 21. Jahrhunderts zu einem „plötzlichen und unkontrollierbaren Niedergang“ der gewohnten Lebensbedingungen führen – zum Kollaps. Die Alternative bestehe darin, möglichst bald das Wachstum abzubremsen und in Richtung auf einen Zustand des globalen Gleichgewichts umzusteuern. 

An einer zentralen Stelle heißt es: „Wir suchen nach einem Modell, das ein Weltsystem abbildet, das erstens nachhaltig (sustainable) ist ohne plötzlichen und unkontrollierbaren Kollaps; und zweitens fähig ist, die materiellen Grundansprüche aller seiner Menschen zu befriedigen.“ Hier taucht zum zum ersten Mal das Wort sustainable (nachhaltig) in seiner modernen Bedeutung auf, als Gegenbegriff zu „Kollaps“. Der Klimawandel wird 1972 nur am Rande erwähnt. Die Verbrennung fossiler Energieträger müsse reduziert werden, bevor ein ernsthafter „ökologischer und klimatologischer Effekt“ eintrete. 

Mitte Mai 1972 präsentierten Aurelio Peccei und die Führungsriege des Club of Rome den Bericht im schweizerischen St. Gallen. Die Veranstalter hatten dafür gesorgt, dass die Fronten hart aufeinanderprallten. Der neoliberale amerikanische Ökonom Henry Wallich brachte zentrale Gegenargumente an: „Eine Modellvorstellung, die mit beschränkten Reserven arbeitet und nicht deren unbeschränkten Ersatz durch Einsatz von Technik zulässt“, sagte er, „ist unrealistisch“. Die Bedrohung durch Umweltverschmutzung lasse sich bewältigen, die Bevölkerungszahl werde sich stabilisieren. Zudem würde ein Wachstumsstopp „Milliarden Menschen jede Zukunftshoffnung nehmen“. Wallich resümierte:  Die Methoden des Berichts seien falsch, die Ergebnisse unbrauchbar. Solche frontalen Attacken auf „Die Grenzen des Wachstums“ waren zu dem Zeitpunkt schon weit verbreitet. Sie entfesselten eine machtvolle – und von mächtigen Interessen gewollte – Dynamik des „Weiter so“. Bis heute.

Nichtsdestoweniger behielt das kontroverse Thema seine Dringlichkeit. Noch 1972 erschien ein Buch mit dem Titel „Strategie des Fortschritts“. Sein  Autor, der Zürcher Ingenieur und Unternehmer Ernst Basler, war mit einfacher Mathematik, nämlich dem Modell des exponentiellen Wachstums, zu denselben Schlussfolgerungen wie das MIT-Team gekommen: Auf einer endlichen Erde führt ein unbeschränktes Wachstum von Teilsystemen in gefährliche Unsicherheiten. Um die Alternative eines „selbstgenerierenden Gleichgewichtszustands“ zu benennen, brachte Basler die 300 Jahre alte Faustformel deutscher Forstleute ins Spiel: „Nicht mehr Holz fällen als nachwachsen kann.“ Sein Vorschlag: Ein global erweitertes „Prinzip Nachhaltigkeit“ zur Grundlage für ein neues globales Zukunftsdenken zu machen.

Ein weiteres prägendes Ereignis im Ökojahr 1972 begann am 5. Juni. Der kanadische UN-Sonderbeauftragte Maurice Strong eröffnete in Stockholm die „United Nations Conference on the Human Environment“, den ersten UN-Umweltgipfel. 1200 Delegierte aus 113 Mitgliedstaaten nahmen teil, dazu – ein Novum in der Geschichte der UN – zahlreiche Nichtregierungsorganisationen. Zwei Generationen vor Greta Thunbergs Klimasstreik-Bewegung bevölkerten Tausende von meist jugendlichen Graswurzel-Aktivisten aus aller Welt lautstark die Straßen und Plätze der schwedischen Hauptstadt. 

Only one earth – „Nur eine Erde“, war das Motto des Gipfels. Formuliert hatte es die britische Ökologin Barbara Ward. Sie meinte damit die gemeinsame Abhängigkeit der menschlichen Gattung von der „Gesundheit unserer einen und einzigen Erde“. Die Konferenz zielte, wie Maurice Strong in seiner Eröffnungsrede sagte, auf die „Versöhnung der legitimen, sofortigen Ansprüche des Menschen mit den Rechten anderer, mit dem Respekt vor den natürlichen Lebensgrundlagen und mit den Rechten der Generationen, die nach uns kommen.“ Er nahm damit das UN-Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ vorweg. 

Doch schnell offenbarten sich tiefe Differenzen im Plenarsaal des Folkets Hus, des Glas- und Betonpalastes des schwedischen Gewerkschaftsverbandes. Auf dem Sergels Torg im Zentrum Stockholms protestierten Tausende gegen die Apartheit in Südafrika und die französischen Atomtests in der Südsee. Jugendliche zogen mit der Attrappe eines Wales unter dem Klang von Walgesängen und dem alten Ruf „val! val“ norwegischer Walfänger durch die Straßen und forderten eine zehnjährige Schonzeit für Wale. Straßentheater griffen das ironisch auf und verlangten ein zehnjähriges Moratorium bei der Tötung von Menschen.

Die Mienen der US-Delegierten versteinerten sich, als die Chinesen die Verurteilung des Ökozids in Vietnam – die Entlaubung der Wälder mit chemischen Kampfstoffen – forderten. Und erst recht, als sich der Gastgeber der Konferenz, der schwedische Ministerpräsident Olof Palme, der Forderung anschloss. Zwischen Sprechern des Südens, die auf ihr Recht auf Entwicklung pochten, und Vertretern entwickelter Länder, die den Vorrang des Umweltschutzes verkündeten, kam es zum Schlagabtausch. Einem US-amerikanischen Wissenschaftler, der sich für strikte Geburtenkontrolle einsetzte, entriss ein brasilianischer Ökonom das Mikrofon und warf ihm erregt vor, er wolle einen „Genozid an Ungeborenen“. „Eure Umweltverschmutzung“, höhnte ein Vertreter der Elfenbeinküste, an die Delegationen aus den Industrieländern gewandt, „nehmen wir gern in Kauf, wenn wir dafür euren Wohlstand bekommen“. 

Der Auftritt der indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi auf dem Podium hob die Debatte auf eine neue Stufe. Sie erkannte im Profitprinzip, in der „alles beherrschende Sorge um das Selbst und das Jetzt“ die Hauptursache für die ökologische Krise. Gandhis Forderung lautete: der moderne Mensch müsse „wieder lernen, sich der Energie wachsender Dinge anzuvertrauen, um, wie unsere Vorfahren im alten Indien, zu erkennen, dass man der Erde und der Atmosphäre nur so viel entnehmen kann, wie man ihr wiedergibt.“

Eine neue Parole machte der Umweltgipfel von 1972 populär: Think gloabally, act locally. Geprägt hatte sie der französische Mikrobiologe René Dubois. Im Plenum erläuterte er. „Jetzt, da wir in die globale Phase der sozialen Evolution eintreten, wird klar, dass jeder von uns zwei Heimatländer hat – sein eigenes und den Planeten Erde.“ Die beiden Identitäten seien komplementär: „Wir fühlen uns nicht zu Hause, wenn wir nicht unseren eigenen Garten lieben. Und umgekehrt, wir fühlen uns in unserem Garten kaum wohl, wenn wir uns nicht um unseren Planeten als unsere kollektive Heimat kümmern.“  Identitätspolitik, 1972! In ihrem Schlusswort sprach Barbara Ward von der duty to hope, der Pflicht, zu hoffen.

Das umweltbewegte Jahr 1972 gipfelte schließlich – im Weltraum. Am 7. Dezember 1972, kurz nach Mitternacht Ortszeit, läuft im Kennedy Space Center der Countdown für Apollo 17, den bis heute letzten bemannten Flug zum Mond. In der Phase der Loslösung von der Erde wenden die drei Astronauten den Blick zurück, nachzulesen im Apollo 17 Flight Journal der Nasa.  „Ja, der Mond ist da“, berichtet Ronald Evans zur Bodenstation in Houston. Dann, im selben Atemzug: „Die Erde ist…, da ist die Erde“ und Sekunden später: „Whoops, was für eine Schönheit. Schau dir das an.“ Man spürt ein Innehalten im Raumschiff, dann sagt Harrison Schmitt: „Gib mir die Hasselblad!“.

Was die drei fasziniert, ist der Anblick der von der Sonne voll erleuchteten Erdkugel. Sie sind schon weit genug im All, um die ganze Erde mit einem Blick erfassen und auf Fotos bannen zu können, aber noch nahe genug, um die sich zeitlupenhaft drehende Erde mitsamt ihren Wolkenwirbeln, Ozeanen, Landmassen und Polareiskappen deutlich wahrzunehmen. Schmitt, von Hause aus Geologe, schießt eine Serie von vier Aufnahmen. Eugene Cernan, der Kommandant von Apollo 17, meldet, jetzt sehe er „die 100 Prozent volle Erde“ so, wie sie noch nie jemand gesehen habe. „Und weißt du, sie hängt an keinen Fäden. Sie ist da draußen, ganz allein.“  „Du siehst aus dem Fenster“, erzählt er später, „und blickst durch den schwarzen Weltraum zurück auf den schönsten Stern am Firmament“. Zu Silvester 1972 gibt die Nasa die Fotos frei. Das dritte aus der Serie ist unter dem Namen Blue Marble zur Ikone unserer Epoche geworden – die „Blaue Murmel“ gilt als das bis heute meistreproduzierte Bild der Mediengeschichte.

Die Erfahrung, die das Bild festhält, und die Schilderungen der Apollo 17-Besatzung sowie all der anderen Astronauten und Kosmonauten, die dieses Erlebnis hatten, mündeten in den Siebzigerjahren in eine große Erzählung aus wenigen Worten. Sie handelt von der Einzigartigkeit, der Schönheit und der Zerbrechlichkeit des blauen Planeten. Und fordert uns auf, schonend mit ihm umzugehen.

Nicht um „Endzeit“ oder Apokalypse drehte sich deshalb das Jahr 1972, sondern bereits um die „Wendezeit“, wie sie der Physiker und Philosoph Fritjof Capra zehn Jahre später ausrief.  Die Zeit schien reif für die beginnende große Transformation der Industrie- und Konsumgesellschaft zu einer neuen Zivilisation. Eine UN-Kommission unter Leitung der späteren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland machte 1976 sustainable development, die nachhaltige Entwicklung, zum Leitbild für das 21. Jahrhundert.

Heute, 50 Jahre nach den Ereignissen von 1972, lautet der höchst beunruhigende Befund: Wir entfernen uns immer weiter weg von den Zielen der Nachhaltigkeit. Der Erdüberlastungs-Tag, ein Maß für den ökologischen Fußabdruck der Menschheit, der angibt, an welchem Tag im Jahr die von der Natur regenerierbaren Ressourcen aufgebraucht sind, ist vom 10. Dezember (1972) unaufhörlich auf den 29. Juli (2021) vorgerückt. Die CO2 Konzentration in der Atmosphäre ist seit 1972 von 327, 4 ppm (parts per Million) weit über die als relativ sichere geltende Grenze von 350 auf einen historischen Höchststand von 420 ppm (2021) angestiegen. Die Weltbevölkerung hat sich seit 1972 verdoppelt. Die, wie man heute sagt, „planetarischen Grenzen“ werden an vielen Stellen erreicht, und damit zentrale tipping points, jenseits derer natürliche Systeme zu kollabieren drohen.

Für den kommenden Juni (Anm. d. Red.: 2022) planen die Vereinten Nationen ein high-level-meeting in Stockholm, um 50 Jahre nach dem ersten Umweltgipfel Bilanz zu ziehen. Schon jetzt lässt sich sagen: Korrigiert werden muss vor allem die Aushöhlung und Entkernung des Nachhaltigkeitsbegriffs. Oft geht es unter diesem Stichwort um marktkonforme technische Lösungen und um Geld, um vage Ankündigungen und leere Worte. Nachhaltigkeit ist aber primär eine Strategie der Selbstbeschränkung, der unbedingten Einhaltung der planetarischen Grenzen. Sie erfordert vor allem Rückzug, Rückbau, das Aufgeben aller nicht nachhaltigen Praktiken und – nicht zuletzt – die Senkung der Geburtenraten durch die Emanzipation der Frauen.

Der Kern der Nachhaltigkeit ist die Erhaltung der „ökologische Integrität“:  Das ganze Netz des Lebens – Biosphäre, Atmosphäre, Wasserkreisläufe, Böden – muss auf Dauer intakt gehalten werden. Erst im Einklang mit dem lebendigen Erdsystem bleibt auch die Option auf ein gutes Leben für alle offen. Das Vermächtnis von 1972 bedeutet, Nachhaltigkeit als eine Revolution für das Leben zu begreifen.

Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung DIE ZEIT, Nr. 4 vom 20. Januar 2022. Er basiert auf dem Buch des Verfassers: Ulrich Grober, „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs“, Kunstmann Verlag, München, 2010 und 2013.

1992
Erklärung der UN Konferenz über Umwelt und Entwicklung von 1992 in Rio de Janeiro
(Erklärung von Rio)

Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung, zum Abschluss ihrer Tagung vom 3. bis 14. Juni 1992 in Rio de Janeiro, in Bekräftigung der am 16. Juni 1972 in Stockholm verabschiedeten Erklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen sowie in dem Bemühen, darauf aufzubauen, mit dem Ziel, durch die Schaffung von neuen Ebenen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, wichtigen Teilen der Gesellschaft und den Menschen eine neue und gerechte weltweite Partnerschaft aufzubauen, bemüht um internationale Übereinkünfte, die die Interessen aller achten und die Unversehrtheit des globalen Umwelt- und Entwicklungssystems schützen, anerkennend , dass die Erde, unsere Heimat, ein Ganzes darstellt, dessen Teile miteinander in Wechselbeziehung stehen, erklärt folgendes:

Grundsatz 1:

Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung. Sie haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur.

Grundsatz 2:

Die Staaten haben im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und den Grundsätzen des Völkerrechts das souveräne Recht, ihre eigenen Ressourcen entsprechend ihrer eigenen Umwelt- und Entwicklungspolitik auszubeuten, und haben die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass Tätigkeiten unter ihrer Hoheitsgewalt oder Kontrolle der Umwelt anderer Staaten oder Gebiete jenseits der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse keinen Schaden zufügen. 

Grundsatz 3:

Das Recht auf Entwicklung muss so verwirklicht werden, dass den Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen der heutigen und der kommenden Generationen in gerechter Weise entsprochen wird. 

Grundsatz 4:

Damit eine nachhaltige Entwicklung zustande kommt, muss der Umweltschutz Bestandteil des Entwicklungsprozesses sein und darf nicht von diesem getrennt betrachtet werden. 

Grundsatz 5:

Alle Staaten und alle Menschen müssen bei der grundlegenden Aufgabe, als unverzichtbare Voraussetzung für die nachhaltige Entwicklung die Armut zu beseitigen, zusammenarbeiten, um Ungleichheiten im Lebensstandard zu verringern und den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen in der Welt besser gerecht zu werden. 

Grundsatz 6:

Erhöhter Vorrang gebührt der besonderen Situation und den besonderen Bedürfnissen der Entwicklungsländer, vor allem der am wenigsten entwickelten Länder und der Länder, die im Hinblick auf die Umwelt am meisten gefährdet sind. Internationale Maßnahmen im Bereich Umwelt und Entwicklung sollten außerdem auf die Interessen und Bedürfnisse aller Länder gerichtet sein. 

Grundsatz 7:

Die Staaten werden in einem Geist der weltweiten Partnerschaft zusammenarbeiten, um die Gesundheit und die Unversehrtheit des Ökosystems der Erde zu erhalten, zu schützen und wiederherzustellen. Angesichts der unterschiedlichen Beiträge zur globalen Umweltverschlechterung tragen die Staaten gemeinsame, wenngleich unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Die entwickelten Staaten erkennen die Verantwortung an, die sie in Anbetracht des Drucks, den ihre Gesellschaften auf die globale Umwelt ausüben, sowie in Anbetracht der ihnen zur Verfügung stehenden Technologien und Finanzmittel bei dem weltweiten Streben nach nachhaltiger Entwicklung tragen.

Grundsatz 8:

Um nachhaltige Entwicklung und eine höhere Lebensqualität für alle Menschen herbeizuführen, sollten die Staaten nicht nachhaltige Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten abbauen und beseitigen und eine geeignete Bevölkerungspolitik fördern. 

Grundsatz 9:

Die Staaten sollten zusammenarbeiten, um den Ausbau der eigenen Kapazitäten für eine nachhaltige Entwicklung zu stärken, indem sie das wissenschaftliche Verständnis durch den Austausch wissenschaftlicher und technologischer Kenntnisse vertiefen und die Entwicklung, Anpassung, Verbreitung und Weitergabe von Technologien fördern.

Grundsatz 10:

Umweltfragen sind am besten auf entsprechender Ebene unter Beteiligung aller betroffenen Bürger zu behandeln. Auf nationaler Ebene erhält jeder Einzelne angemessenen Zugang zu den im Besitz öffentlicher Stellen befindlichen Informationen über die Umwelt, einschließlich Informationen über Gefahrstoffe und gefährliche Tätigkeiten in ihren Gemeinden, sowie die Gelegenheit zur Teilhabe an Entscheidungsprozessen. Die Staaten erleichtern und fördern die öffentliche Bewusstseinsbildung und die Beteiligung der Öffentlichkeit, indem sie Informationen in großem Umfang verfügbar machen. Wirksamer Zugang zu Gerichts- und Verwaltungsverfahren, so auch zu Abhilfe und Wiedergutmachung, wird gewährt. 

Grundsatz 11:

Die Staaten werden wirksame Umweltgesetze verabschieden. Umweltnormen sowie Bewirtschaftungsziele und -prioritäten sollten dem Umwelt- und Entwicklungskontext entsprechen, für den sie gelten. Normen, die in einigen Ländern Anwendung finden, können in anderen Ländern, insbesondere in Entwicklungsländern, unangemessen sein und zu nicht vertretbaren wirtschaftlichen und sozialen Kosten führen.

Grundsatz 12:

Die Staaten sollten gemeinsam daran arbeiten, ein stützendes und offenes Weltwirtschaftssystem zu fördern, das in allen Ländern zu Wirtschaftswachstum und nachhaltiger Entwicklung führt und es gestattet, besser gegen die Probleme der Umweltverschlechterung vorzugehen. Umweltbezogene handelspolitische Maßnahmen sollten weder ein Mittel willkürlicher oder ungerechtfertigter Diskriminierung noch eine verdeckte Beschränkung des internationalen Handels darstellen. Einseitige Maßnahmen zur Bewältigung von Umweltproblemen außerhalb des Hoheitsbereichs des Einfuhrlands sollten vermieden werden. Maßnahmen zur Bewältigung grenzüberschreitender oder weltweiter Umweltprobleme sollten soweit möglich auf internationalem Konsens beruhen. 

Grundsatz 13:

Die Staaten werden innerstaatliche Rechtsvorschriften betreffend die Haftung für Umweltverschmutzungen und andere Umweltschäden und betreffend die Entschädigung der Opfer schaffen. Außerdem werden die Staaten zügig und entschlossener zusammenarbeiten, um das Völkerrecht im Bereich der Haftung und Entschädigung für nachteilige Auswirkungen von Umweltschäden, die durch Tätigkeiten unter ihrer Hoheitsgewalt oder Kontrolle in Gebieten außerhalb ihrer Hoheitsbefugnisse verursacht werden, weiterzuentwickeln. 

Grundsatz 14:

Die Staaten sollten tatkräftig zusammenarbeiten, um die Verlegung und den Transfer in andere Länder von Tätigkeiten und Stoffen, die zu einer starken Beeinträchtigung der Umwelt führen oder sich für die Gesundheit des Menschen als schädlich erweisen, zu erschweren oder zu verhindern. 

Grundsatz 15:

Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten allgemein den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben. 

Grundsatz 16:

Die nationalen Behörden sollten bestrebt sein, die Internalisierung von Umweltkosten und den Einsatz wirtschaftlicher Instrumente zu fördern, wobei sie unter gebührender Berücksichtigung des öffentlichen Interesses und unter Vermeidung von Verzerrungen im Welthandel und bei den internationalen Investitionen den Ansatz verfolgen sollten, dass grundsätzlich der Verursacher die Kosten der Verschmutzung zu tragen hat. 

Grundsatz 17:

Als nationales Instrument sind bei Vorhaben, die geeignet sind, erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt zu haben und der Entscheidung durch eine zuständige nationale Behörde bedürfen, Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen. 

Grundsatz 18:

Die Staaten haben andere Staaten sofort über Naturkatastrophen oder andere Notfälle zu unterrichten, die geeignet sind, zu plötzlichen schädlichen Auswirkungen auf deren Umwelt zu führen. Die Völkergemeinschaft macht alle Anstrengungen, um den so betroffenen Staaten zu helfen. 

Grundsatz 19:

Die Staaten haben möglicherweise betroffene Staaten über Tätigkeiten, die schwerwiegende nachteilige grenzüberschreitende Auswirkungen auf die Umwelt haben können, im Voraus und rechtzeitig zu unterrichten, ihnen sachdienliche Informationen zur Verfügung zu stellen und sie frühzeitig und in redlicher Absicht zu konsultieren. 

Grundsatz 20:

Frauen kommt bei der Bewirtschaftung der Umwelt und der Entwicklung eine grundlegende Rolle zu. Ihre volle Einbeziehung ist daher eine wesentliche Voraussetzung für die Herbeiführung nachhaltiger Entwicklung. 

Grundsatz 21:

Die Kreativität, die Ideale und der Mut der Jugend der Welt sollten mobilisiert werden, um eine weltweite Partnerschaft zu schaffen und so eine nachhaltige Entwicklung herbeizuführen und eine bessere Zukunft für alle zu sichern. 

Grundsatz 22:

Indigenen Bevölkerungsgruppen und ihren Gemeinschaften sowie anderen ortsansässigen Gemeinschaften kommt wegen ihres Wissens und ihrer überlieferten Bräuche eine grundlegende Rolle bei der Bewirtschaftung der Umwelt und der Entwicklung zu. Die Staaten sollten die Identität, die Kultur und die Interessen dieser Gruppen und Gemeinschaften anerkennen und gebührend unterstützen und ihre wirksame Teilhabe an der Herbeiführung einer nachhaltigen Entwicklung ermöglichen. 

Grundsatz 23:

Die Umwelt und die natürlichen Ressourcen der Völker, die in Unterdrückung, unter Fremdherrschaft und unter Besatzung leben, sind zu schützen. 

Grundsatz 24:

Kriegshandlungen haben ihrer Natur nach zerstörerische Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung. Aus diesem Grund haben die Staaten die völkerrechtlichen Bestimmungen über den Schutz der Umwelt in Zeiten bewaffneter Auseinandersetzungen zu achten und soweit erforderlich zusammen weiterzuentwickeln. 

Grundsatz 25:

Frieden, Entwicklung und Umweltschutz bedingen einander und sind unteilbar.

Grundsatz 26:

Die Staaten werden alle ihre Streitigkeiten im Umweltbereich friedlich und mit geeigneten Mitteln im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen beilegen. 

Grundsatz 27:

Die Staaten und Völker müssen in gutem Glauben und im Geist der Partnerschaft bei der Erfüllung der in dieser Erklärung enthaltenen Grundsätze sowie bei der Weiterentwicklung des Völkerrechts auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten. 

Quelle:

Report of the United Nations Conference on the Human Environment,
Stockholm, 5-16 June 1972 (Veröffentlichung der Vereinten Nationen,
Best.-Nr. E.73.II.A.14 und Corrigendum), Kapitel I.

2002
Rio +10

Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (Südafrika)
26. August – 4. September 2002

Abschlusserklärung zur nachhaltigen Entwicklung

Unser Weg von den Anfängen in die Zukunft 

1. Wir, die Vertreter der Völker der Welt, versammelt auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung vom 2. bis 4. September 2002 in Johannesburg (Südafrika), bekräftigen unser Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung.

2. Wir verpflichten uns, eine humane, gerechte und fürsorgende globale Gesellschaft aufzubauen, die der Wahrung der Würde aller Menschen stets eingedenk ist. 

3. Zum Auftakt dieses Gipfels haben uns die Kinder der Welt in einfachen und klaren Worten gesagt, dass ihnen die Zukunft gehört, und sie haben uns allen die Aufgabe gestellt, ihnen durch unser Tun eine Welt zu hinterlassen, in der die unwürdigen und beschämenden Lebensbedingungen beseitigt sind, die durch Armut, Umweltzerstörung und nicht nachhaltige Entwicklungsmuster verursacht werden. 

4. Als Teil unserer Antwort an diese Kinder, die unsere gemeinsame Zukunft darstellen, sind wir alle, aus welchem Teil der Erde wir auch kommen mögen und bei aller Verschiedenheit unserer Erfahrungen, durch das tief empfundene Gefühl vereint und geleitet, dass wir dringend eine neue und hoffnungsfrohere Welt schaffen müssen. 

5. Daher übernehmen wir gemeinsam die Verantwortung dafür, die interdependenten, sich gegenseitig stützenden Säulen der nachhaltigen Entwicklung – wirtschaftliche Entwicklung, soziale Entwicklung und Umweltschutz – auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene auszubauen und zu festigen. 

6. Von diesem Kontinent aus, der Wiege der Menschheit, bekennen wir uns mit dem Durchführungsplan des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung und dieser Erklärung zu unserer Verantwortung füreinander, für alle Lebewesen und für unsere Kinder. 

7. In der Erkenntnis, dass sich die Menschheit an einem Scheidepunkt befindet, haben wir uns gemeinsam entschlossen, alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um einen pragmatischen und sichtbaren Plan auszuarbeiten, der zur Beseitigung der Armut führt und die menschliche Entwicklung fördert. 

Von Stockholm über Rio de Janeiro nach Johannesburg 

8. Vor 30 Jahren in Stockholm waren wir uns einig, dass wir uns dringend mit dem Problem der Umweltzerstörung auseinandersetzen müssen. Vor zehn Jahren kamen wir auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro überein, dass der Umweltschutz sowie die soziale und wirtschaftliche Entwicklung grundlegende Voraussetzungen einer auf die Grundsätze von Rio gestützten nachhaltigen Entwicklung sind. Um diese zu verwirklichen, verabschiedeten wir das globale Programm „Agenda 21″und die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung, auf die wir uns erneut verpflichten. Die Konferenz von Rio war ein wichtiger Meilenstein, mit dem eine neue Agenda zu Gunsten der nachhaltigen Entwicklung festgeschrieben wurde. 

9. Zwischen den Konferenzen von Rio und Johannesburg lagen mehrere Großkonferenzen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, auf denen Vertreter aller Nationen zusammentrafen, darunter die Internationale Konferenz über Entwicklungsfinanzierung sowie die Ministerkonferenz von Doha. Auf diesen Konferenzen wurde eine umfassende, weltweite Vision für die Zukunft der Menschheit entworfen. 

10. Auf dem Gipfeltreffen von Johannesburg haben wir viel erreicht, indem wir ein breites Spektrum von Menschen und Meinungen zu einer konstruktiven Suche nach einem gemeinsamen Weg zusammengeführt haben, der in eine Welt führt, in der die Vision der nachhaltigen Entwicklung geachtet und verwirklicht wird. Darüber hinaus hat der Gipfel von Johannesburg bestätigt, dass erhebliche Fortschritte in Richtung auf die Herbeiführung eines globalen Konsenses und einer Partnerschaft zwischen allen Menschen unserer Erde erzielt worden sind.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen 

11. Wir erkennen an, dass die Beseitigung der Armut, die Veränderung der Konsumgewohnheiten und Produktionsweisen sowie der Schutz und die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcenbasis, auf der die wirtschaftliche und soziale Entwicklung aufbaut, die übergeordneten Ziele und die wesentlichen Voraussetzungen einer nachhaltigen Entwicklung darstellen.

12. Der tiefe Graben, der die Menschheit in Arm und Reich spaltet, und die ständig wachsende Kluft zwischen den entwickelten Ländern und den Entwicklungsländern stellen eine große Bedrohung für die weltweite Prosperität, Sicherheit und Stabilität dar. 

13. Die Schäden an der Umwelt nehmen weltweit zu. Der Verlust der biologischen Vielfalt hält an, die Fischbestände werden weiter erschöpft, Wüsten verschlingen immer mehr fruchtbares Land, die nachteiligen Auswirkungen der Klimaänderung sind bereits augenfällig, Naturkatastrophen werden immer häufiger und verheerender, die Krisenanfälligkeit der Entwicklungsländer steigt, und durch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Meeren wird Millionen von Menschen nach wie vor ein menschenwürdiges Leben versagt. 

14. Mit der Globalisierung haben diese Probleme eine neue Dimension gewonnen. Die rasche Integration der Märkte, die Mobilität des Kapitals und die erhebliche Zunahme der weltweiten Investitionsströme haben neue Herausforderungen und Chancen für die Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung geschaffen. Der Nutzen und die Kosten der Globalisierung sind jedoch ungleich verteilt, und die Entwicklungsländer sehen sich besonderen Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieser Herausforderung gegenüber. 

15. Wir laufen Gefahr, diese weltweiten Ungleichheiten festzuschreiben, und wenn wir es unterlassen, in einer Weise zu handeln, die das Leben der Armen auf der Welt grundlegend ändert, riskieren wir, dass sie das Vertrauen in ihre Vertreter und in die demokratischen Systeme verlieren, denen wir verpflichtet bleiben, und dass sie ihre Vertreter lediglich als „tönendes Erz und klingende Schellen“ ansehen. 

Unser Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung 

16. Wir sind entschlossen, sicherzustellen, dass unsere reiche Vielfalt, die unsere gemeinsame Stärke darstellt, für den Aufbau konstruktiver Partnerschaften zu Gunsten des Wandels und für die Verwirklichung des gemeinsamen Ziels der nachhaltigen Entwicklung genutzt wird. 

17. Im Bewusstsein dessen, wie wichtig es ist, Solidarität zwischen den Menschen zu schaffen, fordern wir nachdrücklich die Förderung des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen den Kulturen und Völkern der Welt, ohne Rücksicht auf Rasse, Behinderungen, Religion, Sprache, Kultur und Traditionen.

18. Wir begrüßen es, dass der Schwerpunkt des Gipfeltreffens von Johannesburg auf der Unteilbarkeit der Menschenwürde liegt, und wir sind entschlossen, durch Entscheidungen über Zielvorgaben, Zeitpläne und Partnerschaften dafür zu sorgen, dass der Zugang zur Deckung von Grundbedürfnissen wie sauberem Wasser, Abwasserentsorgung, angemessenem Wohnraum, Energie, Gesundheitsversorgung und Ernährungssicherheit sowie der Schutz der biologischen Vielfalt rasch ausgeweitet wird. Gleichzeitig werden wir einander beistehen, wenn es um den Zugang zu Finanzmitteln, die Vorteile der Öffnung der Märkte, die Sicherstellung des Kapazitätsaufbaus und den Einsatz moderner Technologien zur Förderung der Entwicklung geht, und wir werden den Technologietransfer, die Erschließung der menschlichen Ressourcen sowie Bildung und Ausbildung gewährleisten, damit die Unterentwicklung für immer gebannt wird. 

19. Wir verpflichten uns aufs Neue, unsere Anstrengungen gezielt und mit Vorrang auf die Bekämpfung der weltweiten Bedingungen zu richten, welche die nachhaltige Entwicklung unserer Bevölkerungen schwer bedrohen und zu denen chronischer Hunger, Mangelernährung, ausländische Besetzung, bewaffnete Konflikte, Probleme im Zusammenhang mit unerlaubten Drogen, organisierte Kriminalität, Korruption, Naturkatastrophen, unerlaubter Waffenhandel, Menschenhandel, Terrorismus, Intoleranz und Aufstachelung zu rassisch, ethnisch, religiös oder anderweitig motiviertem Hass, Fremdenfeindlichkeit sowie endemische, übertragbare und chronische Krankheiten, insbesondere HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose zählen. 

20. Wir sind fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass die Ermächtigung und Emanzipation der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter in alle Aktivitäten eingebunden werden, die im Rahmen der Verwirklichung der Agenda 21, der Millenniums-Entwicklungsziele und des Durchführungsplans des Gipfels stattfinden. 

21. Wir wissen, dass die globale Gesellschaft über die Mittel und die Ressourcen verfügt, um die Herausforderungen der Armutsbekämpfung und der nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen, denen sich die gesamte Menschheit gegenübersieht. Wir werden gemeinsam zusätzliche Schritte unternehmen, um zu gewährleisten, dass diese vorhandenen Ressourcen zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden.

22. In diesem Zusammenhang fordern wir die entwickelten Länder nachdrücklich auf, soweit sie es nicht bereits getan haben, konkrete Anstrengungen zur Erreichung der international vereinbarten Zielwerte für die öffentliche Entwicklungshilfe zu unternehmen und so zur Erfüllung unserer Entwicklungsziele und -vorgaben beizutragen. 

23. Wir begrüßen und unterstützen das Entstehen stärkerer regionaler Gruppierungen und Bündnisse, wie beispielsweise die Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas, die die regionale Zusammenarbeit, eine bessere internationale Zusammenarbeit und die nachhaltige Entwicklung fördern.

24. Wir werden auch künftig den Entwicklungsbedürfnissen der kleinen Inselentwicklungsländer und der am wenigsten entwickelten Länder besondere Aufmerksamkeit widmen. 

25. Wir erklären erneut, dass den indigenen Völkern eine entscheidende Rolle bei der nachhaltigen Entwicklung zukommt. 

26. Wir erkennen an, dass die nachhaltige Entwicklung eine langfristige Sichtweise erfordert und breiter Mitwirkung an der Politikformulierung, Entscheidungsfindung und Umsetzung auf allen Ebenen bedarf. Als soziale Partner werden wir auch künftig auf tragfähige Partnerschaften mit allen wichtigen Gruppen hinarbeiten und dabei die unabhängige und wichtige Funktion jeder einzelnen dieser Gruppen achten. 

27. Wir sind uns einig, dass große wie kleine Unternehmen der Privatwirtschaft im Rahmen ihrer legitimen Geschäftstätigkeit verpflichtet sind, zur Entwicklung gerechter und bestandfähiger Gemeinwesen und Gesellschaften beizutragen. 

28. Wir kommen außerdem überein, Hilfe zu gewähren, um die Zahl einkommensschaffender Beschäftigungsmöglichkeiten zu steigern, unter Berücksichtigung der Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit.

29. Wir sind der einmütigen Auffassung, dass die Unternehmen der Privatwirtschaft ihre Rechenschaftspflicht erfüllen müssen, was innerhalb eines transparenten und stabilen ordnungspolitischen Rahmens geschehen sollte.

30. Wir verpflichten uns, die Regierungs- und Verwaltungsführung auf allen Ebenen zu stärken und zu verbessern, damit die Agenda 21, die Millenniums-Entwicklungsziele und der Durchführungsplan des Geipfels wirksam umgesetzt werden können. 

Die Zukunft gehört dem Multilateralismus 

31. Wenn wir unsere Ziele der nachhaltigen Entwicklung erreichen wollen, benötigen wir wirksamere und demokratischere internationale und multilaterale Institutionen mit erhöhter Rechenschaftspflicht. 

32. Wir bekräftigen unsere Verpflichtung auf die Grundsätze und Ziele der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts sowie auf die Stärkung des Multilateralismus. Wir unterstützen die Führungsrolle der Vereinten Nationen als der weltweit universellsten und repräsentativsten Organisation, die am besten gerüstet ist, die nachhaltige Entwicklung zu fördern. 

33. Wir verpflichten uns ferner, den Stand der Verwirklichung unserer Gesamt- und Einzelziele auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung in regelmäßigen Abständen zu prüfen. 

Vom Plan zur Tat 

34. Wir sind uns einig, dass es sich um einen integrativen Prozess handeln muss, der alle wichtigen Gruppen und alle Regierungen einschließt, die an dem historischen Gipfeltreffen von Johannesburg teilgenommen haben. 

35. Wir verpflichten uns, gemeinsam zu handeln, geeint durch unsere Entschlossenheit, unseren Planeten zu retten, die menschliche Entwicklung zu fördern und allgemeinen Wohlstand und Frieden zu schaffen. 

36. Wir verpflichten uns auf den Durchführungsplan des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung und auf die rasche Verwirklichung der termingebundenen sozioökonomischen und umweltpolitischen Ziele, die darin festgelegt werden. 

37. Vom afrikanischen Kontinent aus, der Wiege der Menschheit, geloben wir feierlich vor den Völkern der Welt und vor den Generationen, die diesen Planeten erben werden, unsere Entschlossenheit, dafür Sorge zu tragen, dass unsere gemeinsame Hoffnung auf eine nachhaltige Entwicklung Wirklichkeit wird.

Quelle:

https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nachhaltige_
Entwicklung/johannesburg_declaration.pdf

Seit 2012
Rio plus 20: Gipfel der verpassten Gelegenheiten

von Peter Gärtner (2012)

Am 22. Juni 2012 endete die dritte Weltkonferenz in der Nachfolge des Erdgipfels von 1992. Die Bilanz fällt enttäuschend aus. Alle strittigen Punkte – immerhin 199 Paragrafen – der Abschlusserklärung wurden von brasilianischer Seite einfach gestrichen. Damit werden alle zentralen Vorhaben – die Einrichtung eines Fonds für Entwicklung und Technologietransfer, die Einführung von Nachhaltigkeitszielen (SDG), die Reform der für Umwelt und nachhaltige Entwicklung zuständigen UNO-Institutionen sowie eine „Road Map“ für die „Grüne Wirtschaft“ – einfach auf die nächsten Jahre verschoben. Selbst das „Handelsblatt“ kommt nicht umhin, von einem „Gipfel der unambitionierten Unverbindlichkeit“ zu sprechen. „Keine Ziele, keine verbindlichen Fristen, keine Visionen“ lautet das Fazit der meisten Beobachter. Für Ernst-Ulrich von Weizsäcker, viele Jahre Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, sind die Ergebnisse der Konferenz „gleich null“. Aber auch im Falle der Annahme des ursprünglichen Entwurfs der Abschlusserklärung von „Rio plus 20“ erweisen sich drei politische „Großtrends“, die sich durch das Dokument ziehen, nach Meinung von Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung, als besonders problematisch:

  • freiwillige Selbstverpflichtung statt rechtliche Verbindlichkeit;
  • das blinde Vertrauen auf Investitionen des Privatsektors;
  • die Umwandlung von natürlichen Ressourcen wie Biodiversität, Wald und Boden in „Naturkapital“.

Angesichts dieses Befunds erweist sich die neue „Zauberformel“ von der „grünen Ökonomie“ als eine schale Worthülse ohne Verbindlichkeit.

Das Versagen der Konferenz ist angesichts der Bilanz der vergangenen 20 Jahre besonders schmerzlich. In keinem der zentralen Bereiche – Senkung der Kohlendioxidemissionen, Schutz der Biodiversität, Eindämmung der Desertifikation und des Waldsterbens – konnte eine Trendwende erzielt werden. Die partielle Absenkung der Verlust- und Schadensquoten von 1992 wird schon als großer Erfolg verkauft. Sieht man sich beispielsweise die Zahlen zum Waldsterben näher an, so entpuppt sich der vermeintlich geringe Verlust zwischen 1990 und 2010 von 3,3 Prozent weltweit als Mogelpackung. Die Wiederaufforstung, die vor allem in den Industrieländern Europas und Nordamerikas greift, kann nicht die immensen Schäden ausgleichen, die durch die Vernichtung der Primärwälder in Lateinamerika, Westafrika und Südostasien verursacht werden. Deren Anteil an der gesamten globalen Waldfläche ist inzwischen auf 40 Prozent gesunken. Und netto verliert unser Planet pro Jahr immer noch Waldgebiete von der Größe Großbritanniens.

Am Beispiel des Gastgebers Brasilien lässt sich anschaulich zeigen, wie tradierte ökonomische Interessen ökologische Fortschritte verhindern. Hauptverantwortlich für dieses Missverhältnis ist der „plündernde Extraktivismus“, der nach wie vor eine zentrale Säule des brasilianischen „Wirtschaftswunders“ bildet. Ein Indikator dafür ist die Exportstruktur des lateinamerikanischen Landes: Der Anteil von Eisenerz, Rohöl, Soja, Fleisch, Zucker und Kaffee, der 2006 bei 28,4 Prozent der Gesamtausfuhr lag, schnellte bis 2011 auf 47,1 Prozent empor. Aber auch die vermeintlich grünen Seiten der brasilianischen Ökonomie erweisen sich bei genauerer Betrachtung sowohl ökologisch als auch sozial als kontraproduktiv. Beispiele dafür liefern die expandierende Produktion von Biotreibstoffen (Ethanol aus Zuckerrohr und Agrodiesel aus Soja) sowie der Ausbau von Megaprojekten zur Energiegewinnung aus Wasserkraft oder zur Ausbeutung von Rohstoffen. Beides geht nicht nur zu Lasten des weltweit einzigartigen und zugleich wichtigen Ökosystems des Amazonas-Regenwalds, sondern auch der dort lebenden Menschen. Während solche Megaprojekte wie der Bau des Wasserkraftwerkes von Belo Monte die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung zerstören, verschärft die Konkurrenz von Treibstoff- und Lebensmittelproduktion die Ernährungskrise weltweit. Die Gewinner dieses gleichermaßen zynischen wie einträglichen Geschäfts mit der Umwelt sind die mächtige Agrarlobby und Bergbauriesen wie Vale, inzwischen das zweitgrößte Rohstoffunternehmen der Welt. Deren Einfluss ist es auch zu „verdanken“, dass die anstehende Novelle des Waldgesetzes wichtige Schutzbestimmungen aushöhlt. Bereits jetzt ist eine neuerliche Zunahme der Entwaldung zu beobachten.

In Hinblick auf die globalen Entwicklungsziele konnten allein bei der Bekämpfung der Armut sichtbare Fortschritte erzielt werden: Die Zahl der absolut Armen mit einem Tageseinkommen von weniger als 1,25 US-Dollar sank bis 2008 auf 22 Prozent (1996 noch 43 Prozent) bzw. von 1,9 Mrd. Menschen auf 1,3 Mrd. Die Kehrseite der Medaille zeigt sich jedoch in einer weiter zunehmenden sozialen Polarisierung. So erhalten die 2,5 Mrd. Menschen, die von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen (das sind immerhin 40 Prozent der Weltbevölkerung), nur 5 Prozent des Welteinkommens, während die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung über 54 Prozent desselben verfügen.

Das Scheitern von „Rio plus 20“ lässt sich auf das Zusammenwirken von drei „Verschiebungen“ im Vergleich zu 1992 zurückführen, die in ihrer Resultante eine globale Blockadesituation produzieren:

Erstens konnte das Primat der Ökonomie sowohl gegenüber der Politik als auch gegenüber der Ökologie, das im Zuge der neoliberalen Wende in den 1990er Jahren politisch durchgesetzt wurde, bislang nicht gebrochen werden.

Zweitens werden die verschiedenen globalen Krisen des kapitalistischen Weltsystems nicht in ihrer Wechselwirkung begriffen und erklärt. Gerade das Treffen der G20 in Los Cabos (Mexiko), das unmittelbar vor dem Erdgipfel stattfand, hat gezeigt, dass die globale Finanzkrise Priorität genießt und als Totschlag-Argument gegen jeglichen politischen Vorstoß auf den anderen „Krisenfelder“ (Energiekrise, Klima- und Umweltkrise, Ernährungskrise, soziale Krise) eingesetzt wird.

Drittens hat der Aufstieg der großen Schwellenländer (China, Indien, Brasilien) eine geopolitische Verschiebung bewirkt, die sich bislang jedoch im doppelten Sinne blockierend statt verändernd gestaltet: Zum einen setzen sie auf nachholende Entwicklung und stabilisieren damit die Pfadabhängigkeit im Sinne des „fossilen Kapitalismus“, wobei sie ihre bisherigen Positionsverbesserungen innerhalb desselben als Erfolg interpretieren, der durch den „Ökoimperialismus des Westens“ nicht gefährdet werden soll. Zum anderen erschöpft sich die Konkurrenz zwischen „First-“ und „Newcomern“ in Hinblick auf eine „ökologische Wende“ in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Wenn sich der Gastgeber Brasilien eine ähnliche Arroganz wie die USA zu erlauben können glaubt, dann ist das ein Weg in die Sackgasse. Das 1992er Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“, mit dem die Industrieländer erstmals die historische Verantwortung für die globale ökologische Krise übernommen hatten, droht dabei unter die Räder zu geraten.

Drei reale „Großtrends“ wirken jedoch dieser Blockade entgegen: Zum einen ist bei Beibehaltung des gegenwärtigen Kurses eine Verschärfung der Konkurrenz zwischen Industrie- und Schwellenländern zu erwarten. Zweitens wird sich die Krisendynamik weiter entfalten und dabei schwer vorhersehbare Synergien und Verzahnungen entwickeln. Drittens werden die Verlierer, die diese beiden Prozesse hervorbringen werden, nicht wie Opferlämmer stillhalten. Wie, wann und mit welchen Konsequenzen sich dieses Aufbrechen der gegenwärtigen Blockade vollziehen wird, kann niemand vorhersagen. Sehr viel wird davon abhängen, ob die Mächtigen dieser Welt dies weiter dem Selbstlauf überlassen wollen oder ob sie endlich bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Viel Zeit für eine geordnete Umkehr im Sinne einer „Zukunftsgerechtigkeit“ für alle bleibt nicht mehr.

Quelle: 

Quetzal. Leipziger Lateinamerika-Verein
Online-Magazin für Politik und Kultur in Lateinamerika

http://www.quetzal-leipzig.de/lateinamerika/brasilien/rio-plus-20-gipfel-der-verpassten-gelegenheiten_zusammenfassung_umweltgipfel_rio_2012-19093.html

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Siegrun Höhne

Kirchlicher Dienst auf dem Land, Umweltmanagement der EKM, Leiterin der Studienstelle/ KFH
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