Diskurs

BRIEFE 1/2022

Liebe Leserinnen und Leser,

wozu machen wir das alles eigentlich? Seit Jahrzehnten dokumentieren die BRIEFE, wie sich Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung engagieren. Auch diese BRIEFE Ausgabe umfasst verschiedene Initiativen und Projekte, die sich für die unbelebte und belebte Mitwelt stark machen; seien es Proteste gegen den Kiesabbau, ein Projekt mit vielen Beteiligten für die Artenvielfalt, eine Arbeitshilfe zur Tierethik für Kinder und Erwachsene und anderes. 

Doch angesichts der vielen Wendemanöver in Deutschland und der westlichen Welt infolge des Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine erscheinen unsere Mühen bestenfalls gut gemeint. 

Wir importieren jetzt in großem Maßstab Fracking Gas (da waren wir doch laut dagegen, oder?), die Atomkraft bringt sich wieder in Stellung (da waren wir ausgestiegen), die neuen Bracheregelungen der EU stehen zur Debatte (nicht die Unterstützung der Selbstversorgung in den „Importländern für Agrarprodukte“) – die Reihe lässt sich sehr lange fortsetzen. Entscheidungen, die vor wenigen Monaten nicht vorstellbar waren, werden bejubelt und scheinen alternativlos angesichts der Nachrichten aus dem Ukraine-Krieg.  

Das mediale Getöse auf allen Seiten ist laut. Nachrichten haben kurze Halbwertszeiten (und „können nicht sicher verifiziert werden“).  Dafür wird die Moral hochgehalten. Besonders empört und erschreckt hat mich dies: direkt nach dem russischen Angriff hat sich der Deutsche Bundestag zur Re-Militarisierung bekannt. 

Zeitenwende nennt dies der Bundeskanzler. Bedeutet das: „Was juckt mich mein Geschwätz von gestern?“ Oder heißt es, dass jene neoliberalen Kräfte, die z. B. im Dezember 2019 den Protecting Europe’s Energy Security Act (PEESA) im US Kongress und Senat durchsetzten (ein US Gesetz zur Verhinderung von Nord-Stream 2) eine erneuerte Allianz Europas unter Führung der USA und damit verbunden eine Abwendung vom Konzept einer europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einbindung Russlands jetzt feiern können?

Als der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj am 20. Mai 2020 von der New York Times befragt wurde, wie er sein erstes Jahr im Amt bewertet, antwortete er: „Ich hatte Krieg erwartet. Ich hatte weder mit einem Amtsenthebungsverfahren von Trump gerechnet noch mit einer Seuche.“ Es scheint, dieser Krieg war erwartet und sein Beginn nur eine Frage der Zeit.

Rufe nach Diplomatie, Besonnenheit und Demonstrationen für den Frieden, wie die Ostermärsche, werden als „realitätsfern und gefährlich“ eingestuft. Und was heißt das nun für uns und unsere Arbeiten und Initiativen? Zurückziehen und beten? Den Frühling genießen und die Welt einfach machen lassen? Ja, auch das machen wir! Und dann, trotz allem – machen wir weiter. 

Ich zitiere das Ende aus der Osterpredigt von Michael Trowitzsch in der Eisenacher Georgenkirche am Ostersonntag vom 17. April 2022: 

„Liebe Gemeinde! Festigkeit des Herzens – man kann nur darum beten. Wir wollen dringend und leidenschaftlich darum bitten. Sich aber nicht die Ohren zudröhnen lassen vom Gebrüll. „Vergesst Ostern!“, schreit es. „Vergesst die Nachfolge!“ Nein. Niemals werden wir es vergessen. Niemals. Wir halten uns die Ohren zu. Wir lassen uns nicht aus Ostern herausdrängen, zurück zur allgegenwärtigen Leiche und zu den Kriegsknechten von Golgatha. Der Herr ist wahrhaftig auferstanden. In Ewigkeit wird die Liebe recht bekommen, die Gewaltlosigkeit, die Menschlichkeit. 

Ja, das ist unsere feste, trotzige Gewissheit. Verheißungsvoll sagt der Prophet: „Ich habe deine Stirn so hart wie einen Diamanten gemacht“ (Hes 3,9). Irgendwie ist das ja auch die Gewissheit des Martin Luther. Und des Johann Sebastian Bach. Und des Karl Barth und des Dietrich Bonhoeffer. Wir glauben an den Auferstehungs-Gott. Heiliges Ostern! Der Gekreuzigte ist auferstanden von den Toten. Genau das sind die einfältigsten und die tiefsten und die besten Worte, die es gibt. Der Herr ist auferstanden. 

Wenn sie irr werden – solln sie die Wahrheit sehn.
Wenn sie sinken ins Meer – solln sie auferstehn.
Wenn die Liebenden fallen – die Liebe fällt nicht.
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben. (Dylan Thomas)

Ja. – So ist es. – Perfekt. – Punkt. – Basta. – Sela, Psalmende. – Amen.

(Die Predigt ist ausgesprochen hören- und lesenswert). 

Man kann es auch kurzfassen, mit Kostantin Wecker, der sang: „Und trotzdem, Willi, wir müssen weitermachen. Auch wenn die ganze Welt den Arsch offen hat. Oder grade deswegen.“

Ich grüße Sie von Herzen, froh und trotzig!

Ihre Siegrun Höhne

Gebet

Allmächtiger Gott, du bist der Herr der Geschichte.

Unser Leben liegt in deiner Hand.
Wir vertrauen dir an die Not unserer Zeit.
Der Krieg in der Ukraine erfüllt uns mit Sorge und Angst.
Wir rufen zu dir:
Nimm die Toten auf bei dir und tröste die Hinterbliebenen.
Steh den Flüchtlingen und Vertriebenen bei.
Heile die Wunden der Verletzten an Leib und Seele.
Sei allen nahe, die sich für die notleidenden Menschen einsetzen.
Schau auf die Kriegsparteien:
Schenke Einsicht, Mut zum Ausgleich und das Bemühen um Frieden,
selbst wenn alles aussichtslos erscheint.
Ermutige die Staatenlenken in Ost und West, sich nicht in Hass und
Bedrohung zu verlieren, sondern dem Wohl aller zu dienen.
Lass nicht Kriegsgeschrei und Bedrohung siegen, sondern die Wahrheit.
Lass uns nicht in Wut und Verzweiflung fallen, sondern in allen dein
geliebten Kinder sehen, unsere Brüder und Schwestern.
Herr sende jetzt deinen Heiligen Geist über die Erde, den Geist,
der die Spaltung besiegt, den Geist, der zur Freiheit führt, den Geist,
der den Krieg überwindet.
Herr, es ist Zeit!
Sei uns und allen Menschen in den Kriegsgebieten dieser Erde nahe.
Lass uns geboren sein in dir.
Schenke unserer Erde den Frieden, den nur du allein geben kannst.
Du bist der Herr der Zeit und Ewigkeit.
Heilige Maria, Königin des Friedens, bitte für uns und die ganze Welt.
Amen.

Quelle: Katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul, Schierling, 6. März 2022
www.schierling.de/aktuelles/news-berichte/gebet-fuer-den-frieden

Personalie

Hans Georg Baaske geht in den Ruhestand


von Hans-Georg Baaske

Ab dem 01.03.2022 bin ich dann nun wirklich weg! Ich gehe in den Ruhestand. Am 01.09.1979 habe ich mit dem Studium der Gemeindepädagogik begonnen und bin seit dieser Zeit im kirchlichen Dienst. Schon von Anfang an war mir die kirchliche Umwelt- und Klimaschutzarbeit wichtig. Nun gehen 6 Jahre, 4 Monate und dann am 01.03.2022 25 Tage als Leiter des Umweltbüros der EKBO zu Ende. Eine lange, sehr abwechslungsreiche und schöne Zeit für mich. 

Es freut mich sehr, dass meine Nachfolge nun auch geregelt ist. Ab dem 01.03.2022 wird unser bisherige Klimaschutzmanager Jörn Budde die Leitung des Umweltbüros übernehmen (erstmal für ein Jahr).  

An dieser Stelle möchte ich noch einmal die Gelegenheit nutzen und Ihnen Dankeschön sagen, die Sie aktiv, vielfältig und mit großem Einsatz in den letzten Jahren mitgeholfen haben, unseren gemeinsamen Auftrag zur Schöpfungsverantwortung mit Leben zu erfüllen. Es war für mich immer wieder gut und hilfreich, auf allen Ebenen unserer Kirche und auch im Beirat Menschen mit so viel Engagement zu erleben. Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit habe ich immer geschätzt. Sicher war es in den letzten gut sechs Jahren nicht nur leicht mit mir. Dort wo ich jemanden verletzt haben sollte, bitte ich um Entschuldigung. All mein Reden und Tun war und ist bestimmt von dem Wunsch mitzuhelfen, dass Umwelt- und Klimaschutz konkret in kirchliches Handeln auf allen Ebenen unserer Kirche umgesetzt wird. Mein Glaube war und ist mir dabei Kraftquelle und Orientierung. „Geht hin in alle Welt und verkündet das Evangelium aller Kreatur.“ So der Auftrag Jesu an uns im Markusevangelium (Mk. 16,15) und im 2. Schöpfungsbericht (1.Mo.2,15) der Auftrag Gottes an uns, unsere Verantwortung wahrzunehmen, seine Schöpfung zu bebauen und bewahren. 

Nun gehe ich zwar aus der beruflichen Arbeit in den Ruhestand, aber das Lernen werde ich darum noch lange nicht aufgeben. Denn, wie schreibt Ute Latendorf:

„Von der Sonne lernen, zu wärmen,
von den Wolken lernen, leicht zu schweben,
von dem Wind zu lernen, Anstöße zu geben,
von den Vögeln zu lernen, Höhe zu gewinnen,
von den Bäumen zu lernen, standhaft zu sein.

Von den Blumen das Leuchten lernen,
von den Steinen das Bleiben lernen,
von den Büschen im Frühling Erneuerung lernen. 
Von den Blättern im Herbst das Fallenlassen lernen,
vom Strom die Leidenschaft lernen.

Vom Regen lernen, sich zu verströmen,
von der Erde lernen, mütterlich zu sein,
vom Mond lernen, sich zu verändern,
von den Sternen lernen, einer von vielen zu sein,
von den Jahreszeiten lernen,
dass das Leben immer von neuem beginnt.“


So bleiben Sie/bleibt Ihr alle gesund und behütet!

Shalom Hansi Baaske

Gedanken zur Zeit

Virus und Mensch – wer gewinnt?

von Ernst Paul Dörfler


Bakterien sind böse und Viren erst recht, so eine allgemeine Meinung. Aber ohne diese Mikroorganismen könnten wir Menschen gar nicht leben. Sie sind es, die in ihrer ganzen Vielfalt für unsere Gesundheit und unser Wohlergehen sorgen, ganz im Stillen und Unsichtbaren, sei es auf der Haut oder im Darm oder draußen in der Natur. Sie verdauen unsere Nahrung, zersetzen die vergilbten Blätter und halten den natürlichen Stoffkreislauf in Schwung. Mikroben, dazu zählen vor allem Bakterien, Viren und Pilze, sollten somit unserer besten Freude sein.

Eben diese kleinen Helfer sorgen auch für die Balance in der Natur, für eine dynamische Ausgewogenheit und damit für Vielfalt. Sie sind es, die ausufernde Massenvermehrungen einzelner Tier- oder Pflanzenarten bremsen können. Das Myxomatose-Virus bei Kaninchen wäre so ein Fall. Ganz ähnlich gehen Mikroorganismen mit den vom Menschen geschaffenen Monokulturen in Wäldern, auf Feldern und in Ställen um. Das Baumsterben, der Weizenrost, die Schweine- und Geflügelpest sind nur einige Beispiele, wie Mikroorganismen regulierend eingreifen und den Zusammenbruch einförmiger Ökosysteme auslösen können und einen Neuanfang in ökologischer Vielfalt ermöglichen.

Vergleicht man die Biomasse zwischen den Wildtieren einerseits und den Haus- und Nutztieren andererseits und schließt den Menschen ein, dann stellt man auch eine Art Monokultur fest:

Nur noch 3 Prozent entfallen auf Wildarten, 97 Prozent nehmen den Rest ein. Nach dieser Ökobilanz hat sich der Mensch mit seinen Nutztieren überproportional auf unserem Planeten ausgebreitet und die artenreiche Natur in letzte kleine Nischen verbannt. Die menschliche Kultur hat sich somit in eine Mikroben-Falle manövriert: Je höher die Dichte der Wirte, um so leichter die Übertragung und Ausbreitung der Gegenspieler, der Mikroben.

Das Kernproblem ist eine auf Maximalerträge ausgerichtete Agrarindustrie. Sie vernichtet durch die Anlage von Monokulturen weltweit Naturräume mit ihrer eigenen biologischen Vielfalt und züchtet quasi die Schaderreger. Seit einigen Jahrzehnten wird versucht, sie mit Giften in Schach zu halten. So haben wir uns daran gewöhnt, dass unsere billige Nahrung mit dem permanenten Einsatz von Giften erzeugt wird, so, als sei es das normalste der Welt. In der massenhaften Schweine- und Geflügelzucht werden Antibiotika gegen bakterielle Krankheitserreger eingesetzt, damit die Tiere nicht dahinsiechen.

Doch die Natur gibt sich nicht vollends geschlagen. Sowohl auf dem Acker als auch im Stall wehrt sie sich gegen den Gifteinsatz, sie reagiert mit Anpassung, mit Resistenzen. Es gibt zunehmend Insekten und Mikroben, die sich unseren chemischen Waffen widersetzen. Neuartige Gifte werden entwickelt und eingesetzt. Es ist ein ewiger Wettlauf mit den „Schädlingen“ und die Nebenwirkungen auf unsere Umwelt und Gesundheit werden immer offensichtlicher: Schadstoffe in Boden, Wasser, Luft und Nahrung bis hin zur Muttermilch.

Ein überaus häufiges „Tier“ auf unserem Planeten ist der Mensch, ein besonders attraktiver Wirt für Mikroben. Menschen sind nicht nur zahlreich, sondern auch mobil wie keine andere Art auf der Erde. Das macht es bestimmten Viren und Bakterien leicht, sich massenhaft zu vermehren. Ein Virus kann innerhalb von 24 Stunden auf allen Erdteilen Fuß fassen und sich einnisten. Wenn dazu auch noch die natürlichen Abwehrkräfte im menschlichen Organismus nachlassen, sei es durch Armut, durch einen falschen Lebensstil, durch schlechte Ernährung, oder durch Schadstoffe in der Umwelt, dann ist für die unsichtbaren Akteure Partyzeit angebrochen. Kontakteinschränkung und Impfen sind dann angesagt. Das ist vernünftig. Doch die Mikroben sind einfallsreich, sie können unendlich viele Mutanten und Varianten herausbilden, die den Schutz unterlaufen.

Je weiter der Mensch in Naturräume vordringt, sie zerstört oder Tiere industriell ausbeutet, um so größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass völlig neuartige Erreger vom Tier auf den Menschen überspringen, gegen die der menschliche Organismus erst einmal wehrlos ist. Das passiert, rückblickend betrachtet, in immer engeren Zeitabständen. Darunter befinden sich die Erreger von AIDS, Zika, Ebola, Rinderwahn, SARS und MERS.  Das jüngste Beispiel ist das Covid-19-Virus, dessen natürliche Wirte höhlenbewohnende Fledermäuse sind. Die ausgelöste Corona-Pandemie kann nur gestoppt werden, wenn sich alle potentiellen Wirte, mehr als 7 Milliarden Menschen, gleichzeitig sehr gut gegen Infektionen schützen und keine Infektionen mehr stattfinden.

Wir Menschen glaubten lange Zeit, die Natur sei ein grenzenloser Selbstbedienungsladen ohne Kasse. Wir haben uns geirrt. Wir können nicht dauerhaft gegen die Natur wirtschaften, sie endlos ausbeuten, um immer mehr zu konsumieren. Wildtiere, wie Wölfe, Bären und Tiger könnte der Mensch gänzlich ausrotten, Viren und Bakterien nicht. Wir müssen Natur neu lernen und Demut üben. Naturgesetze sind nicht verhandelbar. Natur verlangt Artenvielfalt und Ausgewogenheit. Wenn wir dagegen verstoßen, übernehmen Viren und Bakterien die Kontrolle. Sie sind die Polizei, die über die Einhaltung der ungeschriebenen Gesetze wacht.

Was uns bleibt ist kluge Vorsorge. Neuartige, gefährliche Viren müssen an der Quelle gestoppt werden, wenn sie im Umlauf sind, ist es zu spät; Achtsamer mit der Natur umgehen, Raubbau und Überkonsum beenden und ökologische Vielfalt zulassen. Wie bei der Klimakrise werden bei Pandemien vor allem die Schwachen in der Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen, jene Menschen also, die am wenigsten konsumieren und die Krisen am wenigsten verursachen.

Gefragt ist solidarisches Verhalten, Abbau der Ungleichheit, mehr Gerechtigkeit. Gesucht wird das verträgliche Maß, das Gesundheit für die Natur und für uns selbst verspricht und die planetaren Grenzen nachhaltig respektiert. Jeder Mensch hierzulande kann seinen Beitrag leisten. Jetzt ist die Gelegenheit zum Handeln, jetzt.  

Herrn Prof. Dr. med. Gernot Geginat vom Universitätsklinikum Magdeburg danke ich für seine Unterstützung.


Der Autor:
Ernst Paul Dörfler, geboren 1950 in Kemberg bei Lutherstadt Wittenberg, ist promovierter Ökochemiker, Autor und Publizist. Sein Buch Zurück zur Natur? (1986) wurde zum Kultbuch der ostdeutschen Umweltbewegung. 1989 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Grünen Partei in der DDR, anschließend wurde er Abgeordneter der Volkskammer und des Bundestages.  
Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem EURONATUR-Preis der Stiftung Europäisches Naturerbe. 2021 erschien im Hanser-Verlag München sein Buch „Aufs Land. Wege aus Klimakrise, Monokultur und Konsumzwang“.

Aktion

Widerstand gegen den industriellen Gipsabbau nimmt zu

von Mike Kess

Auf etwa 100 km Länge erstreckt sich die weltweit einzigartige Südharzer Gipskarstlandschaft. Diese Landschaft reicht als schmaler Gürtel von Osterode in Niedersachsen über Nordhausen in Thüringen bis Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Doch die Gipskarstlandschaft ist bedroht, denn Gips ist ein begehrter Rohstoff. Heutzutage wird das „weiße Gold“ mittels Sprengungen und Schwertechnik der Natur entrissen. Aber Gips ist endlich. Er ist ein natürlicher Bodenschatz, der, wenn die Gipsindustrie so weiter macht wie bisher, in wenigen Jahrzehnten aufgebraucht sein wird. Mit dem vom Bundestag beschlossenen Kohleausstieg fällt langfristig auch der bei der Rauchgasentschwefelung in Kohlekraftwerken entstehende sogenannte REA-Gips weg.

Dies wirft die Frage nach dem Bedarf und Anforderungen an die Gipsförderung auf. Die Rohstoffindustrie sieht die Antwort in einem massiven Ausbau der Naturgipsförderung, obwohl es Alternativen gibt. Nach den Vorstellungen der Industrie sollen sogar Regelungen aus Naturschutzgesetzen außer Kraft gesetzt werden, um zukünftig auch in Schutzgebieten fördern zu können. Insbesondere im Südharz stehen wertvolle Naturlandschaften im Fokus der Bergbaufirmen. Rund zehn Millionen Tonnen Gips verbraucht Deutschland jedes Jahr. Während es in Thüringen und Niedersachsen Bestrebungen gibt, den massiven Raubbau an der Natur einzuschränken, will die neue Landesregierung in Sachsen-Anhalt den Weg für die Industrie freimachen. 

Sachsen-Anhalt will Weg für die Gipsindustrie ebnen

Die Kohlekommission empfahl in ihrem Abschlussbericht vom Januar 2019, den „fortschreitenden Wegfall an REA-Gips durch eine zusätzliche umweltverträgliche Gewinnung von Naturgips auszugleichen“. Mike Kess, der selbst als Berater („Sherpa“) in der Kommission saß, weist auf die fehlende fachliche Auseinandersetzung mit der Gips-Frage während der halbjährigen Arbeit am Kohlekompromiss hin: „Die Kohlekommission hatte sich inhaltlich nicht mit dem Bedarf an Gips beschäftigt. Auf Drängen der Gipsindustrie wurde dann jedoch ungeprüft deren Forderung in den Kommissionsbericht übernommen“. 

In deren Sinne hat sich inzwischen auch die neue Landesregierung von Sachsen-Anhalt positioniert: „Um den steigenden Bedarf an Gips-Baustoffen abzudecken und die heimischen Wertschöpfungsketten der Gipsindustrie zu erhalten, ist somit eine Steigerung der Naturgipsgewinnung notwendig (siehe Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung – Kohlekommission“). Daher sollten die Gips-Lagerstätten in Sachsen-Anhalt gesichert sowie deren umweltverträgliche Gewinnung ermöglicht werden“, wurde im Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und FDP festgehalten. „Das ist ein vollkommener Kniefall vor der Gipsindustrie“ sagt  Kess vom Umweltnetzwerk Grüne Liga. Ein Satz im Abschlussbericht der Kohlekommission darf nicht als Freibrief zum Abbaggern ganzer Landstriche missverstanden werden“, mahnt Kess. Die Bundesregierung hat nach eigener Aussage keinerlei Informationen über den künftigen Bedarf an Gips, wie eine parlamentarische Anfrage im Deutschen Bundestag vom August 2020 zeigte „Ohne eine unabhängige Prüfung des Bedarfes, der Alternativen und verstärktes Recycling darf es keine vorschnellen Entscheidungen zur Förderung von Naturgips geben“, fordert Kess. 

Umweltverträgliche Gewinnung ist ein Mythos der Industrie

Für die Grüne Liga gehört die im sachsen-anhaltischen Koalitionsvertrag angekündigte „umweltverträgliche Gewinnung“ in den Bereich der Mythen der Industrie. Das Umweltnetzwerk untersucht nun schon seit über 1,5 Jahren im Rahmen eines vom Umweltbundesamt geförderten Projektes die Auswirkungen des Naturgipsabbaus. Auf einer Online-Tagung des Umweltnetzwerks zur Umweltverträglichkeit des Gipsabbaus in Deutschland Anfang Oktober 2021 waren sich die Expert*innen einig, dass durch die Rohstoffförderung die Natur – besonders im seltenen Gipskarst – unwiederbringlich zerstört wird. „Der Abbau von Gips kann nicht als naturverträglich bezeichnet werden; der Aufschluss zusätzlicher Abbaugebiete lässt sich nicht mehr vertreten“, fasst der Bundesvorsitzende der Grünen Liga René Schuster die Diskussion zusammen. 

Unterstützung bekamen die Kritiker*innen des industriellen Gipsabbaus in Deutschland aus den USA. Der Exekutivdirektor des US National Cave and Karst Research Institute George Veni aus Carlsbad (New Mexiko) erklärte, Deutschlands Gipskarst sei von der UNESCO als Globaler Geopark anerkannt und verfügt über das weltweit einzige Gipskarst-Biosphärenreservat. Für den US-Forscher sei ein Abbau in sensiblen Gebieten nicht mehr nötig. „Synthetischer Gips ist jetzt einfach und günstig zu erhalten. Phosphorgips ist zum Beispiel ein reichlich vorhandenes Abfallprodukt, das in vielen Ländern für den Bau, Straßenbau, Düngemittel und Deponien verwendet wird“, sagte Veni in einer Grußbotschaft. Bärbel Vogel vom Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher e. V. bekräftigte: Wenn einmal mit Gipsabbau begonnen werde, seien die Gebiete nicht mehr renaturierbar. Höhlen könne man nicht wieder herstellen, sagte die Vorsitzende des deutschen Höhlenforscherverbandes. Derzeit sind etwa 170 Höhlen im Südharz bekannt, die wertvolle Lebensräume darstellen. Vogel sprach sich für einen besonderen Schutz des Gipskarstes aus. Aufgrund seiner Einzigartigkeit könne der Südharz auch UNESCO-Welterbe werden.

Veraltetes Bergrecht muss reformiert werden

© Grüne Liga

Zwar seien Abbau-Unternehmen rechtlich dazu verpflichtet, Ersatzmaßnamen zu leisten und Kompensationen vorzunehmen, aber es sei „eine ganz andere Natur“, die dann entstehe, erklärte die Umwelt- und Bergrechtsanwältin Ursula Philipp-Gerlach von der renommierten Kanzlei Philipp-Gerlach & Teßmer aus Frankfurt/Main. Das Problem beim Gipsabbau sei, dass besonders schützenswerte Biotope unwiederbringlich verloren gingen. Das Berg- und sonstiges Fachrecht sei so angelegt, dass der Naturschutz zwar beachtet werden müsse; im Rahmen von Ausnahmeregelungen sei der Abbau aber auch in diesen besonders schützenswerten Biotopen möglich, erläuterte Philipp-Gerlach die aktuelle Rechtslage. 

Initiativen aus ganz Deutschland, die vom zunehmenden Abbau von Kies, Sand und Gips betroffen sind, fordern daher von der Bundespolitik ein Moratorium für Genehmigungen neuer Abbaugebiete und eine Reform des antiquierten Bergrechts. „Es brodelt gewaltig an vielen Orten in Deutschland. Der industrielle Abbau von Sand, Kies, Gips und anderen Gesteinen sorgt für die Zerstörung unwiederbringlicher Natur und Landschaften auf Kosten nachfolgender Generationen“, sagt Ulrich Wieland von der Bundeskontaktstelle Gesteinsabbau des Umweltnetzwerks Grüne Liga. 

Vom Gesteinsabbau betroffene Regionen organisieren sich

Im August 2020 trafen sich erstmals Initiativen aus ganz Deutschland, die sich kritisch mit dem immer stärker voranschreitenden Abbau von Kies, Sand und Gips auseinandersetzen. Nach einem über fünfstündigen Austausch verabschiedeten die Vertreter*innen gemeinsam eine „Erfurter Erklärung“ mit einem Forderungskatalog an die Bundesebene. Die Kritiker*innen fordern vor allem eine Reform des Bergrechts, um mehr Mitsprache und den Schutz der Umwelt zu gewährleisten. Zudem sollen weitere Recyclingquoten in der Bauwirtschaft eingeführt werden, sowie auch eine bundesweit einheitliche Steuer auf alle geförderten Gesteine eingeführt werden. Weiterhin braucht es ein Förderprogramm zur Entwicklung nachwachsender und alternativer Baustoffe. Bis die Forderungen umgesetzt sind, soll ein Moratorium verhängt werden. Es dürften nur in Ausnahmefällen Genehmigungen für neue Abbaugebiete erteilt werden, fordern die Initiativen. Dabei gäbe es moderne Ansätze, die sehr viel sorgsamer mit Ressourcen umgehen. „Wir brauchen ein Ende der veralteten Rohstoffgewinnungsmethoden im gesamten Baubereich! Die Devise muss lauten „Die Stadt als Steinbruch“ anstatt „Raubbau an der Natur“, fordert Wieland.

Wieland weist darauf hin, dass klimaverträgliches Bauen und ein verstärkter Einsatz von Recyclingbaustoffen nicht nur dem Klima nützt, sondern auch Regionen in Deutschland entlastet, in denen Sand, Kies und Gips abgebaut wird. „Deutschlandweit bemerken wir verstärkte Interessen der Gesteins- und Mineralindustrie, Abbaugebiete massiv auszuweiten. Das trifft auf erbitterten Widerstand in den Regionen. Von den Gipsfördergebieten im Südharz, den Sand- und Kiesgruben in Ostdeutschland bis hin zu denen am Rhein – an vielen Orten bilden sich Bürger*inneninitiativen, die gegen die Industrieinteressen aufbegehren“, sagt Wieland: „Eine Wende im Bauwesen könnte auch zu einen Befriedung in den betroffenen Regionen führen“

Deutschland braucht eine Bauwende

© Grüne Liga

Die Forderung nach einer Wende im deutschen Bauwesen wird immer größer. Anfang Januar 2021 erreichte eine Petition im Deutschen Bundestag zur Bauwende das nötige Quorum mit über 57.000 Mitzeichner*innen. Darin wird ein „umfassendes Maßnahmenpaket für ein klima- und sozialverträgliches Bauen“ gefordert. Die Gruppe „Architects4Future“ spricht sich in der Petition für einen nachhaltigen Wandel im Bausektor aus. In der Petition wird unter anderem gefordert, dass der Marktpreis von Baumaterialien alle Umweltfolgekosten umfassen müsse und Bauprodukte kreislaufgerecht rückgebaut werden sollen, um sie nach Dekonstruktion wieder verwenden zu können.

„Das ist ein starkes Zeichen für eine längst überfällige Wende im Bauwesen. Die Menschen in Deutschland sind nicht mehr bereit, den Status quo hinzunehmen. Die Diskussion ist eröffnet und muss jetzt von der neuen Bundesregierung aufgegriffen werden“, sagt Uli Wieland. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hat ergeben: Wenn das Neubauwachstum weiter anhält, werden Baustoffemissionen bis 2050 ein Fünftel der CO2-Emissionen ausmachen. Das Bauwesen gehört zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftszweigen. Alleine in Deutschland werden jährlich 517 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe verbaut.

Man müsse nicht nur an der Bereitstellung von Gips als Primärrohstoff arbeiten, grundsätzlich brauche es auch endlich eine Bauwende in Deutschland. Das ist für Dr. Hermine Hitzler von Architects4Future ein „ganz großer Hebel“. Für einen zukunftsfähigen Umgang mit Ressourcen müsse die Kreislaufwirtschaft gestärkt und mehr auf Recycling gesetzt werden, forderte Hitzler. Eine Bauwende muss dabei klimagerecht, ökologisch und sozial nachhaltig sein. Die Bauwirtschaft mache sich auf den Weg, so Hitzler. Aktuell landet jedoch ein der Großteil der hergestellten Gipsprodukte noch als Abfall auf Deponien, anstatt durch kontrollierten Rückbau der Wiederverwertung zugeführt zu werden.

Ein Bündnis zivilgesellschaftlichen Organisationen fordert jetzt die neue Bundesregierung auf, bis 2045 aus dem Naturgipsabbau auszusteigen und ab sofort keine Genehmigungen mehr für neue Abbauflächen zu erteilen. In einem gemeinsamen Positionspapier sprechen sich die Verbände GRÜNE LIGA, Naturschutzbund (NABU), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Verband deutscher Karst- und Höhlenforscher (VdHK) und die Initiative Architects4Future (A4F) für den Erhalt seltener Naturlandschaften und ein grundsätzliches Umdenken im Baubereich aus.

Mike Kess

Bundesverband GRÜNE LIGA e.V./ Netzwerk Ökologischer Bewegungen
Bildquellen: „ideengrün | markus pichlmaier“

Der Fläming blüht auf
Ein Projekt der Studienstelle in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Fläming und dem Landschaftspflegeverband Wittenberg

von Siegrun Höhne

Fast alle mögen Bienen und blühende Landschaften – und wollen etwas für sie tun. Das macht das Gemeinschaftsprojekt zu einer positiv kommunizierten Mitmach-Plattform. Am 20. April wurde auf dem Marktplatz in Coswig/ Anhalt ein frohes Auftakt-Fest gefeiert. Mit dabei waren neben den Akteuren verschiedene Vereine und Initiativen, Bürgermeister, Schülerinnen und Schüler, die Kirchengemeinde, eine Jugendband, Passanten und Interessierte, die mit gezielten Fragen kamen. 

Worum geht es?

Ziel ist die Förderung der biologischen Vielfalt im Gebiet des Naturparks durch die Eigentümer und Nutzer diverser Flächen (Agrarflächen, Wald, kommunale Flächen, Friedhöfe, Freiflächen in Unternehmen, private Gärten und Anlagen…) mithilfe unter qualifizierter, zielgruppengerechter Beratung und fachlicher Begleitung durchgeführter geeigneter Maßnahmen. 

Die Beteiligung der Bürger/innen und Unternehmer/innen, Kirchengemeinden sowie Kommunen wird durch ein Signet jeweils vor Ort gewürdigt und in geeigneter digitaler Form veröffentlicht. Im Prozess wird eine Kultur des selbst Gestalten Könnens gefördert, die ein Denken jenseits von Förderperioden und –Programmen stützt und neue Allianzen knüpft. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet, um Maßnahmen zu prüfen und ggfs. anzupassen und eine Verstetigung in der Region vorzubereiten. 

Wer macht mit?

Naturparkverwaltung, Landwirte, Kommunen, Kirchengemeinden, Privatpersonen, Landkreise, Landesbetriebe, Firmen, Garten- und Landschaftsbaubetriebe, Landschaftspflegeverbände, Unterhaltungsverbände, Friedhofsbetreiber, Waldbesitzer, Förster, Ortschaften, Vereine, Schulen, Kitas …

Was passiert genau?

Das Projekt ist ein Kommunikations- und Bildungsangebot im Themenfeld Naturschutz für die Region und wird kooperativ gesteuert und durch einen Projektbeirat begleitet. Unter Beachtung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Ziele der Partner (die z. B. bei Kommunen andere sind als bei Landwirten, bei Verbänden andere als bei Privatpersonen usw.) erlaubt das gemeinsame Projektziel, den Fläming aufblühen zu lassen, das Entstehen neuer Initiativen, Kooperationen und Ideen, die am Beginn noch nicht absehbar waren. 

Wesentliche Teile der Projektdurchführung (wie Qualifizierungen, Beratung und Begleitung von Landwirten usw.) wurden als Dienstleistung ausgeschrieben. Der Landschaftspflegeverband Wittenberg steht mit der Projektleitung und dem Projektbeirat in enger Kommunikation, um flexibel zu bleiben.

Das Projekt zielt auf verschiedene Zielgruppen, für die unterschiedliche Kommunikations- und Beratungsformate nötig sind. Daraus ergeben sich vier verschiedene Projektteile:

  • Bildungs- und Qualifizierungsangebote für Privatpersonen, Vereine, Schulen, Unternehmen
  • Bildungs- und Qualifizierungsangebote für Kommunen, Kirchen und andere Flächeneigentümer im öffentlichen Raum
  • Sensibilisierungsmaßnahmen für Betriebe des Garten- und Landschaftsbaus und landwirtschaftliche Beratungsunternehmen
  • Betriebsspezifische Beratung von Landwirtschaftsunternehmen vor Ort

Bausteine der Öffentlichkeitsarbeit zum Projekt sind ein Logo, das alle Mitwirkenden (ob Landwirtschaftsbetriebe, Privatperson, Kommunen …) für ihre eigenen Kommunikation nutzen können, eine virtuelle Landkarte auf der Homepage des Projektes und Broschüren sowie Kurzfilmen mit Informationen zum Selber-Machen. 

Veranstaltungen wie Fachtagungen zu den Themen Feuchtwiesenschutz als Klimaschutzmaßnahme und Wassermanagement in der Fläche im Herbst dieses Jahres, Feldtage und Exkursionen dienen neben der Öffentlichkeitswirksamkeit dem Erfahrungsaustausch und der weiteren Qualifizierung der Akteure. 

Und am Ende des Projektes … ?

Perspektivisch erfordert die Komplexität der Aufgaben zusätzliche personelle Ressourcen an einer zuständigen Institution, wie z. B. der Naturparkverwaltung oder/ und dem Landschaftspflegeverband, die sich in der Region für die Weiterführung der erarbeiteten Kooperationen engagiert. Nur dann gelingt eine Verstetigung in der alltäglichen Praxis. 

Hierbei muss die Naturparkverwaltung das erforderliche Wissen aus verschiedenen Fachbereichen bündeln, muss öffentlich informieren und den Kontakt zu Akteuren gezielt suchen, muss als kompetenter Ansprechpartner für Interessenten fungieren, vernetzen und vermitteln. 

Der Naturpark genießt als Institution Anerkennung von allen beteiligten Seiten und soll daher im Rahmen des Vorhabens benötigte Kompetenzen mit Unterstützung aller Projektpartner erwerben, vertiefen und die Funktion eines Multiplikators übernehmen. Dabei soll der Naturpark vor allem Vertrauensarbeit leisten, mit Interessierten vor Ort oder im Büro ins Gespräch kommen, Informationen so aufbereiten, dass sie in konkrete Verbesserungen des ökologischen, ästhetischen, aber ggf. auch ökonomischen Outputs von Flächen münden können. Dieses Vorhaben ist in andere Regionen übertragbar.

© Christian Melms

Neue Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Gewässer
vor Spurenstoffen
Weltwassertag: Runde Tische zur Spurenstoffstrategie des Bundes präsentieren Ergebnisse


Gemeinsame Pressemitteilung von Umweltbundesamt und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz

Bettina Hoffmann, Parlamentarische Staatssekretärin beim BMUV, und das Spurenstoffzentrum des Bundes haben am 22. März 2022 erste Ergebnisse von drei „Runden Tischen“ zur Spurenstoffstrategie entgegengenommen. Die Rückstände von Arzneimitteln, Pflanzenschutzmitteln, Bioziden und anderen Chemikalien können schon in geringen Konzentrationen negative Auswirkungen auf Gewässer und die Qualität des Trinkwassers haben. Als Teil der Spurenstoffstrategie des Bundes entwickeln derzeit Interessenverbände an „Runden Tischen“ freiwillige Maßnahmen zur Entlastung der Umwelt. Die ersten Ergebnisse haben Vertreter*innen der „Runden Tische“ (Anm. der Red.: am 22. März 2022) präsentiert. Auf der virtuellen Bilanzveranstaltung hat Bettina Hoffmann außerdem die strategischen Eckpunkte und Perspektiven für die aktuelle Legislaturperiode vorgestellt.

Bettina Hoffmann: „Grundwasser sauber und verfügbar zu halten ist aktiver Umwelt- und Gesundheitsschutz. Denn 70 Prozent unseres Trinkwassers besteht aus Grundwasser. Haben wir das Grundwasser in der Vergangenheit als etwas Selbstverständliches angesehen, verursacht die Erderhitzung immer öfter langanhaltende Trockenperioden, die den Grundwasserspiegel an vielen Orten in Deutschland absenken. Über das Abwasser gelangen zunehmend Stoffe in unsere Gewässer, die dort nicht hingehören. Chemikalien aus der Industrie sowie Arzneimittel, die sich teilweise nicht natürlich abbauen, belasten zusehends die Ökosysteme in Flüsse, Seen und zusehends auch das Grundwasser. Dass diese Umweltbelastung ein Ende findet, liegt in der Verantwortung der ganzen Gesellschaft. Wichtig ist, den Eintrag von Schadstoffen wo immer möglich direkt an der Quelle abzustellen. Das Spurenstoffzentrum beim Umweltbundesamt soll schon bald zentrale Informationsquelle und Treiberin der der Maßnahmen für den Schutz unserer Gewässer werden.“

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes: „Hauptziel des Spurenstoffzentrums ist es, in Zusammenarbeit mit allen Akteuren und Betroffenen, Oberflächengewässer und das Rohwasser für die Trinkwassergewinnung in Deutschland umfassend und vorsorgend zu schützen. Hierzu sind alle Maßnahmen entlang des Lebenszyklus von Spurenstoffen übergreifend zu betrachten. Es muss bereits bei der Herstellung und der Anwendung von Produkten auf Minimierung, Ersatz oder Vermeidung des Einsatzes von Stoffen mit problematischen Umwelteigenschaften geachtet werden.“

Der Eintrag von Spurenstoffen in Seen, Flüsse und schlussendlich in die Meere stellt eine der größten Herausforderung für den Gewässerschutz dar. Das Problem liegt einerseits in der großen Anzahl dieser Stoffe im täglichen Gebrauch und andererseits darin, dass sie bereits in geringen Konzentrationen Schädigungen bei Wasserlebewesen hervorrufen können. Wesentliches Element der 2016 von BMUV und ⁠UBA⁠ initiierten Spurenstoffstrategie ist der intensive Dialog mit Stakeholdern aus Industrie, Wasserwirtschaft, Umweltorganisationen und den Bundesländern. Auf Grundlage von freiwilligen Vereinbarungen und Regeln sollen die Einträge von Spurenstoffen in Gewässer verringert werden. Für die Verstetigung der Spurenstoffstrategie wird seit 2021 das Spurenstoffzentrum des Bundes (SZB) im UBA aufgebaut.

Bereits seit Ende 2019 wurden insgesamt drei stoffspezifische Runde Tische einberufen, die sich an den wichtigsten Spurenstoffen in deutschen Gewässern orientieren: Benzotriazol (Anti-Korrosionsmittel für Metalle, z.B. zum Schutz von Dachrinnen oder in Reinigungstabs für Geschirrspülmaschinen), Diclofenac (Schmerzmedikament) sowie Röntgenkontrastmittel. Schadstoffeinträge in Gewässer lassen sich am effizientesten mindern, wenn die entsprechenden Substanzen nicht bzw. weniger eingesetzt und demnach auch weniger hergestellt werden müssen.

Daher werden im Rahmen der Runden Tische auf Herstellerseite Maßnahmen entwickelt, die die Einträge spezifischer Chemikalien in die Gewässer verringern. Die Runden Tische helfen, die Anwendungsgebiete, Eintragspfade und Risiken für einzelne Spurenstoffe oder Stoffgruppen besser zu verstehen und darauf aufbauend Lösungen im Dialog mit allen beteiligten Akteuren zu erarbeiten. An den Dialogen nahmen Vertreter von Industrieverbänden, der Wasserwirtschaft, der Umweltschutzverbände, der Kommunen sowie der Bundesländer teil.

Der Runde Tisch zu Diclofenac verabschiedete eine einvernehmliche Abschlusserklärung. Darin wurde eine Reihe kurz- bis mittelfristig umsetzbarer Kommunikationsmaßnahmen zusammengestellt, die die Hersteller auf den Weg bringen wollen. In den Veröffentlichungen des Runden Tischs werden die Umweltprobleme und Gewässerbelastungen von Diclofenac deutlich dargestellt und die Notwendigkeit einer wesentlichen Reduktion des Eintrages in die Umwelt vermittelt. Da die primäre Eintragsquelle von Diclofenac in die Gewässer dessen Anwendung in Form von Cremes und Salben ist, haben die Hersteller umfassende Informationsmaterialien zur Aufklärung von Ärzten, Apothekern und über Sportverbände erarbeitet, verbunden mit dem eingängigen Slogan „Wischen statt Waschen“. Dies umfasst die Empfehlung an Patientinnen und Patienten, nach dem Auftragen von Diclofenac-haltigen Schmerzsalben, die Hände mit einem Papiertuch abzuwischen und dieses über den Restmüll zu entsorgen. Die Effekte dieser Arbeit sollen nun in bis zu drei Regionen Deutschlands evaluiert werden.

Durch den intensiven, konstruktiven und interdisziplinären Austausch der ⁠Stakeholder⁠ konnten auch erste gemeinsame Maßnahmen an den Runden Tischen zu Röntgenkontrastmittel und zu Benzotriazol erreicht werden. Für den Rückhalt von Röntgenkontrastmitteln, etwa durch die Einführung von Urinbeuteln und Trenntoilette, werden nun drei bis vier große Umsetzungsprojekte, verteilt auf das gesamte Bundesgebiet, entwickelt. Weiterhin werden Pilotstudien gestartet, welche eine spätere Bilanzierung des Erfolgs ermöglichen.

Das Spurenstoffzentrum des Bundes begleitete in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI und der IKU Dialoggestalter die drei Runden Tische zu zuvor von einem unabhängigen Gremium als relevante Substanzen eingeschätzte Spurenstoffen. Das Spurenstoffzentrum wird zukünftig die operativen Tätigkeiten an der Spurenstoffstrategie weiterführen. Dazu gehören unter anderem die Organisation und Begleitung weiterer Runder Tische sowie die Unterstützung eines unabhängigen Gremiums zur Relevanzbewertung von Spurenstoffen.

Der Weltwassertag wurde von der ⁠UN⁠-Generalversammlung beschlossen und findet seit 1992 immer am 22. März statt. Der diesjährige Weltwassertag steht unter dem Motto „Groundwater: Making the Invisible Visible“: „Unser Grundwasser: der unsichtbare Schatz“.

Gemeinwohlprämie
Ein Konzept zur Neuausrichtung der EU-Agrarförderung

Pressemeldung: Deutscher Verband für Landschaftspflege (DVL)

Mit der Gemeinwohlprämie legt der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) das zukunftsfähige Konzept einer neuen Förderlogik der Landwirtschaft vor. 

Neue Ideen und innovative Konzepte müssen verständlich kommuniziert werden. Dies gilt gerade dann, wenn sie mit Veränderungen langjähriger Gewohnheiten der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verbunden sind. Die Gemeinwohlprämie ist ein derart neuer Vorschlag, wie die pauschalen Direktzahlungen effizienter an tatsächliche ökologische Verbesserungen geknüpft werden. „Nur wenn wir etwas Neues und Gutes auch anschaulich erklären, können wir mit der gewünschten Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit der Bäuerinnen und Bauern rechnen“, erläutert Dr. Jürgen Metzner, Geschäftsführer des DVL. „Und die Gemeinwohlprämie zeigt, zeitgemäße Agrarförderung kann auch transparent und einleuchtend dargestellt werden. Für den DVL und seine Landschaftspflegeorganisationen sind dies wichtige Maßstäbe ihrer täglichen Beratungs- und Informationsarbeit für mehr Gemeinwohlleistungen durch die Landwirtschaft.“

Moderne Agrar-Umweltpolitik muss nicht kompliziert sein! Mit der Veröffentlichung des Films „Gemeinwohlprämie – kurz erklärt!“ zeigt der DVL, wie unkompliziert ökologische Verbesserungen in der Landschaft in die alltäglichen unternehmerischen Entscheidungen der Landwirtinnen und Landwirte einfließen können. „Mit unserem Vorschlag bringen wir es auf den Punkt. Anhand eines logischen Punktesystems werden die erwartbaren Gemeinwohlleistungen der unterschiedlichen Landbewirtschaftungsformen bewertet und bezahlt. Die Maßnahmen in unserer Menü-Auswahl können bundesweit von allen Betriebsleiterinnen und -leitern betriebsindividuell und nach eigenem Ermessen umgesetzt werden. Mit der Gemeinwohlprämie liegt ein neues Verfahrens- und Geschäftsmodell für die Landwirtschaft zur Erbringung von Ökosystemleistungen vor, wie es auch zunehmend von Wissenschaft und Politik gefordert wird“, unterstreicht Sönke Beckmann, GAP-Experte des DVL.

HINTERGRUND

Das Bewertungs- und Honorierungssystem für gesellschaftliche Leistungen der Landwirtschaft zum Schutz und zur Verbesserung der Biodiversität, des Klimas und des Wassers in der Agrarlandschaft (kurz: Gemeinwohlprämie/GWP) wurde vom DVL in Schleswig-Holstein aus der landwirtschaftlichen Praxis heraus entwickelt. In einem drauffolgenden dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Bundesamtes für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums wurde gemeinsam mit Landschaftspflegeorganisationen und weiteren landwirtschaftlichen Betrieben, der Verwaltung und der Wissenschaft die Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf ganz Deutschland untersucht. In dem Vorhaben konnten zudem Wege aufgezeigt werden, wie das Konzept der GWP in das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem (InVeKoS) und in den GAP-Vorschlag der EU-Kommission integriert werden kann.

Die Agrarminister*innen und Senator*innen des Bundes und der Länder (AMK) haben bereits Ende September 2020 beschlossen, die Gemeinwohlprämie als geeignete Variante der Öko-Regelungen in die nationale Ausgestaltung der GAP aufzunehmen. Die Umweltministerkonferenz und der Bundesrat haben gleichgelagerte Beschlüsse gefasst.

Auf Grundlage einer Auftragsstudie des Thünen-Instituts hat die AMK im Juni 2021 ihre Auffassung bestätigt und eine Bund-Länder AG mit weiteren Überlegungen betraut, die GWP perspektivisch als Regelansatz für das zukünftige Fördersystem in Deutschland zu bewerten. 

Die EU-Kommission hat in einer persönlichen Empfehlung die GWP als einen ausgereiften Ansatz bestätigt, um als Konzept für die Ausgestaltung von Öko-Regelungen Eingang in die neue grüne Architektur zu finden.

Anm. der Redaktion: Sönke Wortmann referierte im November 2021 zum Thema Gemeinwohlprämie in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Der Mitschnitt des Vortrages ist auf der Webseite abrufbar.

Termine

Hingehen –sehen, hören, reden!
Gelingende Kommunikation für biologische Vielfalt


Die Jahrestagung des Arbeitskreises Landwirtschaft und Umwelt an der Studienstelle findet vom 17.–18. Juni 2022 in Jessen statt. In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband beruflicher Naturschützer, Landesverband Sachsen-Anhalt steht in diesem Jahr die Frage gelingende Kommunikation im Zentrum der Tagung.

Aus verschiedenen kulturellen, gesellschaftlichen und subjektiven Wertungen und vielschichtigen Interessen ergeben sich Konflikte und Verständigungsbarrieren im Naturschutz. Erfolgreiche Initiativen lehren, dass ein wesentlicher Gelingensfaktor in der Art der Kommunikation liegt. Gelingende Kommunikation hängt vor allem davon ab, dass solche Hemmnisse ernsthaft berücksichtigt und eine Kultur der Beteiligung und des Interessenausgleichs gepflegt werden. Auf einer Themenwanderung durch die Jessener Wein-, Wald- und Agrarlandschaften berichten ein Land- und ein Forstwirt, ein Planer und andere Personen von ihren Erfahrungen, den aktuellen Herausforderungen und ihrer Sicht auf die Region. Bei einem Rollenspiel werden auf der Grundlage des bei der Themenwanderung Erfahrenen Kommunikationsbarrieren und Erfolge erprobt.

Die Inhaltliche Gestaltung übernimmt Lars Fischer  vom Büro für Landschaftskommunikation, Eberswalde. Er meint: „Landschaften sind geteilte Räume, ihre nachhaltige Entwicklung braucht Gespräche auf Augenhöhe, Perspektivvielfalt, Wissen und Impulse“. Für die Dokumentation der Tagung ist Christine Gebreyes, Schnellzeichnerin aus Berlin eingeladen. Sie wird die Gespräche grafisch festhalten.

Der Teilnahmebeitrag inkl. Verpflegung und Übernachtung beträgt 105,- €. Die Anzahl der Plätze ist begrenzt, eine Anmeldung ist erforderlich. 

Weitere Informationen unter:

ev-akademie-wittenberg.de/veranstaltungen/hingehen.

Grenzenlos.Elbe
Elbekirchentag 2022 in Lenzen


Seit 2008 wird mit dem Elbekirchentag an verschiedenen Elborten auf diese besondere Flusslandschaft, das Miteinander von Mensch und Natur und die Bewahrung des Lebensraums Elbe aufmerksam gemacht. Der Elbekirchentag geht auf eine Initiative von Kirchengemeinden und Kirchenkreisen an der Elbe zurück und bildet eine Plattform für Kirche, Gesellschaft und Naturschutzorganisationen. Auf dem Elbekirchentag sollen die Menschen für Gottes Schöpfung sensibilisiert werden und sich mit Akteuren der Zivilgesellschaft vernetzen. Der erste Elbekirchentag 2008 fand in Coswig/ Anhalt statt.

Der diesjährige Elbekirchentag startet am 27. MAI 2022 um 15.30 Uhr auf der Elbwiese. „Vom Todesstreifen zum Grünen Band“, so ist die zentrale Veranstaltung des Landes Brandenburg zur Erinnerung an die Schließung der innerdeutschen Grenze und zum Gedenken an die Opfer mit Ministerpräsident Dietmar Woidke überschrieben. Um 18 Uhr folgt die festliche Eröffnung des Elbekirchentages in der St. Katharinen-Kirchen Lenzen (mit Dr. Klaus Töpfer, Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke, Superintendentin Eva-Maria Menard, Pfarrer Wolfgang Nier, Kirchenmusiker*innen des Kirchenkreises Prignitz und Vertretern des Landkreises, des Amtes und der Stadt Lenzen). Am Abend wird zum Picknick auf die Elbwiese geladen, mit Musik und offenem Singen und Nachtsegen.

Höhepunkte des vielfältigen Programms am Samstag sind ein Tauffest an der Elbe unter der Überschrift: Grenzenlos: Liebe, gestaltet von Pfarrerin Anna Trapp und Wendish Gospel Joy, eine Podiumsdiskussion mit  Axel Vogel – Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg, Dr. Meike Kleinwächter, Leiterin des BUND-Auenzentrums und Oliver Hermann – Bürgermeister Stadt Wittenberge zum Thema: “Chancen und Herausforderungen der ökologischen Entwicklung der Elbe”. Grußworte halten Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. Benjamin Lassiwe wird moderieren.

Der Sonntag (29. Mai) startet um 10.30 Uhr mit Trompeten & Posaunen (Öffentliche Probe der Bläser*innen auf der Bühne Elbwiese). Hier folgt um 11.30 Uhr der Abschlussgottesdienst mit Bischof Dr. Christian Stäblein, Superintendentin Eva-Maria Menard, Jugendlichen und Jugendwart Marko Geitz, Pfarrer Gérôme Kostropetsch, Kirchenmusikerin Oana-Maria Bran, Bläser*innen des Kirchenleitung und Landesposaunenwart Christian Syperek. Im Anschluss wird das Elbe-Wasser-Kreuz übergeben. 

Alle Informationen zum umfangreichen Programm finden Sie unter:

www.elbekirchentag-lenzen.de/

Literaturtipps

Mitgeschöpf  Tier
Neue Materialsammlung für die Arbeit in Gemeinde und Schule

von Kathrin Natho (Hrsg.)

Die Materialsammlung gibt Anregungen für tierethische Themen und Fragestellungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. In der theologischen Hinführung „Alles was atmet“ wird die Rolle der Tiere in der Bibel aufgezeigt und Schlussfolgerungen für heute gezogen. In dem Abschnitt „Tierethisch praktisch“ finden sich 12 Einheiten über Haustiere, Wildtiere und landwirtschaftliche genutzte Tiere. Es findet sich außerdem eine Sammlung an Liedern, Fürbitten, Gebeten und Psalmen.






Das Heft darf kostenlos heruntergeladen und genutzt werden. 

LKÖZ Tierethik A4
(31.03.2022 / 5 MB)

www.oekumenezentrum-ekm.de/aktuelles-und-termine/aktuelles/mitgeschoepf-tier.html

Bekenntnisse zur Verantwortung für die Umwelt

Die Materialsammlung gibt Anregungen für tierethische Themen und Fragestellungen in der Arbeit mit Kindern und Anm. der Redaktion: Auf dieses Buch wurde ich vom Herausgeber persönlich aufmerksam gemacht. Ich war überrascht, eine solche Vielzahl zum Teil sehr bekannter Persönlichkeiten unter dieser Überschrift versammelt zu finden und möchte Ihnen den Hinweis auf diese Veröffentlichung deshalb nicht vorenthalten.

Klappentext: 

Alle messbaren Daten und Fakten sowie die wissenschaftlichen Beurteilungen über die Auswirkungen des Gebrauchs und des Verbrauchs unserer Lebensgrundlagen signalisieren uns, dass wir auf eine unbewohnbare Erde zusteuern. Persönlichkeiten aus den verschiedensten Lebens- und Verantwortungsbereichen zeigen Wege auf, um eingetretene Schäden an unserer Umwelt zu reparieren und durch umweltgerechtes Verhalten Vorsorge für die Zukunft zu treffen. Sie laden uns ein, hierzu bisherige Wege zu verlassen und andere Wege zum Überleben als gemeinsames Ziel zu gehen. Die Autoren machen uns Mut, in Zukunft so zu produzieren und zu leben, dass wir und auch folgende Generationen auf allen Kontinenten unserer Erde ökologisch verträglich und dennoch ökonomisch erfolgreich und sozial ausgewogen leben können.

Mit Beiträgen von:

Siegfried Balleis, Markus Blume, Susanne Breit-Keßler, Christian Doleschal, Joerg E. Drewes, Ottmar Edenhofer, Markus Ferber, Silke Franke, Anika Gaggermeier, Peter Geigle, Maximilian Freiherr zu Guttenberg, Wolfram Hatz, Gerald Heimann, Olaf Heinrich, Thomas F. Hofmann, Martin Huber, Henning Kaul, Heinrich Kreft , Andreas Lenz, Stefan Köhler, Reinhard Kardinal Marx, Franz von Metzler, Gerd Müller, Simone Neumann, Serafin von Roon, Daniel Sailer, Norbert Schäffer, Maximilian von Seckendorff, Bernd Sibler, Norbert Stamm, Michael Suda, Markus Vogt, Ulrich Wagner, Eva Weber, Manfred Weber, Anja Weisgerber

Herausgeber:

Markus Ferber, MdEP, Koordinator des Ausschusses für Wirtschaft und Währung der EVP-Fraktion, Bezirksvorsitzender der CSU Schwaben und Landesvorsitzender der Europa Union Bayern, seit 1. Januar 2020 Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung

Henning Kaul, Dipl. Ing. der Elektrotechnik, 22 Jahre Mitglied des Bayerischen Landtags, davon 18 Jahre Vorsitzender des Umweltausschusses, davor Leitender Angestellter in der Chemischen Industrie







Markus Ferber | Henning Kaul (Hrsg.)
Bekenntnisse zur Verantwortung für die Umwelt

356 Seiten
Erschienen am 15. April 2021
ISBN 978-3-95768-226-0
Preis: 24,00 €
Lau-Verlag, Reinbek / www.lau-verlag.de

Food Code
Wie wir in der digitalen Welt die Kontrolle über unser Essen behalten 

Autoren: Olaf Deininger, Hendrik Haase

Digitalisierung und künstliche Intelligenz revolutionieren die Art, wie wir Lebensmittel erzeugen, verteilen, kaufen und genießen. Ein faszinierender Blick in eine neue Esskultur und die Zukunft auf unseren Tellern.

Die digitale Revolution ist auf unseren Tellern angekommen. Egal ob Lieferapps, selbstfahrende Erntemaschinen oder unser Abendessen auf Instagram, digitale Technologie bestimmt heute nicht nur, wie wir zu unserem Essen finden, sondern auch wie Lebensmittel angebaut, geliefert und gekocht werden. Arbeitet der Bauer in Zukunft noch auf dem Feld, kochen wir noch selbst, oder erledigen Roboter das für uns? Olaf Deininger und Hendrik Haase recherchieren in den Laboren der Industrie, den Thinktanks der Hochschulen und in den Garagen von Food-Startups, sie schauen durch die Hintertüren der Tech-Giganten und in die Geister-Küchen der neuen Lieferdienste. Sie kaufen im voll vernetzten Supermarkt der Zukunft ein und lassen mit der Landwirtin von morgen autonome Drohnen über dem Acker steigen. Sie zeigen, wie die digitale Technologie unsere Lebensmittelwelt verändern, und stellen die Chancen, aber auch die Gefahren dieser tiefgreifenden Veränderung dar.

Quelle: www.thalia.de












Food Code

Antje Kunstmann Verlag, München 2021
Erschienen: 24. Februar 2021
ISBN: 978-3-95-614433-2
Preis: 25,00 €

Leserbrief

Wenn Geld dem Leben dient
Anmerkungen zum EKD – Impulspapier:
„Auf dem Weg zu einem nachhaltigen und gerechten Finanzsystem“ 

von Friedrich Brachmann

Kann die Finanzwirtschaft nachhaltig und gerecht sein? Mit hoher fachlicher Expertise geht die EKD – Kammer davon aus, dass dies möglich sei. Danke an Stephan Kosch und die BRIEFE – Redaktion für die Zusammenfassung dieser anspruchsvollen Materie und das Vermitteln der Botschaft: Auch für Kirchgemeinden und Laien ist Finanzwirtschaft ein Thema. Gerade mit ihrem biblischen Hintergrund haben sie eine spezifische und ergiebige Möglichkeit, sich an der Debatte zu beteiligen.

Wer allerdings genau das schon länger versucht, sei es in kirchlichen Initiativen oder sozialen Bewegungen, könnte weniger optimistisch sein. Die seit Jahrzehnten bestehenden Vorschläge (Finanztransaktionssteuer, Implementierung sozialer und ökologischer Kosten, Bekämpfung der Geldwäsche, Schließung der Steueroasen etc.) werden kaum umgesetzt. Woran liegt das?

Wir erinnern uns: Die Finanzwirtschaft bekam ab den 1970er Jahren enorme Bedeutung. Die Wachstumsraten in der realen Wirtschaft stagnierten trotz hoher Produktivität. Wo ließ sich für eine attraktive Rendite noch Geld anlegen? Der Reichtum wuchs aus den Kinderschuhen der Goldwertparität hinaus. Der Übergang zu fiktivem Kapital begann. Es besteht aus Eigentumstiteln, für deren Gestaltung Banken, Konzerne und Versicherungen sehr kreativ wurden und es bis heute sind. Ihr spezifischer Gebrauchswert besteht darin, einen zukünftigen Wert zu repräsentieren. Die Rationalisierungseffekte der dritten industriellen Revolution hätten ohne diese Kapitalisierung von Zukunftserwartungen bereits in den 1980er Jahren eine Spirale massenhafter Entwertung in Gang gesetzt. Das warenproduzierende System wäre an sich selbst erstickt. Erst die Entfesselung von Spekulation und Kredit schufen dem Kapital ausreichend neue Anlagemöglichkeiten. Der kapitalistische Selbstwiderspruch, von dem wir hier ausgehen, war damit keineswegs aufgehoben. Aber der wirtschaftliche Kollaps konnte noch einmal um bislang 40 Jahre aufgeschoben werden.

Heute sehen wir einige Folgen dieser Entwicklung mit Schaudern:

In den 1960er Jahren hungerten „nur“ 80 Millionen Menschen. Um die Jahrtausendwende waren es fast 800 Millionen.  Der Weltagrarbericht der UN – Welternährungsorganisation FAO verweist in seinem Jahresbericht 2020 auf die Gefahren des industriellen Landbaus und stellt die Frage: Haben wir nur noch 60 Ernten? 

Nach dem Ende des Kalten Krieges kam es nicht zu militärischer Entspannung. Der militärisch-industrielle Komplex wird weiter als Wachstumsbranche gebraucht. Das Umschwenken von Nato – Ländern auf ‘Präventionskriege‘ gegen den Terror destabilisiert ganze Regionen und untergräbt Völker- und Menschenrecht. Der Ukraine-Krieg wird zum Anlass, bisher nicht mehrheitsfähige Aufrüstungsprogramme im applaudierenden Parlament zu verabschieden. Wir sind in puncto Kriegsgefahr in einem worst-case Szenario. 

Für den Klimaschutz läuft die Zeit davon. Statt Treibhausgase zu senken, stiegen sie seit 1990 um weitere 67 Prozent.  Es sei höchste Zeit, sich von der „politischen Lebenslüge“ zu verabschieden, man könne die „heutige renditegetriebene Verschwendungsökonomie beibehalten und trotzdem den Zusammenbruch des Systems vermeiden“, meint Uwe Leprich im jüngsten Beitrag des IPCC. 

Der EKD – Kammer ist diese Dramatik bewusst. Sie möchte die Rolle von Politik, Gesetzgebung und Aufsicht für das Finanzsystem stärken. Und sie möchte, dass weder Resignation und Selbstrückzug noch eine „undifferenzierte Pauschalkritik ‚des Finanzkapitalismus‘ die Debatte bestimmen“. Die Frage einer grundsätzlichen Systemalternative wird nicht erörtert, die „Problematik des Wachstumszwanges der Weltökonomie … nicht umfassend behandelt“ (S. 23)

Das ist enttäuschend. Dennoch kann ich meine Neugier auf die evangelische Orientierung unter dieser recht optimistisch klingenden Überschrift nicht verhehlen. Auf die Idee, von einer gerechten Finanzwirtschaft zu sprechen, wäre ich nicht gekommen. Der Begriff klingt etwas wie nachhaltige Atomenergie. Die soll es ja auch geben.

Wenn jemand 100.000,- Euro auf seinem Konto hat und nichts damit macht, sind es nach einem Jahr immer noch 100.000,- Euro. Vielleicht sogar etwas weniger, wenn die entsprechende Bank bereits Negativ – Zinsen eingeführt hat. Legt jemand die gleiche Summe in Aktien des Vermögensverwalters BlackRock an, dann können diese nach einem Jahr durchaus einen Börsenwert von 160.500 Euro haben. 60.500 Euro (60,5 Prozent) Gewinn in einem Jahr, ohne etwas zu tun. Herzlichen Glückwunsch! Aber, selbst wenn es die Hälfte wäre, was ist daran gerecht? Die große Mehrheit der Weltbevölkerung (über 90 Prozent) kann solche Möglichkeiten mangels Kleingeldes nicht nutzen. BlackRock betreut die Vermögen der Milliardär:innen und Multimilliardär:innen und hilft genau dieser Gruppe von Leuten, dass ihr Vermögen gekoppelt mit dem anderer Großkonzerne, Banken und Verwaltern das wirtschaftliche Geschehen dieser Welt steuert. 

Die Frage der Gerechtigkeit ist da fehl am Platz. Diese Problematik findet sich bereits bei Max Weber. Er war kein Kritiker des kapitalistischen Marktprinzips, sondern hat dieses als „eigengesetzlich“ verteidigt:

„Im Gegensatz zu allen anderen Herrschaftsformen ist die ökonomische Kapitalherrschaft ihres ‚unpersönlichen‘ Charakters halber ethisch nicht reglementierbar.  Sie tritt schon äußerlich meist in einer derart „indirekten“ Form auf, dass man den eigentlichen „Herrscher“ gar nicht greifen und daher ihm auch nicht ethische Zumutungen stellen kann … Die ‚Konkurrenzfähigkeit‘, der Markt: Arbeitsmarkt, Geldmarkt, Gütermarkt, ’sachliche‘, weder ethische noch antiethische, sondern einfach anethische, jeder Ethik gegenüber disparate Erwägungen bestimmen das Verhalten in den entscheidenden Punkten und schieben zwischen die beteiligten Menschen unpersönliche Instanzen. Diese „herrenlose Sklaverei“, in welche der Kapitalismus den Arbeiter oder Pfandbriefschuldner verstrickt, ist nur als Institution ethisch diskutabel, nicht aber ist dies – prinzipiell – das persönliche Verhalten eines, sei es auf der Seite der Herrschenden oder Beherrschten, Beteiligten, welches ihm ja bei Strafe des in jeder Hinsicht nutzlosen ökonomischen Untergangs in allem wesentlichen durch objektive Situationen vorgeschrieben ist und – da liegt der entscheidende Punkt – den Charakter des „Dienstes“ gegenüber einem unpersönlichen sachlichen Zweck hat.“ 

Das bedeutet: hat man das System einmal akzeptiert, lässt sich darin keine ethische Verantwortung mehr wahrnehmen. Der Markt regelt jetzt die Dinge. Jede/r hat seine/ihre Rolle. Ethisch lässt sich dieses System allenfalls als Gesamtinstitution diskutieren.

Wir ahnen, warum die eingangs erwähnten Verbesserungsvorschläge nicht umgesetzt werden. Sie zerschellen am Sachzwang der Märkte. Eine Finanztransaktionssteuer? Geht aber nur global, sonst fließt das Geld dorthin, wo sie nicht erhoben wird. Steueroasen? Braucht die deutsche Wirtschaft auch, sonst ist sie benachteiligt und so weiter.

Der Appell an die Verantwortung in den Kernthesen des Impulspapiers (S. 153 ff) läuft weitgehend ins Leere. Wollten die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft sich daran orientieren, scheitern sie in der Regel. Horst Köhler (S. 15, 22f) ist ein Beispiel. Es ist mutig, dass die EKD – Kammer dieses heikle Thema anspricht und nicht resigniert. Aber es ist tragisch, dass sie das Marktsystem als Ganzes nicht ethisch zur Debatte stellt, obwohl die verheerenden Wirkungen so offensichtlich sind. Die Frage, ob die Weltwirtschaft wegen ihres Versagens im Blick auf den Grundbedarf der Menschheit nicht einen besonderen Bekenntnisfall der Kirche darstellt, liegt seit Jahrzehnten auf dem Tisch.  Heute kommt die ökologische Zerstörung dazu. Selbst den Menschen in den reichen Ländern geht es tendenziell schlechter, wie noch zu zeigen sein wird. Der auf Wachstum getriebene Motor dieses Systems gleicht einem Götzendienst (Fetischismus).

Erst wenn das gesehen und gesagt wird, öffnet sich der Debattenraum, den wir brauchen. Vom Wachstumsimperativ befreit, kann die Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden und sich dem konkreten Leben widmen. Erst dann ist Nachhaltigkeit möglich. Sie funktioniert nur nicht als zweiter Imperativ neben dem Wachstum. Von zwei Imperativen ist eben einer keiner mehr.

Das Impulspapier stellt sich erfreulicherweise hinter die ethische Grundforderung: „Geld soll dienen und nicht herrschen.“ (S. 157). Genau genommen ist das eine fundamentale Systemkritik. Wird sie umgesetzt, verliert der Finanzkapitalismus seine Macht. Aus dem ‚Es gibt keine Alternative‘ wird: wir brauchen eine Alternative, wenn die Gesellschaft enkeltauglich werden soll.

An Stelle einer Geld- bzw. Preissteuerung rückt dann in den Fokus, worauf es wirklich ankommt: die Würde aller Menschen / Lebewesen und die Begrenztheit des Planeten mit seinen Ressourcen.

Was das bedeutet, beschreibt der Postwachstumsökonom Niko Paech in etwa so:

„Gerechtigkeit heißt dann, wir reduzieren einen Wohlstand, der ökologisch ruinös ist und der überhaupt nicht von Menschen verdient sein kann. Es geht um die Rückgabe einer Beute. Unser Wohlstand beruht auf purer maschinenverstärkter Plünderung. Um das Verteilungsproblem zu lösen, stellt sich die Frage, wer sich noch wie viele materielle Freiheiten nehmen darf, ohne ökologisch und damit sozial über seine Verhältnisse zu leben. Und wenn wir das 1,5 Grad oder wenigstens das 2 Grad – Klimaschutzziel einhalten wollen, dann ist das damit noch zu vereinbarende Budget an CO2 – Äquivalenten auf alle lebenden Menschen aufzuteilen. Das wäre eine Tonne. Wir liegen in Deutschland bei zwölf Tonnen. Diejenigen, die am stärksten über ihre ökologischen Verhältnisse leben, haben auch die größte Reduktionslast zu tragen. Und wir werden mit Sicherheit nicht zu denen gehören, deren Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden.“

Nun hält sich die Zustimmung für diese Position sicher in Grenzen. Und doch bewegt sich gerade in der jungen Generation, in den for – Future – Bewegungen, einiges. Für den Abschied vom Wachstum gibt es noch weitere Gründe:

 Als Simon Kuznets in den 1930er Jahren das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messmethode im US – Kongress vorstellte, warnte er auch, sie jemals als normales Maß für wirtschaftlichen Fortschritt anzuwenden, denn damit sei auch ein Anreiz für zu viel Zerstörung geliefert. Eine Generation später äußerte sich der US-Politiker Robert Kennedy in einer Rede an der Universität von Kansas ähnlich:

„Das BIP misst weder unseren Verstand noch unseren Mut, weder unsere Weisheit noch unsere Bildung, weder unser Mitgefühl noch die Liebe zu unserem Land … Kurz, es misst alles außer dem, was das Leben lebenswert macht.“ Doch bis heute ist das BIP der vorherrschende Maßstab für Fortschritt überall auf der Welt. Wir sehen zwar die Diskrepanz zwischen den wirtschaftlichen Erfolgen und den sozial-ökologischen Verwüstungen, doch es steht noch aus, die von Kuznets gleichsam aus Versehen geöffnete Büchse der Pandora wieder zu schließen.

2014 veröffentlichte der Politologe Adam Okulicz-Kozaryn eine erstaunliche Entdeckung: Länder, in denen es stabile Wohlfahrtssysteme gibt, weisen die höchsten Werte beim menschlichen Glück auf. Gemeint sind: die Gesundheitsfürsorge, Arbeitslosenversicherung, Pensionen, bezahlter Urlaub und bezahlte Krankheitstage, bezahlbarer Wohnraum, Tagespflege und solide Mindestlöhne. Wer sich nicht über die täglichen Bedürfnisse den Kopf zerbrechen muss, kann die Kunst des Lebens genießen. Das erklärt, warum ein Land wie Costa Rica bei den Faktoren des Wohlbefindens mit denen der USA auf einer Höhe liegt, während die Einkommen nur ein Fünftel betragen.

Beim Sinngehalt wird es noch deutlicher. Dieser komplexe Zustand, der tiefer liegt als der Tumult der alltäglichen Gefühle, hat noch weniger mit dem BIP zu tun. Als sinnvoll erfahren Menschen ihr Leben, wenn sie die Möglichkeit haben, Mitleid, Kooperation, Gemeinschaft und Verbindung mit anderen Menschen zum Ausdruck zu bringen. Psycholog:innen sprechen von „intrinsischen Werten“. Sie haben nichts mit den äußeren Indikatoren zu tun, wie viel Geld man hat oder wie groß das Haus ist. Dabei sind intrinsische Werte mächtiger und dauerhafter als der flüchtige Adrenalinrausch bei einer Gehaltserhöhung oder durch materiellen Konsum.

Hinzu kommt: allgemein öffentliche Dienste können kosteneffizienter betrieben werden als ihre privaten Entsprechungen. Zum Beispiel gibt Spanien für die Gesundheitsversorgung jährlich nur 2.300 US – Dollar pro Person aus und erreicht damit einen Spitzenwert unter den Lebenserwartungen weltweit: 83,5 Jahre. Das sind fünf Jahre mehr als in den USA. Dort verschlingt das private, profitorientierte System horrende 9.500 US – Dollar pro Person, erreicht aber schlechtere Gesundheitsergebnisse und die Lebenserwartung ist niedriger. Ähnliches zeigt sich in anderen Staaten des globalen Südens, etwa in Sri Lanka, Ruanda, Thailand, China, Kuba, Bangladesh oder im indischen Staat Kerala. Ihre Regierungen investieren in die allgemeine Gesundheitsversorgung und in Bildung und erreichen damit Verbesserungen bei der Lebenserwartung sowie anderen Indikatoren gesellschaftlichen Wohlergehens trotz eines vergleichsweise niedrigen BIP pro Kopf. Laut UN – Angaben können Staaten mit jährlich 8.000,- US – Dollar pro Kopf (im Sinne von Kaufkraftparität KKP) die allerhöchste Kategorie des Lebenserwartungs-Index erreichen. Staaten können sogar mit weniger als 10.000,- US – Dollar pro Kopf in vielen weiteren sozialen Schlüsselindikatoren erfolgreich sein, nicht nur im Bereich Gesundheit und Bildung, sondern auch bei Beschäftigung, Ernährung, sozialer Unterstützung, Demokratie und Lebenszufriedenheit. Und sie bleiben damit innerhalb oder fast innerhalb der planetaren Grenzen. Diese Zahlen liegen alle deutlich unter dem globalen Durchschnitt von 17.600 US – Dollar BIP KKP pro Kopf. Das heißt: wir könnten für jeden Menschen auf der Welt alle unsere gesellschaftlichen Ziele erreichen, indem wir einfach in öffentliche Güter investieren und Einkommen und Chancen besser verteilen.

Ab einem gewissen Punkt funktioniert die Relation zwischen BIP und gesellschaftlicher Wohlfahrt nicht mehr. Jenseits dieser Schwelle hat weiteres Wachstum sogar allmählich eine negative Wirkung. Dies wird deutlich, wenn wir auch alternative Kennzahlen für Fortschritt betrachten, etwa den Indikator echten Fortschritts (Genuine Progress Indicator GPI). Beim GPI werden die persönlichen Konsumausgaben, von denen auch das BIP ausgeht, um die sozialen und ökologischen Kosten der wirtschaftlichen Aktivität bereinigt. Das heißt, der GPI liegt bei Null, wenn das Wachstum des BIP durch offene oder verdeckte Kosten wie Umweltschäden, Kriminalität oder abnehmende Gesundheit erzeugt worden ist. Nun zeigt sich, dass bis in die Mitte der 1970er Jahre der globale GPI zeitgleich mit dem BIP wuchs, dann aber abflachte und sogar abgenommen hat. Die sozialen und ökologischen Kosten schlugen mehr zu Buche und mussten durch die verbrauchsabhängigen Gewinne, die sich im BIP abbilden, aufgewogen werden. Der Ökologe Hermann Daly spricht von einem Wachstum, welches „unwirtschaftlich“ wird. Es schafft mehr „Schlechtstand“ als Wohlstand. Dies zeigt sich an mehreren Fronten: in einkommensstarken Ländern verschärft das fortgesetzte Streben nach Wachstum die Ungleichheit und die politische Instabilität. Es trägt infolge von Überarbeitung und Schlafmangel zu Problemen bei wie Stress und Depression. Durch Umweltverschmutzung verschlechtert sich die Gesundheit, Diabetes und Herzkrankheiten nehmen zu und so weiter.

Solange wir die Art und Weise unserer Wirtschaft nicht verändern, werden wir selbst mit 100 Prozent sauberer Energie das gleiche machen wie zuvor mit fossiler: Wir treiben Extraktion und Produktion unablässig voran, immer mehr und immer schneller und setzen die lebendige Welt immer stärker unter Druck, weil es das ist, was der Kapitalismus verlangt. Saubere Energie mag für weniger Emissionen eine Hilfe sein, aber um Entwaldung, Überfischung, Bodenverarmung und Massensterben rückgängig zu machen, trägt sie nichts bei. All das geht weiter, sonst rutscht die Wirtschaft in die Rezession: Schulden türmen sich auf, Menschen verlieren Arbeitsplatz und Wohnung. Regierungen haben alle Hände voll zu tun, die industrielle Aktivität am Wachsen zu halten und Krisen abzuwehren. Politiker:innen der Linken und Rechten mögen sich streiten, wie die Früchte des Wachstums zu verteilen sind. Wenn es um das Streben nach Wachstum selbst geht, sind sie sich einig. Noch keine Partei kommt bislang auf die Idee, das zu hinterfragen. Wir haben jede Menge Ideen, um die ökologische Katastrophe noch zu stoppen, aber wir setzen sie nicht um, weil wir damit das Wachstum untergraben könnten. Zeitungen berichten von ökologischen Katastrophen und sind gleichzeitig begeistert, wie das BIP in jedem Quartal wächst. Politiker:innen beklagen händeringend die Klimakrise und rufen gleichzeitig pflichtbewusst nach mehr industriellem Wachstum. Die kognitive Dissonanz ist bemerkenswert, stellt Jason Hickel fest. 

Die selbst gesetzte Beschränkung des Denkens auf Reparaturen innerhalb des Marktsystems ist keineswegs nur ein Problem in den Kirchen. Die EKD kann auch nicht in die Finanzwirtschaft eingreifen. Das ist richtig. Aber was das Wort Gottes uns im Blick auf die Zeichen der Zeit zu sagen hat, das wäre schon interessant. Und wenn diese Botschaft aus der Herrschaft des Geldes ausbricht, wäre das zuzulassen. Es könnte ja sein, der Konziliare Prozess wird dann zum Kerngeschäft der Kirche. Was denn sonst? Im Namen des dreieinigen Gottes: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung.

Christkreuz – Ein evangelisch-christliches Zeichen auf Friedhöfen innovativ und erfolgreich dargestellt. Der Praxistest. 

von Jürgen König, Werner Landgraf, Christian Schwarz und Marco Ulbricht

Das Kreuz auf dem christlichen Grab symbolisiert nicht den Tod, sondern die Überwindung des Todes am Beispiel Jesu. Es bezeugt das ewige Leben, das in Gottes Händen ist.

Im Gegensatz zu Steinblöcken aus Granit, die über tausenden Kilometer aus Fernost herbeigeschafft werden, die mehr und mehr auch unsere Friedhöfe optisch dominieren, vermag ein Christkreuz aus dem Hartholz heimischer Wälder nicht nur das evangelisch-christliche Kreuzsymbol wiederzubeleben, sondern auch haltbar dauerhaft zu präsentieren. Auch die bei uns gewachsenen Harthölzer (Ringporer – mit sehr breiten und widerstandsfähigen Spätholzbereichen) besitzen ähnlich gute Haltbarkeitseigenschaften, wie bestimmte Harthölzer der Tropen (vgl. König 2003, 2006; König et al. 2008 a,b,c) und sind unter bestimmten Voraussetzungen dauerhaft.

Patentgestützt vermag eine feste Verbindung zwischen die Kantholzkonstruktion und dem darunter befindlichen Boden das Hartholz vor Staunässe zu schützen und somit dem aufstehenden Holzkreuz und dem Grabrahmen eine lange Lebensdauer zu ermöglichen.

Praxiserprobung

Nach der Konzeption und Herstellung des Christkreuzes wurde es auf verschiedene Weisen in der Praxis erprobt. (…) Das christliche Kreuz (…) wurde zur Darstellung der optischen Erscheinung wie auch seiner Haltbarkeit z. B. auf dem Friedhof in Gadegast errichtet (Abbildung 1).

Abb.1: Darstellung des Christkreuzes, bestehend aus Rahmen und dem Christkreuz selber auf dem Friedhof in Gadegast bei Wittenberg. Werner Landgraf (rechts) und Marco Ulbricht bei der Errichtung des Christkreuzes.
© Archiv J. König

Die vorgefertigten Einzelteile aus massiven und polierten Kanthölzern (Hartholz) werden vor Ort mit wenigen Handgriffen stabil zusammengesetzt und mittels der acht Kammgabel-Verbindungen etwa 5 cm über dem Erdboden ausreichend stabil fixiert. Auf dem Rahmen halten zwei optisch ansprechende Edelstahlplatten das Christkreuz mittels acht Schraubverbindungen. Ganz individuell kann dann der Rahmeninhalt gestaltet werden. Es ist dabei zu beachten, dass von innen kein Feinboden den Holzrahmen berühren sollte, also keine Staunässe von innen an das Holz kommt.

Das Format des Christkreuzes (Dimensionierung, Höhe etc.) sowie des Rahmens richtet sich nach der jeweiligen Friedhofsordnung. Neben der ansprechenden Form wurde von Prüfern nachgewiesen, dass die Rahmenkonstruktion in Verbindung mit dem aufstehenden Holzkreuz stabil war und auf Grund der robusten Abstandhalter keine Staunässe über den Boden eindringen kann.  Trotz der kontaktfreien Höhe über dem Boden von ca. 5 cm zeigte sich, dass die Konstruktion (Rahmen und Christkreuz) über die Kamm-Gabel-Verbindungen ausreichend fixiert war (Abbildung 2).

Abb.2: Das Christkreuz, dargestellt 2022 auf dem Friedhof in Gadegast. Zwischen dem Kantholzrahmen und dem Boden besteht ein ca. 5 cm hoher, luftdurchlässiger Freiraum, der aus optischen Gründen mit Grobkieseln verblendet wurde. So kann einerseits keine Staunässe aus dem Boden das Holz berühren und andererseits Regenwasser schnell abtrocknen. © Archiv J. König

Das Christkreuz wurde mit zwei Edelstahlplatten auf dem Rahmen mittels 8 Schraubenverbindungen nachgewiesenermaßen fest fixiert und erhält eine Edelstahlabdeckung auf der Oberseite. Das Christkreuz wurde auf dem Friedhof von Gadegast von verschiedenen kirchlichen Würdenträgern begutachtet und als praxistauglich befunden.

Insbesondere die Idee, eine optische Einheit von Rahmen und Christkreuz zu gestalten, macht unseres Erachtens das natürliche Bild der hölzernen aber robusten Grabstättengestaltung aus. Es ist als Paket versandfertig und kann binnen kurzer Zeit in alle Bundesländer ausgeliefert werden. Neben einer Bauanleitung besteht die Möglichkeit, das Christkreuz auch von unseren Mitarbeitern errichten zu lassen. Wirksam wurden Flyer im gesamten deutschsprachigen Raum verteilt, um auf diese Möglichkeit der christlichen Bestattung hinzuweisen. 

Die innovative Idee unserer Arbeitsgruppe zur öffentlichen Darstellung des Christkreuzes wurde aber auch bedauerlicherweise von verschiedenen Seiten nicht unterstützt bzw. behindert. Teils sollte das Gesamtangebot, bestehend aus Kreuz und Rahmen, aufgespalten werden, was zu einer Steinumrandung separater Anbieter führen würde (mit entsprechender preislicher Entwicklung), andererseits war auch die Präsentation des Grabmahles auf bestimmten Friedhöfen bisher nicht möglich. Es wurden sogar Argumente geäußert wie: „Es solle nicht so aussehen, wie auf einem Soldatenfriedhof.“ (mündlich).

Ausblick

Die Arbeitsgruppe „Christkreuz“ wird weiterhin im gesamten deutschsprachigen Raum für die Bekanntgabe und Öffentlichkeitsarbeit sorgen, denn es handelt sich hierbei nicht nur um einen Impuls der Renaissance dieses christlichen Symboles auf unseren Friedhöfen, sondern auch um ein realisierbares Angebot, das dem Granit-Stein durchaus ersetzen kann und aus nachwachsendem, heimischen Hartholz besteht. 

Zu den Autoren

Dr. Jürgen König, Roßleben, Thüringen, Dr. rer. silv. Dipl.-Ing. f. Forstwirtschaft
Werner Landgraf, Iserbegka, Zahna-Elster, Sachsen-Anhalt
Christian Schwarz, Evangelischer Pastor i.R., Wismar, Mecklenburg-Vorpommern
Marco Ulbricht, Zahna-Elster, Sachsen-Anhalt, Steinmetz-Meister 

Anm. d. Red.: der Text wurde gekürzt und kann in ganzer Länge mit Quellenangaben bei der Redaktion abgerufen werden.

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Siegrun Höhne

Kirchlicher Dienst auf dem Land, Umweltmanagement der EKM, Leiterin der Studienstelle/ KFH
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