Es braucht nicht viel: ein offener Raum, ein paar Stühle im Kreis, eine Einladung zum Gespräch – und die Bereitschaft, einander wirklich zuzuhören. Der erste Abend unseres neuen Formats „am Gartenzaun – Zusammenkommen, Sprechen, Zuhören“ in der Evangelischen Akademie Wittenberg hat gezeigt, dass genau das möglich ist. Und dass es Bedarf an ehrlichem Austausch gibt.
Man spürte es von Anfang an: Die Menschen, die sich an diesem Abend auf den Weg zu uns gemacht hatten, kamen mit unterschiedlichen Geschichten, Erfahrungen und Haltungen. Manche kannten die Akademie, andere betraten sie zum ersten Mal. Einige waren zufällig aufmerksam geworden, andere hatten gezielt die Begegnung gesucht. Was sie verband, war ein Wunsch, der in unserer Zeit fast schon utopisch klingt: der Wunsch nach dem aufrichtigen Gespräch.
Gespräch als demokratischer Erfahrungsraum
Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Meinungen lauter, die Positionen fester und die Gräben tiefer zu werden scheinen. Umso bemerkenswerter war die Atmosphäre an diesem Abend. Nicht, weil alle einer Meinung gewesen wären – im Gegenteil. Aber weil es möglich war, Differenz auszuhalten. Mehr noch: Sie wurde zur Voraussetzung für echte Begegnung.
In Vierer-Gruppen tauschten sich die Gäste über die Frage aus: „Wie geht es mir mit der Demokratie in unserem Land?“
Das Besondere an der Gesprächsführung war, dass jede Person bis zu vier Minuten ungestört sprechen oder auch schweigen durfte. Die Gruppen einigten sich darauf, einander nicht zu unterbrechen und auf Rückfragen zu verzichten. Auf diese Weise wurden drei Gesprächsrunden gestaltet.
In der großen Runde fanden die Teilnehmenden bewegende Worte. Eine Aussage blieb besonders haften:
„Der Abend hat mir gezeigt, dass ich das Zuhören genauso lernen muss wie das Argumentieren.“
Eine andere Stimme ergänzte:
„Das Sprechen und urteilsfreie Zuhören hat uns etwas nähergebracht.“
Diese Rückmeldungen verweisen auf etwas Grundsätzliches: Demokratie sind nicht nur Institution und Verfahren – sie ist eine Kultur. Und diese Kultur beginnt im Kleinen. In einem Raum wie diesem. An einem Gartenzaun, der nicht nur trennt, sondern verbindet.
Demokratie ohne Entscheidungsdruck – und doch nicht ohne Richtung
Ein Satz aus der Abschlussrunde hallt nach:
„Das Format lässt uns näher zusammenrücken, weil wir darauf abzielen, einander zuzuhören und keine Entscheidungen fällen müssen. Für das demokratische Miteinander ist das unerlässlich. Gleichzeitig merke ich, dass wir auch andere Formen brauchen.“
Diese Beobachtung berührt einen zentralen Punkt: Gesprächsformate wie „am Gartenzaun“ schaffen einen Raum, in dem Beziehung vor Position, Hören vor Handeln steht. Gerade weil kein Konsens erzwungen wird, entsteht Offenheit. In einer Zeit, in der Diskussionen oft performativ und auf Schlagfertigkeit ausgelegt sind, ist das eine wohltuende und politische Erfahrung im eigentlichen Sinne des Wortes.
Und doch: Demokratie braucht beides – Dialog und Entscheidung, Begegnung und Gestaltung. Der Satz verweist auf eine produktive Spannung, die in der demokratischen Kultur immer wieder neu austariert werden muss. Zuhören allein ist nicht genug. Aber ohne das Zuhören – das urteilsfreie, wache, ernsthafte Zuhören – verliert auch jedes Handeln seine Legitimität.
Vielleicht liegt genau hier die Herausforderung für die Zukunft solcher Formate: Sie dürfen nicht in folgenlose Verständigung münden, aber auch nicht vorschnell in Beschlusslogik kippen. Sie müssen Räume öffnen, in denen gesellschaftliche Differenz ausgehalten wird – und aus denen zugleich Impulse in die Praxis zurückfließen.
Was brauchen wir also, um diese Spannung fruchtbar zu machen? Welche ergänzenden Formate könnten helfen, das Gehörte weiterzutragen – in kommunale Prozesse, in Bildungszusammenhänge, in persönliche Verantwortung?
Resonanz und Ausblick
Auch bei den kommenden Gesprächsabenden wollen wir diese Fragen in Bewegung halten. Die Teilnehmenden haben signalisiert, dass sie wiederkommen möchten. Das bestärkt uns, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Der nächste Gesprächsabend findet am 21. August statt. Das Thema wird kurz vorher veröffentlicht.