„Der Stress hat mich vollständig eingenommen. Ich bin in Panik, ich bin schlaflos, ich liege in meinem Bett und höre den Alarm und die Explosionen. Es ist grausam. Normalerweise schläft meine Katze ruhig in der Ecke. Jetzt liegt sie scheu auf meinen Beinen, wie als würde sie mich um Hilfe bitten.
Wir brauchen jetzt sofort Hilfe. Wir bitten euch, sperrt den ukrainischen Luftraum. Ich denke viel an die Mütter der russischen Soldaten. Sie sind [die] Einzigen, die den Krieg stoppen können. Wenn sie jetzt schweigen, werden sie ihre Söhne nicht wiedersehen.“ Olga aus Charkiw (Quelle: ZEIT: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/ukraine-stimmen-vor-ort-slowblog)
Die Bilder und Berichte sind kaum zu ertragen. Die Verzweiflung und die Angst der Menschen sind bis hier her zu spüren. Die Ohnmacht dieser Bilder entlädt sich auch in spontanen Hilfsaktionen; auch hier in Wittenberg sind nun Geflüchtete angekommen, die Unterkunft, Kleidung und Nahrung bekommen von Menschen, die auch ihre privaten Häuser öffnen. Immer wieder hört man von Betroffenen in den Kriegsgebieten auch, wie wichtig diese Solidarität und diese Zeichen der Verbundenheit sind.
Es braucht diese Solidarität jetzt und vermutlich auch noch eine lange Zeit. Es braucht diese Solidarität auch dann noch, wenn wir von den Bildern abgestumpft sind, wenn sich die erste Ohnmacht in Gewöhnung verwandelt hat. Es wird diese Solidarität auch dann noch brauchen, wenn vielleicht im nächsten Winter auch bei uns Wohnungen kalt bleiben und der Sprit an der Tanke 3,10 € kostet, wenn auch hier zu Lande aus sozialer Ungleichheit Not und Ungerechtigkeit wird.
Wenn wir als Kirchen seit einigen Jahren vom gerechten Frieden sprechen, dann meint das, dass Frieden noch nicht die Abwesenheit von Krieg ist und äußere Sicherheit nicht vorschnell mit Gerechtigkeit verwechselt werden darf.
Wir brauchen das Gebet um gerechten Frieden im Inneren wie im Äußeren – mehr denn je!
Aber reicht das? Wann ist der Punkt gekommen, wo wir uns nicht damit begnügen können, die Menschen unter dem Rad zu verbinden, sondern wo wir dem Rad selbst in die Speichen greifen müssen?
Ist es nicht auch ein Gebot der Solidarität, Waffen zu liefern, eine Flugverbotszone einzurichten? Wir waren in der vergangenen Woche in der Diskussion im Kollegium erschrocken, wie schnell wir uns in die Logik des Krieges hineinbegeben.
Zum Gebet für den Frieden gehört für mich deshalb heute auch die Mahnung zur Sorgfalt der Worte und die Erinnerung an die Fähigkeit zur Differenzierung.
Beides gerät schnell unter die Räder, in einer Gesellschaft, in der sich die Wogen der Empörung genauso schnell aufschaukeln, wie wir es jetzt gerade mit der gewaltigen Welle der Solidarität erleben.
Ja, die Ukrainer verteidigen ihre Freiheit und Werte, die sie eng mit uns verbinden. Aber wir sollten sehr vorsichtig und zurückhaltend sein, wo und wie wir Putins Krieg zu unserem Krieg machen. Wir sind nicht im Krieg – auch wenn es sich wegen unserer Fähigkeit zur Solidarität, der hohen Empathie und großen Sympathie mit den Menschen in der Ukraine so anfühlt, als würde die Freiheit Europas auch am Dneper verteidigt.
Gewalt ist keine Lösung. Wir werden als Kirche keine Waffen segnen; Waffen bringen Krieg und keinen Segen. Aber wir können Respekt haben für die politischen Entscheidungen unserer Regierung, die nicht für unser Heil oder unsere Moral, sondern für unsere Sicherheit verantwortlich sind.
Es gibt keinen gerechten Krieg. Und ich weiß, wie dringend die Menschen in den Städten der Ukraine auf eine Flugverbotszone hoffen.
In der Logik des Krieges gibt es keine Sieger. Niemand geht ohne Schuld vom Schlachtfeld. Das wusste auch Bonhoeffer, als er dazu aufrief, dem Rad in die Speichen zu fallen. Er tat es in dem Bewusstsein, schuldig zu werden.
In einem Diskussionspapier der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zum gerechten Frieden heißt es:
„Der Streit darüber, wie diese Gewaltlosigkeit auch beim Schutz der Nächsten […] gelebt werden kann, ist unerlässlich, da wir durch Tun wie durch Unterlassen schuldig werden.“ (Quelle: Diskussionspapier der EKM, Kirche des gerechten Friedens werden. https://gerechterfriede.pti-ekmd.de/ )
Der Grat ist schmal, der zum Handeln bleibt. Beten wir um Weisheit für die Verantwortlichen, lassen Sie uns besonnen sein in der Wahl unsere Worte und in der Übernahme der Logik des Krieges und lassen Sie uns zusammen stehen in unserem Engagement zur Linderung der nackten Not.
Gib Frieden, Herr, wir bitten! Die Erde wartet sehr. Es wird so viel gelitten, die Furcht wächst mehr und mehr. Die Horizonte grollen, der Glaube spinnt sich ein. Hilf, wenn wir weichen wollen, und lass uns nicht allein. (Evangelisches Gesangbuch, Nr. 430,2)
Amen