Diskurs

Ein Liebesgeständnis an Emma Goldman

Emma Goldman in schwarz-weiß
Emma Goldman

Zwischen Freiheit, Gleichheit und Leidenschaft lebte die Anarchistin und Feministin Emma Goldman in einem Zeitalter des Umbruchs von 1869 bis 1940.

Professorin Barbara Holland-Cruz schafft es in ihrem Vortrag am 20.09.23 in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, der an ein Liebesgeständnis besonderer Art zwischen zwei emanzipierte Frauen erinnert, Goldmans Leben in schillerndem Facettenreichtum darzustellen. Ebenso zeigt sie auch ihr politisches Wertesystem auf, das heute nicht weniger brisant sein könnte.

In die Vortragsreihe über außergewöhnliche, aber ebenso unterrepräsentierte Frauen der Geschichte, gliedert sich Emma Goldman ein. Obwohl sie ihrer Zeit nicht gerade unbekannt war, sondern gerade in den USA, aber auch in Europa mit mitreisenden Vortragsreisen polarisierte, verloren ihre feministischen und linken Ideen im Laufe der Zeit an Bedeutung. Sie werden durch vor allem männliche, idealisierte Linke überschattet und ein Diskurs um Goldmans Ansätze versiegt.
Trotzdem sind ihre Gedanken zu Radikalität, Freiheit und Revolution in den letzten Jahren, zwischen Klimawandel, Pandemie und erstarkenden rechten Idealen, erneut höchst aktuell. So habe sich Emma Goldman stark für Demokratie, Antimilitarismus und Freiheit in der Liebe ausgesprochen, erklärt Professorin Holland-Cruz. Aspekte, die in den letzten Jahren, in Bezug auf die Kriegssituationen im Nahen Osten oder den russischen Angriffskrieg ebenso wie auf die prekäre Situation von queeren Menschen, nur teils an Relevanz verlieren konnten. Auch ihre Gedanken zu einem Leben in anarchistischer Subsistenz und zu Wachstumskritik sind im momentanen Diskurs zu Überbevölkerung und klimaschonenden Lebensweisen ein unbeachteter, aber bereichernder Beitrag.

Ebenso scheint ihr sich im Laufe ihres Lebens wandelnder Standpunkt zu Radikalität auch heute wieder relevant. Im Kontext der Protestaktionen der Letzten Generation für Klimaschutz und gegen die Versäumnisse der internationalen Regierungen sind diese immer wieder in große Kritik der Öffentlichkeit geraten, da sie häufig als zu radikal gelten. Auch die wachsende Zahl an Links- und Rechtsextremen führt zu einem großen Diskurs in der Zivilgesellschaft. In revolutionären und oft jungen Kreisen scheint Radikalität einziger Ausweg aus den vorherrschenden Missständen zu sein. Immer mehr Menschen verurteilen diese jedoch scharf, was die Gesellschaft in einigen Punkten stark spaltet. Goldman selbst durchlebt einen großen Wandel in Bezug auf ihre Ideale und findet sich in einem Zwiespalt wieder, so Professorin Holland-Cruz. In ihren frühen Jahren habe sie noch die politischen Gewalttaten ihrer Genoss/-innenund Freund/-innen verteidigt, in dem sie Gewalt als legitimes Mittel gegen ein gewalttätiges System deklariert. Erst später hätte sie diese Position revidiert und sich zunehmend gegen diese Form des Widerstands ausgesprochen.

Hier zeigt sich auch eine besondere Stärke der feministischen Anarchistin, stellt die Vortragende fest. Goldman hinterfrage ihre politische Herkunft ständig und versuche eigene politische Ideale zuerst auf sich selbst anzuwenden. Diese Verknüpfung zwischen Politik und eigener Lebensrealität lasse sie immer wieder eine Gratwanderung zwischen moralischen Vorstellungen und eigener Emotionalität bewältigen müssen. Beispielsweise habe sie nach ihrem Aufenthalt in der Sowjetunion, diese mehr als stark verurteilt. Sie habe durch eine solche Kritik am Helden Lenin und der Traumvorstellung eines sozialistischen Staates in linken Kreisen ihren Status verloren und habe teils sogar als Konterrevolutionärin gehalten. Für Goldman bestehe jedoch so der einzige Weg sich ihre eigene Moral zu erhalten. Auch wenn dieses Hinterfragen der eigenen Strukturen und Ideen ihr Leben häufig erschwert und sie emotional und sozial in angespannte Situationen versetzt, ist es ein Ideal, das jederzeit angestrebt werden sollte, sobald man etwas verändern möchte.

Und auch ihre Rolle als weibliche Aktivistin und die dadurch bedingten Vorurteile haben sich im Vergleich zu Jahrhundertwende um 1900 leider nur wenig geändert. Wer als weiblich gelesen Person seine Stimme gegen Ungerechtigkeiten erhebt oder lediglich für seine eigene Meinung einsteht, wird als hysterisch wahrgenommen und als aggressiv verpönt. Dies steht in enormer Differenz zu männlich gelesen Menschen, denen hierdurch Attribute wie Durchsetzungsstärke oder klare Idealvorstellungen zugewiesen werden. Es zeigt sich eben auch im gesellschaftlichen Vergessen für bedeutende Frauen der Geschichte, wie etwa Emma Goldman, die von ihren männlichen Mitstreitern überschattet werden, auch wenn sie zu ihrer Zeit eine gleiche oder sogar größere Bedeutung hatten.

Und so ist Emma Goldman ein Paradebeispiel für die vergessene Brillanz starker Frauen, die auf ihre ganz eigene Weise neue Blickwinkel auf die Welt ermöglichen, mit besonders scharfem Auge Ungleichheiten erkennen, die für ihre männlichen Mitstreiter ein blinder Fleck bleiben und Vorbild sein können. So steht es in unserer Pflicht, diesen unterdrückten Teilen der Gesellschaft Fläche und Beachtung zu schenken, wie etwa durch den Vortrag von Professorin Holland-Cruz, welcher ein diverses Publikum anlocken konnte. 

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