Diskurs

E-Mail von der Kanzel Dr. Luthers

Eine polemische Auseinandersetzung!

“Email von der Kanzel Doktor Luthers“ – mit diesem Hinweis auf der Titelseite nehme ich das Vatican Magazin zur Hand. Dieses Magazin wird von Ludwig Ring-Eifel bezeichnet als: “Kristallisationspunkt der konservativ-papsttreuen Gegenöffentlichkeit deutscher Zunge“. (https://www.katholisch.de/artikel/2152-die-trauer-der-rebellen)

Zu Recht also bin ich gespannt, welche Botschaft von Luthers Kanzel gewürdigt wird, so prominent angekündigt und überhaupt in diesem katholisch-konservativem Blatt veröffentlich zu werden.

Meine Neugierde wird nicht enttäuscht. Denn von Luthers Kanzel werden die Protestantisierungsbestrebungen in der Katholischen Kirche gegeißelt. Von Luthers Kanzel eine Kritik der Reformation – das muss den Herausgebern (!) gefallen.

Alexander Garth – einer der Pfarrer, die in der Stadtkirche zu Wittenberg predigen – kritisiert in seiner Email von der Kanzel Doktor Luthers die Reformbestrebungen unzähliger Katholik*innen, die sich aus guten Gründen um ihre Kirche sorgen und für diese engagieren. Dem Synodalen Weg und der Bewegung Maria 2.0 etwa wird der Versuch einer Demokratisierung der Katholischen Kirche vorgeworfen, der zu einer Banalisierung und Profanisierung führen würde. Und der im Fall der Protestantischen Kirchen – die diesen Weg ja gegangen seien – zum Versagen dieser Kirchen im III. Reich geführt habe. Natürlich mit der rühmlichen Ausnahme von Dietrich Bonhoeffer.

Das ist gelinde gesagt mit sehr heißer Nadel gestrickt und sollte besser nicht historisch überprüft werden. Und damit ist nicht nur die neuerdings moderne Inanspruchnahme Dietrich Bonhoeffers für neurechte und konservativ-reaktionäre Überzeugungen gemeint.

Es gehört schon viel Selbstüberzeugung dazu, hochengagierten Menschen in der Katholischen Kirche und für die Katholische Kirche mit solchen Vorwürfen entgegenzutreten – Menschen, die sich für Aufklärung schlimmer Verbrechen im Klerus und für eine Beendigung der Diskriminierung von Menschen durch die Hierarchie einsetzen. Dafür alleine wäre eine Entschuldigung angemessen.

Aber schauen wir auf die Kritikpunkte, die von der Kanzel Doktor Luthers laut werden. Was hat die Evangelische Kirche anfällig gemacht für die Vereinnahmung durch die Nazis und trägt zu ihrer Banalisierung und Profanisierung bei?

Ein erster Punkt – Frauen als Priester. Das ist natürlich doppelt falsch. Es wären in dem Fall Priesterinnen. Aber in der Protestantischen Kirche reden wir aus guten Gründen von Pfarrer*innen und Pastor*innen. Denn das allgemeine Priestertum aller Glaubenden ergibt sich aus der Taufe. Die Aufgaben, die sich aus der Ordination ergeben, sind keine priesterlichen, sondern ordnungstheologische – nämlich die Verwaltung der Sakramente und die öffentliche Wortverkündigung (die allerdings von der Gemeinde geprüft werden soll).

Nun aber stellt sich die Frage an Pfarrer Garth: Ist ernsthaft die Ordination von Frauen an der postulierten Banalisierung der Protestantischen Kirche schuld? Ich kann darin nur den Ausdruck einer fragilen Männlichkeit sehen, der weder theologisch noch evolutionsanthropologisch begründbar ist. Ein einziges und schwaches Argument spricht für die Ablehnung – die Tradition. Und da erlaube ich mir auch den Verweis auf ein Papstwort: “Jesus Christus spricht: Ich bin die Wahrheit. Und nicht: Ich bin die Gewohnheit.“ Etwas, das vor langer Zeit schon falsch war, wird durch Dauer nicht richtig. Es ist nur länger falsch.

Glücklicherweise leben wir in Zeiten, wo sich die Machtverhältnisse zu ändern beginnen. Heute müssen nicht mehr die Diskriminierten begründen, warum sie nicht mehr diskriminiert werden wollen. Heute stehen die in der Pflicht zu begründen, die diskriminieren wollen.

Eine zweite Kritik trifft den Synodalen Weg. Dies ist eine Einrichtung der Katholischen Kirche, in der die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam an der Aufarbeitung des massiven Missbrauchs von Geistlichen arbeiten. Wenn das wirklich zur Profanisierung und Banalisierung der katholischen Kirche beitragen sollte, wäre diese alternativlos. Denn offensichtlich sind die Personen, die nach der Email von Doktor Luthers Kanzel allein die Banalisierung der Kirche aufhalten können, nicht in der Lage oder Willens gewesen, die Verbrechen vieler Kleriker zu verhindern oder aufzuklären – oder dazu, die Opfer zu schützen.

Die dritte Kritik mag verblüffen – verheiratete Pfarrer: Auch diese tragen ihren Teil dazu bei, dass die Protestantischen Kirchen von den Auswirkungen der Säkularisierung verheerender getroffen werden. Und diese Kritik im Jahre 2021, in welchem wir 500 Jahre Evangelisches Pfarrhaus feiern! Am 24. August heirateten Bartholomäus Bernhardi, der als Pfarrer in Kemberg arbeitete, und Gertraude Pannier. Hätte der damalige Prediger auf der Kanzel Doktor Luthers gewusst, was damit einsetzen würde – eben die Banalisierung und Profanisierung der Protestantischen Kirche, die dazu führen würde, dass eben diese Kirche im III. Reich mit den Nazis gemeinsame Sache machen würde, hätte er ihn wohl nicht zu seinem Mut beglückwünscht und Gottes Segen gewünscht. Der Prediger auf der Kanzel Doktor Luthers hieß übrigens Doktor Luther, der sich zu dieser Zeit jedoch auf der Wartburg befand. Vielleicht hatte das ja seinen Blick getrübt.

Dass als letzter Punkt der Feminismus in den Protestantischen Kirchen schuldig gesprochen wird, für die Banalisierung und Profanisierung verantwortlich zu sein, vermag jetzt nicht wirklich zu überraschen. Es ist sicher kränkend für uns Männer, dass die biologische Zugehörigkeit zu einem Geschlecht als Qualifikation nicht mehr ausreicht. Das kann durchaus auch als Banalisierung empfunden werden. Aber zur Beteiligung an den Verbrechen des III. Reiches hat der Feminismus nicht beigetragen. Die verantwortlichen “Geistlichen“ dieser Zeit waren ausschließlich Männer und zu einem großen Teil stramm konservativ-reaktionär. Und es ist sehr fraglich, ob sie sich dem Lob für Bonhoeffer angeschlossen hätten, welches ihm heute von konservativen und reaktionären Theologen entgegengebracht wird.

Das Urteil über die Protestantischen Kirchen ist deutlich – die Schlussfolgerung überraschend. Empfiehlt doch der Prediger auf Doktor Luthers Kanzel dem Magazin: “Sagen Sie deshalb bitte den „Reformern“:

„…

2) Wenn Sie unbedingt diese andere Kirche wollen, werden Sie doch evangelisch. Dort ist alles umgesetzt, was Sie anstreben.“

Will also der “Pfarrer auf der Kanzel Martin Luthers“ die Banalisierung und Profanisierung der Protestantischen Kirchen (inkl. der Anfälligkeit für die neurechten Strömungen) vorantreiben?

Und andersherum gefragt: Was hält ihn noch in dieser Kirche? Wäre es nicht konsequent – gerade für einen Nachfolger auf der Kanzel Doktor Luthers – die Konsequenzen zu ziehen und katholisch zu werden? Das sogenannte Laienelement (in der Kirche gibt es keine Demokratie) – sehr begrenzt. Keine Frauen an entscheidenden Stellen – schon gar nicht als Priester (!). Die seelsorgerliche Praxis schließt Klarheit nicht aus und Barmherzigkeit nicht notwendig ein – etwa, wenn geschiedenen Wiederverheirateten die Eucharistie verweigert wird. Missbrauch Schutzbefohlener und dubiose Bankgeschäfte werden intern geregelt (wenn auch nicht unbedingt im Sinne der Opfer) und der Papst und die Heiligen werden geehrt.

Was also vermag den Pfarrer auf der Kanzel Martin Luthers noch auf der Kanzel Martin Luthers zu halten? Hier betrete ich das Reich der Vermutungen: Die Banalisierung und Profanisierung der Protestantischen Kirchen, die es ihm ermöglichen, als Pfarrer auf der Kanzel Martin Luthers solche Emails zu schreiben.

Zwischenzeitlich fand ein Gespräch mit A. Garth statt. Dabei konnten wir einen fundamentalen Dissens feststellen in der Frage, wer oder was die Kath. Kirche sei – die Hierarchie oder die Frauen, Männer und Kinder, die die Kirche bilden. Auch im Blick auf das, was Kirche ausmache, konnten wir nur Überzeugungen austauschen. Gibt es so etwas wie einen Markenkern der jeweiligen Kirchen – im Falle der Katholischen Kirche eine autoritär-hierarchische Struktur. Oder sollten sich die Kirchen am Evangelium orientieren und sich entsprechend reformieren. Und als letzter Punkt war die Frage nach der Perspektive in der Gewichtung strittig. Nach meiner Überzeugung kann es nur die Perspektive derer sein, die zum Opfer gemacht werden, die für die Kirche in ihrem Handeln relevant ist – auch, wenn das ein protestantischer Tunnelblick  sein sollte (Gegen diese Annahme stehen aber erfreulicherweise viele Katholik*innen, die ebenfalls diese Perspektive einnehmen.).

Der Verfasser der E-Mail fühlte sich falsch verstanden. Auch das haben wir im Gespräch herausgearbeitet. Und sind gerne bereit, diese Fragen weiter zu diskutieren und ihm Raum für eine Klarstellung zu geben.

Der Text der Mail ist hier nachzulesen: https://de.catholicnewsagency.com/article/brief-eines-protestantischen-pastors-aus-wittenberg-1354

Paul F. Martin

Studienleitung Theologie/ Gesellschaft/ Kultur
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