Rechtsextremismus wird immer noch als männliches Phänomen wahrgenommen und Neonazis sind in den Köpfen als muskulöse, glatzköpfige Männer in Bomberjacken verankert. Doch das Bild der extremen Gruppe ist divers und setzt in der Mitte unserer Gesellschaft an. Und so finden sich Frauen in allen Ebenen der extremen Rechten wieder, werden aber kaum als Akteurinnen und Täterinnen identifiziert. Um diesem Thema eine Fläche zu bieten, ist es im Zeitraum vom 19.03. bis zum 28.03.2024 Schwerpunkt auf Instagram geworden.
RECHTSEXTREME KONTAKTE SIND NIEMALS HARMLOS – WER SICH DAFÜR ENTSCHEIDET, TOLERIERT MENSCHENFEINDLICHE IDEOLOGIEN.
Was ist Rechtsextremismus? – von Hufeisen und Ungleichheit
Als stetig diskutierter und kritisierter Begriff steht Rechtsextremismus für alle Ideologien, Verhaltensweisen und Einstellungen, der die Ungleichwertigkeit von Menschen angesichts von Ethnie und anderen Merkmalen zugrunde liegen. Zudem stellen sie sich zumeist gegen die demokratische Grundordnung und zielen auf eine Umgestaltung zu einer autoritären und rassistisch definierten „Volksgemeinschaft“ ab.
Nun noch ein kurzer Blick auf die Hufeisentheorie:
Die häufig angewandte Extremismustheorie, bei der die politische Landschaft nicht geradlinig, sondern als Hufeisen mit gemäßigter Mitte und naheliegenden, extremen Eckpunkten dargestellt wird, gilt als überholt. So wird ein Bild vermittelt, nach dem die linken und rechten Kräfte mehr miteinander gemein haben als mit der demokratischen Mitte. Diese Darstellung gilt allerdings als eindimensional und lässt verschiedene Aspekte außen vor.
Die Rolle der Frau in der extremen Rechten
Frauen nehmen aus mehreren Gründen immer häufiger Schlüsselpositionen in der extremen Rechten ein. Das Stichwort Doppelte Unsichtbarkeit spielt hierbei eine große Rolle. So werden weiblich gelesene Personen¹ von der Gesellschaft als weniger gewalttätig und politisch uninteressiert wahrgenommen. Dies lässt sie in extremen Gruppen zumeist von Staat und Polizei unentdeckt agieren. Gleichzeitig erhalten sie im Vergleich zu männlichen Tätern weniger harte und kürzere Strafen bei Verurteilungen.
Durch dieses Phänomen dienen Frauen rechtsextremen Gruppen als Weichzeichnerinnen und tarnen diese als weniger gewaltbereit und aggressiv. Sie stellen sich als sympathische und „besorgte Mütter von nebenan“, „friedfertige Frauen“ und „treusorgende Gattinnen“ dar und schaffen es so Themen rund um Kinder, sexualisierter Gewalt und Familie für ihre ideologischen Ansichten zu instrumentalisieren. Menschen hören ihnen gern und länger zu, ohne die vertretenen Werte direkt wahrzunehmen.
„Extrem rechte, rassistische und andere menschenverachtende Äußerungen von Mädchen und Frauen werden nicht im selben Maße als politisch, ja gefährlich eingestuft. Mädchen und Frauen haben entlang weit verbreiteter Annahmen keine politische Überzeugung und wenn, dann keinesfalls eine so gewalttätige wie die rechtsextreme“
Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus
Ebene 1: Der Frauenanteil an rechtsextremem Einstellungspotential
Ungleichwertigkeitsideologien und andere rechtsextreme Einstellungspotentiale bilden das Fundament der Pyramide. Alle anderen Stufen werden erst dann möglich, wenn Rassismus, Antisemitismus und Etabliertenvorrecht sowie die Abwertung von bestimmten Menschengruppen in einer gewissen Breite der Gesellschaft verankert sind. Mehrere Studien beweisen, dass die Verbreitung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bei beiden binären Geschlechtern gleichermaßen anzutreffen ist.
Populismus macht dabei die rechtsextremen Einstellungen für etliche Menschen zugänglich, in dem mit den Ängsten und Vorurteilen der Gesellschaft gespielt wird und in ihnen ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Gruppen erzeugt wird. Extrem rechte Agitation setzt hierbei auf emotionalisierende, alarmierende und vor allem polarisierende Strategien.
Hinzu kommt:
Umso empfänglicher Menschen für Verschwörungstheorien sind, desto offener stehen sie auch demokratiefeindlichen Positionen und Gewalt gegenüber. So werden marginalisierte Gruppen angefeindet und für Missstände beschuldigt.Dies nutzen rechtsextreme Kräfte aus. Es bilden sich Brückenelemente zwischen ihnen und der gesellschaftlichen Mitte, wie etwa auf den „Querdenker-Demonstrationen“ im Rahmen der Pandemie. Hier versammelten sich neben besorgten Bürger:innen auch etliche bekannte rechtsextreme Gesichter, die ihre Ideologien zu verbreiten versuchten.
Verschwörungsideologien finden bei beiden binären Geschlechtern gleich viel Zustimmung (ca. 38% der deutschen haben eine manifeste Verschwörungsmentalität). Viele dieser Ideologien greifen Themen auf, die gesellschaftlich als typisch weiblich verstanden werden. So werden sie oft für Frauen attraktiver. Einen weiteren Anknüpfungspunkt zur extremen Rechten bildet die Esoterikszene. Häufig sind die Grenzen zwischen harmloser Esoterik und verschwörungsideologischen, extremistischen Denkweisen fließend. Einzelne Gruppierungen werden immer wieder stark von rechtsextremen Kräften als Einstieg in die Szene und Nährboden für ihre Ideologien ausgenutzt.
Ebene 2: Der Frauenanteil an der Wähler:innenschaft rechtsextremer Parteien
Beim Wahlverhalten zeigt sich trotz ähnlichem Anteil an rechtsextremem Einstellungspotential zwischen Männern und Frauen eine große Differenz. So zeigt die AfD bei der Bundestagswahl 2021 die größte Geschlechterdifferenz im Wähler:innenanteil aller etablierten Parteien. Die Partei wurde 40% wahrscheinlicher von einem Mann als von einer Frau gewählt. Ein ähnliches Verhalten zeigte sich auch bei der sächsischen Landtagswahl innerhalb der Wählerschaft der NPD. Ihre Wähler:innen waren zu circa 2/3 Männer und nur zu 1/3 Frauen.
Dieses Phänomen liegt vermutlich darin begründet, dass Frauen eine soziale Stigmatisierung und Benachteiligung durch rechten Parteien fürchten. Zudem scheint das gewalttätige, aggressive und „männliche” Image dieser, für sie, durch ihre Sozialisation, unattraktiver.
Ebene 3: Der Frauenanteil in rechtsextremen Organisationen
Seit dem 70er-Jahren bildeten sich etliche rechtsextreme Frauengruppen- und organisationen. Momentan gehen diese Organisationen weg von festen Kameradschaften und wenden sich hin zu kurzzeitigen Interessensgruppen, welche temporär zusammen im Netz oder auf Demonstrationen für ein bestimmtes Thema auftreten. Ihr Content ist auf den ersten Blick unschädlich und erst bei genauem Hinschauen fallen die ideologischen Inhalte auf, die strategisch in die vermeintlich harmlosen und „typisch weiblichen“ Themen, wie etwas Erziehung und Haushalt, eingebaut werden.
Gruppen wie 120 Dezibel oder Mädelbund Henriette Reker mobilisieren vor allem Frauen, um über Gewalterfahrungen und sexuelle Übergriffe zu berichten und untersetzen die Thematik mit rassistischen und ausländerfeindlichen Aussagen.
Für ein traditionelles Familienbild, Cis-Hetero-Normativität und gegen den sogenannten „Volkstod“ – dies sind die Themen von Gruppen wie Lukreta oder den III. Weg: Weggefährtinnen.
Der Deutsche Mädelwanderbund bildet ein Pendant zu etablierten männlich geprägten Gruppen und dient als Agitation für junge Frauen und Mädchen.
So wird die extreme Rechte massentauglich gemacht und gewinnt immer mehr Zustimmung aus demokratischen Kreisen.
Ebene 4: Der Frauenanteil an Mitgliedern rechtsextremer Parteien
Nicht nur als Wählerinnen, sondern auch als Mitgliederund Funktionärinnen sind Frauen in (extrem) rechten Parteien unterrepräsentiert. In der Bundestagsfraktion der AfD von 2021 ist ein geringer Anteil von gerade mal 13% Frauen zu verzeichnen und auch ihr Anteil Mitgliedern in der AfD beschränkt sich auf 17,8% (2019). Trotzdem besetzen sie, sobald Mitglied in der Fraktion oder Partei, überdurchschnittlich hohe Ämter und haben herausragende Rollen, wie etwa Alice Weidel (Vorsitzende der Bundestagsfraktion) oder Frauke Petry (ehem. Parteisprecherin). Sie alle äußerten sich schon (vermehrt) völkisch, rassistisch und nationalistisch. Dennoch geben sie den Parteien ein feminines, friedfertiges und modernes Antlitz.
Diese Statistiken verdeutlichen, die innerparteilichen, ideologisch begründeten Hierarchien und Machtungleichgewichte² zwischen den Geschlechtern, obwohl diese Frauen zumeist bessere Wahlergebnisse für ihre Parteien einholen.
Zum einen zeigt sich zwar der emanzipatorische Kampf, den die Frauen in ihren rechtsextremen Gruppen führen, um selbst politischen Einfluss zu nehmen. Zum anderen bildet sich aber ein Konflikt zwischen ihren politischen Karrierebestrebungen und der ideologisch verankerten Rolle als Mutter, die sich im Hintergrund hält.
Ebene 5: Der Frauenanteil an rechtsextrem motivierten Straftaten
Zwar erscheint der Frauenanteil gering, jedoch hat dies teils die doppelte Unsichtbarkeit der Frauen zur Folge. Sie werden für rechtsextrem motivierte Straftaten seltener und weniger hart verurteilt, da sie als Täterinnen häufig unbewusst direkt ausgeschlossen werden. Deshalb tauchen sie weniger in Statistiken auf. Frauen sind für die Planung und Durchführung dieser Straftaten aber genauso relevant, wie ihre männlichen Kameraden und kaum eine Straftat kann ohne ihr Zutun ablaufen.
Sie besorgen Waffen und Sprengkörper, stehen Wache, führen Fluchtfahrzeuge und bieten ihre Wohnungen als Planungs- und Rückzugsräume an. In bestimmten Fällen leihen sie sogar ihre Identität gesuchten Straftäter:innen, damit diese ausreisen oder Geschäfte tätigen können. Nicht ohne Frauen im Vorder- und Hintergrund, als Unterstützerinnen, Spioninnen oder Mitglied des Kerntrios, konnte beispielsweise der NSU 10 Menschen das Leben nehmen.
¹Im Folgenden wird nur von „Frauen“ gesprochen, da davon ausgegangen wird, dass sich nur weiblich gelesene Personen, die sich als Frauen definieren, in der extremen Rechten aktiv sind.
²Auch in kleineren Parteien wie der NPD oder der REP beträgt der Frauenanteil der Mitglieder maximal 25%. Zu Kommunal- und Europawahlen machten Frauen ebenfalls nur zwischen 8 und 24% der für (extrem) rechte Parteien, wie NPD, III: Weg oder AfD, Kandidierenden aus.
Quellen: Amadeu Antonio Stiftung, Wissen schafft Demokratie Bd. 13, Bundeszentrale für politische Bildung, Friedrich Ebert Stiftung, BMFSFJ und „Mädchen und Frauen in der extremen Rechten“ von Juliane Lang
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