Vom 19.-20. April 2024 veranstalten die Evangelischen Akademien der ostdeutschen Bundesländer, namentlich der Evangelischen Akademie zu Berlin, der Evangelischen Akademie Thüringen, der Evangelischen Akademie Sachsen und der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt einen Kongress unter der Überschrift „Demokratie ist ein Marathon – Über den Umgang mit rechten Parteien im Osten Deutschlands“. Zu Gast war der Kongress in den Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt.
Übereinstimmender Tenor bei den Teilnehmenden war die Tatsache, dass Umfragen keine Wahlergebnisse sind. Deshalb bleibt es notwendig, der extremen Rechten entgegenzutreten, wo immer sie auftritt und ihre Behauptungen nicht unwidersprochen im Raum stehen zu lassen. Es gilt, anzutreten gegen autoritäre Herrschaftsansprüche, gegen die Verächtlichmachung der Demokratie und ihrer Institutionen, gegen die zunehmende Russlandverherrlichung, sowie gegen Ideologien von Volkshomogenität und den damit verbundenen Ideen von Remigration. „Gewählt wird am Wahltag. Noch ist nichts entschieden. Bange machen gilt nicht.“ bemerkte Sebastian Kranich, Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen.
Die Journalistin Valerie Schönian eröffnete die Tagung mit persönlichen, essayistischen Betrachtungen. Dabei legte sie einen klaren Fokus auf die hoffnungsvollen Aufbrüche und Initiativen, die sich für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Wo viel im Umbruch ist, sei auch alles möglich. Wichtig sei es, so Schönian, denen, die demokratische Institutionen verächtlich machen, oder ausgrenzende Ideologien oder biologistische Ideen von Zugehörigkeiten verbreiten, oder auch solche Personen verharmlosen, die jenes Gedankengut verbreiten, direkt und unmittelbar zu widersprechen. Das könne wirklich jede und jeder tun. Dabei brauche es nicht die perfekte Antwort, oder das bessere Argument – darum kann dann gerungen werden, aber wo dieser Widerspruch nicht markiert werde, entstehe ein falscher Eindruck. „Streit gemeinsam zu bestreiten, bringt demokratische Prozesse voran“
Dr. Alexander Leistner, Kulturwissenschaftler und Protestforscher an der Universität Leipzig, entfaltete in seinem versierten Vortrag ein Lagebild zum Thema Extremismus in den Ländern Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Neben typischen Unterschieden in den Regionen zeichnete er gemeinsame Mechanismen auf, die die Lage im Südosten bestimmen. Unter anderem warnte Leistner vor einem exklusiven Sonderbewusstsein des „Ostens“ und sensibilisierte dafür, dass sich darunter sehr schnell antiwestliche Einstellungen bis antimodernistische Werthaltungen Platz schaffen könnten. Mit mehreren Beispielen führte Leistner vor, wie Unsicherheiten von sog. „Polarisierungsunternehmern“ (Stefan Mau) bewusst genutzt werden, um die Gesellschaft von innen und von außen zu destabilisieren. In Anlehnung an einen wichtigen Slogan der Friedensbewegung der DDR-Kirchen fordert Leistner von den Kongressteilnehmenden eine klare „Absage an den Geist, Logik und Praxis der Destabilisierung“.
Am Abend des ersten Tages erläuterte der Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, seinen politischen Ansatz der klaren Abgrenzung zu Extremisten aus dem rechten und linken Spektrum. Haseloff erinnerte mit seinem Vortrag unter dem Titel „Demokratie ist kein Selbstläufer – Warum eine Zusammenarbeit mit Extremisten unmöglich ist“ an die historischen Zusammenhänge. Vor dem Hintergrund des Scheiterns der ersten deutschen Demokratie mit dem Ende der Weimarer Republik und den folgenden zwei Diktaturen, dürfe heute einer deutschen Spielart des Trumpismus, also eines nationalistischen „Deutschland zuerst“, kein Raum geboten werden. Zwar habe die CDU nach jüngsten Umfragen in Sachsen-Anhalt wieder die Position der stärksten politischen Kraft gewonnen, aber mit der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht habe ein Player vom äußeren Rand die politische Bühne betreten, der das Parteienspektrum der Mitte stark unter Druck setze.
Der Präsident des Verfassungsschutzes aus Thüringen Stephan Kramer betonte im Gespräch mit seinem Kollegen Jörg Müller, Leiter der Abteilung Verfassungsschutz in Brandenburg, dass er die Strategie des Ignorierens der AFD für gescheitert halte und mahnte eine stärkere politische Auseinandersetzung an. Der Verfassungsschutz als „Feuermelder“ könne nur immer wieder laut melden „es brennt“, löschen aber müsse die Feuerwehr. Ein Verbotsverfahren gegen die AFD sieht Kramer kritisch, jedoch gebe es für seine Behörde genug Arbeit, die das vielgestaltige und klar rassistische politische Vorfeld und Umfeld dieser Partei betreffen. Die Verfassungsschützer stellten in Ihrem lebhaften Gespräch auch die Bedeutung der Kommunalwahlen heraus.
Für Lösungen auf der Kommunalen Ebene stand dann auch das Abschlusspodium auf dem David Begrich, vom Bündnis Miteinander e. V. aus Sachsen-Anhalt und die Oberbürgermeisterin von Zwickau, Constanze Arndt, kontrovers über die Chancen und Grenzen einer Brandmauer gegen die AFD diskutierten. „Die Brandmauer hat nicht funktioniert. Das ist erledigt.“ sagte Arndt auch im Hinblick darauf, dass die AFD bei der fortschreitenden Radikalisierung im Parteienspektrum in Sachsen wohl bald das kleinere Problem sein könnte. Die Auseinandersetzung funktioniere nicht mit ideologisch Schranken im Kopf vielmehr plädierte sie für die Konfrontation und den Widerspruch im unmittelbaren Gespräch und durch klare Haltungsarbeit. Begrich blieb hartnäckig in seiner Forderung, dass vor allem in der Kommunalpolitik stärker über strategische politische Kommunikation nachgedacht werden müsse und markierte den schleichenden Prozess der Normalisierung von Extremen „Man muss überlegen, wer mit wem an welchen Orten zu welchem Zweck und aus welchem Anlass miteinander spricht. Wenn ein Vertreter einer gesichert Rechtsextremen Partei am Holocaustgedenktag mit allen anderen Vertretern der gewählten Stadtratsfraktionen einen Kranz mit Schleife ablegt, stimmt etwas nicht. Die müssen ausgeladen werden!“ In der Auseinandersetzung blieb fast unbemerkt, dass der Vertreter der Initiative „Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage“, Niklas Gerlach, aus seinen Erfahrungen mit klaren strategischen Zielen auf gute Erfolge verweisen konnte. So habe man einen großen Anteil daran, dass die geplante Ansiedlung der Identitären Bewegung in Halle gescheitert ist und die Perspektive der Opfer im Gedenken an den Anschlag vom Jom Kippur 2019 eine zentrale Rolle in der Gedenkkultur spiele.
Mit über 80 Teilnehmenden stieß der Kongress auf große Resonanz. Die engagierten Menschen aus Zivilgesellschaft, Politik und kirchlichen Kreisen, aus denen die Teilnehmendenschar überwiegend bestand, schätzten die fachlichen Inputs und lebhaften Diskussionen. Vor allem in den Arbeitsgruppen am zweiten Kongresstag konnten sehr gezielt Fragen eingebracht und bearbeitet werden, die die Menschen vor Ort umtreiben. So wurde über die Frage eines „brauen“ Elefanten in der Kirche, also Menschenverachtenden und Diskriminierenden Haltungen bis hin zu Engagement in rechtsextremen Parteien unter Kirchenmitgliedern diskutiert, oder mit einem Argumentations- und Haltungstraining Reaktionen auf populistische Floskeln geübt. Der Präsenz rechter Argumentationsmuster im Internet wurde mit einem Meme-Workshop spielerisch begegnet. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus nahm in einem Workshop Texte aus Rechten Netzwerken genauer unter die Lupe. Auch die mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus präsentierten ihre Arbeit und standen für Fragen zur Verfügung.
Bereits am Vorabend konnte in einer anregenden Podiumsdiskussion mit der Thüringer Landtagsabgeordneten Dorothea Marx, der Superintendentin des Kirchenkreises Zossen-Fläming, Katrin Rudolph, und Annalena Schmidt als Vertreterin der AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte von gelungenen Koalitionen und Aktionen zwischen Kirche, Politik und Zivilgesellschaft erzählt werden. Diese, so hoffen die Veranstalter, können mit den Anregungen des Kongress auch in Zukunft fortgesetzt und verstärkt werden. Die Veranstalter ziehen eine positive Bilanz. „Uns ist wichtig, die demokratischen Kräfte und Institution für die kommenden Monate in diesem wichtigen Wahljahr zu stärken, zu vernetzen und zu ermutigen“ sagt Christoph Maier, Direktor der Akademie Sachsen-Anhalt. Dies gelte insbesondere für die vielen kleinen Initiativen und einzelne Akteure in den kleinen Städten und ländlichen Regionen.