Am Anfang war … das Chaos
Im Anschluss an den Soziologen Niklas Luhmann ist Gesellschaft ein System von kommunizierenden Einheiten. Dabei gibt es keine vorgegebenen Ordnungsprinzipien. Systeme schließen je nach ihrer Eigenlogik oder Funktion aneinander an. Es entstehen funktional ausdifferenzierte Kommunikationszusammenhänge: Interaktionsmuster. Gesellschaft ist eine Gesamtheit von Interaktionsmustern, die über eine spontane Kommunikation hinaus bestand hat und stabil bleibt.
Niklas Luhmann: „Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen.“
In solch einem Gelände fällt allerdings die Orientierung schwer. Auch gezielte Verabredungen für gemeinsame Treffpunkte sind kaum möglich, denn alles kann auch ganz anderes zusammengesetzt oder „konstruiert“ werden.
So konstruieren heute manche hinter diesen Kommunikationsmustern einen geheimen Plan, nach dem die Gesellschaft funktioniert. Mächtige Menschen oder Organisationen lenken und beeinflussen die Gesellschaft nach ihren eigenen Zielen. Das klingt fast so, wie die alte Idee des lenkenden Gottes oder des antiken Demiurgen nur eben in weltlicher Gestalt.
Wie denkt die Theologie heute über Gesellschaft?
Am Anfang war … das Wort.
Kommunikation ist auch nach jüdisch-christlicher Tradition das Wesen menschlichen Zusammenlebens. Der evangelisch Ethiker Eilert Herms beschreibt ähnlich wie Luhmann Gesellschaft als auf Dauer gestellte, stabilisierte Interaktionsordnung. Anders als die Systemtheorie begründet Herms aber eine Ordnung, in einer durch evolutionäre Entwicklung ausdifferenzierten und deshalb hochspezialisierten und arbeitsteiligen Gesellschaft.
Im Zusammenspiel von biologischer und sozialer Natur des Menschen sieht Herms den ursprünglichen Ort für eine solche Ordnung in der Familie.
Demnach sind für das Überleben einer Familie vier Dinge gleich wichtig.
- Das Offenhalten des Lebensraums durch Sicherheit als Macht,
- die Absicherung des materiellen Lebensunterhaltes als Versorgung,
- die Gewinnung und Weitergabe von Wissen als Bildung,
- und die Rückbindung und Einbindung in unhinterfragbare Letztgewissheit als Sinn oder Vertrauen.
Eine solche Ordnung scheint auch heute noch in hochgradig ausdifferenzierten Gesellschaftsordnungen durch, wo die Eigenständigkeit und Bezogenheit von vier gleichursprünglichen Subsystemen erkannt wird:
- Politik
- Wirtschaft
- Wissenschaft
- Religion,
Religion soll hier im weitesten Sinn in ihrer Funktion zur Bewältigung und Schaffung von Daseinsgewissheiten oder unhinterfragbare Letztgewissheit in jeglicher Form von Weltanschauung verstanden werden.
Doch auch nach dieser Kartierung von Gesellschaft bleibt die Aufgabe die Interaktionsmuster in und zwischen den einzelnen Bereichen heilvoll aufeinander abzustimmen und zu gestalten. Kann dies gelingen, oder sind die zunehmenden Krisen ein Symptom für die Überforderung der Gesellschaft an sich selbst?
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